Adam Karrillon
Bauerngeselchtes
Adam Karrillon

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Ein vierbeiniger Schutzengel

Nach Doktor Ebenichs Vorstellung gab sein neuer Rappe dem Bucephalus des großen Alexander nur wenig nach, und deshalb taufte er ihn auch so, wie der berühmte Mazedonier den seinen getauft hatte. Das Biest hatte einen feurigen Blick, einen stolzen Hals und vier Beine, die so tadellos glatt waren wie ein Bambusrohr. Das einzige, was dem Doktor an dem edlen Renner nicht gefiel, war, daß er bis jetzt nur erst zur Hälfte bezahlt war. Doch, daß er noch mit fünfzig Prozent seines Wertes bei einem Juden zu Buche stand, konnte ihm ja keiner ansehen, und wenn Ebenich morgen wieder auf dem Gaule saß und zu einem Kranken über Land ritt, dann hoffte er mit tausend Gründen, daß Pferd und Mann zusammen eine tadellose Figur machen würden.

Himmel, wie ihn doch der Gedanke berauschte, daß er nun der glückliche Besitzer eines Pferdes wäre. Er konnte nicht schlafen. Er mußte sich aufrichten im Bette und mußte lauschen nach dem Schnauben 11 seines Lieblings, der dicht neben ihm stand, nur durch eine backsteindicke Riegelwand von seinem Bette geschieden.

Soeben tutete der Nachtwächter aus seinem Horn die elfte Stunde. Wollte denn diese Nacht kein Ende nehmen? Der Arzt war so wach und ausgeruht wie der Dachs um Lichtmeß, obwohl er gestern erst seinen Bucephalus in einem achtstündigen Ritt das Flußtal heraufgeholt hatte.

»Wenn's doch nur Tag wäre, daß wir fort könnten miteinander,« stöhnte er, »hinaus auf die freien Bergeshöhen und hinein in den Wind, der uns beide auf seine Flügel nehmen soll.« –

Der Gaul schien von der gleichen Ungeduld beseelt wie sein Herr, denn Ebenich hörte ihn zuweilen leidenschaftlich scharren und mit der Kette seines Halsriemens rasseln. Daß der Racker dies nicht lassen wollte, vermehrte nutzlos die Aufregung seines Herrn, ohne die Situation zu bessern. Herr Ebenich sah dies ein und wollte nun nicht länger wachen. Er wollte den Schlaf zwingen, ihm Vergessenheit zu bringen. Er legte sich auf die rechte Seite und zog die Zudecke über das linke Ohr herauf.

Kaum hatte er sich derart eingepökelt, als es an seinem Kammerladen schüchtern zuerst, dann zudringlich poch, poch machte. Ebenich stürzte ans Fenster und öffnete. Im Silberscheine einer Junimondnacht stand ein junger Mann auf der Straße, drehte seine 12 Mütze verlegen zwischen seinen Händen und fragte: »Ob der neue Doktor wach wäre, und ob er sich bewegen ließe, nach seiner Mutter zu sehen, die auf dem Luchshof wohne, dahinten im Bärentale am Fuße des Hinkelberges?«

»Gerne werde ich mit Ihnen kommen,« sagte Ebenich zu dem Boten, »wenn Sie mir den Weg weisen wollen. Denn wie sollte ich sonst Euern Hof finden zu einer Zeit, wo die Wege menschenleer sind und die Häuser mit Schläfern gefüllt.«

»Aus der Begleitung kann leider nichts werden,« war die Antwort des Angeredeten. »Bedenkt, daß ich heute schon seit drei Uhr des Morgens mit der Sense in der Wiese stand und daß ich nun eben erst einen Weg von zwei Stunden zurückgelegt habe. An meiner Gesellschaft kann Euch wenig gelegen sein. Erlaubt, daß ich mich hier auf die Treppe setze und ein paar Stündchen schlafend Euere Rückkehr abwarte. Meine Beine müßten ja sonst viermal den gleichen Weg machen. Denn überlegt nur, wer soll in die Apotheke gehen, wenn Ihr es für nötig findet, etwas zu verordnen.«

»Aber ich werde stundenlang herumirren und Euere Einöd' suchen können,« bemerkte Ebenich.

»Sucht nur! Daß Ihr den Weg verfehlt, ist so gut wie ausgeschlossen. Die Chaussee führt Euch direkt ins nächste Dorf. Dort klopft an irgendeinem Hause und fragt nach dem Luchshof. Man wird Euch 13 aufmachen und Euch auf einen Feldweg stellen, der Euch hinbringt an den Ort, wo eine Kranke mit Sehnsucht auf Euch wartet.«

Ebenich weigerte sich nicht länger, dem Ruf zu folgen. Er zog den Rappen aus dem Stall und legte ihm den Sattel auf. Derweil war der Bursche, den Knotenstock zwischen den Beinen auf der Haustreppe sitzend, sanft entschlummert. Ich glaube nicht, daß er noch gehört hat, wie der Hufschlag des abziehenden Pferdes in die leeren Gäßchen hineinschallte.

Bald hatte der Reiter die Häuser des Städtchens hinter sich und trabte die Pappelallee hinauf nach der Försterei Wittgemark. Haus und Scheune lagen vom Mondscheine übergossen in tiefem Schweigen. Nicht einmal der Hofhund regte sich. Die Straße senkte sich nach der Rußmühle hinunter. Der Buchwald hüllte sie in seinen Schatten. Sie, die vorher silberglänzend erschien, war jetzt schwarz und kaum zu sehen. Gelangweilt klapperte der Mahlgang durch die Nacht. Munter trabte der Renner weiter.

Der Wald lag hinter Mann und Roß, und ein Wiesentälchen tat sich auf, an dessen bewaldetem Abschluß ein Kirchlein aus einem Konglomerat von Dächern seine kreuzgekrönte Spitze gegen den Sternenhimmel hinaufreckte. Das war Mariengrün, einst eine reiche Abtei, jetzt ein armes Dörfchen, dessen bescheidene Bewohner sich als Waldarbeiter einen kärglichen Tagelohn verdienten.

14 ›Hier mußt du um Auskunft bitten,‹ sagte sich der Doktor, als er in die mondbeglänzte Gasse hineinritt. Weil er nun nicht gerne die Ruhe irgendeines Schlafenden stören wollte, so suchte er nach dem Schimmer eines Lichtes. Licht ist ein Verräter und klatscht aus, daß irgendwo irgendeiner sitzt, dem Arbeit oder Kummer den Bruder des Todes von den müden Lidern scheucht. Solche Leute pflegen gegen anderer Not hilfsbereit zu sein. Doch wie er sich auch mühen mochte, nirgends entdeckte der Suchende die Spur irgendeiner Flamme, und doch wurden schon die Häuschen kleiner, und die Dächer sanken tiefer herunter über die Fenster; ein Zeichen, daß die Wohnungen der Reichen vorbei waren und daß die Dorfgasse mit Armeleutshütten zu Ende ging.

Auskunft mußte der Arzt im Dorfe haben, oder er fand sie sonst nirgends. Und so ritt er denn entschlossen gegen eine der niederen Buden heran und schlug energisch mit der Reitpeitsche wider den dichtgefügten Fensterladen. Klatsch, klatsch! klang es unter dem überhängenden Ziegeldach hervor, während von innen heraus eine greinende Weiberstimme »Jesus, Maria und Joseph!« und »alle Heilige im Himmel steht mir bei!« schrie.

»Seid nicht ängstlich,« rief der Reiter von außen der Jammernden zu. »Hier hält einer, der weder Euer Leben noch Euer Geld fordert. 's ist nur ein 15 Verirrter, der Euch um eine Auskunft bezüglich des Weges bitten möchte.«

Das Weib hatte indessen doch die Läden aufgeworfen, und ein schöner, etwas vom Schlafe verwirrter Lockenkopf war im Fensterrahmen erschienen.

»Was seid Ihr gekommen, meine Nachtruhe zu stören?« fragte eine verängstete, leise zitternde Stimme. »Sagt kurz und bündig, was Ihr von mir wollt, und ich werd mir überlegen, was ich Euch zu antworten habe.«

»Gute Frau,« entgegnete Ebenich ebenso sanft, als er angeredet worden war, »verzeiht, daß ich Euch lästig falle. Aber überlegt, daß ich fremd in der Gegend bin und daß mir viel daran gelegen sein muß, zu erfahren, auf welchem Wege ich am schnellsten auf den Luchshof komme, der da irgendwo im Bärentale gelegen sein soll.«

»Daß Euch der Himmel helfen möchte, an das Ziel zu kommen, das Ihr Euch gesteckt habt. Der Weg ist weit und schwer zu finden. Wollt Ihr nicht Eurem Gaule eine kurze Rast gönnen und selber zu mir herein kommen. Was eine Witwe bieten kann, soll zu Eurem Dienste sein. Eine Schale Kaffee ist bald gekocht, und auch an einem Trunk aus der Flasche fehlt es nicht. Nur besinnt Euch nicht lange. Selbst in der Nacht, da lauert auf eine Witfrau gar manches eifersüchtige Auge.«

»Diese Euere Erfahrung könnte ich beschwören,« 16 sagte der Doktor, und er hätte dies mit gutem Gewissen wirklich gekonnt, denn seine eigenen Lichter hatten nach dem Weibe auf der Lauer gelegen, als über eine runde Büste das Mondlicht niederrann und in dem Oval des schönen Gesichtes ein feines vielversprechendes Lächeln beleuchtete, das an das vieldeutige Schmunzeln von Leonardos berühmter Mona Lisa erinnerte. Dem Beobachter wurde es warm ums Herz. Er fühlte den Kaffee der schönen Witwe auf seiner Zunge, und er fühlte sonst noch mancherlei.

›Eine Stunde früher, eine Stunde später am Krankenbett,‹ dachte er für sich, ›wenn die Natur sich nicht selber hilft, dann kuriert der Doktor doch zumeist vergebens.‹

Schon hob er den rechten Fuß, um aus dem Bügel zu steigen, als Bucephalus zu trompeten anfing, als ob die Schlacht von Chäroneia ihren Anfang nehmen wollte.

Das Dorf war alarmiert. Man hörte in der ganzen Nachbarschaft die Fensterriegel knarren, und verwunderte Gesichter kamen mit fragenden Augen zum Vorschein.

Die Witwe wußte dem veränderten Stand der Dinge sofort Rechnung zu tragen.

»Dem Himmel sei's geklagt, wenn eine arme Frau nicht einmal in Frieden leben kann,« keifte sie über die Straße hin. »Schert Euch zum Teufel mit Eurem erbärmlichen Klepper. Wenn Ihr eine Auskunft 17 braucht, warum kommt Ihr nicht bei Tage, und warum klopft Ihr an dem Läden einer unbescholtenen Witwe, wo es doch der Häuser noch so viele gibt im Dorf?«

Ebenich beschloß, diesem hochnotpeinlichen Examen nicht länger standzuhalten. Er gab dem Bucephalus die Sporen und floh aus dem Dorf hinaus in das mondbeschienene Wiesental.

›Da warst du vor einer sauberen Schmiede,‹ dachte er für sich, ›und ohne den Verstand deines Pferdes wärest du wohl richtig verhämmert worden. Mag sein vorsichtiger Instinkt nun weiter für dich sorgen.‹ Er klopfte dem Rosse zärtlich auf den Hals und ließ es seines Weges fürbaß schreiten.

Eine halbe Stunde später stand der Arzt im Zimmer des Luchshofbauern, hatte der Bäuerin die Zunge besehen, den Puls gefühlt und ein Rezept verschrieben. Nun hätte er wieder gehen können, wenn nicht die schöne Mondnacht ihn verlockt hätte, eine Extratour mit seinem Renner zu wagen, um ein wenig durch die Wälder zu streifen.

»Sollte es nicht einen Fußpfad übers Gebirg geben, auf dem ich heimreiten könnte, ohne Mariengrün berühren zu müssen?« fragte er den Bauer.

»Es gibt wohl einen,« war die knapp gehaltene Antwort, »allein er ist beschwerlich und außerdem ohne einen Führer wohl kaum zu finden.«

»Ich gehe mit Euch und will Euch zurechtweisen,« 18 ließ sich jetzt im Rücken des Arztes eine weiche, wohllautende Stimme hören.

Als Ebenich sich umwendete, teilte sich eben der Vorhang eines Bettes, das an der hinteren Wand stand, und zwei wohlgeformte Mädchenbeine traten aus dem Gardinenschlitz heraus. Rasch folgte dem Untergestell der übrige Körper nach, und für Bruchteile einer Sekunde stand ein allerliebster weißgekleideter Engel vor dem Doktor. Aber nur für Bruchteile einer kurzen Sekunde, denn schon flog ein grober Bauernrock über den Blondkopf des Mädchens und deckte die größere Hälfte des schönen Bildes zu. Zwei plumpe Schuhe, die mit flinken Fingern hurtig an die Füße genestelt wurden, vernichteten beinahe völlig die schöne Vision. Beinahe völlig – sage ich – denn noch blieb dem Auge ja der Überblick über ein lachendes Engelsgesicht und über eine kugelrunde Brust, die ab und zu neugierig aus dem Schlitz des Hemdes heraus und in die Stube hereinguckte.

»Daß du mir aber deine Jacke anziehst, Eva,« mahnte die Stimme der kranken Bäuerin aus dem Bette heraus.

»Wozu?« entgegnete das junge Mädchen resolut, »es ist nicht kalt im Freien, und begegnen wird uns schwerlich einer.«

Sie ging nach dem Uhrkasten, langte einen Stock heraus, stellte sich in die halbgeöffnete Tür und sagte: »Ich werde vorangehen, Doktor, Ihr Pferd 19 losbinden und an die Treppe führen, daß Sie's bequem haben beim Aufsteigen.«

Ebenich wußte nicht, warum ihm dieser Reiseplan nicht so recht passen wollte. Er wäre eigentlich lieber neben seinem schönen Führer her zu Fuß gegangen. Allein die Kleine hatte nun einmal beschlossen, daß er reiten solle. Er mochte dem Vorschlag nicht widersprechen. So zogen die drei zum Tore hinaus und in den Wald hinein.

Der Weg lief sanft ansteigend zwischen den weißen Säulen weitgeästeter Birkenstämme hin und war bequem genug. Laub und Moos dämpften den Hufschlag des Rosses, und eine wunderbare Stille war um die Gruppe ausgegossen. So schweigsam war der Wald, daß der zu Pferd sein Ohr nur wenig anzustrengen brauchte, um die Atemzüge der Fußgängerin neben sich zählen zu können. Daß wir es nur gestehen, der Reiter hat dies auch getan, denn sein ganzes Wesen war ausgefüllt vom Bilde seiner Führerin. Nicht von der, die jetzt wohl mit breiten Bauerntritten die Hufspuren seines Rosses begleitete, sondern vielmehr von jener, die zierlich und elegant vor ihm gestanden in den anschmiegsamen Falten eines blütenweißen Nachthemdes. Das Bild seiner Phantasie war dem Doktor so wertvoll, daß er es nicht durch den Anblick der Wirklichkeit retuschieren wollte. Deshalb vermied er es, zur Seite zu sehen, und war zufrieden, wenn das Modell zu seinem 20 Gemälde sich zuweilen durch leises Räuspern bemerklich machte, oder wenn sein Schatten zuweilen neben ihm herdämmerte über den Moosrasen.

So waren sie höher gekommen. Der Wald war lichter geworden. Der schwarze Schatten der Baumkronen wechselte mit dem Silberweiß mondbeschienener Kahlhiebe. Bald kamen Stellen, wo sich das Felsgerippe des Gebirgsstockes zwischen dem Humus durchgedrängt hatte. Rauher war der Weg geworden, geräuschvoller die Fahrt. Die Hufeisen klirrten, und des Pferdes Gang war ungleichmäßig und zuweilen stolpernd. Einmal sogar glitt Bucephalus aus, und es fehlte wenig, so hätte er auf den Knien der Vorderbeine gelegen und damit aller Wahrscheinlichkeit nach sein Herr zwischen holzigen Erikastengeln. Dies beobachten und nach dem Kopfe des Rappen greifen, war für das Mädchen das Werk eines einzigen Augenblickes. Das Zaumzeug hatte sie in die kleine Faust genommen, und kraftvoll schob sie dem Tiere die Nase in die Luft hinauf. Einer Walküre gleich, die ihrem Schützling in das Schlachtengewimmel vorangeht, erschien sie im Augenblick mehr schrecklich als begehrenswert.

Wie aber so die flächsernen Haarsträhnen der Göttin, vom Winde fortgerissen, die Hand des Reiters streichelten, regten sich doch allerlei Gefühle, die aus der überirdischen Hülle das Weib wieder herausschälen wollten.

21 ›Ob sie wohl auch küssen kann?‹ erhob sich in dem Reiter die begehrliche Frage, und er sah auch schon im Geiste den schönen Kopf von seinem Arme umschlungen an seiner Brust liegen.

›Steige ab und hole dir dein Glück,‹ redete zu dem Manne eine innere Stimme, während eine andere zaghaft dagegensprach: ›Laß die schöne Rose ungebrochen. Herr, führe mich nicht in Versuchung.‹

Wozu diese Bitte, da die Versuchung doch schon da war? Es handelte sich nur noch darum, ob der Reiter ihr widerstehen konnte oder nicht.

Und er konnte nicht. Ja er wollte sogar nicht einmal. Mit seinem Gewissen hatte er ein Handelsgeschäft gemacht. Wenn es hier zu einer Sünde kam, so trafen achtzig Prozent der Schuld den, der die himmlische Gelegenheit geschaffen hatte, mithin die Vorsehung selber.

»Ah, hüh!« rief der Reiter seinem Rosse zu und hob sich in den Bügeln, als das Mädchen eben sehnsuchtsvoll dem Doktor das Antlitz zuwendete.

»Ah, ah, hüh!« Der Renner schien taub geworden zu sein. Anstatt zu halten, schritt er nur noch kräftiger nach vorne aus.

›Oder war's die kleine weibliche Hexe, die das Tier zum Ungehorsam verleitete? Sollte mit dieser in des Teufels Namen nicht ein Wörtchen zu reden sein?‹ dachte der Doktor.

22 »Haben Sie's denn gar so eilig, mich los zu werden?« rief Ebenich vom Sattel herunter. »Wäre es denn nicht ganz nett, wenn wir ein Stückchen des Weges zu Fuß nebeneinander gingen? Mein Wohnort kann nicht allzu fern mehr sein. Sie treffen da mit Ihrem Bruder zusammen und können mit ihm den Rückweg nach dem Hofe nehmen?«

»Ach nein,« gab die Kleine zurück, »ich bin nicht angezogen, um in die Stadt zu gehen. Schon sind wir so weit, daß Sie den Pfad nicht mehr verfehlen können. Hier ist der letzte Kreuzweg, und da hinunter müssen Sie nun reiten, um an den Bach zu kommen. Die Länge eines Büchsenschusses voranschreitend, stoßen sie dann schon aufs erste Haus der gepflasterten Gasse.«

›Sie wird dir ausreißen, wenn du noch lange parlamentierst, rasch zur Attacke,‹ kalkulierte der Doktor und bemühte sich neuerdings abzusteigen. Doch Bucephalus bäumte sich auf – vielleicht war eine Eule mit Gespensteraugen über den Pfad gegeistert – und machte einen verzweifelten Seitensprung ins Gebüsch hinein.

Bis Mann und Roß sich aus den Fallstricken des Unterholzes herausgefunden hatten, war die Kleine verschwunden.

Ebenich warf das Pferd herum und trabte der Fliehenden nach. Er konnte sie nicht erreichen, oder vielmehr er sah sie nicht einmal. »Eva, Eva!« rief er 23 ihren Namen in den Wald hinein. Ein leeres Echo war alles, was ihm antwortete. Eva und das erträumte Paradies waren fort.

Er war wütend über sich und hätte sich selber ohrfeigen mögen. Weil dies nicht wohl anging, gab er dem armen Gaule die Reitpeitsche. Empört erhob sich Bucephalus auf die Hinterbeine und sauste mit dem Doktor den Abhang hinunter. Bis er so weit beruhigt war, daß er wieder dem Zügel folgte, war der Bach erreicht, und das Dengelgeräusch eines frühen Mähers brachte den Reiter auf andere Gedanken.

Die ganzen nächsten Monate noch grollte Ebenich seinem Pferde. Kein freundliches Wort, kein zärtliches Streicheln gab es mehr. Warum hatte auch das dumme Tier mit seinen Unmanierlichkeiten seinen Herrn um zwei so kostbare Gelegenheiten gebracht? – –

Da wollte es eines Tages der Zufall, daß der junge Doktor die gleiche Straße ritt wie in der Nacht seiner Abenteuer. Zu Mariengrün am Hause der Witwe stand eine mit blatternzerrissenem Gesicht und prügelte einen Schulbuben. Gänse hätten bei ihrem Anblick die Köpfe geschüttelt, Hunde gebellt, und ihre Worte gar hätten den Teufel mitsamt seiner Großmutter in die Hölle gescheucht.

›Wie doch das Mondlicht unsere Sinne äffen kann,‹ dachte Herr Ebenich, und er machte, daß er unerkannt vorüberkam.

24 Eine halbe Stunde später begegnete ihm eine Hebamme, die in einem Federkissen ein kleines Kind zur Taufe trug. Ebenich scherzte mit der Alten und fragte: »Wo sie denn den Paten für den Täufling zu finden hoffe?«

»Holla,« sagte die weise Frau, »darüber kommen wir nicht in Verlegenheit, den Paten macht im Notfall der Mesner, wo aber die Eva vom Luchshof einen Vater für den Bastard hernimmt, das weiß bis jetzt noch nicht einmal die Kartenschlägerin.«

Von diesem Augenblicke an waren Doktor Ebenich und sein Roß wieder Freunde. 25

 


 


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