Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Es war ein Mann, ein Europäer, nackt bis auf ein Hüfttuch. Er hielt sich mit der Linken außen am Fensterrande fest und preßte das Gesicht dicht an die Scheibe und machte uns allerlei Zeichen. Er war jung und kraftstrotzend, sein schmales Gesicht im Vergleich zu dem hellen Körper tiefbraun, das nasse blonde Haar wogte im Wasser, und die Grimassen, die er schnitt, weckten bei Dingo ein kindliches Kichern.

Dann tauchte er wieder empor, und Bell Dingo sagte kopfschlackernd: »Das sein kein Polizist von Buschstation, Mussu … Polizist kurzes Haar – alle. Wer das sein?«

»Fragen wir Frau Murray nachher …« und ich packte den Hebel und wollte die Außenblende schließen.

Dingo widersprach hastig. »Ai ai, Mussu –. Mann wiederkommen, Mann was wollen von Mussu …«

»Ich traue dem Frieden nicht, schöner Dingo«, – doch seine Faust war stärker, und die Blende blieb wo sie war.

Ich rückte den Schreibtischsessel näher an das Fenster. Im Grunde hatte Dingo nicht so unrecht: vielleicht war der Mann ein Freund Ethel Murrays, vielleicht hatte er an dem Kampfe teilgenommen …

Der Schwarze lehnte neben mir. »Mussu, viel Geheimnis, dies alles«, murmelte er, und in seinen Augen leuchtete das Licht spürenden Geistes. »Ai – ai –, wer nehmen Insel hier ins Schlepptau, wer kämpfen draußen im Nebel, wer siegen da: Polizei oder Freunde von Frau mit dunklem Haar …?« Er zeigte auf die Eisentür. »Frau viel sagen müssen, Mussu … Kann viel Lüge sein. Ich merken, wenn einer lügen …«

Er schaute sehnsüchtig nach dem Aschbecher, in dem nun ein frischer Stummel lag. Seine Backe war inzwischen abgeschwollen und sehnte sich wohl nach Füllsel.

»Bitte, nimm nur …«

Er griff sofort zu –, der Stummel verschwand in einem Munde, der mehr ein Maul war, und Bell Dingo grunzte vor Wohlbehagen. Er war eine bescheidene Seele.

Weniger bescheiden war dagegen der blonde Taucher, der schon wieder vor dem Fenster erschien, jetzt aber auf Verständigung durch Zeichensprache verzichtete und lediglich ein Stück Leinwand gegen die Scheibe preßte, ein richtiges Plakat, das auf einen Holzdeckel genagelt war und in frischer schwarzer Ölfarbe die Inschrift uns vorwies:

»Taucht auf, oder Dynamit!!«

Lateinische Buchstaben von der Länge der Flosse Freund Dingos, englische Worte –, das Ganze eine lächerliche Drohung.

Meine Heiterkeit kam aus unbekümmerter Seele und als nun noch über dem Plakat die wütende Fratze des Fremden auftauchte, gab es für Sekunden ein höchst amüsantes Wechselspiel von tollen Grimassen zwischen Bell Dingo und dem Manne draußen im Wasser, – Dingo schnitt jedoch entschieden besser ab, und der Plakatträger zog es vor, abermals zu verschwinden.

»Vielleicht haben die Herrschaften auch Bomben oder Handgranaten in Bereitschaft«, meinte ich zu dem schwarzen Kameraden, der jetzt seiner Empörung darüber Ausdruck verlieh, daß die Ölfarbe auf der Außenseite der Scheibe sichtbare Andenken an diesen Zwischenfall zurückgelassen hatte. Zur Not ließen sich sogar die Worte entziffern.

Bell Dingos lautes Lamento über den Schmutzfink wurde durch den Eintritt Ethel Murrays unterbrochen. Für gewöhnlich pflegen Damen in etwas zu weiten weißen Tropenanzügen, die für einen Mann von Durchschnittsgröße bestimmt sind, nicht eben verführerisch zu wirken. Ich glaube, Ethel konnte anziehen, was sie wollte: Sie blieb schön! – Und hier in diesem Falle wirkte sie sogar noch verwirrender als vorhin. Sie wußte dies auch offenbar, denn um ihre frischen Lippen spielte ein flüchtiges zufriedenes Lächeln, als ich sie vielleicht allzu ehrlich begeistert eine Weile anstarrte und mir erst innerlich einen sanften Jagdhieb versetzen mußte, um mich wieder zum Herrn der Situation aufzuschwingen. Bell Dingo half mir dabei, denn dieser schwarze Gent mit dem ausgesprochenen Sinn für scharfe Bügelfalten und tadellosen Anzugsitz sagte nach kurzer Prüfung der in weiß strahlenden Ethel:

»Aa ai, Mussu, – das sein zu lange Hosen, zu lange Ärmel, zu breite Schultern, – das nicht sein für Dame, sondern für Bell Dingo passend.«

Es war ein sanfter Wink mit dem Zaunpfahl. Er brauchte auch nicht weiter zu winken, ich wollte ohnedies gern mit Ethel allein sein.

»Geh nur … Ich schenke dir, was du brauchst … Zieh' dich um … Deine blaue Kluft ist stark mitgenommen.«

Dingo strahlte. Wenn er strahlte, machte er den Mund auf und zeigte sein prachtvolles Panthergebiß, blendend weiße Zähne, – nein, Hauer, waren's, und daß sie böse schnappen konnten, sollte sehr bald offenbar werden.

Die Tür klappte hinter Dingo zu, und Ethel Murray setzte sich zwanglos in die eine Ecke des kleinen Glanzledersofas.

Ich blickte hin und blickte wieder weg.

Sie war barfuß. Sie hatte entzückend kleine rosige Füße, – Füßchen wie die eines Kindes.

Ich setzte mich gleichfalls, drehte jedoch den Schreibsessel so, daß ich das Fenster mit im Auge behalten konnte.

Sie dagegen, ihres Liebreizes sich voll bewußt, suchte mit echt weiblicher Diplomatie die große Beichte hinauszuschieben. In harmlosestem Tone fragte sie:

»Wo bin ich eigentlich? Ist dies ein Schiff oder ein Schwimmdock?«

»Beides nicht, Frau Murray … Die Art dieses Fahrzeugs ist unwichtig, genau wie mein Name«, entgegnete ich mit übertrieben scharfer Hervorhebung der Anrede »Frau Murray«. – »Würden Sie mir nun vielleicht mitteilen, wodurch Sie gezwungen wurden, vor der Polizei zu fliehen …?«

Einen Moment erschienen Falten des Unmuts auf ihrer Stirn. »Sie sind nicht eben galant, mein Herr … Sie zweifeln an meinen Angaben. Für Sie bin ich vorläufig …«

»Erzählen Sie!«

Ihre Blicke glitten an mir vorüber und hafteten auf der dicken Glasscheibe.

»Was – – bedeuten die schwarzen Flecken?« fragte sie hastig, und ihre Augen wurden noch starrer. »Ah – es sind Buchstaben, mein Herr, und vorhin war das Fenster sauber … Ich … ich entziffere das Wort Dynamit …«

»Sie entziffern richtig.«

Meine Kaltblütigkeit machte sie sichtlich nervös. »Unterschätzen Sie die australische Polizei nicht!« warnte sie leise und geheimnisvoll. »Bedenken Sie, daß ich meiner Schwester zur Flucht verhalf und daß Paloma, die Unselige, nie wieder den Kerker …«

»Sprechen wir von Ihnen, Frau Murray!« – Ich hatte in den verflossenen drei Monaten völliger Einsamkeit auf meinem treibenden Eiland die Linie meines eigenen Ichs eingebüßt gehabt. Jetzt ward mir dies klar. Schon meine Sehnsucht nach Menschen, nach einem Gefährten war Schwäche gewesen. Meine Gedanken hatten sich in sentimentalen Bahnen bewegt wie die eines Backfisches. Schwermut hatte meine Seele bedrückt. Hätte Coy Cala mich in dem Zustand gesehen, – sein verächtlichstes Lächeln wäre harte, wahre Kritik gewesen. Coy war tot, und ich mußte mich allein zu mir selbst zurückfinden. Ich hatte mich bereits wiedergefunden. Mit Bell Dingo hatte ein neuer Weg abseits des Alltags begonnen. Das Abenteuer war da, und ich, der Abenteurer, Mann ohne Vaterland, ohne Familie, ohne Freund, spürte das Fremde wieder von mir abfallen. Ich war ich, und Olaf Karl Abelsen kapituliert nicht vor dem melodischen Seufzen und dem koketten Augengeklapper eines Weibes.

»Sie sind sehr hart«, meinte diese Frau merklich enttäuscht und musterte mich wenig freundlich.

»Sie scheinen in Ihrem Leben wenig Männern begegnet zu sein«, lautete meine rücksichtslose Antwort. »Wie befreiten Sie Paloma Ruxa?«

Ihre fast geraden, getuschten Brauen hoben sich.

Es war kennzeichnend für sie, dieses Zusammenziehen der Stirnhaut, das stets von einem fast hochmütigen Schürzen der roten vollen Lippen begleitet war. »Mein Herr, Sie sind schlimmer als der Colonel von der Polizeistation Marcadari!« Ihre Augen wurden feucht, in den langen dunklen Wimpern glitzerte eine Träne, aber sie preßte die Lippen scharf zusammen und fügte atemlos vor Erregung hinzu: »Sie sperren mich hier ein … Ist das Gastfreundschaft?!«

Ich griff in die Zigarrenkiste. »Sie haben viel Romane gelesen, schätze ich. Vielleicht Romane von Jane Grey oder Curwood, – amerikanischer Geschmack, Brutalität, Sentimentalität und Naturschilderung in vortrefflicher Dosierung, mit dem notwendigen »Happy End« natürlich: In den Armen liegen sich beide! Mein Erleben, Frau Murray, hat nie ein Happy End gehabt. Ich ging immer leer aus, Gott sei Dank. Ich wuchs nur innerlich für mich selbst bei alledem.«

»Und wurden wie Stein«, sagte sie leise und seufzte.

Ich rieb ein Zündholz an und rauchte.

»Nun – –?!«

Sie warf mir einen rätselvollen Blick zu. Glitzerte Spott darin?! – Sie begann recht eintönig, sie hatte sich gut in der Gewalt, und sie sprach wohl absichtlich so nüchtern im Depeschenstil: »Wir befinden uns hier in einer Bucht des Golfes von Carpentaria im nordwestlichen Zipfel von Queensland, also in einer Gegend, in der es auf Hunderte von Meilen nur eine größere Ortschaft gibt, und das ist Settlement-Station. Zu ihr gehört unter anderen auch der Polizeiposten Marcadari, der erst eingerichtet wurde, als man im Bett des Mac-Arthur-Flusses noch weiter westlich vor zwei Jahren reiche Goldfunde machte. Palomas Treiben kennen Sie aus den Zeitungen. Das Schiff meines Mannes hatte gerade im kleinen Hafen von Karumbo die landwirtschaftlichen Maschinen ausgeladen, als ich hörte, daß Paloma unweit von Marcadari durch Colonel Bluß eingekreist und gefangen genommen war. Ich, von jeher gute Reiterin als Farmerskind, ritt in drei Tagen allein bis zu den drei Blockhäusern von Marcadari. Ich kam noch zur Zeit. Paloma und ihre acht Getreuen saßen noch im Keller hinter Eisengittern. Es war nacht, ich hatte Stahlsägen und …«

»… Da waren Sie ja trefflich ausgerüstet«, – ich lächelte nachsichtig.

»In einer Stunde waren sie frei, – wir nahmen uns die Pferde der Station und jagten nach Norden in die Wüste hinein. Ich hatte meinen Mann überredet, mich mit seinem Schiff an einem bestimmten Punkt der Küste des Golfs zu erwarten. Leider versäumten wir es, die Telephonleitung nach Settlement-Station zu zerschneiden, und schon morgens spürten wir die Verfolger hinter uns. Vier Tage trieben wir die stolpernden Gäule vorwärts, kamen hier an die Bucht, fanden das Wrack eines Seglers, bauten ein Floß und wollten gerade abstoßen, als Bluß mit fünfzehn Leuten erschien. Der Kampf war kurz, – ich sprang ins Wasser und schwamm blindlings in die See hinaus. Ich war halbtot, als der Schwarze mich rettete. Was aus Paloma und ihren Getreuen geworden ist, weiß ich nicht. Wenn mein Mann rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre, würden wir alle glücklich davongekommen sein.« Ich wehte den Rauch meiner Zigarre mit der Hand weg. »Eine schlechte Geschichte, Frau Murray, leider. Schlecht erfunden. Dieser Colonel Bluß muß ein Idiot sein, daß er so wichtige Gefangene so miserabel bewachte. Hatte denn das Schiff Ihres Gatten … Stahlsägen als Fracht?!«

Sie schaute an mir vorbei. Ich hatte nicht mehr auf das Fenster geachtet. Ich sah in ihren Zügen eine blitzartige Veränderung, sah eine schnelle Bewegung ihrer Hand und drehte mich um.

Draußen vor der Scheibe funkelten die grauen Augen des blonden Fremden.

»Bluß!!« stöhnte Ethel Murray und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Das ist Colonel Bluß, Palomas Todfeind!«

Der Mann draußen im Wasser drohte mit der Faust und verschwand wieder.

»Bell Dingo, mein schwarzer Kamerad, meinte, die Polizei hier in Nord-Queensland trüge kurzes Haar«, sagte ich ironisch. »Vorläufig glaube ich Bell Dingo, Frau Murray. Es sei denn, Sie beantworten mir eine Frage: Hörten Sie im Nebel ein Motorboot? – Es muß ein sehr großer starker Kutter gewesen sein …«

Sie ließ die Hände sinken. Ein scheuer Blick streifte das Fenster.

»Es war der Polizeikutter von Burketown, einer Stadt am Burke-Fluß westlich von Karumbo, mein Herr«, erwiderte sie ohne Zaudern. »Ich kenne diese Gegend ganz genau. Die Schaffarm meines Vaters lag achtzig Meilen von hier landeinwärts. Die Ruxa-Farm war einst die größte der Gegend. Dann kam die Pest, und unsere Schafe krepierten zu tausenden an der entsetzlichen Drehkrankheit …«

»Ja, – Drehwurm im Gehirn«, nickte ich. – Ob sie doch nicht log?!

Bell Dingo trat ein. Der neue Bell, schöner denn je, ganz in Weiß, mit Hemd mit Schillerkragen, weißer Krawatte, weißen Schuhen.

Er grinste eitel.

»Wundervoll!« lobte ich.

Ethel Murray verbiß ein Lachen.

Dingos enorme Häßlichkeit feierte in dieser Kluft unerhörte Triumphe.

»Sag' mal, Bell Dingo, kennst du Burketown?«

»Aa ai, Mussu … Schöne Stadt, viel Polizei …«

»Hat die Polizei dort einen Motorkutter?«

Er kam näher. Er nickte., »Ai ai … feinen neuen Kutter mit Funkanlage, Mussu … Ich hier sein geboren in diese Gegend, wenn Stadt Burketown nahe sein.« Seine Fratze verzog sich zu einem wonnigen Lächeln.

»Ai ai, dann das hier meine – Heimat sein, Mussu … Aber lange, lange nicht hier gewesen … Viele Jahre weg, viel erleben ich …«

Er nahm einen Schemel, setzte sich und zog die Beinkleider hoch, um die Bügelfalten zu schonen. Ihn umwehte der Duft von Mundwasser … Seine Krimmermütze glänzte feucht.

»Hast du dich parfümiert, mein Sohn?«

»Ai ai … – Kopfwäsche, Mussu, – das erfrischen …«

Nachher fand ich die Flasche Mundwasser leer vor.


 << zurück weiter >>