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13. Kapitel – Das Geheimnis von Malmotta

Wenn Handschriften wirklich Rückschlüsse auf den Charakter des Schreibenden zuließen (ich glaube noch heute nicht daran, denn jede psychische oder rein nervöse Störung gibt einer Schrift sofort ein verändertes Gepräge), so müßte Peter Bolk wahrscheinlich ein übler Schurke gewesen sein – oder sein – ich weiß nicht, ob er noch lebt. Es ist eine sehr unausgeglichene Schrift. Sobald Bolk Dinge der Feder anvertraut, die beim Niederschreiben an sein Herz griffen, sobald er in seinem trockenen Stil Aufregendes schildert, ist die Schrift eine ganz andere.

Ich kenne ihn, und er ist kein Schurke. Er ist nur ein Mensch. Und das heißt: behaftet mit Fehlern und Schwächen. – Wir alle haben sie.

»Malmotta, 13. 1. 1904. – Ich werde meine Erlebnisse doch besser zu Papier bringen. Es könnte geschehen, daß ich eines Tages gegen meinen Willen gen Himmel fahre. Ich traue so recht niemandem mehr. – Als ich vor einem Jahr soeben erst, freilich noch sehr jung, Kapitän geworden, von dem unselig im Alkohol verkommenen James Brady (Brandy hätte er heißen sollen) den eisernen Schoner kaufte und damit auf eigene Rechnung Frachtfahrten in den Archipelen unternahm, ahnte ich nicht, was mir bevorstand. Ich hatte drei junge Europäer und sechs Kanaken an Bord. Joicker und Mortison sind fragwürdige Wichte, Petersen – ja, ich weiß nicht recht, ob er eine große Probe bestehen würde. Die Kanaken rechnen nicht mit. Ich halte eisernes Regiment auf meinem Schiffe, und ich trage die Pistolen nicht zum Spaß unter der Jacke.

Der aufgeschwemmte König Missili von Autauo war der erste, der mir von Malmotta erzählte.

Ich hielt es für Insulanergeschwätz, und Missili ist meist betrunken. Als er mir einmal aber auch in nüchternem Zustande die Geschichte wiederholte und bei allen Götzen schwor, er sei selbst auf der Insel gewesen, aber schleunigst wieder ausgerückt, da spitzte ich doch die Ohren.

Malmotta heißt sie in den uralten Sagen der Leute von den Phönix-Inseln, und Gilbert-Insulaner haben mir das bestätigt. Malmotta soll soviel bedeuten wie »die Unantastbare« – also im Grunde dasselbe wie »tabu«. Wenn etwas für »tabu« erklärt ist, darf sich niemand daran vergreifen.

Nun schön, ich spitzte die Ohren, Missili wurde nach einer achten Flasche Brandy noch mitteilsamer und erzählte unter anderem, er hätte auf der Insel dort irgendwo im Norden der Baker-Insel auch ein uraltes Wrack gesehen. Mag sein. Der Kerl riß sofort wieder aus und ruderte mit den Seinen davon. Malmotta ist eben »tabu« und bringt Unglück. – Blech natürlich!

Was er sonst noch zusammenschwafelte klang mir noch fragwürdiger.

Auf der Insel sollen Puwi, der böse Geist, und Puala, seine Gattin, so etwas wie des Teufels Großmutter, wohnen. Und weil diese angenehmen Herrschaften dort hausen, soll Nimiala, der gute Gott, so was wie »Sonnenkönig«, die Insel regelmäßig nach einigen Jahren in den Ozean versenken und erst nach etwa zwanzig Jahren – wohl mit einem großen Korkenzieher – wieder herausholen, damit Puwi und Puala nicht ganz ersaufen.

Wie gesagt, dieses Geschwätz Missilis wäre für mich hohler Wind geblieben, wenn nicht ein paar Gilbert-Leute, alte Knaben mit ebenfalls größter Vorliebe für Brandy, alles haargenau bestätigt hätten. Sie reden nicht gern darüber. Sie haben eine scheußliche Angst vor Puwi, und wenn ich nicht so großzügig ihre Ängste eingeschläfert hätte, würde ich kein Wort erfahren haben.

Als wir mit dem »Lincoln« nach einem Monat wieder zu König Missili nach Atauo kamen, war gerade allgemeines Volksfest und alles war seit Tagen »blau«. Eine Schande, daß wir Europäer die Kerle durch den Fusel degenerieren. Wer da jedoch nicht mitmacht, kommt zu kurz, zum Geschäft gehört Schnaps.

Das Dorf war toll, verrückt – und Missilis Töchter sowie ein paar andere Mädchen waren so ziemlich die einzig Nüchternen.

Zwischen seiner Tochter Tubana und mir bestand bereits ein ziemlich inniges Verhältnis, und die andere Tochter Giwana war in Petersen ehrlich verliebt. Die Mädels sollten ein paar Kerle von der Nachbarinsel heiraten – wollten nicht – und als wir mit dem »Lincoln« nachts wieder Atauo verließen, da mit Missili in dem Zustande ja doch keine Geschäfte zu machen waren, hatten sich Tubana, Giwana und noch drei junge Dinger, die auch an irgendeinen braunen Haremsinhaber verschachert werden sollten, heimlich an Bord geschlichen – wir entdeckten sie erst nach zwölf Stunden. Und da waren wir bereits so ziemlich in Sicht der Baker-Inseln, und ans Umkehren dachten wir nicht.

Joicker ist mal irgendwo bei einer Sekte Prediger gewesen. Mag sein. Er war auch Viehdieb, Cowboy, Polizist – alles war er.

Damit der Spaß seine Richtigkeit hätte, traute Joicker uns in aller Form. Es wurden auch Heiratsurkunden aufgesetzt, und wir waren nun bis auf zwei Kanakenjungen regelrecht Eheleute.

Wir suchten also des Oberteufels Puwi Inselresidenz: Malmotta.

Wir kreuzten, kreuzten, suchten, fluchten – und in der Nacht vom dritten zum vierten Juni 1902 gab's ein Unwetter und ein Seebeben, daß wir nahe am Wegsacken waren. Gegen Morgen taucht da mit einem Male dicht vor uns aus dem Meere eine Bergspitze empor – eine ganze Insel folgt, der Orkan flaut ab, wir steuern in die Nordbucht hinein, und – wir finden das uralte Wrack, von dem Missili geschwafelt hatte.

Die Tabu-Insel war da. – Sie gefiel uns. Mochten auch Baum und Strauch gestorben sein – ich wußte, wie rasch hier alles wächst. Und es stimmte. Nach zwei Monaten war die Insel grün, seltsamerweise erholten sich auch die abgestorbenen Palmen wieder, und jetzt, wo ich dies schreibe, können wir sehr bald die ersten Nüsse ernten.

Inzwischen habe ich meine Tubana als treue Gefährtin und fleißige Hausfrau noch mehr lieben gelernt. Wir haben mit dem Schoner wieder Frachtfahrten unternommen, ich werde ihn vielleicht unter dem Namen »Malmotta« registrieren lassen. Wir halten unser Inselgeheimnis streng geheim. –

Seit Monaten habe ich nichts mehr aufgezeichnet. Wir leben wie bisher, sind glücklich, sparen Geld, handeln, kaufen, verkaufen. Mich interessiert das alte Wrack. Aber es ist im Innern so versandet, daß man kaum hineinkann. Es muß aus der Zeit um 1530 stammen, schätze ich, als die Spanier bereits den Stillen Ozean überquerten.–

Wieder sind Monate verflossen. Gestern ist der Schoner unter Petersens Führung nach Honolulu mit Kopra in See gegangen. Ich habe mir heimlich vier Dynamitpatronen besorgt und werde nachts das Wrack sprengen. Man kann nie wissen, was unter den Sandmassen lagert. Die Spanier haben in Peru ungeheure Schätze seinerzeit zusammengestohlen und weggeschafft. Ich bin hier mit den Frauen allein auf Malmotta. In dieser Nacht fliegt das Wrack in die Luft. –

Die Dynamitpatronen haben nur halbe Arbeit geleistet. Das Wrack hat ein Riesenloch am Heck, das ist alles. Aber ich kann den Sand jetzt doch leichter herausschaufeln. –

Verdammt – mir zittern die Hände, mir ist's im Kopf ganz wirr. – Ich habe doch recht gehabt. Die beiden eisernen Kisten, so klein sie waren, haben es in sich: nur Edelsteine! So viel verstehe ich von dem Zeug doch, um Glas von Diamanten unterscheiden zu können. Aber – das alles ist jetzt gleichgültig: ich bin Vater geworden, meine Tubana hat mir einen prächtigen Jungen geschenkt. Ich bin so glücklich, daß ich eine halbe Flasche Brandy trank. Der Diamentendreck muß verschwinden. Petersen und die anderen würden bei dem Anblick verrückt werden. Nur Tubana wird wissen, wo ich sie verberge. Den Sand habe ich wieder hineingeschaufelt, und ich werde lügen, sonst gibt es Mord und Totschlag. –

Das Schicksal hat mich hart gestraft. Tubana ist tot, das Kind lebt. Sie starb in meinen Armen an 11. 9. 1904. Vielleicht werde ich bestraft, weil ich die Edelsteine beiseite schaffte. Ich habe jetzt für nichts mehr Interesse, nur für mein Kind. Wie sehr ich meine Frau liebte und was sie mir war, weiß ich jetzt erst so recht. Ich bin ein geschlagener Mann. Giwana nimmt sich nimmt sich des Kleinen in innigster Zärtlichkeit an, auch sie ist guter Hoffnung, und John Petersen behandelt sie wie eine zarte Blume.

Ich werde nun doch auch Giwana einweihen. Sie ist Tubanas Schwester, und sie wird begreifen, daß es ratsamer ist, den Edelsteinschatz dort zu belassen, wo er jetzt ruht. Weiß man, ob Petersen fest genug bliebe, hier dieses einsame Leben fortzusetzen, wenn er von den Millionenwerten Kenntnis erhielte?! –

Giwana ist eingeweiht. Auch sie geht nun ihrer schweren Stunde entgegen. – Petersen, Joicker und Mortison haben offenbar doch Verdacht geschöpft und umlauern mich beständig. Unser gegenseitiges Verhältnis ist sehr gespannt, ich leugne, in dem Wrack etwas gefunden zu haben, sie glauben mir nicht … Es liegt ein Fluch über all diesen Schätzen, die dort in Amerika von den habgierigen Spaniern unter Grausamkeiten zusammengestohlen wurden. Ich wünschte, ich hätte das Wrack nicht angerührt. Mein Trost ist mein Kind. –

Nun ist auch Giwana nicht mehr. Sie ruht neben meiner lieben Frau am Westufer der Bucht. Petersen ist völlig verzweifelt. Mortison und Joicker suchen heimlich nachts nach den Diamanten, ich habe sie mehrmals beobachtet.

Unser Leben hat wieder die frühere angenehme Art angenommen – wir ernten Kopra, handeln, schachern, bleiben dann wieder wochenlang auf unserer Insel, und Petersen und ich freuen uns über das Gedeihen unserer Kinder.

Die drei reden nicht mehr über das Wrack. Und doch – zumindest Joicker und Mortison mögen noch immer den Verdacht hegen, dem sie nie offen Ausdruck geben. Es sind hinterlistige Kerle, und wenn sie mich nicht fürchteten, würde wohl vieles anders sein. –

Ich rede nicht darüber: ich denke jetzt tagtäglich an Missilis Erzählungen … Malmotta soll stets nur wenige Jahre über der Oberfläche bleiben. Ich befürchte eine Katastrophe. Gestern nacht spürte ich ein paar Erdstöße … Die unterirdischen Kräfte melden sich. Für alle Fälle werde ich einen Teil der Steine in ein Stück Segelleinen einnähen.

10. Juli 1906. – Malmotta existiert nicht mehr. Genau vor vier Wochen versank es. Das Unheil überraschte uns vollkommen. Ich habe die Kinder gerade noch in das Kanu schleppen können. Der Schoner war schon vorher durch die Erdstöße leck gesprungen. Ich rette mich im letzten Augenblick. Alles war Nacht, Finsternis, Orkan, Schwefeldämpfe …

Ein Wunder, daß mich der Orkan mit seiner rasenden Geschwindigkeit in meiner Korkweste südwärts trieb und ich die Baker-Inseln halbtot erreichte.

Nun bin ich in Honolulu, nachdem ich vier Jahre auf der Baker-Insel allein gehaust habe. Nach den Kindern zu forschen, wäre zwecklos. Sie sind tot – auch die anderen – ich bin ganz allein, ich bin der einzige Überlebende von Malmotta.

Ich werde mein Dasein von neuem beginnen. Ich bin ein Greis geworden, die Spuren jener Schreckensnacht trage ich auf dem Haupte: weißes Haar! – Diese Aufzeichnungen halte ich heilig. Und wenn ich bis dahin am Leben bleibe, werde ich nach zwanzig Jahren Malmotta vielleicht wiedersehen.

Peter Bolk, Kapitän«

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