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12. Kapitel – Das rote Wrack

Das rote Wrack lag in der Bucht nur zum Teil auf dem steinigen Strand. Wir konnten es bequem in Augenschein nehmen, denn vom Bug hingen noch zwei Ankerketten herab, und ich half Jane beim Emporklettern.

Mukki war empört, daß er am Strande bleiben mußte. Noch empörter war er über die Krebse, die zuweilen mit ihren Scheren nach seinen Beinen schnappten und sich unverschämt festklammerten …

Das Wasser aus dem Wrack war längst ausgeflossen … Einige Eisenplanken hatten sich gelöst – es gab unter dem Rumpf genug Abflußlöcher.

Das schlüpfrige Deck stellte eine förmliche Muschelbank dar. Auch hier Seepflanzen, schleimige Riesenquallen, einzelne Fische – armes Getier! Wenn die Äquatorsonne erst niederbrennt, ist euch allen der Tod sicher. So viel wir von ihnen wieder ins Wasser werfen können, werden wir retten, schon um den Verwesungsgestank zu vermeiden, der uns den Aufenthalt auf Malmotta sehr unangenehm machen könnte.

Jane will nicht mit hinein in die Kajüte … Sie fürchtet sich. Ihr gutes Herz erbarmt sich lieber der Fische und Krebse und Muscheln, die sie am Heck so bequem in das Wasser der Bucht schleudern kann.

Ich mühe mich mit der verquollenen Tür der Kajüte ab. Ich könnte ja durch das zerbrochene Oberlichtfenster einsteigen, aber mir erscheint es doch nicht ratsam. Der Stille Ozean birgt auch giftige Geschöpfe, große und kleine Fische mit Stacheln, die böse Wunden hervorrufen, dazu giftige Seeschlangen, Riesenwürmer von zwei Meter Länge mit Beißzangen und eine Art Aale, die elektrisch geladen sind.

Ich nehme einen schmierigen, nassen Bootshaken und breche die Tür endlich auf. Ein Schwall Wasser schießt mir entgegen, ich springe zurück – in dem Wasser tummelt sich wieder allerlei Ozeangetier, und … ein blanker Totenschädel rollt mir vor die Füße – ein scheußlicher Anblick, da in den Augenhöhlen und zwischen den Kiefern krabbelnde Krebse sich eingenistet haben.

Dann trete ich ein … Was hier an Möbeln vorhanden gewesen, ist zum Teil verfault, durcheinandergeworfen – hinter der Tür Skeletteile, ein sich windender Riesenwurm, den ich rasch totschlage – nur an der Wand erkenne ich noch eine Uhr, das Barometer, Bilderrahmen …

Alles bedeckt mit kleinen Muscheln, Schleim und Schlick.

Bilderrahmen – ohne Bilder …

Nur einer scheint noch ein Bild zu enthalten, ist gefüllt – vielleicht ein Ölgemälde, das zwei Jahrzehnte der Fäulnis widerstand.

Ich reibe es mit einem Lappen behutsam ab, und ich erkenne das Brustbild eines Seemannes mit Mütze und blauer Jacke … Die Farbe ist zum Teil abgeplatzt, trotzdem sehe ich blondes Haar, große helle Augen …

Es kann Peter Bolk darstellen, als er noch jung war.

Hier ist im übrigen nichts festzustellen, und ich trete wieder auf das Deck hinaus. Muscheln knirschen – ich blinzle in das grelle Sonnenlicht …

»Hallo – Jane?!«

Keine Antwort. Nur die Brandung rauscht fernab an der Küste der wiedergeborenen Insel, und am Buchtrand läßt Mukki sehnsüchtig sein eigentümliches Bellen vernehmen, das wie ein rasches Kak-Kak-Kak-Kak klingt.

»Hallo!!«

Ich lausche, blicke umher, und jäh packt mich die Angst … Ich laufe zum Heck – es ist mehr ein Gleiten auf den schlüpfrigen Deckplanken – ich überblicke die kaum dreißig Meter breite Bucht. Drüben gibt es nur einen schmalen Sandstreifen, dann steigen die Felsen haushoch an, zum Teil nacktes Gestein, zum Teil überkrustet von frischen Korallenbauten, zum Teil überwuchert von Tiefseepflanzen.

Jetzt sehe ich meine Jane. Sie steht vor den Felsen, sie hat eine große Muschelschale in der Hand und kratzt damit das Gestein sauber.

Rechts neben ihr sehe ich anderes: ein Steinkreuz, freistehend, offenbar plump behauen – weiter rechts ein zweites …

Janes Kleider triefen. Und waren doch längst trocken geworden in diesem heißen Äquatorwind. Sie muß hinübergeschwommen sein, angelockt durch irgend etwas, das in ihrer Erinnerung wieder wach geworden ist – wie das Bild des uralten Holzwracks, das einem ruhenden Ungetüm gleicht.

»Hallo, Jane!!«

Sie winkt nur, arbeitet weiter, und ich klettere an den Ketten herab, der Fennek hüpft um mich herum, als hätte er mich ein ganzes Jahr nicht gesehen, und wir traben um den äußeren Buchtwinkel herum und langen neben Frauchen an.

Frauchen ruft nur mit sonderbar schriller Stimme:

»Olaf – hier – eine eingemeißelte Inschrift!!«

»Und was führte dich her, Jane?«

»Das Gefühl, daß hier meine Mutter begraben liegt!«

Ich helfe ihr … Das Gestein gibt seine Kerben allmählich preis, wir entziffern bereits einzelne lateinische Buchstaben … Kein Künstler war es, der hier dem Felsen sein Leid um eine Tote eingrub. Die Buchstaben stehen schief, in unregelmäßigen Abständen, dehnen sich nach rechts weit über das erste Steinkreuz hinweg, gehören zu diesem Kreuz, das in einer Felsspalte festgekeilt ist.

Buchstaben werden Worte, aus Worten klingt das Lied der Trauer …

Jane, Johanna, geborene Petersen, ist in die Knie gesunken. Sie weint, und ihr Schluchzen erschüttert mich …

Der Ozean, der dieses Grab mitverschlang, hat es wieder dem Lichte zurückgegeben und hat Licht gebracht in die Seele einer jungen Frau, die vielleicht den Vater bisher für einen Verworfenen hielt und das nun Klarheit erhält über die große Liebe, die ihn mit dem braunen Mädchen einer Südseeinsel verband.

Hier ruht Giwana, vor Gott

Mein Weib, Mutter
Meines Kindes
Johanna

Gest. 8. 3.1905 auf Malmotta

Du warst die Liebe und die Treue
John Petersen

– Wie viele, viele Tage mochte wohl John Petersen an dieser Inschrift mit unzulänglichen Werkzeugen gearbeitet haben!

Ganz tief waren die Buchstaben in das Gestein eingemeißelt, und gerade das Kunstlose, Verzerrte dieser Buchstaben und Worte war so rührend in seiner liebevollen Unbeholfenheit.

Jane erhob sich, ich half ihr, nahm sie in die Arme, und ihre Tränen, ihre letzten Tränen weinte sie an meiner Brust.

»Ich bin … glücklich,« sagte sie dann leise und machte sich aus meinen Armen frei. »Verstehst du das, Olaf, daß ich jetzt glücklich sein darf? – Vater hat sie geliebt, Vater muß ein guter Mensch gewesen sein … Wer weiß, ob nicht Peter Bolk ihn irgendwie geschädigt hat … Denke an die Diamanten, Olaf … Diese Steine können doch nur hier von Malmotta stammen … Und Vater und Bolk und Joicker und Mortison waren Gefährten, lebten hier, liebten hier …«

Ihr Blick war nach innen gerichtet – sie horchte vielleicht auf die ganz zarten Stimmen, die aus ihrer Seele Tiefen erklangen als Erbteil ihrer Eltern …

»… Die Diamanten, Olaf, die mich reich gemacht haben, die haben hier wohl Unheil gestiftet … » fügte sie sinnend hinzu.

Ich wollte sie ablenken. Mich lockte auch das zweite Grab. Außerdem hatte ich längst bemerkt, daß wir hier auf einer Steinplatte standen, unter der Giwanas sterbliche Reste ruhten. Es war besser, daß Jane nicht etwa bat, ich solle diese Platte lüften.

»Sehen wir, wer dort begraben liegt, Jane.«

Und wir kratzten auch dort das Gestein sauber – wir fanden ebenfalls eine Inschrift, und abermals ward so der bunte Gobelin, dem noch das Mittelstück fehlte, ergänzt:

Tubana

Tochter des Königs von Atauo
Schwester Giwanas
Mutter meines Sohnes

Peter Tuban Erich Bolk

Gest. 11. 9. 1904

Mein Weib
Du warst die Sonne von
Malmotta

Peter Bolk

Vielleicht kennzeichneten diese beiden Grabinschriften auch die beiden Männer, von deren Hand sie herrührten, in treffender Art. Aus John Petersens Nachruf ließ sich unschwer auf einen etwas weichlichen Charakter schließen, auf eine leicht zu beeinflussende Natur, auf einen Durchschnittsmenschen.

Anders Peter Bolk. In dieser Knappheit ohne viel Sentimentalität lag Kraft, Zielbewußtsein und eine gewisse Rücksichtslosigkeit.

Doch das alles hatte hier nichts zu bedeuten gegenüber der Feststellung, daß Aristide d'Oly Peter Bolks Sohn war. Ich entsann mich nur zu gut noch der Fieberträume und Fieberschreie des kranken Aristide in der Kammer der Astarte – mir stand Bolk noch deutlich vor Augen, wie er mich damals aus der Kammer hinausgeschickt hatte, nachdem Aristide das Wort Tubana überlaut hervorgestoßen hatte. Erst in dem Augenblick war es wohl dem Käpten zur Gewißheit geworden, daß Aristide sein Sohn sein müsse – und gleich darauf hatten sich die Meuterer an Bord geschlichen und Vater und Sohn mit sich genommen.

Lebten sie noch?

Jane wußte nichts von ihnen, Jane hatte während ihrer Gefangenschaft auf der Star of London die beiden nie zu Gesicht bekommen.

Hierüber sprachen wir, als wir nun langsam zurückkehrten zu den Wrackteilen der Astarte, die jetzt gerade dort auf dem Trockenen lagen, wo der felsige Nordteil der Insel in den Lagunenteil überging.

Die Heckhälfte des Schoners lag ziemlich wagrecht zwischen bröckligen Korallensteinen. Es kostete nicht viel Mühe, gerade am Heck ein Zelt zu errichten und den Laderaum unten in ein Schlafgemach zu verwandeln.

Jane und ich nahmen dann hier auf Malmotta unsere erste Mahlzeit ein – kalt, Konserven –, denn wir waren beide bis zum äußersten erschöpft und bedurften des Schlafes.

Jane zog sich nach unten zurück, ich streckte mich im Zelte aus und schlief auch sofort ein. – Ich habe nie viel Schlaf gebraucht. Fünf Stunden genügten auch nach diesen Strapazen und Aufregungen. Ich erwachte ganz von selbst, erhob mich leise und wanderte erst einmal mit Fennek zum Berge, um nach der Jacht Ausschau zu halten.

Dieser Spaziergang war eine Qual.

Eine unerträgliche Hitze brütete über der Insel – Muscheln, Fische, Quallen waren bereits halb verwest und verbreiteten unerträglichen Gestank. Am schlimmsten war es am Fuße des Berges, wo die vielen Wassertümpel dem armen Getier zunächst eine trügerische Zuflucht geboten hatten. Sie waren verdunstet, sie waren zu Pestlöchern geworden. Ich war froh, als mich oben auf dem Berge der Seewind umspielte. Ich setzte mich hinter einen Palmenstamm, nahm Fennek auf den Schoß und überdachte unsere Lage.

Der Horizont war leer. Und doch ahnte ich, daß die Jacht mit den Meuterern diesen Meeresteil niemals unverrichteter Dinge verlassen würde. Die Besatzung des Star of London wußte nur zu gut, was ihnen im Falle der Aufdeckung ihrer Schandtaten drohte. Die Engländer machen in solchen Fällen sehr kurzen Prozeß. Meuterei, Mordversuch – der ganzen Bande war der Strang sicher. Fanden sie nun nicht die Insel und nicht die erhofften Schätze, so waren sie, solange sie auf der Jacht blieben, beständig in Gefahr, von irgendeinem Kriegsschiff angehalten und … aufgeknüpft zu werden. Gaben sie die Jacht preis und zerstreuten sie sich nach allen Windrichtungen, so zogen sie als arme Teufel, ärmer als vorher, ins Ungewisse hinein – und die Gefahr einer Verhaftung blieb doch für jeden einzelnen in demselben Grade bestehen. Sie würden also ohne Zweifel zunächst hier in dieser einsamen Meeresgegend bleiben und … suchen, immer wieder suchen … Sie waren ja hier mit am sichersten.

Jane und ich konnten also unmöglich in dem Wrack der Astarte bleiben. Wir wären dort keine Minute sicher gewesen. Wir konnten doch unmöglich abwechselnd hier auf dem Berge wachen. – Es galt also einen Platz zu finden, der uns auch im Falle eines Angriffes genügend schützte.

Ein Fennek ist ein sehr unruhiger Geist, und mein Fennek leistet auch hierin Besonderes. Er ließ mich getrost über die Maßnahmen zu unserer Sicherheit nachgrübeln – er selbst ging auf Entdeckungsfahrten aus, er hatte so lange auf einem engen Schiff gelebt, daß er die acht Tage auf der grünen Insel nur als ungenügende Zeit, sich Bewegung zu verschaffen, betrachtete. Leider gab es hier keine Mäuse, der er jagen konnte – die Krebse waren längst tot, und deshalb kletterte er an den Steilwänden des Berges umher, kehrte zuweilen zu mir zurück, verschwand aufs neue – bis mich plötzlich sein jämmerliches Heulen und Kreischen aufschreckte und ich voller Angst ihn zu suchen begann. Nach mühseligem Klettern gelangte ich an der Westseite des Berges – höher als vierzig Meter ist er nicht – auf eine vorgebaute, steil abfallende und von einer Felsnase überdachte Terrasse, deren Hintergrund sich als breite Grotte in den Berg verlor.

Dorther erklang Mukkis Jammergeheul. Ich rannte blindlings in die Dunkelheit hinein, ein böser Leichtsinn, denn ich erhielt einen Schlag gegen den Oberschenkel, der mich sofort hintenüber warf. Trotzdem hatte ich noch erkannt, mit welcher Art Gegner ich es hier zu tun hatte …

Es war ein Haifisch, den die neue Schöpfungsgeschichte Malmottas ausgerechnet in dieser Höhle aufs Trockene gesetzt hatte. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das Zwielicht, die Pistole hatte ich bei mir, und zwei Kugel erledigten den Hai sehr rasch, konnten jedoch dem armen Mukki den Rest seines linken Ohres nicht wiedergeben, denn gerade dieses hatte die bereits rechts schlappe Meeresbestie zwischen den Zähnen – immerhin, mein Fennek war noch glimpflich weggekommen – auch ich, denn ein Schlag eines Haifischschwanzes kann einem sämtliche Knochen brechen.

Mukkis Ohr aus dem Mauke des Hais freizumachen war unmöglich. Ein rascher Schnitt mit dem Messer – der Fennek heulte, blutete, biß um sich, und ich rannte und kletterte mit ihm schleunigst zum Strande hinab, um die Wunde gründlich zu spülen und die bei jedem Haifischbiß so gefürchtete Eiterung zu verhindern.

Nun, der Ohrstumpf eiterte nicht, Mukki hatte nur noch ein Ohr, und Jane und ich hausen jetzt seit gestern in der gründlich gesäuberten Höhle, in die wir alles hineingeschleppt haben, was wir von der Astarte irgend brauchen konnten: Bretter, Balken, Nägel, Eisenteile, Kochtöpfe, Konservenproviant – vieles andere noch.

Und heute früh (es ist der dritte Tag auf Malmotta) habe ich auch Peter Bolks Safe in dem hinteren Mast gründlich geleert, habe die Goldsäckchen anderswo verstaut und … ganz unten einen kleinen flachen Zinkkasten gefunden, dessen Schloß ich einfach aufsprengte. Er hat Gummileisten, der Kasten, und die Papiere sind tadellos erhalten.

Jane und ich haben sie mittags gelesen …

Wir wissen nun fast alles von den Geheimnissen Malmottas …

Mit dem Lesen kamen wir, auf unserer Terrasse im Schatten liegend, freilich nicht so recht vorwärts, denn Jane hält es für weit wichtiger, daß ich hier jede Minute irgendwie beweise, daß ich sie – und nur sie liebe …

Fennek ist deshalb auch hinten in der Höhle festgebunden worden.

Er stört, sagt Jane – und sie hat recht.


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