Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel – Willkommener und unwillkommener Besuch

… Wieder sind zwei Tage dahin. Jane und ich und Mukki leben hier auf Malmotta abermals als Robinsone, und vorläufig vermissen wir nichts, freuen uns der sonnigen Tage und der ebenso heißen Nächte und staunen das große Wunder an, das sich vor unseren Augen vollzieht: die tote Insel erwacht, die Palmen, die wir für halb verfault hielten, setzen grüne Blatt-Triebe in den Kronen an, die Sträucher bekommen Knospen, das Gras wächst zusehends … In diesem Boden muß eine rätselhafte Fruchtbarkeit verborgen sein, denn all das ist ein Wunder, Bolk hat es ebenfalls beobachtet, und wir sehen mit eigenen Augen, was niemand glauben würde: der ganze Pflanzenwuchs, soweit er nicht völlig abgestorben war, keimt, erholt sich, nimmt frische Farben an. Wir baden in der Lagune, wir arbeiten dies und jenes, wir sind längst wieder zu den paradiesischen, gesünderen, leichtesten Kleidungsstücken bekehrt – sogar Freund Fennek scheint die Wasserscheu überwunden zu haben.

Malmotta hatte all seine Geheimnisse preisgegeben – vielleicht das eine nicht, wo Peter Bolk seine Edelsteine verborgen hatte. – Was scherten uns die Edelsteine?! Wir waren glücklich! Und das eine Wort, das oft so leichtfertig ohne innere Berechtigung hingesprochen wird, dieses »Glücklich« war hier bis auf den tiefsten Grund seiner Bedeutung ausgeschöpft. Zum »Glück« gehörten auch ernste, besinnliche Stunden. Und das waren die, wenn wir an den beiden Gräbern zumeist im rötlichen Abendglanz saßen und den Toten innige Worte weihten. Janes Mutter schlief hier den ewigen Schlaf, Janes Vater lag in einem Sandloch der Steppe fern in Afrika. Ihm hatte niemand ein Denkmal gesetzt wie hier der Frau, die er auf Händen getragen – er war eingescharrt worden wie ein Verbrecher, und doch war nur ein Verführter gewesen, Kamerad zweier habgieriger Teufel, die um jeden Preis Peter Bolk zwingen wollten, den Schatz des uralten Wracks preiszugeben. – Oft sprach Jane tieftraurig über dieses ferne Grab, das kein Grab war … Und einmal nahm sie meine Hand, blickte trübe in den Glanz der Abendröte und bat mich, daß ich, falls ihr etwas zustieße, dafür sorgen solle, John Petersen eine bessere Ruhestätte zu verschaffen.

Und so, wie sie das sagte, lag's über ihrem ganzen Wesen und im Ton ihrer Stimme wie die Vorahnung eines nahen Endes. – Ich erschrak fast. – Ich hielt diese stille Melancholie für Augenblicksstimmung und vergaß auch mein Erschrecken.

Nicht ganz … Ein kleiner Stachel blieb in meiner Seele zurück, und selbst das frohe Ereignis der Ankunft der großen buntgeschmückten Kanuflotille am nächsten Tag konnte den gelinden Schmerz einer ungewissen Furcht nicht bannen.

Es war kurz nach Sonnenaufgang, als wir beide und Mukki, wir Frühaufsteher, unsere wohnliche Grotte verließen und wie immer zuerst den Berg erklommen und Ausschau hielten.

Ich habe doch schärfere Augen als Jane. Und ich erkannte die fernen Striche am südlichen Horizont zuerst als eine Anzahl langer breiter Insulanerkähne mit Bastmattensegeln – ganz vorn aber einen kleinen Schoner mit blanken weißen Segeln.

Freund oder Feind?!

Stundenlang blieben wir darüber im unklaren, bis der kleine Schoner als erster in die Lagune einlief und ich vorn am Bug Peter Bolks hagere Gestalt mit weißem Patriarchenbart erkannte – hinter ihm Doktor Alfred Eversham …

Da erst wagten wir uns von unserem Berge herab, nachdem wir noch schnell unsere recht spärliche Toilette ergänzt hatten, denn den Herren dort im weißen Tropendreß mit Tropenhelm und Kragen und Krawatten und dem letzten Schick der Äquatormode konnten wir unmöglich so vor die Augen treten, wie wir uns nur Fennek und uns selbst gezeigt hatten.

– Es ist sehr spät geworden … Es ist zwei Uhr morgens. So lange haben wir Wiedersehen gefeiert … mit Palmwein, Brandy, Gin, Whisky, Tänzen, Reden, neuen Reden, fabelhafter Fackelbeleuchtung – es war ein echtes Insulanerfest, denn Peter Bolk und sein Sohn Aristide, der ja eigentlich Peter Tuban Erich Bolk heißt, hatten den Großpapa Missili von Atauo samt fünfzig Phönix-Leuten und Frauen mitgebracht, und Eversham und Hiruto und Matauo waren auch mit dabei, und was es da alles so zu fragen und zu beantworten gab – was diese Atauo-Leute, die Gott sei Dank erst spärliche Tropfen Zivilisationsmedizin genossen haben, trinken, brüllen, hopsen und singen können – es ist fabelhaft!

Nun aber ist es still geworden auf Malmotta, still auch auf dem kleinen Schoner, der auch Malmotta heißt und den Bolk, der bei Missili-Großpapa Kredit hatte, sofort nach seiner Flucht von der Jacht käuflich erwarb und neu ausrüstete und bewaffnete zur Fahrt gen Norden.

Das Wiedersehen zwischen Peter Bolk und Jane verlief genau so »programmwidrig«, könnte man sagen, wie die ganze Ankunft der lieben Gäste.

Ich habe sie mit einem weinenden und einem lachenden Auge begrüßt – Fennek wedelte mit der Rute und wackelte mit dem einen Ohr, das ihm noch geblieben, und Jane … nun Jane hatte wie immer das Herz auf dem rechten Fleck und fiel Peter Bolk einfach um den Hals und stammelte so allerlei, daß sie ihm ihres Vaters Tod nicht nachtrüge und daß ihr Reichtum doch in Wahrheit für Aristide bestimmt gewesen sei … und vieles andere.

Peter Bolk hatte auch Tränen herabgewürgt und dann den dicken, fetten, ausnahmsweise nüchternen Großpapa Missili mit der Hand nähergezogen …

Worauf Jane zunächst stutzte und den königlichen Großpapa, der immerhin in seiner Phantasieuniform mit vielen Schnüren und Tressen und blanken Knöpfen und Kotillonorden und Kavalleriesäbel und elfenbeinernem Marschallstab mit Goldbeschlägen (wahrscheinlich der Prunktaktstock eines pleitegegangenen großen Kapellmeisters, vermute ich) unweigerlich komisch wirkte – diesen buntschillernden fetten Pfau von einem Großpapa zögernd musterte, dann sich doch überwand und auch ihm einen Kuß gab.

Aber der Kuß für Aristide fiel herzlicher aus, nicht minder die Händedrücke für die anderen …

Man weiß ja, wie's bei solch einer Massenbegrüßung zugeht – jeder redet gerade das, was das Unwichtigste ist – ich mußte mir nachher jeden einzelnen vornehmen und ausfragen, aber bei Eversham kam ich damit zu spät, er hatte sich bereits aus Liebeskummer (er ahnte wohl, wie Jane und ich standen!) so sehr voll Whisky gesogen, daß er dem heulenden Elend nahe war, und Matauo wieder schäkerte intensiv mit einer braunen Maid, nur Hiruto hatte noch Haltung bewahrt und berichtete, wie die drei sich im Taifun nach dem Schiffbruch der Astarte auf das eine Rettungsboot geborgen hätten und sehr bald in das völlig windstille Zentrum gelangt seien – nachher landeten sie auf einer der Phönix-Inseln, trafen dann auf Atauo mit Bolk und Aristide zusammen, die in derselben Orkannacht von der Jacht entflohen waren und von einem Insulanernachen aufgefischt wurden …

Hiruto erzählte all das mit einem ungeheuren Wortschwall … Abends bei Fackelschein erlag auch er dem allgemeinen Taumel der Fröhlichkeit … Und da saßen Peter Bolk, Aristide, Jane und ich einsam unterm Sternenzelt an der Nordbucht bei den Gräbern und vernahmen aus Bolks ehrlichem Munde nun auch das letzte: die Edelsteine, die Hauptmenge der Diamanten, hatte er in einer tiefen Felsspalte im Hintergrund unserer Grotte in Säckchen versteckt gehabt …

Er machte eine Pause … »Ich war in der Grotte … Hier sind die Säckchen … leer!!«

Er zeigte sie uns, stülpte sie um, und was herausfiel waren nur Krümchen grauer Asche.

»… Meine Kinder – der Schatz, die Steine, die die Urkräfte der Natur einst schufen, ist durch dieselben Urkräfte dort unten im Ozean über den ewig wütenden Feuern der Tiefe wieder … zu Gas geworden … Die Gelehrten wissen es längst, daß Edelsteine sich wieder in den gasförmigen Zustand zurückführen lassen … Es gibt keinen Schatz von Malmotta mehr, es gibt nur die Schätze, die wir in uns selber bergen, die das Geschick uns bescherte durch Glück und Leid: Läuterung des Herzens! Und – das gilt mehr.«

Jane und ich hatten uns so vollkommen daran gewöhnt, nur aufeinander und auf Mukki-Fennek angewiesen zu sein, daß wir uns nach Alleinsein sehnten und in dieser seltenen Nachtstunde, wo fernher der Lärm der Feiernden und der dumpfe Ton ihrer Tanztrommeln wie Zeichen einer fremden Welt herüberschallten, mehr denn je empfanden, wie eng wir zueinander gehörten.

Aber meine Jane war still und in sich gekehrt. Meine Fragen, was sie bedrückte, beantwortete sie nicht. Sie ruhte an meiner Brust, ich hielt sie umschlungen, und ihre Augen hatten einen Ausdruck völligen Entrücktseins. Wir sprachen nichts. Menschen wie wir beide hatten das tönende Wort nicht nötig, sich zu verstehen und sich hineinzuversenken in die Seele des anderen. Ich fühlte mit jähem Schmerz, daß ihr Gemüt wiederum von denselben Todesahnungen durchschauert wurde wie schon einmal. Ich wollte diese Gedanken verscheuchen.

»Gehen wir, Jane – schließlich sind wir doch hier so ein wenig die Hausherren und haben Pflichten den Gästen gegenüber.«

Wir gingen, eng umschlungen – aber vor dem uralten Wrack blieb Jane stehen, küßte mich lange und heiß und zog mich dann weiter.

Wir schauten dem Tanz zu, wir nahmen nachher Bolks dringende Einladung an, die Kajüte des Schoners zu beziehen, die auch zwei Nebenkammern hätte, widerwillig an, nicht wissend, daß es die schlimmste Fehlentscheidung unseres ganzen Lebens war.

»Ihr sollt doch einmal wieder in richtigen Betten schlafen, ihr halben Wilden … » hatte Bolk aus gutem Herzen gesagt.

So sitze ich denn nun hier an einem »richtigen« Tische, schreibe bei blendweißem Karbidlicht, habe wohl so alles nachgeholt, was es für diese Blätternachzuholen gab.

Alles schläft. Auch Jane und bei ihr Mukki.

Aber in mir wächst die seltsame Unruhe, die meine Hand unsicher macht und meine Gedanken zerflattern läßt.

Ich erhebe mich lautlos, greife nach der Büchse. Die Pistole habe ich umgeschnallt – ich nehme das Fernglas mit …

Ich denke an die Jacht …

Ich trete leise an Deck … Keine Laterne brennt …

Mein Blick gleitet die Lagune entlang … Ein heller Schiffskörper schiebt sich gerade durch die südliche Einfahrt …

Pistole heraus … Und meine Alarmschüsse knattern durch die Luft … Ich renne zur Schiffsglocke … läute Sturm … Stimmen gellen – Schüsse knattern.

Daß Unglück wollte es, daß Jane gleich nach den ersten Schüssen mit Mukki im Arm an Deck eilte.

Von der Jacht fegte eine Kugelsaat herüber, und drei … drei Kugeln trafen – Jane und das Tier, mein Tier, meinen treuen Gefährten so vieler Monate …

Ich sprang zu, fing Jane auf – und zwei Sterbende trug ich in die Kajüte …

Ich sah die Frau, die mir alles war, und meinen Mukki mit verglasten Augen vor mir, und – der Blutrausch verdrängte den Schmerz – wir haben die Jacht geentert, und ich bin ohne Waffen auf den Schuft Malcolm Rizzard zugeschritten, und mein totenbleiches verzerrtes Gesicht hatte ihm die Hand schlottern gemacht …

Er schoß vorbei …

Ich packte ihn, halb erwürgt flog er über die Reling, und ein heller langer Schatten im Wasser schnappte zu und zog ihn in die Tiefe.

In dieser Nacht – als Abschluß des Festes des guten Sonnenkönigs – ist mein Glück verblutet …

Puwi und Puala, Teufel und Teufels-Urmama, waren noch als späte Gäste erschienen.


 << zurück weiter >>