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III.

Bell Dingo flüsterte rauh: »Besser gehen hinab, Mussu … Ich hören Ruderschläge … Boot kommen …«

Ich beugte mich mit angespannten Sinnen weit vor.

»Komm', Freund Dingo …« – es war Zeit, die Insel tauchen zu lassen. »Komm –, wer die Leute auch sein mögen, sie werden uns nicht finden.«

Aber seine Bärentatze – und doch die treueste Freundeshand, die ich je gedrückt habe – zwang mich zum Bleiben.

»Mussu, still sein …!!«

Auf seinen braunen Segeltuchschuhen, die er so sorgsam schonte, glitt er bis zum Wasser hinab. Seine Bewegungen waren in diesem Augenblick völlig die eines Wilden der weiten australischen Einöden, vielleicht die eines vierbeinigen Dingos von der großen Nachbarinsel Tasmanien.

Dann regte er kein Glied, schob den Kopf lauschend vor und verfolgte offenbar mit dem Gehör den Kurs des Bootes, von dem nichts als das Knarren der Dollen und das Plätschern der Ruderblätter zu vernehmen war.

Ich irrte mich abermals.

Bell Dingo eilte nach links davon, seine Gestalt wurde undeutlicher, ihre Umrisse zerflossen – – er bückte sich ganz tief, und mit einem Male hob er aus der sanft brandenden Flut eine zweite Gestalt empor, trug sie im Arm die Steilküste hinan, winkte mir zu. Erst unten in meinem erleuchteten Wohngemach warf ich einen Blick auf den neuen Gast: Es war ein Weib! – Ihre bleiche Schönheit verwirrte mich … Ich bediente zerstreut die Hebel, und die Tauchbassins füllten sich. Meine Insel versank … Ein sanfter Stoß bewies mir, daß die Wassertiefe hier in der Bucht kaum genügte, die höchsten Bimssteinklippen des Eilandes zu überfluten.

Als ich zu meinen beiden Gefährten zurückkam, saß die blasse Frau im Schreibtischsessel, und Bell Dingo lehnte ihr gegenüber an der Wand. Ihre dunklen Augen schauten mir flehend entgegen …

»Dieser Schwarze da ist entsetzlich, mein Herr«, sagte sie in fließendem Französisch und hob die Arme, als wollte sie meinen Schutz gegen Freund Dingo erbitten.

Es hat eine Zeit gegeben, da ich jedem Weibe mit so wundervollen Augen blindlings vertraut hätte. Meine Leichtgläubigkeit liegt dort irgendwo im Norden auf der anderen Seite der Erdkugel begraben in einer verwanzten Zuchthauszelle. Und diese Frau war fast zu schön, um nicht bis ins Mark hinein angefault zu sein. Schönheit ist das bequeme Sprungbrett zu Eitelkeit, Genußsucht, Lüge und Überschätzung des eigenen Ichs.

»Wer sind Sie?« fragte ich absichtlich auf englisch, damit auch Bell Dingo alles verstände.

Von der Wand her kam die Antwort, und der Australier unterstrich seine Worte durch eine drohende Handbewegung:

»Das sein La Kruxa von große Wüste, Mussu, – sein größte Banditin Australiens …«

La Kruxa?! Was sollte das?!

Die Frau selbst gab die Erklärung, und ihre Stimme wurde von Tränen halb erstickt: »Bin ich verantwortlich dafür, daß meine Schwester ›Das Kreuz der Steppe‹ genannt wird?!«

Ich entsann mich. Ich hatte ja das Paket Zeitungen gelesen …: australische Blätter, und in jeder Nummer waren da neue Heldentaten dieser geheimnisvollen Straßenräuberin erwähnt worden. Auch ihr Bild, ihre Lebensbeschreibung und sogar ihre Handschrift waren zumeist in enger Verbindung mit einem Steckbrief und einer Belohnung von 1000 Pfund Sterling für ihre Ergreifung mit veröffentlicht worden. Sie besaß eine Schwester, diese fast märchenumwobene Brigantin, und diese Schwester war verheiratet mit einem braven Schiffskapitän.

»Ich bin Ethel Murray, geborene Ruxa«, erklärte sie weiter, und ihre Tränen mischten sich mit den Wasserrinnsalen, die aus ihrem nassen Reitanzug aus Kordstoff auf den Bastteppich flossen.

»Retten Sie mich, wenn Sie ein Gentleman sind …! Die Polizei verfolgt mich. Ich habe mich für meine Schwester Paloma geopfert.«

Australische Räuberromantik war mir nichts Neues. Vor Jahren hatte ich als Ingenieur in Sydney gearbeitet, war dabei mehrmals bis tief hinein in die Wüsteneien des kleinen Kontinents gelangt, ich kannte die riesigen Schaffarmen mit ihren meilenlangen Stacheldrahtzäunen, ich hatte Goldgräberlager besucht, ich war Schlafgast in entlegenen Polizeistationen gewesen. Australien ist noch heute wie einst Schauplatz toller Kämpfe zwischen Banditen und Polizei. Immer wieder werden Goldtransporte überfallen, immer wieder sammeln sich verzweifelte Elemente um einen besonders wagemutigen, intelligenten Anführer. Diese Buschklepperbanden sind kaum zu fassen. Dazu ist das Innere zu dünn besiedelt, die Entfernungen zu groß, die Verstecks zu zahlreich, die Wälder zu endlos, der Busch zu dicht und zu unwegsam.

Was ich über die Paloma Ruxa, stets nur die Kruxa (als verstümmeltes Gebilde aus Krux: Kreuz und dem Familiennamen Ruxa) genannt, gelesen hatte, übertraf freilich alles bisher Dagewesene. Sie, zweite Tochter eines durch die Schafpest verarmten Farmers spanischer Abkunft, durfte sich rühmen, volle zwei Jahre ganz Australien in Atem gehalten zu haben. Man sagte ihr nach, sie habe in diesen zwei Jahren nicht weniger als 50 000 Pfund Sterling in Gold zusammengeraubt. Man dichtete ihr einen reichen Liebhaber an, der, von ihrer blonden Schönheit bezaubert, für sie insgeheim eine eigene Schutzwache halten sollte. Dieser Narr sollte ein englischer Lord sein –, sollte, sollte –, niemand wußte Genaueres. Wahrscheinlich hatte ein phantasievoller Reporter diesen Lord sich aus den schreibfreudigen Fingern gesogen –, wahrscheinlich würden auch die 50 000 Pfund Sterling später arg zusammenschrumpfen … Ich bin in allem so zweifelssüchtig gewesen, nachdem ich eine ganze Anzahl Monate allnächtlich Wanzenjäger gespielt habe.

Aber eins blieb bestehen: Paloma Ruxa mußte schön sein! – Steckbriefbilder schmeicheln niemandem. Sie sind Erzeugnisse nüchternster polizeilicher Maßnahmen. Kein Retoucheur, keine Retoucheuse bemühen sich bei diesen Konterfeis um Übermalung der Falten und um Korrekturen an Verfehlungen von Mutter Natur. Bell Dingo freilich hätte auch ein Retoucheußchen niemals die groteske Häßlichkeit genommen. Seine Krimmermütze von Perücke verdarb an sich schon alles. –

Sollte ich diesem Weibe Glauben schenken?!

Hatte nicht Freund Dingo sofort verraten, daß die Frau ihm nicht fremd war?!

Ich blickte ihn an, und – das infame breite Grinsen aus seinem Mohrenantlitz war verschwunden. Er nickte mir flüchtig zu …

»Ai ai, Mussu –, kann schon sein, Mussu … Ich nicht kennen so genau Bilder von Schwestern Ruxa …«

Die Frau erhob sich jäh.

»Machen Sie Ihre Hilfeleistung von der Aussage eines Schwarzen abhängig, mein Herr?!« Ihre Stimme klang verzweifelt wie vordem, aber ich spürte sehr wohl: Ethel Murray-Ruxa war tief verletzt!

»Behalten Sie Platz«, sagte ich gemessen. »Sie dürfen es mir nicht verargen, daß ich vorsichtig bin … Bevor Bell Dingo Sie aus dem Wasser fischte, geschah hier auf meiner Insel so allerlei, das sehr der Aufklärung bedarf.«

Ich ging zum Schreibtisch, ich fand den Steckbrief in den Zeitungen bald heraus und verglich das Bild mit meinem weiblichen Gast. Paloma Ruxa, die Brigantin, war blond, hatte einen hellblonden Bubikopf und dunkle Augen, stark gewölbte dunkle Brauen und trug goldene Ohrringe. Diese Frau hier, die noch immer mit bleichem Gesicht in ihrem triefenden Anzug in ablehnend-kühler Haltung neben dem Schreibsessel stand, war dunkelhaarig, trug keine Ohrgehänge und hatte die blonden dünnen Brauen offenbar nachgetuscht. Im übrigen war die Ähnlichkeit verblüffend.

Ich schaute sie an und sie errötete vor Empörung. Ihre Stirn krauste sich, und noch ablehnender ward ihre Haltung.

»Mein Herr, lassen Sie mich hinaus«, verlangte sie sehr bestimmt. »Mag die Polizei mich fangen, mag man mich vor Gericht stellen, weil ich für Paloma eintrat und … – aber das geht Sie nichts an.«

Ich mußte lächeln. Sie hatte keine Ahnung, daß über der Falltür mit den Gummileisten nun zwei bis drei Meter Wasser standen.

»Sie werden sich gedulden müssen«, meinte ich nur. »Zur Zeit sind diese Räume das sicherste Versteck für jeden, der guten Grund hat, die Menschen zu meiden.«

Sie hob den Kopf. »Man wird hier gewaltsam eindringen …«

»Nein. Ich glaube kaum, daß die australische Buschpolizei Taucheranzüge und Luftpumpen mit sich führt. – Sie können in Ihren nassen Kleidern nicht gut bleiben. Bitte – dort die Tür … Im Schranke finden Sie Anzüge, Wäsche … Bedienen Sie sich. Nachher können Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Vorläufig betrachte ich Sie als meinen Gast.«

Sie zögerte. »Ihr Benehmen, mein Herr, ist nicht gerade einladend … Ich würde es wirklich vorziehen, wieder …«

»Ziehen Sie sich um. Was Sie vorziehen, spricht hier nicht mit.«

Sie schritt langsam auf die schmale, eiserne Tür zu. Ich sah, daß sie den linken Fuß unmerklich nachschleppte. Sie war erschöpft, vielleicht gar verwundet. Mein Mißtrauen tat mir bereits leid.

»Frau Murray, wäre Ihnen mit einem Schluck Wein gedient?« fragte ich milder, und eilte zu ihr und öffnete ihr die Tür zu meinem Schlafgemach und schaltete dort das Licht ein.

»Danke«, sagte sie stolz. »Ich werde Sie nicht länger belästigen, als es unbedingt nötig ist.«

Die Tür fiel zu, und ich wandte mich um und sah Bell Dingo am Schreibtisch über die Zeitung gebückt. Er blickte auf.

»Mussu, das doch sein die andere, nicht die Kruxa der Steppe«, brummte er etwas scheu.

»Kennst du Paloma Ruxa?«

»Ich ihr wenig kennen, ai ai, Mussu … Das lange her, sehr lange … Das waren im Busch, Mussu …«

Weitere Fragen waren zwecklos. Dingo schien in der Tat von Paloma nichts mehr zu wissen.

Ich hatte im Schreibtischsessel Platz genommen. So sehr ich mich auch anfänglich über Bell Dingos Erscheinen gefreut hatte, jetzt war selbst für mein Einsamkeitsgefühl allzu zahlreicher Besuch bei mir aufgetaucht. Eine Frau zählt für sechs. Eine Frau verlangt Rücksichten und bringt Unruhe. Meine Wege abseits vom Alltag hatten ihre Merksteine: Weibernamen, Liebe, die anderen galt –, wo Weiber, da Liebe. Und nun noch diese Frau!! Ethel Murray, Schwester einer Verfolgten –, pikant, verführerisch, eine Evatochter mit Märchenaugen! Was würde sie mir nachher erzählen – vorlügen?!

Sinnend blickte ich auf das dicke Glasfenster. Ich hatte versäumt, die Blende vorzuschieben, und der Lichtschein mußte hier im flachen Wasser der Bucht unbedingt auffallen.

Meerespflanzen wogten fahlgrün außen im Wasser, Schwärme kleiner Fische zogen im Bereich der erleuchteten Bahn vorüber, ein Kugelfisch stieß sich die Nase an dem Fenster und ruderte davon. Dann schoß ein helles Etwas heran.

Dingo war mit einem blitzschnellen Satz am Fenster.

»Mussu, ein Mann …«


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