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1. Kapitel. Der Brief und das Stück Blei

In einem unbeleuchteten Zimmer saßen an einem regnerischen, stürmischen Juniabend drei Personen eng beieinander und besprachen in gedämpftem Ton, der das Geheimnisvolle dieser Zusammenkunft noch erhöhte, unklare Dinge in ebenso unklaren Andeutungen.

Es machte den Eindruck, als ob keiner der drei den Gegenstand der Unterhaltung beim rechten Namen nennen wollte. Ob dies aus begründetem Mißtrauen gegeneinander geschah oder aus übergroßer Vorsicht, ließ sich schwer entscheiden. Vielleicht scheuten die drei sich davor, gewisse Begebenheiten, die ihre Seelen aufgerührt haben mochten, näher zu kennzeichnen, um ihre Empfindungen nicht noch weiter aufzupeitschen.

Das Zimmer, nur zuweilen durch das ferne kurze Aufflammen eines Wetterleuchtens in mäßige Helle getaucht, war ein Mansardenraum, der zu einem Dachatelier gehörte und enthielt nur leere Kisten, die der Frau und den beiden Männern als Sitze dienten.

Selbst das schnell wieder ersterbende Licht des Wetterleuchtens genügte nicht, etwa die Gesichtszüge oder Kleidung der drei zu erkennen.

Sie blieben dunkle, ungewisse Schatten, deren Lippen behutsam die Worte abwogen um ebenso behutsam ihre Ansichten über das, was sie zusammengeführt hatte, den anderen zuzuraunen.

Keiner nannte je einen seiner Mitverschworenen beim Namen.

Sie waren einzeln wie die Diebe herbeigeschlichen gekommen, und um Mitternacht, als sie sich mit kräftigem Händedruck trennten, verließ die Frau als erste das halb leerstehende Atelierhaus, huschte die Treppen hinab, horchte wiederholt und verschwand draußen in Regen und Dunkelheit.

Ihr folgte der zweite nach Minuten, ein kleiner stämmiger Mensch von ungewöhnlicher Beweglichkeit, nur der dritte blieb noch, den Kopf in beide Hände gestützt, auf seiner Kiste sitzen und grübelte regungslos vor sich hin.

Dann knipste er ein goldenes Zigarettenetui auf, entnahm ihm eine Zigarette, ließ sein Feuerzeug auffunken und rauchte mit der Gier eines Menschen, dem das Nikotin ein gefährlicheres Nervenberuhigungsmittel zu ersetzen pflegt.

Gerade in seinem jetzigen Zustande waren seine Sinne auch für die schwächsten äußeren Eindrücke überaus empfänglich.

Er warf plötzlich mit einem Ruck den Kopf zurück, lauschte, erhob sich schnell und glitt zu einem der Fenster, öffnete es und stieg auf das schräg abfallende Zinkdach hinaus, rutschte bis zur Regenrinne und holte unter seinem eleganten dunklen Wettermantel eine Leine mit einem eisernen Haken hervor.

Seine Flucht in den Hof hinab, wo allerlei große Gipsmodelle von Statuen, Tierfiguren und allegorischen Gruppen verwitterten und gespenstisch leuchteten, vollführte er mit einer Sicherheit und Gewandtheit, die zumindest den guttrainierten Sportler verrieten.

Unten im Hof angelangt, löste er durch ebenso geschicktes Emporschnellen des Seiles den droben befestigten Haken, fing ihn auf, damit er nicht irgendwo lärmend aufschlüge, und wandte sich nicht etwa der Straßenpforte zu, sondern benutzte zwei lose Bretter des schadhaften Zaunes zum Nachbargarten und tauchte in den regennassen Büschen unter.

Ein einziger Blick zum Dachatelier empor zeigte ihm, daß dort über die unverhüllten Fenster grelle Lichtstreifen von Laternen hinglitten.

Er hatte sich also nicht getäuscht ... Das Knarren und Quietschen der Flurtür hatte ihn rechtzeitig gewarnt.

Man hatte wirklich die Polizei herbeigerufen, – man, – – natürlich von einem Fernsprechautomaten aus und unter Angabe erlogener Einzelheiten und ohne Namensnennung.

Er kannte diese Methoden bereits.

Er kannte leider nicht die, von denen in dieser hinterhältigen Art ein bösartiger Kleinkrieg geführt wurde.

Nachdem der hochgewachsene Mann drei fremde Gärten durchquert hatte, bestieg er eine Limousine, deren Chauffeur genau so vermummt war wie er selbst, und befahl mit einem Seufzer der Erleichterung:

»Nach Hause!«

Das Auto rollte davon.

Inzwischen war das Gewitter heraufgezogen, und in der Bismarckallee schlug ein Blitz kurz vor dem Wagen in eine hohe Rüster ein, die sofort wie ein Fanal aufflammte, da sie bereits halb abgestorben war.

Weder der Chauffeur mit dem hochgeklappten Mantelkragen und der tief in die Stirn gezogenen Mütze noch sein Herr in der Polsterecke nahmen von der elektrischen Entladung irgendwelche Notiz.

Sie hatten schon ärgere Dinge erlebt als ein Gewitter, und der Herr in der Polsterecke murmelte lediglich:

»Ein 32-Zentimetergeschoß ist denn doch ein böserer Spaß ...!«

Der elegante Mann lächelte geringschätzig.

Unwillkürlich streichelte er seinen linken Oberschenkel, wo die lange zackige Wundnarbe bei jedem Witterungsumschlag für ihn ein sehr zuverlässiges Barometer abgab. – –

In einer sehr bekannten, fast berühmten Serie von äußerst fein ausgeklügelten Detektivgeschichten rühmt sich der geistvolle Held, 135 verschiedene Arten von Zigarren- und Zigarettenasche zu kennen und nötigenfalls diese Kenntnis zur Entdeckung des »Schuldigen« zu verwerten.

Zugegeben, daß die heutige Kriminalwissenschaft die modernsten Hilfsmittel der Chemie und Physik anwendet, und daß der Laie staunen würde, was alles durch diese modernen Prüfungsmethoden von winzigsten Gegenständen an Erfolgen erzielt wird. Als jener Schriftsteller vor etwa fünfzig Jahren seine zweifellos in ihrer Art wertvollen Erzählungen verfaßte, kannte man noch nicht einmal das heutige jedem Schuljungen geläufige Fingerabdruckverfahren.

Genau so war es mit den sonstigen Hilfswissenschaften der Kriminalpolizei bestellt.

»Mit den 135 Sorten Tabaksasche wird es also nicht so ganz gestimmt haben«, meinte Harst in derselben Nacht gegen zwei Uhr zu mir und füllte meine Kaffeetasse.

Er hatte heute seinen bissigen Tag. Er war verärgert.

Als vor Stunden, um halb elf etwa, ein Unbekannter durch den Briefeinwurf unserer Haustür einen schon äußerlich sehr verheißungsvollen »Bittbrief«, der mit einem platt gedrückten Stück Blei beschwert war, recht lärmend hindurchgeworfen hatte, war mein Freund von vornherein sehr skeptisch gewesen, während ich mir nicht recht denken konnte, daß eine raffiniert ausgeklügelte Fopperei vorliegen könnte, – – wie Harst dies annahm.

Wie gesagt, er hatte seinen schlechten Tag, und nur mit Mühe gelang es mir, seine Gleichgültigkeit zu beseitigen und sogar sein Interesse durch einige vielleicht ganz glückliche Schlußfolgerungen wachzurufen.

Da nun eine Kriminalgeschichte, mag sie bloße Erfindung sein oder aber auf Tatsachen fußen, unbedingt ein ganz klares Bild der Vorgänge widerspiegeln muß, will ich zunächst den »Bittbrief« unter die Lupe nehmen.

Für gewöhnlich bedienen sich die Herren »Ungenannt« der Schreibmaschine. Unser Anonymus, ob Mann oder Weib, bleibe vorläufig dahingestellt, wich von dieser Regel ab und hatte mit Tintenstift geschrieben. Als Papier war die weiße Rückseite eines Reklamezettels einer Dampfwäscherei benutzt worden. Diesen Zettel hatte Herr Ungenannt nachher zusammengefaltet, mit Stearin versiegelt, als Petschaft seinen Daumen verwendet und als »Beschwerung« das Stück Blei mit eingesiegelt.

Die Anschrift lautete:

Herrn Ahmahteuhrdehtektief H. Horst.

Eilt sehr!!

Die Handschrift war auf den ersten Blick die eines Menschen, der die höheren Klassen eines Vollgymnasiums bis Sexta besucht hat und auf Sexta dreimal sitzen geblieben, sodann aber braver Landarbeiter geworden ist. Es war eine kindlich-unbeholfene Schrift, und die dazu gehörige Rechtschreibung war durchaus eigenartig, – vergleiche die Adresse.

Der Inhalt dieser denkwürdigen Urkunde lautete:

Geehrter Herr Harst,

ich bin nur bloß ein einfacher Mann, der noch nie nich mit die Juhstihz zu tun gehabt hat. Aber daß ich so stillschweihgehnd zusehen soll, wie so Meerder frei rumlaufen, das geht nich. Gehen Sie heute abend noch nach die Pücklerstraße 16 oben leeres Dachahtehljeh, und Sie werden Ihr blauhes Wunder erleben. Ich bitte Ihnen höflichst darum. –

Herr Ungenannt.

»Dachahtehljeh« für Dachatelier empfehle ich den Bearbeitern des Entwurfs für eine neue volkstümliche Rechtschreibung zur freundlichen Beachtung.

Harst warf den Brief nach kurzer Durchsicht auf den Tisch zurück. »Witzbold!!«, sagte er nur.

Nachdem ich den Bittbrief studiert hatte, raffte ich all meine ererbten und angelernten Fähigkeiten zusammen und sprach die gewichtigen Worte: »Lieber Harald, dreierlei ist an diesem Schreiben bemerkenswert. Erstens: Die Handschrift ist verstellt ...!«

»Was du nicht sagst!! Das hätte auch der kluge Elefant Jumbo aus dem Zoologischen Garten trotz seiner Schweinsäuglein gesehen!!«

Ich ließ mich nicht stören. Harst meinte es nicht so arg.

»Zweitens also: Der Daumenabdruck in dem Stearin rührt von einem Mädchen her«, erklärte ich feierlich.

»Indirekt ja«, nickte er.

»Indirekt?! Wie verstehst du das?!«

» Ich verstehe das. Das genügt. Bitte ... drittens?«

»Nun, drittens ist dieses Stück Blei bestimmt eine plattgedrückte Kugel ohne Mantel, also reines Blei, wie man es heute nur noch bei Kleinkaliberbüchsen als Geschoß benutzt.«

Mein Freund wurde plötzlich lebhaft. »Reiche mir das Stück Blei doch noch einmal herüber ... – Danke. Du hast recht. Das ändert die Sache ... – Schnell, brechen wir auf ...« –

Die Pücklerstraße liegt in einem der westlichen Berliner Vororte und enthält nur das eine Atelierhaus. Wie wir unbemerkt auf das in der Mitte flache Dach gelangten, will ich hier nicht näher ausführen. Es ist belanglos.

Jedenfalls waren wir bereits zehn Minuten vor halb zwölf auf Wache, sahen Sie zuerst die verschleierte Frau vom Hofe aus in das Mansardenatelier huschen, beobachteten als zweiten geheimnisvollen Gast den stämmigen, untersetzten Mann mit den katzenhaft gelenkigen Bewegungen und als dritten den großen Herrn im Wettermantel.

Die Unterredung der drei zu belauschen, war unmöglich. Wir konnten nur feststellen, wo sie sich zusammengefunden hatten und wie nach etwa einer halben Stunde der Stämmige und die Frau sich wieder entfernten und der »Herr« im Dunkeln allein auf seiner Kiste sitzen blieb und Zigaretten rauchte.

Unser Versteck oben auf dem Pappdach war so beschaffen, daß wir durch das schräge Atelierfenster nicht nur das Feuerzeug des »Herrn« aufblitzen sahen, sondern auch durch eine zerbrochene Scheibe die Zigarette rochen.

Dann ereignete sich das, was für Harst so recht kennzeichnend war. Infolge des starken Wetterleuchtens bemerkte er im Hofe und auf der Straße mehrere schleichende Gestalten, öffnete sofort die Bodenluke, die verrostete Scharniere hatte, und warnte durch deren Quietschen den stattlichen »Herrn«, der dann, wie eingangs von mir geschildert, äußerst gewandt entfloh und uns noch Zeit ließ, schleunigst in das Atelier einzudringen, wo Harst vor der Kiste des »Herrn« vom Fußboden einige Krümchen Zigarettenasche auflas.

Er war damit kaum fertig, als die Kriminalpolizei eindrang. – – Der Leser wird nun auch begreifen, weshalb ich von den 135 verschiedenen Arten Tabaksasche gesprochen habe.


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