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China

Der Abendgang Fu Hsis

Die Häuser drückten sich gegeneinander wie lumpige, hohläugige Kinder mit vorspringender Stirne. Die Tropennacht leckte sie wie ein Tier seine Jungen mit ihrer schwarzen, feuchtheißen, giftträchtigen Zunge. Das gestaute Wasser im engen Kanalarm vermischte seinen Pestodem mit dem Fäulnisgeruch ringsumher. Ein morscher Kahn riß manchmal, von der Strömung erfaßt, am durchfaulten Tau und verursachte ein leichtes Gluckern wie das verständnislose Kichern eines Schwachsinnigen.

Eine grüne Tür knarrte ...

Das matte Licht, das trüb und abstoßend wie ein eiterndes Auge von der nächsten Mauer blinzelte, deutete zwei Gestalten an, die sich unbekümmert um die Mitternachtsstunde herausgewagt hatten – eine verschrumpfte Alte, deren spärlicher, grauer Haarknoten wie ein Webervogelnest im gebückten Nacken hing und deren Jacke und Hose von so unbestimmter Farbe wie die schuppige Mauer waren und ein junges Mädchen mit sorgsam geöltem Haar, das in langer, dichter Franse in die Stirne fiel, mit rotgoldigem Ohrenschmuck, weißer, ausschweifender Seidenjacke, weiten, schwarzseidenen Hosen, zartrosa Strümpfen und Pantöffelchen aus Goldbrokat. Von den gepflegten Fingern der Rechten fiel, fahnenartig, ein weißes Taschentuch.

Es war ihr Berufszeichen; es trennte sie von jenen anderen, die Söhne großgezogen.

Der kleine Platz verengte sich zum Durchgang mit Mauern, die sich wie Aussätzige schuppten. Um zerstreute Unratpfützen sammelten sich Ratten.

All das hätte im Herzen Swatows, Fuchows oder Cantons sein mögen, so unbedingt chinesisch wirkten Gestalten und Gebäude, aber dort, wo sich das Gäßchen wie ein Astteil krümmte, saßen auf einer Steinstufe acht oder neun Javanerinnen zusammengehuddelt, einige mit schlafsüchtig hängendem Kinn, andere raunend und lachend, um leichter über das endlose Warten hinwegzukommen. Fanden sich noch Kunden, hatte man Geld und erwachte zur Mahlzeit; traf niemand ein, so schlief man um so länger, um das Ziehen im Magen zu vergessen ...

Am schönsten waren wohl die späten Nachmittagstunden mit vollem Bauch und mit der Abendsonne draußen blutrot auf Pflaster und Kanälen. Da schenkte zuzeiten selbst ein Fischer einen Fisch und ein gutmütiger Umträger einen Mango oder ein paar Betelnüsse.

Als die beiden Chinesinnen – das Mädchen voran, die Alte hinterher – an ihnen vorbeigingen stießen sich die Javanerinnen an und lachten wegwerfend, um den beißenden Neid zu verbergen. Was war sie anderes, diese feine Seidenpuppe, als alle jene, die in dieser schmutzverdichteten, vielfurchigen Grube hausten und dennoch glitt sie an allen vorüber wie eine verzauberte Prinzessin.

Und wie einer solchen – wachsam, untertänig – folgte die Alte.

Ein Matrose schwankte durch den Gang, selig in Biernebel und Erwartung. Die dickbesohlten Schuhe schlugen selbstbewußt das Pflaster, klatschten verächtlich in schlammige Pfützen.

»Hallo!« stammelte er vergnügt beim Anblick der kleinen geputzten Chinesin, mit dem natürlich ernsten, feingeschnittenen Gesicht einer Elfenbeingöttin und streckte einen wegsperrenden Arm aus.

»Sie ist bestellt!« sagte die Alte auf malayisch und spielte mit ihren knorrigen Fingern eine Sekunde lang um seinen Ellbogen. Wie gelähmt sank der Arm nieder, von einem unwürdigen Schmerzgebrüll begleitet.

Ohne ein Wort zu verlieren humpelte das Weib weiter.

»Dra…che!« heulte der Matrose ernüchtert hinterher, während eines der Mädchen seinen Ellbogen rieb und ein anderes in der Weltzeichensprache den Preis festsetzte.

Mit der unverletzten Hand schüttelte der Seemann die Hosentasche; es klirrte nach Silber. Die nächste Tür flog auf und wieder zu.

Nur die Ratten trippelten durch das dunkle Gäßchen.

*

Auf dem Glodok, dem weiten Chinesenmarkt, sprühten die Lichter, reihten sich wie Lotosblüten an die hohen Schwungbögen vor dem Theater, umflimmerten die winzigen Steinveranden des dreistöckigen Restaurants, auf denen noch vereinzelt Gäste eisgekühltes Bier tranken, spiegelten sich im unebenen, glattgeriebenen Pflaster und wurden in der Ferne von den rötlichen Flämmchen der Straßenkleinkrämer überblinzelt.

Fu Hsi ging mit dem ihrer Rasse eigentümlichen, breitspurigen, kniestarren Schritten dahin und antwortete gelassen auf das gedämpfte Geschwätz der Alten. Ein leichter Duft von Ylang-Ylang entstieg ihren Kleidern, ihrem pechschwarzen Haar und dem Taschentuch, das – so lässig entfaltet – vom sachten Winde wie ein Segel gebläht wurde.

Hinter flüchtig errichteter Bambuswand schaukelten große, milchweiße Papierlaternen, erkannte man Schmuckwedel und goldstrotzendes, scharlachrotes Seidenzeug.

»Hochzeit, Hochzeit!« krächzte die Alte mit heiserem Auflachen.

Fu Hsi glitt als Erste am weitoffenen Eingang vorüber.

»Es ist nur ein Sarg,« verbesserte sie in dem ihr zur Gewohnheit gewordenen Ton, der an das dumpfe Gemurmel einer langsam eintrocknenden Quelle erinnerte.

»Nah' beisammen, nah' beisammen!« kicherte das Weiblein. »Hochzeit ist die Saatzeit der Geburt und der Tod die Ernte. Du brauchst nicht zu säen, schöne Fu ...«

»Unkraut auf brachem Feld kommt schnell zur Ernte!« Ihr Ton war matt und ruhig wie ihr stilles beherrschtes Gesicht, von dem sowohl Freude wie Trauer hinweggewischt waren.

»Was ist ein Leben, Tochter, im radgleichen Umlauf des Wechsels?« Die Augen, die viel Elend und Laster gesehen hatten, trübten sich wie Sterne beim Vorbeigehen einer Wolke.

»Ein Atem, der einläuft und ausklingt ...«

Sie hatten den Glodok gekreuzt und bogen in die Hauptstraße ein. In einem entfernten Laden – einem einzigen Raum voll Menschen und Lederzeug – brannte noch eine Lampe.

»Wu Hsi arbeitet ...«

Der Ton war immer der einer hinsterbenden Quelle, aber die Augen schlossen sich, wie um etwas auszuschalten, das weh tat.

»Auch du arbeitest!« kicherte das Weiblein, gutmütig, schnell. Wer öffentlich lachen muß, darf nicht innerlich weinen.

Fus Vater war in Schulden geraten, Schande und Elend hatten gedroht; Hunger für die, die sich jetzt drüben, auf den Häuten, schon zum Schlaf ausgestreckt hatten. Sie selbst war alt und hübsch genug gewesen ...

Seither trug sie das weiße Taschentuch und sprach wie eine Quelle, die allmählich zu versiegen droht.

Die Alte hob die Hand und schlug mit harten Knöcheln dreimal an ein verziertes, festverschlossenes Tor.

Sofort zeigte sich eine Spalte, durch die Fu Hsi und ihre Begleiterin wie ein Spuk verschwanden.

Der chinesische Pförtner im langen hellblauen Ischang verbeugte sich mit gekreuzten Armen.

»Li Wong wartet!«

Die Alte sank auf die harte Holzbank der Torhalle; Fu Hsi folgte kalt und wortlos dem Diener.

*

Der bläuliche Rauch der Zigarette wirbelte langsam von Fu Hsis Fingern in die Tiefen des Raumes, verdichtete sich um den dickbauchigen Glücksgott, flocht sich um die alte Vase, aus der unzählige, körperlose Köpfe düster wie die von eben Hingerichteten glotzten, verrann in der Ecke unter der Schwarzholztruhe.

Li Wong – alt und dick, mit scharfen, berechnendem Zug um die Mundwinkel – watschelte schwerfällig auf die Reisweinflasche zu, ließ die grüne Flüssigkeit in einen Lackbecher stürzen, trank gierig. Dabei streifte sein Blick behagenstolz die zarte Chinesin. Sie war teuer, aber es lohnte sich. Ihr ernster Witz, ihre vornehme Kühle, ihr langsames Geben ...

Und sie blieb allzeit gleich hübsch. Das Haar so glatt wie vor einigen Stunden und der Anzug unverknüllt, tadellos, durchduftet, nur die Goldbrokatpantöffelchen trommelten ungewohnt erregt auf dem Boden, als Fu Hsi die Asche abstreifte. Die Augen hingen unsehend am viereckigen, tiefgrünen Aschenbecher.

»Was sagt er dir?« forschte Li Wong spöttisch und leerte ein weiteres Glas Reisbranntwein.

»Daß er ein Sinnbild der Erde ist, grün wie sie, viereckig – folglich begrenzt, eingeengt; daß wir selbst Teile dieses Sinnbildes sind, daraus entstehen, darin versinken; beschränkt, gebunden wie die Erde selbst.«

»Du sprichst wie ein Jünger Kon Fu Tses!«

Er lachte belustigt und trank ein drittes Glas; Liebe erschöpfte.

Fu Hsi besah seine angehäuften Kunstschätze, spielte mit einem alten Messer mit prachtvollem Elfenbeingriff, in dem da und dort Perlmutter eingelegt war, drehte es langsam. Ihr Großvater hatte es von einem mächtigen Mandarin erhalten. Nun war es hier – Beute des Siegers wie sie selbst ...

Li Wong stellte eine runde Kuchendose aus rotem Lack auf den Tisch, fuhr mit dicken unbeherrschten Fingern hinein, stopfte große Bissen in den Mund und rief undeutlich, mit übervollen Backen:

»Was siehst du da, Philosophin?«

»Den Tiger – das Sinnbild der Mächtigen, der Könige, die zerreißen, wenn es ihnen gefällt ...«

»Komm' her!« befahl er rauh. Der brennende Reiswein, das Erinnern an seine Macht, die überwürzten Kuchen, die verführerische Feinheit der Frauengestalt im gedämpften Licht rotverhangener Ampel reizten das Tier in ihm von neuem.

Sie näherte sich sehr langsam, sehr gelassen, eiskalte Augen im unbewegten Gesicht.

»Ich bin im Gehen,« erwiderte sie kühl. Auf ihren Handflächen, wie eine Opfergabe, lag das Messer.

»Ha – Füchsin, schöne Füchsin,« lallte er, »soll ich ... mehr zahlen?«

Sie legte die alte Waffe auf den Tisch nieder.

»Was du begehrt, ist dir geworden.«

Ihr furchtloser Stolz erbitterte ihn. Seine Augen wurden zu Punkten. Wie eine Kralle fuhr die Hand mit den dicken Fingern vor.

»Wer bist du, Fu?« spottete er. »Du gibst keinem Gatten Edelsteine; du gibst nur vielen Männern ... Glasperlen!«

»Warum ist es so, Li Wong?« sagte sie und vielleicht würde ihre Stimme, die wie eine zu straff gespannte Saite zersprang, ihn gewarnt haben, wenn der Reiswein nicht sein Denken getrübt und seine Sinne fieberhaft aufgepeitscht hätte.

»Die Mächtigen ...« stotterte er und riß Fu an den Schultern unbarmherzig an sich.

»Die Tiger – die zerfleischen!« surrte es in sein Ohr, während er den schweren Duft von Ylang-Ylang einsog; dann fühlte er einen kurzen stechenden Schmerz links und Schwindel ... und ... nichts.

Fu Hsi neigte sich tief über den Gefallenen.

»Macher ... von ... Glasperlen ...« sagte sie dumpf.

Noch einmal zuckte das Messer des Großvaters entschlossen in der Hand der Enkelin; die Quelle war versiegt ...


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