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XIII.

Australiens Zivilisation hört am Rande der Wüstenstriche des Innern auf. Und diese Wildnis ist größer als die Hälfte des fünften Kontinents. Daß man dort Eisenbahnlinien hindurchgeführt hat, daß dort auch vereinzelte Siedlungen zu finden sind, will nichts besagen. Es bleibt ein halbkultiviertes Land.

Die Wildnis hatte ihre eigenen Gesetze. Ich war der letzte, dies nicht anzuerkennen. Dort, wo vielleicht alle fünfzig Meilen ein paar Wellblechbaracken und eine Polizeistation anzutreffen sind, wo in den Randminendistrikten Tausende von Arbeitern aller Nationalitäten nur durch die unvermittelte Drohung eines Baumastes und einer Schlinge im Zaum gehalten werden können, wäre ein Strafgesetzvollzug, der die Besserung anstrebt, eine lächerliche Torheit. Ein wildes Land erfordert Kerle aus Stahl, die Gesetzesbrecher auszutilgen. – Man schaue in australische Zeitungen, … Zehn chinesische Minenarbeiter überfallen eine kleine Farm und kehlen den Farmer ab, vergewaltigen die Frauen, rauben Geld und Gold und zünden die Gebäude an. – Bluß ermittelt die Täter. Sieben fallen durch Kugeln, drei knüpft er auf … – Oberst Bluß war für dieses wilde Land trotzdem nicht der richtige Mann. Ich hatte seine schwache Stelle bloßgelegt: Er liebte Paloma. Viermal hatte er sie in seiner Gewalt, viermal entfloh sie ihm. Sein Eifer, sie aufzuknüpfen, war blinde Eifersucht.

Ich lag bäuchlings auf meinem Ast und beobachtete die fressenden Stöße der Säge. Es war halb acht abends. Vielleicht hatte ich noch eine halbe Stunde zu leben. Meine Armbanduhr tickte auf meiner Brust, denn mir waren die Hände vorn festgeschnürt. Ich hing mit dem Kopf nach unten, und der Blutandrang zauberte mir blitzende Sterne vor die Augen. Meine Gedanken schlichen immer träger.

Manches, was Rätsel gewesen, war gelichtet. Nicht Ethel Murray, sondern bestimmt Paloma Ruxa war bei mir an Bord gewesen, und der blonde Taucher vor dem Fenster, war Lord Battingham. Er hatte sich für Bluß ausgegeben, und es war seine für Paloma geschaffene Schutzwache, die ich für Queensländer Polizei gehalten hatte. Aber die Rollen Dingos und Ethels bei alledem blieben undurchsichtig. Daß es sich um ganz Besonderes gehandelt hatte, war gewiß. Sonst hätte man mich eingeweiht.

Wo steckten Ethel, Paloma, der Lord und Charlie?!

Sie mußten hier verborgen sein. Als ich die Farm mittags verließ, war sie bereits umzingelt.

Der Wind nahm zu, und das gräuliche Kratzen und Nagen der Blattsäge erklang härter als sonst. Ich schielte hin. Und ich atmete auf. Bluß' feine Folter hatte Erbarmen. Die festgebundene Säge hatte sich gelockert und stand schief, und der Schnitt, den sie erzeugte, verlief so schräg, daß mir neue Frist geschenkt war.

Um das große Farmhaus lungerten des Colonels Reiter herum, rauchend, schwatzend, lachend, unbekümmert … Aber sie hatten trotzdem die Augen überall … Sie suchten noch immer, wenn auch unauffällig. Bluß hatte sich nicht mehr blicken lassen. Es mochte ihm scheußlich unangenehm sein, hier wiederum einen Fehlschlag erlitten zu haben.

Als ich wieder einmal zum Hause hinüberschaute, wurde dort aus einem Fenster des zweiten Stockes ein langer Balken hinausgeschoben, an dessen Spitze ein Tau mit einer Schlinge hing. Am Fenster zeigte sich auch Bluß, er erteilte seinen Leuten Befehle, er schob den Balken noch weiter ins Freie, – ich hörte Hammerschläge, und dann zog einer der Queensländer das Tau mit einer Stange ins offene Fenster. Hinter dem Manne stand der gefesselte Dingo.

Er sah mich. Er nickte mir zu, und dann wanderte sein Blick nach Osten, wo die Sonne, bereits ein rötlicher Ball, sich dem Horizont zusenkte. Vielleicht nahm er Abschied von allem, was Leben und Licht bedeutete, bevor ihn die ewige Nacht umfing.

Er war einer jener Treuen, die zu sterben wissen. Bluß hatte mir es beim ergebnislosen Verhör ins Gesicht geschrien, daß Bell Dingo hier auf der Farm aufgewachsen war, daß er ein jämmerlicher armer Nigger gewesen, daß er alles versucht hatte, um sich emporzuarbeiten, besessen von einem Ehrgeiz, der seiner Intelligenz entsprach. Es stimmte schon, – er hatte den Glauben für einen halbwegs anständigen Anzug gewechselt – alles stimmte, nur die Hauptsache hatte Freund Ai ai mir verschwiegen: daß er an den Nordabhängen des Mount Guide vor vier Jahren eine Goldader entdeckt hatte, die ihn über Nacht zum vielfachen Millionär machte. Nun besaß Dingo ein Dutzend Großfarmen, Bergwerke, eine Villa in Sydney, Autos, eine Jacht, Flugzeuge … Sein Generaldirektor war ein englischer Edelmann, seine Mitarbeiter waren Weiße, und er der Herr …

Schwarzes Schwein hatte Bluß ihn genannt.

Und nun sollte Bell Dingo sterben.

Mir gefror das Blut in den Adern.

Ich konnte nicht schweigen, ich durfte diesen infamen Mord nicht zulassen, Bluß war nicht zurechnungsfähig …

»Colonel!« brüllte ich über das Wasser …

Er hatte das andere Fenster geöffnet und antwortete mir nur mit einer Handbewegung. Sein Gesicht war grau und starr.

Man hob Dingo auf das Fensterbrett, man nahm ihm die Fußfesseln ab und legte ihm die Schlinge um den Hals.

Die Queensländer waren betrunken, merkte ich erst jetzt. Der Alkohol, wilde Erinnerungen machten sie zu Bestien.

Bluß stand mit verschränkten Armen im Abendsonnenschein. Er rauchte, aber die Zigarre in seinem Mundwinkel war erloschen.

Dingo schritt langsam auf dem Balken bis zur Spitze. Seine Augen waren seltsam stier auf die dunkle Pforte des düsteren Mausoleums gerichtet, in dem die Eltern der Schwestern in offener Gruft in schweren Särgen aus Teakholz ruhten.

Mein Herz setzte aus, jagte, setzte aus …

Und wieder versuchte ich ein Letztes. Meine Stimme fuhr hinüber über den von blanken Fischen belebten Weiher, der einen Ab- und Zufluß hatte und der jetzt rosig schimmerte und rosige Palmen widerspiegelte.

»Oberst Bluß, Gott wird Sie strafen!«

Ich wußte nicht, wie ich gerade auf Gott kam.

Bluß lachte verächtlich.

Dingos Augen hafteten auf dem Mausoleum der Ruxas. Er hatte glückliche Tage hier auf der Farm verlebt, und seine Liebe zu Ethel und seine Treue waren erhaben, wuchsen über Menschliches hinaus.

Dingo stand stolz da, Bluß den Rücken zugekehrt.

»Stoßt das Schwein hinab …!« geiferte Bluß. »Schwarzer Lump, springe! Wo sind die Weiber?«

»Suche sie … Du wirst sie nicht finden, Colonel … Sie sind längst bei den Toten.«

Bluß kreischte: »Stoßt ihn hinab!!«

Aber jetzt zögerten seine Leute …

Er riß die Stange hoch … Sein Gesicht war gräßliche Fratze … Er stieß zu …

Dingo taumelte … Sauste in die Tiefe, und ich schloß die Augen, mein Herz stand still, für Sekunden verlor ich das Bewußtsein. Übelkeit würgte mir in der Kehle, – eine ohnmächtige Wut machte mich zittern, mein Leib flatterte wie im Fieber.

Meine Nerven hatten versagt. Ich hatte Nerven aus Eisen zu haben geglaubt, – dieser schändliche Mord spottete ihrer.

Die Wut wuchs, und diese Wut, gesteigert bis zur Ekstase, machte meine Hände frei. Hautfetzen blieben in den Schlingen – ich fühlte nichts, und die Nebel vor meinen Augen wichen.

Ich schaute hin.

Das Bild hatte sich verändert. Was ich zu sehen fürchtete, sah ich nicht. Ich sah unter den Fenstern des Galgens in denen des ersten Stocks gerade noch ein großes Bügelnetz verschwinden, in dessen Netzbeutel Dingo lag. An jenen Fenstern kribbelte es von schwarzen Leibern. Und Dingo lebte, – er sprang in das Zimmer hinein.

Das war nicht alles.

Unten im Park kribbelte es gleichfalls von Schwarzen …

Das waren nicht hundert, das waren hunderte.

Das war ein breiter Ring Bewaffneter, der den Palast umgab. Da waren kleinere Trupps, die die Türen besetzt hielten, – an allen Fenstern erschienen sie …

Bluß und die Queensländer waren verschwunden.

Unter mir Rufe, Geräusche … Drei Schwarze turnten empor. Mein Wächter stand waffenlos dabei. Die drei schafften mich behutsam hinab, und sie mußten mich stützen, meine Beine waren tot, mein Leib ein einziger Schmerz.

Man führte mich mit geradezu zärtlicher Sorgfalt um den Weiher, dessen Fische ich jetzt liebte. Nur das Fischnetz mit der starken Stange, dem starken Bügel und den derben Maschen hatten Dingo gerettet.

Die, die mich stützten, waren Leute in blauen Arbeitsanzügen, Leute von Dingos Nachbarfarm, aus Borraloola … – Das Telephon hatte Bluß vielleicht unbrauchbar gemacht beim Anmarsch, aber die Leitung lief unterirdisch. Das Telephon hatte die hunderte herbeigeholt, und die Queensländer wären in Fetzen zerfleischt worden, wenn Dingo schon tot gewesen.

Auf der Terrasse saß Bell Dingo, bereits wieder in sauberem neuem Anzug, mit zwei Weißen, die er mir als Colonel Mallingrott aus der Stadt Borraloola und Leutnant Shell vorstellte …

… Ganz so, als ob wir uns etwa im Speisesaal des Astor-Hotels in Sydney begegnet wären.

»Mallingrott, dies ist Mister Elsen, der heute kurze Zeit mein Gast war …« sagte Dingo und bettete mich in einen Liegestuhl.

Der Oberst entschuldigte sich bei mir.

»Bluß ist zweifellos krank, irrsinnig geworden, Mister Elsen … Wir haben ihn fesseln müssen, er tobt …«

Der Diener Kanarra brachte Wein, Zigarren, Zigaretten und bediente lautlos und gewandt.

Mallingrot trank Dingo zu. »Mr. Dingo, ich freue mich, daß wir noch zur rechten Zeit kamen.«

»Sie haben allen Grund, sich zu freuen«, sagte Bell kühl. »Mein Tod wäre furchtbar gerächt worden, – ich glaube, hier in hunderte Meilen Umkreis gäbe es keinen lebenden Europäer mehr, sobald … doch lassen wir das. Sie nehmen Bluß' Leute wohl mit nach Borraloolo …«

»Natürlich«, beeilte sich der Oberst zu versichern. »Die Burschen werden unter Anklage gestellt und …«

»Das wünsche ich nicht. Bluß hat sie betrunken gemacht, und Bluß wird in einer Anstalt enden. Auch ihm trage ich nichts nach. Er ist auch nur ein Mensch …«

Der Oberst schnitt verlegen die Spitze seiner Zigarre ab. »Mister Dingo, das ist sehr großmütig … Haben Sie sonst noch Befehle?«

»Nein. – Kanarra, wann können wir speisen?«

»Um halb neun wie immer, Mister Dingo.«

»Es ist gut …«

Mallengrott wandte sich mir zu.

»Mister Elsen, Sie werden recht peinliche Erinnerungen von diesem Ausflug mit an Bord Ihrer Jacht nehmen …«

»Ich pflege für derlei ein sehr schlechtes Gedächtnis zu haben …« meinte ich höflich.

»Sie bleiben hoffentlich noch einige Tage bei mir«, bat Dingo und betrachtete seine Fingernägel. – Der Ring am kleinen Finger fehlte.

»Sehr gern …« und das kam mir von Herzen.

Die Abendtafel dehnte sich bis gegen zehn aus. Dann verabschiedeten sich der Oberst und sein Leutnant, und Dingo geleitete sie bis zur Terrasse. Die schwarzen Arbeiter zogen gleichfalls ab. Der lange Zug verschwand nach Nordwest in der sternklaren Nacht. Der Oberst hatte in meiner Gegenwart weder Paloma noch Ethel erwähnt. Wir hatten bei Tisch über Australiens neue Hauptstadt gesprochen, die dieses Land aus einer romantischen Bergwildnis hervorzuzaubern gedachte.

Ich stand neben Dingo auf der Terrasse, wir schauten dem Zuge nach, und langsam schob Dingo seinen Arm in den meinen und sagte leise:

»Nun kennen Sie mich ganz, lieber Abelsen …« Er blickte mich an und lächelte. »Ich habe meine Rolle als Ai Ai wohl recht gut gespielt, es fiel mir ja auch nicht weiter schwer, es sind ja erst vier Jahre her, da war ich noch das, was ich Ihnen vormachte: Kajütwärter, – aber dann kam der Erfolg, ein blinder Zufall warf mir Millionen in den Schoß …« Er wurde ernst. »Ich bin Ihnen nun einige Aufklärungen schuldig, Abelsen. Meine Jugend wurde freundlich überstrahlt von Ethels Güte, ich war ihr Boy, ich sorgte für ihre Pferde, ich war glücklich. Paloma liebte die Einsamkeit hier nicht und weilte zumeist in Sydney. Die Ruxas machten ein großes Haus, bis … bis eben Lord Robert Battingham, der Vater des Mannes, den sie als ›Bluß‹ kannten, hier auftauchte. Die Gräfin Ruxa war blendend schön trotz der halb erwachsenen Töchter. Battingham ein gewissenloser Schurke, Spieler, Verschwender, Wüstling. Als die Gräfin ihn abwies und der Graf ihm das Haus verbot, schwor er Rache. Nun hängt dieser Elende als Skelett an dem Holzkreuz, und im Sande liegen die Steine und bilden seinen Namen – Steine, gefühllos wie er selbst war.« Dingos Stimme zermalmte diesen letzten Satz förmlich zwischen den Zähnen.

Mir war's wie ein Schlag durch den Körper gegangen. – Ein Lord Battingham war der Tote dort am Kreuz, und sein Sohn war hier irgendwo todwund versteckt!

»Weiß der junge Lord …?« – aber Dingo schüttelte energisch den Kopf. »Nein, niemand weiß … nur der, der ihn strafte.«

Ich trat unwillkürlich zurück.

»Sie, Dingo?«

Er wich meinen Augen nicht aus. »Hören Sie erst alles, Abelsen …« Er lehnte sich an die Brüstung. »Ist Ihnen bekannt, daß man die Drehwurmkrankheit durch den Kot bereits kranker Tiere auf gesunde Herden übertragen kann?«

»Und das tat Robert Battingham …?!«

»Vor Gericht wäre ihm natürlich nichts nachzuweisen gewesen … Außerdem war er Lord. Aber er tat es, die Ruxas in einem Jahr bettelarm, denn eine Farm muß nach einer solchen Seuche erfahrungsgemäß zehn Jahr brach liegen, bevor die Infektionsgefahr aus dem Boden beseitigt ist. – Aber dies nicht allein, Abelsen: die Ruxas hatten Barvermögen, aber die betreffende Bank verkrachte, da der von Battingham gegründete Goldexporttrust es wollte. Der Graf erschoß sich, seine Frau wurde … wahnsinnig und … vergiftete sich mit dem Saft des australischen Nachtschattens … Ethel und Paloma fristeten hier allein ihr jämmerliches Dasein, niemand kaufte die verseuchte Farm, Gläubiger nahmen die kostbaren Möbel – nur einer schickte den Schwestern, was er sich absparen konnte …«

»Sie, Dingo …«

»Hören Sie weiter … – Paloma, ein Mädchen, das den Teufel im Leibe hatte, hielt es nicht lange in diesem entleerten trostlosen Hause aus und ging in die Minendistrikte. Sie fand eine ertragreiche Stelle, aber der Trust strengte eine Besitzklage gegen sie an, und die Betrogene ward … Buschklepperin. Mit der Zeit sammelte sie eine eigene Bande um sich und begann den Rachefeldzug gegen den Trust und Battingham, was schließlich dasselbe war. Sie erfand immer neue Tricks, die Goldtransporte zu plündern. Inzwischen hatte Ethel, die sanftere, den alten Kapitän Murray geheiratet, der für den Grafen Ruxa einen Dreimaster lange Jahre als Frachtschiff für Wolle befehligt hatte und der Verarmten seine Staatspension als früherer Hafenlotse sichern wollte. Es war keine Ehe, Abelsen, es war ein Geschäft aus Dankbarkeit. Murray war ein Ehrenmann.«

Er schaute zum Nachthimmel empor … Das Kreuz des Südens, Milliarden von Sternen, flimmerten friedlich auf ihn herab.

»Inzwischen war noch anderes geschehen. Eines Tages verschwand der alte Battingham – alt war er gerade nicht, erst fünfundfünfzig, – und hier auf der Farm, genau an der Stelle, wo der Graf sich erschoß, ward ein Kreuz gefunden … Es trägt oben einen Anker und am Fuße des Hauptbalkens das eingeschnittene Bild eines wilden Hundes … Vielleicht soll der Anker als Symbol der Schiffahrt auf den anderen Rächer hindeuten …«

Mir lief es kalt über den Rücken …

»Lebte … er noch, Dingo?«

Er überhörte die Frage, aber seine Zähne zerbissen knirschend die Spitze seiner Meerschaumpfeife … »Ich war reich geworden. Meine Millionen arbeiteten, aber all meine Versuche, mit Paloma persönlich mich auszusprechen, schlugen fehl … Auch Geld ist machtlos, Abelsen, wenn ein Weib besessen ist, und Paloma behagte das Spiel mit dem Tode. – Noch anderes geschah. Battinghams einziger Erbe kam von London und suchte den Vater, natürlich umsonst. Das Schicksal führte ihn mit Paloma zusammen, und das Leben, das böse Romane braut, brachte das Wahnwitzige fertig, daß Robb Battingham sich in die schöne Brigantin verliebte und in der Wildnis blieb – als ihr Verehrer, Beschützer und Freund. – Ethel, die seit Jahren nichts von Paloma gehört hatte, bestürmte mich mit Bitten, Paloma zu retten, da Oberst Bluß sie bestimmt aufknüpfen würde. Wir beschlossen, Paloma gewaltsam außer Landes zu schaffen. Meine Spione meldeten mir, daß sie irgendwo am Bruke-Fluß ihren Schlupfwinkel habe. Wir rüsteten schnell den Dreimaster aus und segelten durch die Torres-Straße in den Golf von Carpentaria. Ein Taifun zerschlug das Schiff und alle unsere Pläne, Paloma mit dem Dreimaster nach Java zu schaffen. – Sie merken, Abelsen, ich nähere mich der Gegenwart.«

»Weiter …!« Die Spannung in mir war unerträglich geworden.

»Die Besatzung und Kapitän Murray ertranken … nur Ethel und ich blieben am Leben. Ich trug ärmliche Kleidung, – das Parlamentsmitglied Bell Dingo durfte keine Räuberin der Gerechtigkeit entziehen. Wir sahen Ihre wunderbare Insel, das Wrack streifte sie, – Sie vertäuten es, kamen an Bord, und wir schlichen derweil in Ihr schwimmendes Heim hinab, – ich zeigte mich Ihnen, während Ethel im Vorratsraum verborgen blieb, – ich zog Paloma aus den Wellen, als Ihre Insel von Lord Robbs Motorkutter fast an Land geschleppt worden war …«

»Aber … der Kampf, den wir hörten«, sagte ich ebenso erstaunt wie verwirrt.

Bell Dingo warf seine zerbissene Pfeife in die Büsche und erklärte: »Bedenken Sie, daß Paloma die Polizei schon hundertfach an der Nase herumgeführt hatte. Es war alles richtige Spiegelfechterei. Aber ich merkte das erst später. In der ersten Überraschung verriet ich Paloma, änderte jedoch mein Benehmen und schützte sie, natürlich schützte ich sie, denn Sie waren mir ein Fremder, Mister Abelsen. Sie besinnen sich auf Robb Battinghams Erscheinen vor dem Unterseefenster: Paloma tat, als wäre es Colonel Bluß, und ich mußte dazu schweigen, obwohl mir damals schon der Verdacht aufstieg, Paloma und Robb wollten Ihre Insel an sich bringen, um sie als treffliches Versteck zu benutzen. Ich argwöhnte das und entfernte die Schildchen von der Schalttafel, damit Paloma die Hebel nicht bedienen könnte …«

»Meine Hochachtung, Dingo! Ich sehe nun ziemlich klar …«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich fürchte, Sie sehen nicht klar … Ich ahnte die Wahrheit erst, als ich die fünf frischen Gräber am Strande heimlich geöffnet hatte und sie leer waren. Palomas Plan war damit entschleiert, und ich ließ Ethel fortan Palomas Rolle spielen, während Paloma schon gefesselt in der Höhle lag …«

»Erlauben Sie, bester Dingo, – die Einzelheiten gehen mir etwas durcheinander …«

»Mir nicht. Der erste Überfall auf uns erfolgte natürlich durch Robbs Leute, das wissen Sie … Robb wollte Paloma zurückerobern, nachdem wir den Anschlag auf die Insel vereitelt hatten.«

Ich griff nach seiner Hand. »Und – Ihre Mutter?! Es war Ethel …?!«

»Meine Mutter ist lange tot …« Seine Augen schlössen sich halb. »Ethel war's … – Dann faßten mich Robbs Leute draußen ab, und Robb, der mich nie vorher gesehen, wollte mich zwingen, Paloma auszuliefern … Da schössen Sie, schössen tadellos, lieber Abelsen, und das Weitere ist so einfach: Der echte Bluß tauchte auf, Robb erhielt den Brustschuß, ich schickte Ethel mit Paloma voraus zur Farm …«

»Oh – deshalb der Ruf im Höhlengang: »Robb, – – er stirbt!!« – und derselbe Schrei hier im Hause … – Wo sind die drei jetzt?!«

»Ich sagte die Wahrheit: Bei den Toten. – Es wird Zeit, kommen Sie, Oberst Mallingrott ist nicht mehr zu fürchten. Er glaubt mir blindlings, er würde nie annehmen, daß ein vielfacher Millionär aus Treue und Dankbarkeit seine Haut für die Kruxa der Steppe zu Markte tragen könnte. Er denkt eben wie ein Weißer – entschuldigen Sie, Abelsen.«

»Bitte, ich pflichte Ihnen durchaus bei«, – und mein Händedruck war genau so warm und kräftig, wie ich stets des braunen Coy' Hand gedrückt hatte. »Dingo, ich hatte einmal einen Freund, und der war ein armer indianischer Jäger und Fischer, aber in seinem mächtigen braunen Brustkorb schlug ein Herz von so rührender Treue und Selbstlosigkeit, wie ich es nie wieder auf dieser miserablen Erde anzutreffen glaubte. Ich habe mich geirrt, Bell Dingo. Und kläglich genug ist es für das anmaßende Pharisäertum der weißen Rasse, daß dieses innere Ebenbild meines Coy auch wieder ein Mensch mit dunklem Hautpigment ist: Sie, Bell Dingo!«

Er schaute zur Seite und entzog mir seine Hand. »Kommen Sie, Abelsen … Sie haben das Grabmal der Ruxa noch nicht gesehen. Als ich Besitzer der Farm geworden, die ich allerdings selten genug besucht habe, ließ ich die beiden Toten, die mir ebenfalls Gutes erwiesen hatten, sofort umbetten. Als das Mausoleum fertig war, hat der Bischof aus Sydney es eingeweiht und die Leichen neu eingesegnet. Ethel und ich suchten Paloma zu benachrichtigen, aber sie war wie stets unauffindbar. Kommen Sie …«

Daß er die Grabkapelle hatte bauen lassen, daß er dies hier wie etwas Selbstverständliches erwähnte – und er wollte sich damit wahrlich nicht herausstreichen –, entsprach nur dem Gesamtbild seines Charakters. – Dieser Mann war ein Australneger von abschreckender Häßlichkeit. Blickte ich jedoch jetzt in sein kluges bescheidenes Gesicht, so entfiel das Äußere vollkommen und ich sah nur durch diese Züge hindurch den Widerschein einer großen Seele.


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