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9. Kapitel – Die Rückkehr der weißen Jacht

Als das Boot knirschend auf den Korallenstrand auflief, lagen Jane und ich keine zehn Schritt entfernt in den Büschen. Wir kannten hier jeden Baum und Strauch, jede Bodenfalte, jede Kluft des Berges. Das hatten wir den Feinden voraus. Das wollte ich vorsichtig ausnutzen, denn so, wie die Dinge sich nun einmal sich zugespitzt hatten, gab es für uns nur eine Rettungsmöglichkeit: mit demselben Boote zu fliehen, das soeben hier fünf Bewaffnete gelandet hatte. Der sechste war als Wache in dem Kutter verblieben und saß auf der Ruderbank, eine Büchse über den Knien, das Gesicht dem Ufer zugekehrt. Er war ein älterer Mann, klein von Gestalt, aber breitschultrig, mit einem verwilderten grauen Vollbart und gewaltigen Pranken. Die durchaus geeignet schienen, sehr unsanft zuzuschlagen.

Die fünf blieben zunächst auf dem hellen Streifen des Lagunensandes stehen und äugten mißtrauisch umher. Sie alle trugen weiße Leinenanzüge und Strohhüte mit Bändern und Nackenschleiern. Der hagerste und längste von ihnen, sehr patent in eine doppelreihige Jacke eingeknöpft, war Malcom Rizzard, der Erste Offizier, jetzt Piratenkapitän – Jane flüsterte es mir leise zu.

Ich sah das scharfe Profil des Mannes gegen den hellen Himmel – ein Gesicht von verwegenen Linien, mit dünnen grausamen Lippen und einer kühnen Adlernase.

»Ich erkannte sie sie genau mit dem Glase – sie war's!« sagte Rizzard gedämpft. »Wir müssen sie fangen … Sie wird uns mitteilen müssen, was wir noch nicht wissen … Es hätte keinen Zweck, blindlings weiter nach der Insel zu suchen. – Vorwärts, trennen wir uns … Waffen hat sie nicht, und …«

Das weitere entging uns – die fünf schritten nach rechts davon, der eine kehrte dann zurück, zwei schienen den Berg zu erklimmen, zwei verteilten sich nach Osten zu. Derjenige, der wieder an uns vorüberkam, nahm es mit seiner Aufgabe sehr ernst. Er durchsuchte jeden Busch, er behielt dabei die Umgebung im Auge – die sternenklare Nach half ihm ganz wesentlich, er hatte auch eine große Schiffslaterne bei sich, und als er in einer Höhe mit dem Boote saß, rief er der darin sitzenden Wache zu, ihm doch eine Schachtel Zündhölzer zuzuwerfen. Der alte Graubart tat's, und den Moment benutzten Jane und ich, unser gefährdetes Versteck zu verlassen und näher dem Berghang ein neues zu wählen.

Diesen Mann mit der Laterne mußte ich unbedingt haben. Ich brauchte seinen Anzug, seinen Hut – mein Plan war fertig, es hieß rasch handeln.

Jane war verständig genug, mich nicht etwa durch irgendwelche Bedenken zurückzuhalten. Im Gegenteil, von einer Frau ihres besonderen Zuschnitts konnte ich mir nützliche Hilfe und tatkräftiges Einspringen versprechen. Wer wie sie damals an der Küste Afrikas und an der abessinischen Grenze in Männerkleidung so überraschend energisch und klug vorgegangen war, wer wie sie damals sich von der Jagdexpedition getrennt und auf eigene Faust Petersen, Joicker und Mortison gefolgt war, um endlich irgendwie gerade über Petersens Persönlichkeit sich Gewißheit zu verschaffen, wer wie sie hier auf unserer Insel täglich und stündlich ebensoviel praktischen Sinn wie Einfühlungsvermögen gezeigt hatte – einer solchen Frau durfte ich schon getrost in dem abenteuerlichen Vabanquespiel, das uns letzte Rettung verhieß, auch eine schwierigere Rolle zuweisen.

Wir waren denn auch in wenigen Minuten gegenseitig im klaren, ein paar hastige Sätze genügten, diese Rollen zu verteilen.

Mit dem seligen Frieden unseres Eilandes war es vorüber …

Es ging hier jetzt hart auf hart. Und wie immer, wenn die Umstände von mir fast Übermenschliches verlangten und die Aussicht auf Erfolg geradezu winzig erschien, befiel mich jene beinahe beglückende Ruhe und Zuversicht, die alle hemmenden Erwägungen zurückdrängt und Geist und Körper zu einer gehorsamen Maschine macht.

Jane erhob sich aus dieser zusammengeduckten Haltung und ließ ihr selbstgeflochtenes Indianergewand herabgleiten. Was sie darunter trug, war wenig und behinderte sie beim Schwimmen nicht. Ich hörte noch, wie sie zwei Äste leise abknickte … Dann war ich, meinen Fennek neben mir, schon hinter dem Laternenmann her. – Mukki paßte sich jeder Situation an. Mukki hat sehr viel hinzugelernt. Es ist erstaunlich, wie rasch dieser wilde Wüstenfuchs, den ich einst halb erwürgt aus einer Schlinge befreite, ohne Dressur aus eignem Instinkt sein Verhalten den Umständen nach einzurichten weiß. Ein ganz sanftes Schnalzen mit der Zunge genügt, ihn dicht hinter mir wie angekettet zu haben – er merkt es meinen Bewegungen an, wenn es gilt, jedes Geräusch zu vermeiden, er schleicht, wenn ich schleiche – er macht halt, bevor noch mein Fuß völlig stockt, dabei wird er niemals lediglich gehorsamen, behutsamer Automat werden – was mir entgeht, spürt er mit seinen feineren Sinnen unweigerlich, dann stupst er sanft mit seiner Nase gegen mein Bein, und das Warnungssignal genügt. Damals, als wir mit Vincent Turst, dem geheimnisvollen Doktor »mit Fett«, die Felsenburg der Affenkönigin beschlichen und ringsum menschliche und vierbeinige Bestien lauerten, hat er mehr als einmal im letzten Augenblick eine Unvorsichtigkeit verhütet …

Damals …

Ja – wundervolle Tage, Wochen waren es, als wir von Gefahr zu Gefahr eilten und schließlich doch siegten … Wenigstens Turst siegte, er eroberte sich zurück, was er verloren hatte, er zog nordwärts in kultivierte Gegenden mit der Frau seines Herzens und ich – ritt ostwärts mit Patumengi …

… Du hast ganz recht, Mukki, daß du mich mit deiner Nase ganz sanft stupst. Zehn Uhr etwa war es auf unserer Insel, als wir dem Laternenmann nachschlichen. Wie Gespenster waren wir hinter ihm drein. Du mit deinen weichen Pfötchen, ich mit nackten Füßen, denn unsere Insel ist nun einmal ein Korallenatoll, und die kahlen Stellen des Bodens würden unter einer Stiefelsohle knistern und knirschen … Ich hatte einmal einen Freund, der hieß Coy Cala, der lehrte mich alle Schliche und Kniffe der Pampas-Indianer von der Gallegos Bucht. An ihn mußte ich jetzt denken. Und er war unsichtbar neben mir, als es galt, dem strammen Matrosen mit der Laterne, diesem Meuterer von der Star of London, so eins zu versetzen, daß er nicht einen Laut von sich gab und auch nicht die Laterne fallen ließ.

Der Kerl vor uns war ein gerissener Kunde – der gab sich keine Blöße, der hielt in der Linken die mir so lästige Laterne in der Rechten eine kleine schwarze Pistole …

Und doch ereilte ihn sein Schicksal. Ahnungslos brachte er einen breiten dichten Buschstreifen zwischen sich und die Lagune und die ankernde Jacht – ahnungslos watete er durch die hohen Gräser, in die seine Leuchte ohne Klirren versinken würde.

Zwei flüchtige Sprünge, ein schneller Hieb mit dem knorrigen Knüttel, ein ebenso rascher gegen seine rechte Hand … dann Hände um seine Kehle – ein dumpfes Gurgeln, ein paar Zuckungen … Als er gebunden und geknebelt im Dickicht lag, als ich in seinem weißen Tropenanzug prunkte und in seinem Tropenhut, kehrte ich mit der Laterne und der Pistole und einem malaiischen Dolch schleunigst um und näherte mich dem Kutter, in dem der Graubart jetzt seine Pfeife in Brand gesetzt und die Büchse abseits gelegt hatte.

Die Herren Meuterer, die das scheue Reh Jane einkreisen wollten, hatten sich's bequem gemacht, hatten gleich den Kutter, der die Jacht so behutsam durch die schmale Einfahrt in die Lagune geschleppt und zum Ausbooten der Jäger benutzt.

Dank euch, ihr Herren! Den Kutter kann ich brauchen.

Der Graubart sieht mich nahen, ich halte die Laterne halb empor, er kann von meinem Gesicht nichts erkennen. Fennek ist dort an die Palmen gebunden – vorläufig – Jane muß längst die Lagune durchschwommen haben …

Und – es klappt …

Ich habe die Zeit richtig abgeschätzt …

Drüben über dem stillen Binnensee jetzt ein schriller Schrei …

Eine Feuersäule schießt hoch …

Ein völlig verdorrter Palmestamm, dessen gerupfte Rinde wie Zunder brennt, wird zur Fackel.

Was nur irgend Augen im Kopf hat, starrt dorthin, wo die Lohe hochflackert …

Auch mein Gaubart …

Ich springe in den Kutter – über die Bänke.

… Armer alter Schuft – du störst nicht mehr …

Zurück zu Mukki, mit Mukki zurück zum Boot – abstoßen – Motor anwerfen … Steuer herum – Kurs: Einfahrt!!

Das Schifflein – Allah segne den Erbauer – läuft wie ein Windhund … Der Motor knattert, knallt – dann haben die Kerle doch Argwohn geschöpft …

Bienchen summen …

Bleierne Bienen …

Schüsse …

Brüllen …

Neue Kugeln …

Mukki, der Dumme, schnappt nach den singenden Dingern …

Sind das Sauschützen!!

Ich flitze durch die Einfahrt …

Korallenfelsen flankieren sie … Treibholz bedeckt sie …

Ich werfe den Graubart ans Ufer … Möglich, daß er sich ein paar Rippen brach … Die Laterne fliegt hinterdrein …

Zerbricht … Petroleum fließ aus … Das Treibholz brennt, qualmt – mein Kutter schießt durch die Brandung, wendet, rast weiter …

Stehend steuere ich ihn, überblicke die See …

Eine Hand reckt sich empor …

»Olaf – hier!!«

Ich ziehe Jane ins Boot, sie ist erschöpft – sie lacht, lacht und sagt stolz:

»Das Tau schlang ich achtmal um die Schraube, Olaf … Die Büsche verdeckten meinen Kopf … Viermal tauchte ich …«

Die auf dem Star of London werden sich verdammt gewundert haben, weshalb die Schraube der Jacht plötzlich unklar geworden und der weiße Luxuskahn sich nicht rührte …

So entkamen wir …


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