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Lantana

Die Deckstühle knarrten, man bog sich vor Lachen. Die brütende Hitze, der feine Dunst um Kokospalmen und Strandgehölz, das altbekannte, schwermütige Blasen auf einem Tritonshorn rief tausend halbvergessene Geschichten wach.

»Hör', Freibitz, erinnerst du dich noch an den Barrikadenbau der Damen Bringer?«

»Und ob! Und ob! Als Spitzgut das Tor stürmte ...«

»Erzählen! Erzählen!« kam's aus ferneren Stühlen.

»Spitzgut liebte 'nen Tropfen ...«

»Ein Meer meinst du wohl ...?«

»Gut, ein Meer, aber eins, das weder Salz noch Wasser enthielt; die daraus aufsteigenden Nebel wurden manchmal zu Wolken, die ... hm ... seinen klaren Ausblick hinderten. Der Weg zu seiner Pflanzung führte an der Bringerschen vorüber, auf der nur Mutter und Tochter in einem ebenerdigen Steinhaus wohnten, scheu jeden Verkehr mieden und sich vor jeder Krabbe fürchteten. Ihre Scheu und ihre Ungastlichkeit waren berüchtigt.

Um Mitternacht krachte das Buraugeäst jenseits des Tores wie unter dem Anmarsch einer beträchtlichen Anzahl Eingeborener. Frau Bringer machte zitternd Licht und spähte von der offenen Steinveranda aus ins Dunkel. Gerade als sie die Windlaterne hob, nahm Spitzgut das Tor im Sturm.

»Schönste Mutter Bringer, Wein her, Wein her oder ich ...« aber die Tür des Häuschens war schon ins Schloß gefallen und alles war finster.

»Das wollen wir sehen!« Im Nu war Spitzgut vom Gaul herunter und hämmerte aus Leibeskräften auf die Tür.

»Schönste ...!«

»Weg! Fort! Hinaus! Sie Narr, Sie trunkener Narr, Sie unverschämter Narr, Sie ...!«

»Schönste Mut…«

»Narr ... Narr ... Narr ...!«

»Wein her, Wein her, Perle der Neu-Hebriden oder ...«

»Fort, weg, Sie Einbrecher, Sie ...!«

Das ging so ins unendliche; Spitzgut wurde müder und um einen Grad nüchterner. Er ließ von der Türe ab und schwang sich aufs Pferd; die Frauen betrachteten ihn zähneklappernd durch Fensterritze und Schlüsselloch.

Plötzlich wimmerte Frau Bringer in Todesangst:

»Verbarrikadieren wir uns, er kann nicht fort!« Und sie schleppte die wenigen schwachbeinigen Stühle, die sie fand, zusammen.

Spitzgut hatte sich nämlich wohl aufs Pferd geschwungen, indessen mit dem Gesicht zum Schwanz.

»Jetzt geschieht ein Unglück!« stöhnten Mutter und Tochter und stolperten im Finstern um den Küchentisch zur Verstärkung der Barrikade, aber Spitzguts Gaul hatte glücklicherweise mehr Verstand als die drei Menschen. Er kannte den Weg zum Stall und nahm ihn. Von Zeit zu Zeit zog Spitzgut ihn am Schwanze und sagte aufmunternd »Hü!«

»Und kamen sie wirklich beide daheim an?«

»Ohne Schaden; um drei Uhr morgens.«

»Das waren Zeiten – goldene Zeiten!« Freibitz schlug sich aufs Knie.

»Wo man eine Schwarze um ein Zahnschwein kaufen konnte ...«

»Um ein Manu, Mensch, ein Lendentuch aus Kattun!«

»Kein Wunder, daß Sie Heimweh hatten nach diesen Inseln, Freibitz,« warf ein Dritter ein, »wenn man so als Sultan lebt ...«

»Und auf jeder Insel seine Popinä findet,« kams aus den Tiefen des letzten Deckstuhls, »so ...«

»So streut man eine reiche Giftsaat aus, die bittere Ernte bringt,« und der hagere, schon bejahrte Missionar, der bis dahin stillschweigend gegen die Reeling gelehnt, ließ seinen kühlen mißbilligenden Blick über jeden Einzelnen hingleiten, ehe er sich entfernte.

»Na ... der allerdings sät nichts!« meinte Langen achselzuckend nach einigen Sekunden.

Die Ankerketten rasselten; man war in Vila.

*

Emil Freibitz ging den Strandweg entlang, suchte nach alten Erkennungszeichen, versetzte sich zurück in vergangene Tage. Auf den Abhängen zeigten sich Neubauten – das Gerichtsgebäude aus Stein, die neue Kirche, tiefer gelegen als die abgebrannte, die Funkenstation – aber hier unten, das war noch das Vila, wie er's kannte, mit den Brotwecken wie wachestehende Soldaten in Delignys kleiner, graugestrichener Holzbude, der Palmenwedelverkleidung und die Reid'sche Barveranda und Gubbays Krämerei, in der Zuckerwerk in Glasbüchsen, Tassen und Schuhe, Seifen und Stoffe um Raum stritten. Er drehte sich vergnügt um, sog den Geruch toter Muscheltiere und trocknenden Seegrases ein, der stark von den im Augenblick unbespülten Felsen ausströmte und näherte sich dem südlichen Teil der Niederlassung.

Hier merkte er Veränderungen. Annamiten schoben unter asiatischem Singsang die Rollwagen in den Schuppen; Eingeborene gingen in grünrotem Netzhemd und kurzer Hose an ihm vorbei und nur aus den Auslegerbooten sprang noch irgendein Schwarzer mit nacktem Oberkörper und straff gespanntem Manu. Der Ochsenherzbaum vor dem Postamt war groß geworden.

Vor Ballande stand ein Mestizenkind, hübsch wie ein sich öffnender Hibiscus, schon Weib in der fiebernden Frühreife der Tropen. Die tiefschwarzen, fordernden Augen bannten Freibitz.

»Wie heißt du, Jungchen?«

»Jungchen selbst!«

Sie warf schmollend die Lippen auf und wandte sich halb zur Seite mit all der Ueberempfindlichkeit und dem Hochmut der Mischrasse.

Freibitz lachte und kniff sie vertraulich in die Wange.

»Darf man dem Fräulein etwas kaufen?«

Nun lachte auch sie und schwang sich anmutig auf den nackten Füßen.

»Man darf – wenns beliebt!«

Sie traten in den Laden; mit zwei scharfen Blicken hatte sie die Kaufkraft des Mannes ermessen, wußte ganz genau, bis zu welcher Summe man ihn »zur Ader lassen« durfte. Wie durch Zufall drückte sie im Gedränge ihre festen kleinen Brüste gegen seinen Arm; steuerte ihn ebenso gewandt zur Seidenabteilung.

»Nun, Kleine?«

Sie lachte verschämt; ihre großen schimmernden Augen tanzten, aber der schlanke braune Finger wies sehr zielbewußt auf ein Stück orangetönige Seide.

»Das also?«

Sie nickte.

Während Freibitz bezahlte, schnitt sie im Geiste schon das Kleid zurecht, wählte die Blumen, die am besten dazu ins Haar paßten, entschied sich für die goldigen Riesenmaßliebchen ...

Vor dem Laden legte Freibitz den Arm um die schlanken Hüften der Kleinen.

»Ich habe Zimmer Nr. 7 im Hotel moderne inne; du kommst doch – – – heute abend?«

»Hu ... wegen 'nem Stückchen Seide ...?«

»Wer sagt dir denn, Haifisch, daß es bei einem Stück bleibt?«

Sie schüttelte das lose lockige Haar und lachte.

»Vielleicht – komme ich!«

Im Augenblick war die Straße beinahe leer. Er riß die Kleine ungestüm an sich und raunte brutal:

»Natürlich kommst du!«

Sie entzog sich ihm langsam, gewissermaßen frohlockend, die Augen weich, die vollen Lippen halb offen.

»Wie heißt du?«

»Lantana.«

Und plötzlich hell auflachend wie ein Kind, das sie im Grunde noch war, gab sie ihm einen leichten Schlag auf die Backe und flog die Straße hinunter außer Sicht.

*

Er hatte sie auf seine Knie gezogen und flüsterte ihr die üblichen Kosenamen zu; ihr junger Körper schmiegte sich wollüstig an den seinen; zwischen zwei langen Küssen murmelte er:

»Lantana – das ist kein Kanakenname ...«

Sie entzog sich jäh seinen Umarmungen und ihre Augen blitzten.

»Du gespaltene Kokosnuß! Bin ich etwa eine Popinä?! Mein Vater war ein Vollblutweißer! Er nannte mich Lantana, nach der Blume – sein Blumenkörbchen!«

Ein peinliches unklares Erinnern stieg jäh in Freibitz auf. Hatte nicht er einmal? ... »sein Blumenkörbchen?«

»Aus welcher Insel stammt deine Mutter, Kind?«

»Aus Ambrym.«

»Und heißt?«

»Talinga.«

»Talinga?! Lebt sie noch?«

»Oh ja, aber mit einem Schwarzen auf Malikula. Ich lief davon.«

»Und wie hieß dein Vater?«

»Sag', Alter, forschst du immer so nach dem Stammbaum, wenn du dich der Liebe hingibst?«

Er schüttelte sie sanft.

»Tu mir den Gefallen und denk nach: wie hieß dein Vater?«

»Fereibissa oder so ähnlich. Was tut's? Er ist fort und ich bin nicht seine einzige Tochter. Er soll Kinder auf allen Inseln haben; als es ihm zu bunt wurde, rannte er davon. Das tun ja die meisten.« Sie warf beide Arme um seinen Hals und küßte ihn; fast heftig befreite er sich und stand auf.

»Nanu?«

»Lantana,« die Stimme klang gepreßt, »möchtest du mit mir nach Sydney kommen?«

In ihren Augen wuchs die Erwartung.

»Als deine Frau, Alter? Bist du reich?«

»Nein!« Er schüttelte abwehrend das Haupt. »Ich möchte dich in eine Schule ...«

»Oh, Schule!!« Der Mund rundete sich in schmollender Enttäuschung. »Zum Moralknochennagen? Nicht um die Welt!«

– – »mein Blumenkörbchen, was soll hier aus dir werden?«

»Bin ich nicht schön?«

Sie nestelte an ihrem Kleide, ließ es plötzlich fallen, stand in ihrem ganzen noch halbentwickelten Liebreiz vor ihm. Zu ihrem Erstaunen schlug er die Hände vors Gesicht.

»Wenn ich Geld erspart haben werde, finde ich einen weißen Mann, einen, der mich heiratet und der nicht davonläuft wie mein Vater. Wenn man keinen Namen hat, ist's ein wenig schwerer, aber ...« sie warf ihr Kleid neuerdings über, »nicht unmöglich, hat doch Lala einen weißen Gatten erhascht, sie, die so häßlich war, daß selbst der Bischof sie »das Vorhängeschloß der Versuchung« genannt hatte. Und ich – – – bin hübsch!«

Sie betrachtete mißbilligend Freibitz, der sichtlich erregt auf und ab schritt.

»Du bist der allerlangweiligste, kaltblütigste Mann, den ...«

Freibitz unterbrach sie.

»Nimm dieses Geld, Lantana,« er drückte ihr mehrere Goldstücke in die Hand, »und ... und ... geh' heim, Kind!«

»Du willst nichts?« fragte sie verwundert.

»Nichts.« In seinem Gesicht zuckte es schmerzlich; er war krankhaft bleich geworden.

All das unverfälschte Mitleid des Kinderherzens brach durch. Sie legte die Hand auf seinen Arm und sagte bedauernd:

»Du hast wohl Magenkrämpfe? Das erwischt man hier so leicht! Nimm Chinin und leg' gekochte Buraublätter auf, das hilft! Hast eben Pech! Ta-ta!«

Da zog er sie ganz vorsichtig an sich wie etwas Heiliges und küßte sie auf die Stirne.

»Leb' wohl, mein Blumenkörbchen!«

*

»Was? Freibitz Sie? Nicht möglich! Sie kehren sofort nach Sydney zurück? Ich dachte, Sie wollten auf den Inseln bleiben, Sultan spielen und so weiter?«

Freibitz spielte nervös mit seiner Pfeife, schüttelte heftig das Haupt, warf, halb abgewandt, hin:

»Hm ... tschaaa ... das Klima, das Klima ...,« unwillkürlich verfiel er auf den Ausdruck des Missionars, »das Land ist voll Giftsaat, die aufgegangen ...«

Sein Auge hing unverwandt an einem gelben Punkt fern am Strande – an einem Kind in orangetöniger Seide ...

Plötzlich drehte er sich um und stieg rasch hinab in seine Kajüte.


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