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7. Kapitel – Überfall im Andamanischen Meer

Doktor Evershams Antwort auf diese meine Andeutungen ist in Worten schwer wiederzugeben. Obwohl Eversham sonst untadeliger Gentleman ist, der von der schmalen Linie zwanglos-vornehmen Kavaliertums selten abweicht, hat er doch Momente, wo seine schottische Herkunft und die Derbheit heimischer Berge sich irgendwie Luft machen.

Nachdem er mich also derart abgefertigt hatte, stürmte er ins seinem untadeligen Nachthabit in die Kammer und …

… ja, und blieb dicht hinter der Tür wie angewurzelt stehen und drehte sich langsam nach mir um.

»Wo sind die beiden, Olaf?! Wolltest du einen dummen Witz machen?!«

Ich mache selten Witze. An Bord der Astarte schon gar nicht. Hier ist niemandem nach Witzen zumute, es sei denn Hiruto, dem kleinen Japaner, dem Herrn des Vierzylinders, eines altehrwürdigen Motors mit sämtlichen Heimtücken solch einer alten Kaffeemühle.

Das Bett und die Kammer waren leer, wie ich nun ebenfalls mit eigenen Augen sah. Da die Kammer nur ein Fenster und die eine Tür besitzt, da ferner keinerlei raffinierte Doppelwände, klug verkleidete Falltüren oder Dachluken vorhanden sind, sondern der ganze Heckaufbau harmlos und schlicht wie ein Kaninchenstall wirkt, blieb des Rätsels Lösung ebenso schlicht und einfach: Aristide und der Käpten waren aus unbekannten Gründen durch das offene Fenster auf das Deck geschlüpft.

So hätte man urteilen können, wenn Aristide gesund gewesen und wenn beide sich darüber einig gewesen, die Kammer lautlos zu verlassen …

Aus unbekannten Gründen – gut!

Aber Aristide war ein Genesender im allerersten Stadium, und Käpten Peter Bolk wieder war ein stiller, schlichter Mann, dem derlei Kletterpartien durchaus fernlagen.

Eversham trat an das offene Fenster. Dieses ging nach Backbord hinaus, und zwischen Kajütaufbau und Reling war noch ein schmaler freier Durchgang – genau wie auf Steuerbordseite.

Alfred Eversham faßte in die Tasche seiner hellen Pyjamajacke, klemmte das Monokel ein und stieg auf den Bettrand. So konnte er den Oberkörper ohne Mühe durch das Fenster schieben.

Ich selbst wartete seine weiteren etwas umständlichen Untersuchungsmethoden nicht ab, sondern ging mit Fennek an Deck und sah hier sofort, daß die Dinge doch weit ernster lagen, als es anfänglich geschienen hatte.

Steuermann Fu lag am Steuerrad zusammengekrümmt da und hielt zwar noch die Radspeichen in ehernem Pflichtgefühl umklammert, aber – er war tot.

Mit einem Schlage erwachte ich. Ich war munter gewesen, aber mir hatte doch noch jener letzte Anstoß gefehlt, der all unsere Kräfte ursprünglich einschaltet, geistige wie körperliche.

Ein Blick über die See zeigte mir verschwommene Nebelfetzen – hier eine Seltenheit. Der Himmel war bewölkt, die Dunkelheit lastete schwer über den träge rauschenden Wogen und über unserem kleinen Schoner.

Ein merkwürdig ekler Geruch stieg mir in die Nase – nach brennenden Lappen – dergleichen. Ich kannte ihn. Das war eine Lunte. Ich ahnte auch bereits die Zusammenhänge.

Ich brüllte der Deckwache zu, die vorn hin und her schlenkerte: »Hallo – flink zwei Laternen!!«

Dann schob ich Fus Körper etwas beiseite und brachte den Schoner wieder in den Wind.

Eversham tauchte auf …

»Die Jacht,« sagte ich nur … »Hier, nehmen Sie meinen Posten ein … Fragen Sie nicht.«

Die Deckwache kam angelaufen. Es war Matauo, der Kanake.

Wir leuchteten umher. Außenbords hing an einer Schnur eine große Blechbüchse. Ihr entstieg der Qualm. Ich schnitt die Schnur durch und schleuderte die Bombe nach hinten in den Gischt. Dicht über dem Wasser explodierte sie mit fürchterlichem Getöse und verscheuchte drei Haifische, die uns seit gestern das Ehrengeleit gaben. Weiteren Schaden richtete sie nicht an, und eine zweite Bombe fanden wir nicht.

Fu hatte einen Stich durch den Rücken ins Herz und eine Hanfschlinge um den Hals. Nur die Dunkelheit und der Nebel hatten es ermöglicht, daß ein Boot sich dem Schoner nähern konnte. Zunächst hatte man Fu beseitigt, und dann war Peter Bolk in der Kammer ebenfalls irgendwie stumm gemacht und von Bord gebracht worden, zusammen mit Aristide.

Daß Eversham abermals seine Würde vergaß und anerkennenswert fluchte, änderte nichts an der Tatsache, daß wir nunmehr hier bis auf vier Mann zusammengeschmolzen waren: Eversham, Hiruto, Matauo und ich – fünfter vielleicht noch Mukki, aber er war nicht gut zur Besatzung zu rechnen.

Wir vier beratschlagten am Heck. Matauo redete nicht viel. Er betonte nur, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, es seien allerdings gerade in der kritischen Zeit sehr dichte Nebelmassen über den Schoner hinweggezogen.

Hier, im Andamanischen Meer, das möchte ich noch erwähnen, gehört Nebelbildung zu den größten Seltenheiten.

Dieser Nebel war mir sofort aufgefallen.

»Es war kein echter Nebel,« erklärte ich. »Soweit ich mich erinnere, sollen gerade hier, wo wir im Süden die uralten Erdbebengebiete der Sunda-Inseln Sumatra und Java in der Nähe haben, sehr häufig unterseeische Beben und Vulkanausbrüche flüchtige Dampfwolkenbildungen hervorrufen. – Prüfe mal mit der Nase den Geruch – Eversham!«

Der Doktor schnupperte. »Ich möchte sagen, es riecht nach Schwefel.«

Es roch auch nach Schwefel. Und kaum zehn Minuten später war die See wieder klar, auch das Gewölk verlor sich.

Als wir den braven Fu nach Seemannsart bestatteten, hielt ich diesmal die Ansprache. Mir waren Peter Bolks Worte noch gut im Gedächtnis, die er vor fünf Tagen den anderen drei Opfern Jane Bellcastles mit auf den nassen letzten Weg gegeben hatte. Ich benutzte dieselben Worte, und meine Stimme war genau so erbarmungslos wie die unseres Käpten:

»Du warst treu, du sollst gerächt werden – das Weib und der Schuft, der sich Jan Terpe nennt, werden baumeln! Amen!«

Neben mir seufzte Eversham unterdrückt, Mukki winselte leise, Hiruto murmelte in seiner Sprache noch ein Gebet, und der Körper klatschte in die See.

Nun war ich Kapitän der Astarte, Eversham übernahm die Kombüse, Matauo avancierte zum Steuermann, und Hiruto erheilt andere Ämter: Steward, Matrose, Maschinist, Segelmeister – alles in einem.

Wie es mit unserer Stimmung an dem Morgen bestellt war – leicht auszumalen! Wenn wir die Jacht damals vor unser Geschützrohr bekommen hätten, würde der Ozean ein Wrack mehr mit Mann und Maus verschlungen haben!!

Aber der Star of London blieb unsichtbar. Die Sonne stieg über den dunstigen Horizont empor, das Meer beglückte uns mit seiner einsamen Schönheit, und unsere Herzen wurden wieder freier. –

Es sind abermals Tage verflossen.

Wir fünf (Fennek eingerechnet) sind jetzt mißtrauisch wie Mantelpaviane.

Ja – Mantelpaviane. Denn diese Affenart hat das System des Selbstschutzes bis zur höchsten Vollkommenheit ausgearbeitet. Das weiß ich am besten. Eine Herde Paviane zu beschleichen, das glückt nicht einmal dem gerissensten Leopard.

Wir haben bereits Lehrgeld bezahlt, wir hätten diesen nächtlichen Zwischenfall vermeiden können – wer trägt die Verantwortung dafür?!

Ich!

Ich bin zwar kein Seemann, aber ich bin in meiner Vaterstadt Göteborg doch so halb auf dem Wasser aufgewachsen, ich habe die Erde so ziemlich in allen Winkel kennengelernt, ich habe dort, wo die Stürme das Kap Hoorn umkreisen, mit Coy und Chubur und Chico auf winzigem Nachen die Kanäle durchkreuzt, … habe mit einer Insel aus Stahl mich bis Australien treiben lassen – das Meer ist meine Heimat geworden wie die ganze Welt – wie jene Welt, die nicht »Welt« ist, sondern Einsamkeit und Urwüchsigkeit und Ehrlichkeit und Schlichtheit …

Ich hätte daran denken müssen, daß Kapitän Bolk mit seinen melancholischen Gedanken sich nicht recht dazu eignete, dieser Niedertracht und Hinterlist zu begegnen. Ich hätte mich um unsere Sicherheit kümmern sollen – ich – nur ich.

Alfred Eversham ist gewiß ein ganzer Kerl. Aber ihm haftet noch zu viel Kulturlack an. Das macht die Sinne stumpf.

Und die anderen?!

… Sie waren »Besatzung« – sie gehorchten, taten ihre Pflicht – nicht mehr als das, denn dieses »Mehr« lag ihnen nicht. Auch das will gelernt sein: Selbständig zu handeln!! –

Die Jacht hat sich nicht wieder gemeldet. Hatte Jane mit der Entführung Peter Bolks und Aristides ihre Ziele erreicht?!

Wir schwimmen jetzt auf den blauen Fluten des Stillen Ozeans … Nicht immer sind sie blau, blaugrün, grün oder fahl wie graues Tuch … Wenn der Orkan sie hochpeitscht, sind sie hellgrünes Glas mit weißen Spitzen, das Abgründe und Berge gebiert und unsere Nußschale tanzen läßt …

Stiller Ozen, Pazifik, Großer Ozean, Südsee – alles dasselbe!

Ein Ozean, der so gewaltige Ausdehnung hat, daß er größer an Flächenraum ist als die fünf Kontinente zusammen – inselreicher als jedes andere Meer.

… Es ist eine friedliche Abendstunde, in der ich diese Zeilen in der Kajüte schreibe. Neben mir liegt ein Buch aus Peter Bolks spärlicher Bibliothek:

»Die geschichtliche Bedeutung des Stillen Ozeans« von Graf Wilczek und Weule (Leipig 1899). Ihm verdanke ich, was ich hier an Wissenswertem festhalte, ihm und den Angaben des Kanaken Matauo.

Für den Europäer brachte als erster Vasco Nunez de Bilbao 1515 eingehende Kunde über das »Mar del Zur«, die Südsee. So nannte dieser Forscher den Pazifik – also »Südsee«.

Die spätere Bezeichnung Stiller Ozean, Pazifik, rührte von Magalhaes her, nach dem die stürmische Straße bei Kap Hoorn benannt ist. Er durchsegelte den Pazifik in drei Monaten von Osten nach Westen zu, und da er dabei nicht einen einzigen Sturm erlebte, kam er zu dem trügerischen Schluß, es mit einem sehr friedlichen Gewässer zu tun zu haben. Später, weit später, als erst die gierige Hand der Europäer den Frieden der zahllosen Inselgruppen zu stören begann, bezeichnete man mit »Südsee« lediglich noch einen Teil des Pazifik, und nur dieser Teil interessiert mich jetzt, da mitten darin der Kern des Geheimnisses von Malmotta liegt.

Ich habe mir aus Peter Bolks Kartenmaterial eine kleine übersichtliche Skizze zusammengestellt, die mir zur Orientierung dienen soll.

Mit den Bezeichnungen Mikronesien, Melanesien, Polynesien weiß der Durchschnittsmensch nichts anzufangen. Und in dem Gewirr von Inselgruppen weiß erst recht niemand Bescheid – die Fachleute ausgenommen. Und doch läßt sich alles unschwer überblicken:

CHINA

Mikronesien

Karolinen-I. Marschall-I. Hawaii-I.

Melanesien

Neu-Guinea Bismarck-I. Salomon-I. Gilbert-I. Baker-I.

Polynesien

Phönix-I

Samoa-I. Paumoto-I.

Fidschi-I.

Tonga

AUSTRALIEN

Bei der Baker-Insel (nördlich davon noch die Howland-Insel) habe ich ein Kreuz eingezeichnet. Diese beiden Inseln, Baker und Howland, liegen so fern von jedem Verkehr, so abseits der anderen Gruppen, daß niemand an ihnen ein rechtes Interesse hat. Sie sind besiedelt gewesen, wurden wieder verlassen, Insulaner von der südlichen Phönix-Gruppe wagten zuweilen die Überfahrt, immerhin an hundert deutsche Meilen, flüchtige Verbrecher benutzten sie als Schlupfwinkel – man weiß nicht viel von ihnen …

Und doch waren gerade sie unser Ziel. Gerade sie, denn im Norden klafft dort ein riesiger leerer Fleck in der Südsee, unbekannter als die Eiswüsten an den Polen, eine Wassereinöde, die nie ein Segel, nie den Rauch eines Dampfers sieht … Selbst die längst veralteten Schriften bekannter Reiseautoren haben dieses Meeresteiles nie gedacht – ein Stevenson, ein Jack London begnügten sich mit der Schilderung von Menschen, Dingen, Verhältnissen, die am Rande der breiten Heerstraße der Sportbummler lagen …

Abseits vom Alltagswege sind auch sie nicht gewandelt. Was sie vor dreißig, vierzig Jahren schrieben, ist längst Märchen geworden. Die Insulaner haben vom Europäer viel gelernt, selten Gutes – die »Kultur« brachte ihnen lediglich den schärferen Schnaps, die Feuerwaffen, die moderne Kleidung, die Profitgier und … Krankheiten.

Das merkten wir, als wir – wieder nach Tagen – in eine der Laguneninseln des Gilbert-Archipels einliefen, um Trinkwasser und Benzin einzuhandeln.

Der Name der Insel tut hier nichts zur Sache. Sie hatte eine »Hauptstadt« mit drei Kneipen, in denen das staunende Auge alles fand, was auch in einer »Bar« in Bombay, Kairo, Schanghai oder sonstwo zu sehen ist …

Neben der Einfahrt in die Lagune standen riesige Wellblechschuppen, sauber gemauerte Kais, unsaubere freche Polizisten, faulendes Gesindel, Lärm, Gestank – nichts fehlte, jede Illusion zu zerstören.

Dreitausend Einwohner sollte die Ringinsel haben …

Mag sein.

Wir waren froh, als wir abends wieder mit der Ebbe die Lagune verlassen konnten.

Was halfen da die wundervollen Palmen, die dichten Büsche, die Taubenschwärme, der helle Korallenstrand?!

Ich hatte mir diese einst so seligen Inseln vorgestellt mit halbnackten, frohen, harmlosen Menschen, mit graziösen Mädchen, Blumen im Haar – all das war einmal!

Vielleicht wohnte die Romantik anderswo …

Eversham, der schon hier gewesen war, lachte mich gründlich aus. »Wenn du die Urwüchsigkeit kennenlernen willst, wirst du wohl die entlegensten Inseln aufsuchen müssen. Männer wie köstliche Bronzestatuen mit freiem Blick, ungezwungener Haltung, behängt mit Muschelketten, Armspangen und billigem und doch dekorativem Tand – die Kultur fraß das alles! Du sahst ja die Gilbert-Damen mit europäischen Hüten vorvorletzter Mode, mit Seidenfähnchen, mit Talmischmuck aus Fabriken in Birmingham, mit grellen Sonnenschirmen – das natürliche Selbstgefühl dieser Insulanerinnen kapitulierte vor dem allgewaltigen fremden Gelde –, das Mannsvolk klettert nicht mehr die Palmenbäume empor, um Palmensaft abzuzapfen und Palmenwein daraus zu bereiten, Brandy und Gin und Teufelsgesöff dunkelster Art versengen ihnen Hirn und Seele – die meisten verdingen sich bei den reichen Pflanzern, sind entnervte Kulis geworden – es war einmal ein Paradies, heute ist's trauriger Niedergang, denn zu einem geistigen Aufstieg reicht's nicht, soll's auch nicht reichen – der Europäer ist der Nutznießer, mild ausgedrückt …«

In meinem Herzen war etwas erstorben: ein Traum aus Jugendtagen! Die Gefilde der Seligen hatte ich hier erhofft, und ich hatte die traurige Fratze einer europäisch übertünchten Unnatur gefunden! Das Gedudel der Bars, das anmaßende Schachern mischblütiger Händler, die frechen Blicke der Hafenmädchen ließen sich nicht vergessen.

Vergoldet im Abendglanz lag auch die Kirche der »Hauptstadt« da – einer Glocke Gebimmel erreichte mein Ohr, vielleicht strömten jetzt die Bekehrten in das Haus Gottes, vielleicht war ihnen tief innere Sehnsucht nach etwas Besserem – nur – ich glaubte nicht daran.

Langsam versank die Insel unter dem Horizont – jäh kam die Nacht, die Sterne erschienen, und um uns her war wieder die freie, große Welt des Ozeans …

Ich atmete auf.

… Und sitze nun wieder über meinen Blättern, lese hier und dort ein Stück, grüble und prüfe, vergleiche und spüre dem Rätsel von Malmotta nach.

Wie immer.

Der Kanake Matauo, von dem ich Aufschluß über so manches zu erhalten hoffte, war in dieser Hinsicht eine Niete. Sein lichtbraunes, ehrliches Gesicht von fast europäischem Schnitt, seine dunklen klaren Augen hatten nur Staunen ausgedrückt. – Malmotta?! – Er weiß nichts … Der Käpten hätte wohl hin und wieder eigentümliche Reden geführt, aber im übrigen – er machte eine verneinende Handbewegung …

Auch auf dem Atoll bei den gerissenen Händlern hatte ich mich erkundigt – ganz vorsichtig … Ob vielleicht dort im Norden von der Baker-Insel einmal eine Brigg gesunken sei … vor langen Jahren … mit wertvoller Ladung.

»Eine Brigg – was soll die dort?! Der Guano, den die Seevögel auf Baker- und Howland-Insel angehäuft hatten, ist längst geplündert … Und um Palmholz zu holen – dazu fährt man nicht Hunderte von Meilen, das bekommt man anderswo schneller …«

Wieder also nichts, wieder nur der Griff ins Dunkle!

Und doch, niemand wird es mir ausreden, gibt es dort irgend etwas, das inmitten des leeren Ozeangebiets östlich des Gilbert-Archipels, das andauernd Käpten Bolks greisen Kopf beschäftigt haben muß und das auch Jane Bellcastle, dem jugendlichen Terpe und Aristide d'Oly das Hirn fast verwirrte … Jane Bellcastle wurde zur Verbrecherin, Terpe war ein Spion, Aristide wurde Jane als Mitwisser unbequem – und Peter Bolk sollte sterben, damit er niemals jene Stelle im Ozean erreichte, wo – etwas zu finden war – was?!

Ja – was?!

Alfred Eversham hat das Rätselraten längst aufgegeben. Ich ahne, was ihn lediglich noch an dieser Fahrt in Ungewisse interessiert: Jane!! Wir werden der Jacht begegnen, davon bin auch ich überzeugt, wir werden mit Jane Bellcastle abrechnen, und Eversham wird dabei nicht müßig zusehen …

Nur: Er hält sie für schuldlos! Er nimmt an, sie habe ein Recht so zu handeln. Wie sie's tat – das Recht auf Vergeltung! Der Käpten, dabei bleibt er, ist kein harmloser Phantast … – Und wenn Eversham mir dies vorhält, erinnert er stets an die drei Ereignisse in Patumengis Reich, an die drei Erschossenen.

Wir streiten dieserhalb nicht miteinander, jeder bleibt bei seiner Meinung, obwohl, um ehrlich zu sein, die Verteidigung meiner Ansicht ohne innere Überzeugung geschieht. Ich spüre das, es ist das mehr Gefühlssache, aber nicht wegzuleugnen. Jane Bellcastles Persönlichkeit hat auf mich doch einen nachhaltigeren Eindruck gemacht, als die Umstände dies bedingten, und die Zweifel, die sich in mir regen, melden sich immer stärker und bestätigen beinahe Alfred Evershams anderen Motiven entspringendes Eintreten für eine Frau, die es dort an der Küste des Roten Meeres wohl lediglich auf Petersens Papiere abgesehen hatte. Was später geschah: der Angriff durch die Jacht, Aristides und Bolks Entführung – das sind Punkte, für die es vielleicht eine bessere, Jane nicht belastende Erklärung gäbe.

Wir vier hier an Bord, nein fünf, halten tadellose Kameradschaft. Hiruto und Matauo sind Gefährten, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Der Japaner ist lebhaft, energisch, schlau, dennoch nie voreilig. In seiner kleinen Gestalt steckt jener ungeheure Lebensimpuls, der sein Volk zur Großmacht erhob. Matauo der Kanake, ist echter Polynesier, seine Heimat ist die Tonga-Insel, von Kindesbeinen an lebte er auf dem Meere, war Schiffsjunge, Matrose, Steward, Händler, Aufkäufer von Kopra für eine amerikanische Firma, wurde wieder Seemann, kam vor vier Jahren bis Bombay, traf dort Käpten Bolk und blieb bei ihm. Er ist mit dem Schoner so eng verwachsen, daß er ihn geradezu wie eine Gottheit liebt – er betreut unser Schiff, er ist nie untätig, flickt das Tauwerk, teert es, pinselt, putzt, wäscht und hat trotzdem jenen melancholischen Einschlag, der mich immer wieder vermuten läßt, er müßte mehr wissen – mehr als er zugibt … Aber über Malmotta, nein – da lügt er nicht … Er weiß nichts.

Kanaken!

Man liest die Bezeichnung so oft. Kanaken bedeutet lediglich »Menschen« und bezieht sich in engerem Sinne auf die Bevölkerung der Hawaii-Insel, bedeutet jedoch auch soviel wie Polynesier überhaupt. – Und noch etwas: Kopra! – Eversham schnitt einmal dieses Thema an, als wir dicht vor der Laguneninsel einem mit Kopra beladenen Segler begegneten und dies schon von weitem rochen. Kopra ist nichts anderes als die in der Sonne oder in Dörrapparaten getrockneten Hohlkerne der Kokosnüsse, die bis zu achtzig Prozent Fett enthalten und in Fabriken zu Bratfett, Cognac und … Viehfutter verarbeitet werden. Dieser Cognac ist natürlich nur Cognacersatz, aber die Tatsache bleibt bestehen: Kognak! – Das Kokosnußfleisch (von reifen Früchten) dient den Konditoreien als Mandelersatz – wie bekannt. – Das so nebenbei … Auch vielleicht nicht so nebenbei, denn es kam eine Zeit, in der ich ohne die Kokosnüsse verhungert wäre …

Die Sonne ist längst verschwunden, in klarer Sternennacht bei günstigem Winde segeln wir ostwärts.

Wir segeln auf einem Strich, den ein jeder kennt: auf dem Äquator entlang, der mitten durch die Gilbert-Inseln läuft, der südlich der Baker-Insel weiter durch die Gruppe der Sporaden den Globus umkreist.

Aber wir denken nicht an Äquatortaufe und ähnliche Scherze – wir denken nur an unsere eigene Sicherheit, wir haben das Geschütz wieder an Deck gebracht, das wir in der Lagunen-Insel verstecken mußten vor den Schnüfflerblicken der Zollbeamten und Polizisten, die uns ohnedies nicht recht zu trauen schienen. Ein Schoner ohne Fracht, nur bemannt mit vier Leuten – ein Kapitän der sich Peter Bolk nannte (und Abelsen hieß) – es gab da kitzlige Minuten, und lediglich Evershams vollwertige Pfundnoten beschwichtigten die Neugier der hohen Behörden … Geld wirkt überall bestechend. – Sogar die Sandsackbarrieren haben wir wieder aufgetürmt. Eversham hat recht: Vorsicht ist besser als Nachsicht, und wenn es nötig wird, werden wir drauflosknallen, daß die Planken fliegen, aber nicht unsere eigenen.

Eversham und Hiruto schlafen schon. Der Kanake lehnt am Steuer – ich schreibe … Der Fennek streicht ruhelos in der Kajüte umher … Was hat er nur?! – »Mukki, hinlegen!!« – Mukki denkt nicht daran. Er kommt zu mir, reibt sich an meinen Schenkeln … läuft zur Tür, läuft an Deck … kehrt zurück. – Auch Eversham wälzt sich auf seinem Bett, stöhnt, erwacht …

»Die Hitze!!«

Es stimmt schon. Es ist heiß …

»Geh schlafen, Olaf!« fügt er hinzu.

Ich sage nichts, ich blicke nur auf das plumpe Holztintenfaß … Die Ränder erscheinen mir seltsam hell … – als ob sie leuchteten … Und mein Auge hebt sich … An der Wand hängt das Barometer – der lange schwarze Zeiger steht ganz tief … Vorhin, das weiß ich, stand er zwei Daumenbreiten höher …

Also das ist's.

Sturm droht …

Im Nu habe ich meine Blätter weggepackt. Eversham schlüpft schon in die Kleider.

»Runter mit den Sandsäcken! Rufe ich dem Doktor zu und laufe zu Matauo.

Ich überschaue den Horizont … Der Wind ist flauer geworden – hinter uns im Westen liegt ein schwarzer Strich über dem Ozean. – Der Kanake, der zumeist Pfeife raucht, sagt gleichgültig:

»Ein Taifun, Herr …«

Urplötzlich sehe ich, wie übermäßig die Luft mit Elektrizität geladen ist: die Reling, die Taue, die Mastspitzen – alles leuchtet in gelblichem Feuer, St.-Elms-Feuer nennt's der Seemann … Auch das Tintenfaß hatte dieselbe Lichterscheinung gezeigt.

Noch ist der Himmel über uns sternenklar. Aber dort hinten der pechschwarze Strich, ganz deutlich erkennbar, wölbt sich an den Enden mit einem Male nach oben, und diese Enden schillern immer intensiver in einem unnatürlich wirkenden, gelbroten Feuer – wie Riesenfackeln, die ruhig brennen – oder wie Wolkenfetzen, hinter denen die Abendsonne die ganze Pracht ihres Farbenspieles entfaltet.

Sind's nur Minuten – wirklich nur Minuten! – die beiden Fackeln haben sich vereint, spitzen sich zu, ragen immer höher in den Himmel hinein, erlöschen – was nun dort hinten lauert, ist ein schwarzer Keil, die gelbliche Spitze nach oben, und von dieser Spitze ziehen sich gelbliche Streifen langsam abwärts, etwa wie breite Seidenbänder der phantastischen Dekoration eines Riesenschaufensters …

Und das sind die Luftwirbel, das sind die Unheilstifter, die ungeheuren Saugpumpen, die den Ozean aufwühlen, kochen lassen, Wellenberge zu Schaum zerwühlen …

Ich starrte wie gebannt auf das unheimliche Phänomen. Ich kenne Wirbelstürme, ich kenne die Tornados der Pampas, ich kenne die kleinen, bescheidenen Zyklone, die vielleicht mal eine Wasserhose gebären und doch nur Kinderspiel sind gegenüber dem Sturmgiganten, der dort anmarschiert kommt – lautlos, immer mehr anwachsend, immer mehr in den Konturen verschwimmend, immer rasender in seiner Schnelligkeit …

Mit einem Schlage ist das ganze Firmament pechschwarz …

Kein Luftzug …

Meer und Äther erwarten den Angreifer …

Er kommt …

Eversham brüllt mir etwas zu.

Ich erwache …

Wir werfen die Sandsäcke über Bord, wir bergen die Segel, lassen nur den Motor laufen …

Wir schnüren uns die Korkwesten um, Fennek bekommt ebenfalls so ein plumpes Ding – wir zurren Taue über Deck …

Der Schweiß rinnt mir aus allen Poren … Ich spüre in allen Nerven das Gespenst, das herbeischleicht, geboren aus dem Nichts …

Und noch immer kein Laut … Nur Finsternis,

Trübe glotzen die Laternen durch das Dunkel.

An den Masten, Tauen, allen Vorsprüngen glüht das warnende Feuer von St. Elms. Unser Schoner ist ein Gespensterschiff geworden …

Dann hoch aus den Lüften hinter uns – nicht von einer Stelle, von links und rechts, während die Mitte schweigt, ein tiefes Orgeln, Heulen, Brausen – jäh ansteigend zu schrillem Kreischen einer ganzen Höllenbrut von Teufeln …

Irgend etwas packt mich … schlägt mich – wie ein Brett, das man mir gegen den Leib haut … Ich falle …

Ich greife noch nach Mukki, kralle die Finger in sein Nackenhaar …

Irgend etwas saust über das Deck hin …

Der geflickte Treiber knickt um – im Nu ist er verschwunden …

Ein Wasserberg folgt …

Ein Berg stürzt auf die Deckplanken, quetscht mich zusammen … Wasser … Wasser …

Ich ringe nach Atem …

Schlucke Wasser …

Und der Berg entflieht … ein zweiter folgt.

Dann wird unser Schifflein vorwärtsgerissen.

Es schwebt fast, es gleitet, fliegt …

Neue Wassermassen folgen …

Wir stürmen durch Nacht und infernalisches Getöse, durch Wogen und sausende Wirbel, durch Wände von weißem Gischt …

Die Gedanken stocken, das Hirn streikt – die Kläglichkeit dessen, was Menschenhand schuf, diesen Schoner – die Kläglichkeit dessen, was wir Menschlein selbst darstellen, hämmert uns der Taifun ein …

Wir fliegen … mit dem Sturm …

Vielleicht ist es unsere Rettung, daß der Schoner so wenig Ballast führt …

Wir sind wie ein Strohhalm, mit dem der Herbstwind über staubige, düstere Felder rast …

Man liegt da … klammert sich fest …

Alles ist tot in uns …

Man hat lediglich das Empfinden einer ungeheuren Spannung, als ob man unter einem Dynamitfaß läge, das jeden Moment explodieren muß.

Jedes Schätzungsvermögen für Zeit und Entfernung hört auf … In den Ohren rauschen die sprudelnden Wasser, rauscht das Blut noch stärker, das Herz hämmert, die Lunge keucht – Augenblicke halber Ohnmacht folgen, Augenblicke, in denen man fürchtet, der eigene Leib würde in Atome zerstieben …

Dann – ein Stoß – kein Stoß – ein Hieb von der Faust eines nie gekannten Titanen.

Holz splittert, Taue spannen sich, klingen hell wie Bogensaiten – reißen …

Irgend etwas schlägt mir über den Hinterkopf – unter mir öffnet sich das berstende Deck – der Schoner sinkt – ich sacke mit, die Sinne schwinden mir …

Totenstille.

Nichts mehr.

Der Tod?!

– Das war mein Taifun …


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