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XII.

… Alles, was das Leben mir schenkte, waren nur Seifenblasen … alles, selbst jene Ereignisse, die das Blut gleich einem Lavastrom durch die Adern trieben und das Herz zu hüpfenden Sprüngen hetzten.

Verblichen – wie Tinte auf einem Papier, das der grellen Sonne ausgesetzt wird.

Und die Sonne, die unsere Erinnerungen auslöscht bis auf wehmütiges Gedenken an das, was am bleibendsten haftet: Menschen, die man lieb gewonnen –, diese Sonne ist doch wieder nur dasselbe Leben und Erleben, das uns das Frühere schenkte.

Ich lehne mich zurück in dem harten Bambusstuhl und blicke hinaus über grüne Hügel und Tiefen, über die Wildnis eines anderen Erdteils.

Wie war das doch damals, als ich über dem Buchenast lag, die Schlinge um den Hals, und der Wind die beiden Äste fast taktmäßig schwingen ließ?! Es war der Abendwind der australischen Nordküste, und dieser Wind war die Kraft, die mich langsam töten sollte, damit ich verriete, was ich selbst nur lückenhaft wußte.

Wie war das damals …?! – Auch das ist verwelkt … Ich werde es aufblühen lassen. Es ist ein böses Kapitel.

Am künstlichen Weiher stand da eine Buche mit ausgesprochen blauen Blättern. Zwei Äste hingen weit über dem Wasser, und Colonel Bluß hatte eine Phantasie gezeigt, die durch die Instrumente der Folterkammern des finsteren Mittelalters kaum übertroffen werden konnte.

Der eine Ast trug mich bäuchlings, gefesselt, der andere die lange breite Blattsäge, die vorn beschwert war. Jeder Windstoß trieb die Säge tiefer in meinen Ast, und ich konnte ziemlich genau vorher berechnen, wann er unter meiner Last brechen würde und ich hinabgleiten mußte und am Halse aufgehängt werde, bis ich stürbe.

»Wenn Sie sich eines besseren besonnen haben, können Sie rufen«, hat der Colonel gesagt und war mit seinen Leuten zurückgekehrt in den Ruxa-Palast. Nur eine Wache blieb bei mir und langweilte sich und rauchte Pfeife. Drehte ich den Kopf nach links, dann sah ich die Säge arbeiten und die dunkle Holztür zu dem düsteren Grabmal der Eltern Ethels und Palomas. Rechts sah ich die Wasserfront des prächtigen Farmhauses … –

Manches war noch vordem geschehen.

Ich zitterte um Ethel, und als der Ring der etwa vierzig Queensländer sich immer enger um die Gebäude zog, fieberte ich wie ein Kranker und war doch nur ohnmächtiger Zuschauer.

Bluß gab ein letztes Signal, und wir ritten im Galopp durch den Park bis vor die Terrasse.

Plötzlich ging die Flügeltür auf, und Bell Dingo in einem weißen Anzug, den nur ein erster Schneider gefertigt haben konnte, in seidenem Hemd, koketter Krawatte und blendend zarten Schuhen trat dem erhitzten, verschwitzten Colonel gegenüber.

»Ich heiße Sie willkommen, Oberst«, sagte er in einem besseren Englisch, als ich es je gesprochen habe. »Befinden Sie sich auf einem Ausflug? Denn dienstlich hätten Sie hier im Nordterritorium nichts zu suchen. Hier ist nicht Queensland, und ich habe mir erlaubt, Ihren Kollegen aus Bocraloola telephonisch herbeizurufen, damit Sie nicht Ungelegenheiten mit unserem Gouverneur haben, der den Queensländern nicht gerade gewogen ist.«

War das noch mein bescheidener Ai ai, der dem gefürchteten Bluß so kühn unter die Nase rieb, daß er hier nichts zu suchen hätte?!

Bluß schien jedoch auf Ähnliches vorbereitet gewesen zu sein. Er stieg gelassen vom Pferde, zog ein Papier aus der Tasche … »Sie können ja lesen, Dingo …«

»Mister Dingo«, verbesserte der schwarze Farmer. »Immer noch Mister Dingo … Nicht einmal der Herr Generalgouverneur würde mich so plump vertraulich anreden, und – was soll der Wisch da?«

Ich hielt den Atem an. Würde der Colonel auch das einstecken?! Wer war Dingo?! Doch schließlich nur ein reich gewordener Australneger! Ich kannte ja den grenzenlosen Hochmut aller Engländer gegenüber Farbigen.

Arthur Bluß biß sich auf die Lippen. Und die lagen jetzt frei. Der falsche Bart war verschwunden, und dieser Mund, von dem sich zwei Falten wie Wülste zum Kinn verloren, verhieß nichts Gutes.

»Lesen Sie das, was Sie Wisch nennen«, sagte der Colonel unheimlich ruhig. »Lesen Sie, und dann …«

Bell Dingo hatte das Papier schon entfaltet. »Ach so – eine besondere Vollmacht für Sie, Mister Bluß, ausgestellt vor einem Monat im Büro des Generalgouverneurs.«

»Ja – geltend auch für das Nordterritorium, Mister Dingo!«

»Allerdings, nur nicht für den Bezirk meiner Farm …« Und dieser verteufelte, häßliche Schwarze faßte in die Brusttasche, holte eine Brieftasche mit Goldbeschlägen hervor und entnahm ihr möglichst umständlich ein Papier mit großem durchgedruckten Siegel. »Auch vom Generalgouverneur, Mister Bluß«, meinte Freund Ai ai mit gleichbleibender höflicher Sachlichkeit, »aber ausgefertigt vor drei Wochen, also jünger als Ihre Vollmachten. Ich bin hier auf der Ruxa-Farm bereits viermal Palomas wegen ganz unnötig belästigt worden, und deshalb enthält dieses Schriftstück den ganz unzweideutigen Befehl an sämtliche Polizeibeamten des Landes, nur mit meiner Genehmigung hier irgendwelche Durchsuchungen oder sonstigen behördlichen Maßnahmen vorzunehmen. Lesen Sie, Mister Bluß.«

Der Oberst riß ihm den dicken Bogen aus der Hand und gab ihn ihm schweigend zurück. Es war ein unheilverkündendes Schweigen, und ich glaubte allen Ernstes, Bluß würde sich den Teufel was um diese schriftliche Rückendeckung Dingos kümmern und verdammt kurzen Prozeß machen.

Ich irrte mich. Bluß war dunkelrot, und sein Unterkiefer hatte sich noch weiter vorgeschoben, die Kinnfalten waren wie Muskelstränge gespannt und in seinen Augen loderte es vor verhaltenem Grimm.

Er holte ganz tief Atem. Sein Atem pfiff wie ein Blasebalg, und seine Stimme klang ganz fremd, als er sagte:

»Sie, Mister Dingo, sind der erste Neger im australischen Parlament, Sie sind Mitglied verschiedener Regierungskommissionen … Trotzdem würde ich die Ausnahmestellung, die Ihnen verbrieft ist, nicht im geringsten respektieren, wenn Sie mir die Erlaubnis zur Durchsuchung der Gebäude, des Parkes und der Umgebung verweigern wollten.«

»Keineswegs …« nickte der schwarze Millionär. »Suchen Sie ganz nach Belieben … Aber – was suchen Sie?«

Der Colonel, wirklich ein Prachtkerl und anderthalb Köpfe größer als der freilich breitschultrige Dingo, brüllte jetzt los …

»Weil Paloma hier ist, wahrscheinlich auch Ethel Murray und der blonde Narr, der sich durchaus Palomas wegen hängen lassen will …!«

Bell Dingo lächelte sanft. »Wie kommen Sie auf diese geradezu alberne Vermutung?! Ich hätte wirklich Lust, meine Erlaubnis zurückzuziehen und Sie zu ersuchen, schleunigst wieder davonzureiten. Aber ich sehe zu meinem Bedauern, daß Sie einen Herrn, der heute ein paar Stunden mein Gast war, irrtümlicherweise verhaftet haben. – Wo geschah dies, Mister Elsen?« wandte er sich an mich.

Bluß fuhr dazwischen. »Weg von dem Manne, schwarze Kröte!!« Er war jetzt fahl vor Erregung … »Der Mann ist mein und bleibt mein, und du, elender Nigger, sollst mich nun gleichfalls kennen lernen!!«

Der Colonel hatte jede Selbstbeherrschung verloren. Er stieß Dingo zurück und versetzte meinem Gaul einen Hieb gegen die Nüstern, daß der Braune einen Satz rückwärts tat. Nur durch Schenkeldruck bekam ich das Pferd zur Ruhe. Ich blickte auf Bell Dingo, und ich sah in seinem Gesicht genau dieselbe Veränderung wie damals in meinem Arbeitsraum der Insel … In diesem Moment gab ich für Arthur Bluß' Leben keinen Penny … Diese Beleidigungen würde er niemals ungerächt hinnehmen, – er, Mitglied des Parlaments und sicherlich Vertreter der gesamten Eingeborenen des Landes …

Zu meinem Erstaunen sprang er jedoch dem Colonel nicht an den Hals –, seine Eisenfaust hätte Bluß für alle Zeit erledigen können. Er war der Beherrschtere, er sagte nur unnatürlich heiser: »Dies wird Sie Ihre Stellung kosten, Oberst.«

Der andere, nur noch ein Bündel zitternder Nerven, lachte schrill. »Das weiß ich, du schwarzer Hund … Aber dich wird es das Leben kosten!« Und mit flinken bebenden Fingern zerriß er Dingos Urkunde in mehrere Stücke, schob sie in die Tasche und höhnte in billigem Triumph: »So – nun werden wir ja hier sehen, was wir hier finden … Ich werde finden, und dann baumelst du!!«

In gewissem Maße war dieser explosionsartige Wutanfall des Colonels begreiflich. Er mochte wohl genügend Beweise dafür haben, daß die Schwestern hierher geflüchtet waren. Er hatte Paloma Ruxa seit zwei Jahren verfolgt, er hatte die Säuberung der Minendistrikte von räuberischem Gesindel als seine Lebensaufgabe betrachtet, er hatte Tom Smeet, Billy Brank, Smardy und andere Bandenführer an den Galgen gebracht, nur ausgerechnet die frechste, kühnste und erfolgreichste der »berühmten« Desperados war ihm bisher stets entwischt: Das Kreuz der Steppe Paloma Ruxa! Sollte er sich nun vielleicht um den Enderfolg monatelanger Bemühungen durch Dingo prellen lassen, mußte nicht die helle Wut mit ihm durchgehen, wo er doch im Recht war und sich auch im Recht fühlte? Ich wußte, daß er im Recht war, und im Grunde bedauerte ich ihn. Er würde hier natürlich umsonst suchen, – Dingo hatte die Bedrohten längst versteckt, daran zweifelte ich nicht. Und wenn er in seiner blinden Tollheit sich soweit vergaß, etwa Dingo wirklich aufzuknüpfen, dann würde man ihm den Prozeß machen, dann würde es zu einem Streik der farbigen Unionarbeiter kommen, die ohne Zweifel geschlossen hinter Dingo standen, – dann würde, wie ich's hier einst selbst erlebte, der Farbige über den Europäer letzten Endes triumphieren …

Ich rief Bluß zu, und ich meinte es nur gut mit ihm: »Mäßigen Sie sich doch, Colonel! Bedenken Sie, was Ihnen bevorsteht, wenn …«

Arthur Bluß schien nur rote Nebel zu sehen … Es ist schon etwas an dem allerdings vielfach übertriebenen Gerede vom Tropenkoller. Bluß war nicht mehr normal. Bluß riß die Pistole aus dem Lederfutteral …

Da sprang Dingo wirklich zu –, die Pistole flog in die Büsche, und der schwarze Millionär schleifte den bewußtlosen Colonel wie einen schlappen Sack in die Vorhalle und warf die Tür zu.

Die Queensländer, noch immer zu Pferde (vor der Terrasse hielten acht Mann, die anderen waren um die Baulichkeiten verteilt), rührten sonderbarerweise keine Hand, ihrem Chef beizustehen. Ob sie diese Wutausbrüche an ihm kannten, ob sie nicht mit ihm die Verantwortung für das tragen wollten, was hier an Gesetzwidrigkeiten geschah? Sie hatten gehört, daß Bell Dingos Farm durch einen klaren Befehl von höchster Stelle gegen polizeilichen Zugriff geschützt war, sie hatten mit angesehen, wie Bluß dieses Schriftstück zerriß.

Ich wandte mich um und musterte ihre braunen Gesichter. Sie schauten völlig gleichgültig drein, horchten nur, wie ich, auf den infernalischen Lärm, der sich jetzt in der Vorhalle erhob. Es schien, als ob dort ein bestialischer Kampf tobte. Wilde Schreie, Schüsse, das Krachen umstürzender Möbel wurden übertönt von Bluß' heller, messerscharfer Stimme. Mit einem Schlage trat wieder Ruhe ein. – Diese Szenen dort drinnen, meinen Augen verborgen, erinnerten mich an den nächtlichen Kampf in der Bucht, kurz bevor Dingo die Frau aus dem Wasser zog, die sich dann für Ethel Murray ausgegeben hatte und die doch nur Paloma gewesen sein konnte. Ich zweifelte kaum mehr daran, obwohl die Zusammenhänge der Ereignisse mir dunkel blieben.

Das Palasttor flog auf, und Bluß mit blutigem Gesicht trat heraus, gefolgt von fünf seiner Beamten, die den armen Dingo vor sich herschoben.

Dingos Kleider waren Fetzen. Aber auch seine Überwinder hatte er übel zugerichtet. Der Colonel trat an die Rampe und rief hinab: »Jungens, nun hurtig … Das schwarze Schwein haben wir, und die übrigen finden wir auch … Sie müssen hier sein.« Seine Unterlippe war nur noch eine bläuliche, dicke Pflaume, seine Zähne schienen gleichfalls gelitten zu haben, und das Sprechen bereitete ihm Schwierigkeiten.

Die Reiter johlten ihm begeistert zu. Ich hatte sie doch falsch eingeschätzt. Colonel Bluß konnte sich auf die Seinen verlassen. Colonel Bluß war ihr Abgott, schonte sich nie, war ihnen mehr Freund als Vorgesetzter.

Bluß trat zu mir. Ich konnte meine Augen nicht losreißen von Dingos Gesicht. Ein fürchterlicher Ausdruck lag darin. Es gibt keine Worte, diesen Ausdruck zu schildern.

»Jetzt kommen Sie an die Reihe!« zischte Bluß mich an. »Wollen Sie reden? Wo sind die Weiber? Wo ist Lord Robert Battingham?« Bluß' blutunterlaufene Augen fraßen mich in elementarer Mordgier.

»Ich war hier Gast, und ich habe Ihnen gesagt, was ich zu sagen hatte«, erklärte ich kalt. »Sie werden diese Stunde bereuen, Oberst! Hier geht es nicht um das, was man Pflicht nennt, sondern um das, was einem Manne das Hirn versengt: um ein Weib!! Sie verstehen mich wohl.«

Sekundenlang senkte er den Blick. Der Vorwurf hatte getroffen. Es ging eben um die große Narrheit Liebe, und Bluß war vernarrt in sein Opfer, das er gehetzt und verfolgt und nun endlich eingekreist hatte.

»Schade um Sie, Oberst«, fügte ich hinzu. »Ein Mann, der an einem Unterrock hängt, bleibt ein jämmerlicher Schwächling!«

Es war unklug, ihn noch mehr zu reizen. Sein grelles Lachen war die Einleitung dessen, was folgte. Ich wurde ins Haus geschleppt, zwei Stunden lag ich krumm geschnürt, daß mir fast das Rückgrat brach. Zwei Stunden durchstöberten die Queensländer die Gebäude, den Park, – jeden Winkel. Als die Sonne sank, trug man mich, da ich nicht mehr gehen konnte, zu der Buche am Weiher. Ich lernte Bluß' teuflischen Galgen kennen. Bluß war in ohnmächtiger Wut erstarrt. Er hatte nichts gefunden … nichts. Und ich hatte Bell Dingo nicht mehr zu Gesicht bekommen.


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