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10. Kapitel. Görges und sein treuer Bursche

Kaum hatten sich die drei Beamten entfernt, als ich meinen Freund beim obersten Rockknopf zu fassen bekam. »Harald, Frau Bink hat doch zweifellos Görges und Rittweg in den Geheimkeller eingesperrt ...! Weshalb läßt du die beiden dort über ihr Schicksal im Ungewissen?! Das ist grausam!«

»Du bist sehr naiv – mitunter«, lächelte er nachsichtig. »Hältst du eine Frau wie Thea Bink, die immerhin die eine Genugtuung sich verschaffen wollte, Görges einzuschüchtern, für so unbegabt, jenen Geheimkeller, den wir kennen, als Kerker zu benutzen?! – Ich nicht! – Legen wir uns schlafen. Abends bei Dunkelheit werden wir Görges suchen und finden.« – –

Abends elf Uhr ... Ein leichter, warmer Regen rieselte herab, und die ausgetretenen alten Steinplatten des Hofraumes von Mutter Binks gewesenem Hause glänzten vor Nässe. Mitten im Hofe, aber mehr nach dem Hintergebäude zu, wo Vater und Enkelin Waga gewohnt hatten, stand eine einzelne, riesige Kastanie, die wie einen Ehrenschmuck ihrer Greisenhaftigkeit drei dicke eiserne Reifen trug, weil der Blitz den Riesen einmal halb gespalten hatte. Im dichten Laubwerk des Baumes kauerte, mit den schmalen Stiefelchen auf den obersten Eisenring gestützt, eine verschwommene Gestalt und lugte mit vorgeneigtem Kopf nach dem Kellereingang hinüber.

Dann wurden mit einem Schlage vier Fenster der bisherigen Wohnung Mutter Binks blendend hell und über die geschlossenen Vorhänge huschten die scharfen Silhouetten zweier Männer hinweg.

Die Gestalt droben in der Kastanie besaß die scharfen Augen der Jugend neben der schnellen Auffassungsgabe eines gereisten Verstandes. – Elsie Waga hatte das Profil des einen Mannes dort auf den Vorhängen erkannt, dem sie blindlings vertraute. Als ihr heute früh ein Eilbrief mit fünfhundert Mark Inhalt und einem Zettel: »Erholen Sie sich an der See!«, zugegangen war, wollte sie, da sie die Handschrift erkannte, das Geld zurücksenden. Von Gudrun, geschiedene Görges, nahm sie keine Geschenke an. Trotzdem änderte sie ihren anfänglichen Entschluß, denn bei genauerem Ueberprüfen der Handlungsweise dieser durch Waterston Verführten empfand sie die rein menschliche Güte, die aus dieser Geldspende sprach. Sie schickte den Großvater mit einem der Frühzüge nach einem der Ostseebäder voraus und rief dann abermals ihren Freund Görges an, ohne Anschluß zu erhalten. Schließlich fuhr sie zu ihm. Er bewohnte seit Wochen zusammen mit Arthur Rittweg einige möblierte Zimmer in dem vornehmen Privathaus einer verarmten Adligen, da er jeden Tag mit der Möglichkeit rechnete, schleunigst über die deutsche Grenze fliehen zu müssen, um nicht deshalb ins Gefängnis zu wandern, weil er seine persönliche Ehre mit der Waffe in der Hand verteidigt hatte, wofür die Gesetzesmacher von heute kein Verständnis aufbringen konnten, da sie zu modern dächten, – so entschuldigten sie die Angst vor Pulver und Blei vor sich selbst.

Elsie packte eine wilde Verzweiflung, als auch späterhin Görges sich nicht meldete, also immer noch nicht daheim war.

Das junge Mädchen ahnte, was geschehen sein mußte. Mutter Bink hatte sich doch noch gerächt. Elsies Verzweiflung stieg, als sie abends den Geheimkeller, wo sie Görges und Arthur Rittweg als Gefangene vermutete, heimlich betrat und leer fand. Da hatte sie ein Letztes versucht: Harst angerufen! Doch auch der war nicht daheim.

Jetzt atmete Elsie erleichtert auf, kletterte aus dem Blätterdach herab und huschte zur Vordertür. –

Harst stand im Hinterflur der Bink'schen Wohnung und hielt die Skizze in der Hand, die er für mich von den Kellerräumen entworfen hatte. »Genau dieselbe Raumverteilung«, sagte er halblaut. »Auch hier Wandschränke in dem winkligen Flur und sicherlich dieselben Tricks wie unten.«

Er hatte sich nicht getäuscht. – Als wir die Tür öffneten, die hier in den Geheimraum führte, saßen da an einem sauber gedeckten Tisch, der reich mit Lebensmitteln bestellt war, der Elegante und der Stämmige und schauten uns erstaunt entgegen.

»Das ist ja schnell gegangen, Herr Harst«, sagte Doktor Görges und verbeugte sich. »Frau Bink wollte erst von der Schweiz aus Ihnen über unseren Verbleib Meldung erstatten.«

Und Rittweg fügte hinzu: »Außerdem hat sie uns Brecheisen und Stahlbohrer hier gelassen, aber wir wollten die Tür nicht beschädigen, denn ...«

Harst unterbrach den Stämmigen: »Ich wünsche Ihnen beiden glückliche Reise ... Ich weiß, daß Waterston ein ganz übler Bursche war ... – Guten Abend. Ich will mit der Sache nichts mehr zu tun haben.«

Als wir davonschritten, rief Görges uns nach:

»Herzlichen Dank für Ihre verständnisvolle Rücksichtnahme ...!«

Harst blieb stehen. In einer Ecke hinter einem Schranke lehnte Elsie Waga.

»Reisen Sie nach Holmenkollen bei Oslo, Fräulein Waga ... Dort werden Sie sich gut erholen. – Wer schickte Ihnen das Geld?«

»Gudrun Görges ...«

»Ah, – eine reuige Sünderin ... – Alles Gute für die Zukunft«, – und er schüttelte ihr herzlich die Hand. –

Um Mitternacht rief er von daheim Bhut an.

»Ich wollte Ihnen nur empfehlen, sowohl den Keller wie die Wohnung Mutter Binks nochmals auf Geheimgänge zu durchsuchen ...«

Um halb zwei rief Bhut an.

»Herr Harst, – – alles leer, aber Görges und Rittweg waren in dem Geheimraum oben, ich fand Zigarettenstummel von Görges' Spezialsorte. Wissen Sie vielleicht, wer Görges befreit haben kann?«

»Nein. Es ist mir auch gleichgültig, Herr Bhut. Gute Nacht.«

Vier Tage darauf erhielten wir zwei Briefe, der eine kam aus der Schweiz, der andere aus Oslo, und dieser zweite trug am Schluß einen Vermerk Elsies: »Wir sind hier sehr glücklich, lieber Herr Harst ...!« –

Das war der harmonische Ausklang des Falles Waterston. – Ich habe wirklich nichts mehr hinzuzufügen ... – Wer jemals irgendwo zwei Bleikugeln findet, denke an Mutter Bink, die ihre Mutterliebe an einen Unwürdigen verschwendet hatte. Liebe darf nicht blind sein. Zuweilen drückt sie beide Augen zu. Es ist verzeihlich und verständlich. Wir alle haben unsere Fehler und unsere Schwächen ...

Billige Weisheit? – – Nein!! Eine Weisheit, die nicht laut genug gepredigt werden kann.

 


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