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2. Kapitel. Mord – – oder sonst etwas?!

Die Beamten, die von Kommissar Bhut für diese Razzia eingesetzt worden waren, glaubten zunächst, einen großartigen Fang getan zu haben. Als Bhut jedoch erschien, machte er ein genau so säuerlich-langes Gesicht wie seine Schergen.

»Wie, – – Sie hier, Herr Harst?!«

»Es scheint so ... Vorläufig wandele ich noch nicht als Geist umher. Also muß ich es wohl sein.«

Bhut war nicht unser Freund. Er war uns schon zweimal als Hindernis bei anderen Gelegenheiten über verschwiegene Wege gelaufen.

Harsts sarkastische Antwort reizte ihn.

»Was tun Sie hier?«, fragte er sehr dienstlich. »Sie befinden sich hier in einer fremden, leeren Wohnung, und schon dieses Eindringen ...«

»Gestatten Sie ...« Mein Freund war berückend liebenswürdig. »Fremde Wohnung?! Ach nein ... Bitte, lesen Sie ...«

Und er reichte ihm einen Bogen hin, der mit einem zusammengefalteten gedruckten Mietskontrakt verzweifelte Aehnlichkeit hatte.

Nun war die Reihe, erstaunt zu sein, an mir.

Ich war nicht erstaunt, ich war einfach erschlagen.

Bhut hustete verlegen ... »Ah so, – – entschuldigen Sie ... Sie haben das Atelier heute vormittag gemietet, wie ich sehe ... Das ändert die Sache ...«

»Allerdings. Als Wohnungsinhaber darf ich Sie wohl höflichst fragen, weshalb Sie hier acht Mann stark eingedrungen sind?«

Bhut bedauerte außerordentlich ... »Den Anlaß dieser Razzia darf ich Ihnen nicht verraten. Außerdem dürfte es Ihnen, gerade Ihnen bekannt sein, denn wenn Harst ein Atelier mietet, für das er keine Verwendung hat, glaubt er eben mit Hilfe dieses Mietkontraktes bequemer gewisse Dinge aufklären zu können, die ...«

»Pardon«, fiel mein Freund ein. »Lesen Sie doch den Kontrakt genau! Da steht, daß ich das Atelier für den Reklamezeichner Siegfried Waga gemietet habe. Herr Waga ist ein alter Herr von siebzig Jahren, dem es sehr schlecht geht. Er mußte zuletzt um Almosen betteln, kam zu mir, und ich wollte ihm dann eben helfen. – Falls Sie hier amtlich zu tun haben, werde ich Ihnen nichts in den Weg legen, wir werden uns verabschieden, wir wollten ohnedies hier nur das drohende Gewitter abwarten. Gute Nacht, Herr Bhut ...«

Ich wußte von dem Reklamezeichner Siegfried Waga genau so wenig wie von dem Mietskontrakt. Harst hatte einmal wieder allein einige Extratouren ohne mich ausgeführt.

Eine Taxe brachte uns heim. Ich war verärgert und still, fragte nichts, – – und nun mag der Leser im Gehirn wieder etwas zurückblättern und an meines Freundes Aeußerung über die 135 Tabakssorten denken. Dadurch wäre der Zusammenhang mit dem Vorausgegangenen hergestellt. Den Ereignissen selbst habe ich allerdings in der Einleitung etwas vorgegriffen.

Mir war inzwischen klar geworden, daß mein Freund das Atelier nicht lediglich deshalb gemietet hatte, um dem bedürftigen Künstler Siegfried Waga ein Heim zu verschaffen. Das Erscheinen des Kommissar Bhut und seiner Beamten in dem Atelierhause ließ nur den Schluß zu (ganz abgesehen von dem Brief des Fräulein Ungenannt), daß die Mansarde dort irgendwie mit einem Kapitalverbrechen in Verbindung stände, dem Harst bereits insgeheim nachgespürt hatte. Ich wartete nun auf seine weiteren Erklärungen. Die »Tabaksasche« war ja nur die Einleitung. Ich merkte, er würde reden. Er hatte das Papiertütchen mit der vorhin aufgelesenen Zigarettenasche hervorgeholt und warf es nun achtlos in den Ofenvorsetzer.

»Ich brauche dir wohl nicht zu bestätigen, mein Alter«, sagte er mißmutig wie bisher, »daß ich vor dir so etwas Komödie gespielt habe. Der Brief von »Ungenannt« kam mir allerdings überraschend, und er dürfte sehr wichtig werden. Du entsinnst dich, daß man vor drei Monaten, im März, in einer Schonung des Waldes unweit des Schlachtensees eine männliche, gutgekleidete Leiche fand, die einen Halsschuß aufwies. Der Tod war durch Verbluten eingetreten. Der Tote wurde bisher nicht identifiziert. Die Polizei nahm Raubmord an. Du hattest in jenen Tagen gerade deinen altgewohnten jährlichen Grippeanfall und lagst mit vierzig Grad Fieber zu Bett. Der mysteriöse »Raubmord« ging durch alle Zeitungen, und gewisse Einzelheiten ließen mir keine Ruhe, ich mußte den Dingen persönlich nachgehen, machte drei Ausflüge nach Schlachtensee und suchte den Fundort der Leiche und die weitere Umgebung mit größter Sorgfalt ab.«

Sein Gesicht hatte sich in Erinnerung an jene Stunden im stillen Walde immer mehr belebt. Er trank schnell einen Schluck Kaffee, nahm eine frische Zigarette und fuhr fort:

»Suchen und Suchen ist ein Unterschied. Die Polizei hatte sich in den Gedanken verrannt, es läge Mord vor, Raubmord. Die Taschen des Toten waren leer. Nichts deutete auf seine Persönlichkeit hin. Andrerseits stand in den Zeitungen zu lesen, daß der Mörder zweifellos an Ort und Stelle Versuche gemacht hatte, die Blutung zu stillen. Man fand an der Wunde Fäserchen von Mullbinden. Bitte, beachte: Mullbinden! Dies hatte mir zu denken gegeben.«

Er schaute mich forschend an. Ich erklärte dann auch:

»Ein Mörder, der Mullbinden bei sich führt, ist ein Unikum, es sei denn, der Täter wäre Arzt gewesen.«

»Ganz recht: Arzt!! Darauf kommt es an. – Ich suchte also. Ich fand dreihundert Meter vom Tatort entfernt – der Mord ist bestimmt an jener Stelle verübt worden, dafür sprachen die Blutmengen im Waldboden – unter einem flachen großen Stein eine Anzahl Mullbinden, die braunschwarz verfärbt, hart und somit blutdurchtränkt gewesen waren. Sie liegen dort im Tresor. Durch diese Entdeckung angespornt, habe ich ...«

»Verzeihe«, unterbrach ich ihn, »waren es sehr viel Mullbinden?«

»Ja«, erwiderte er mit eigentümlichem Glanz in den Augen. »Es waren sechs lange Binden, und diese lassen nur die Schlußfolgerung zu, daß ein Arzt sich bemühte, den tödlich Getroffenen zu retten. – Angespornt durch diesen ersten Fund, suchte ich nochmals die nähere Umgebung des Tatortes ab. Die Schonung enthält an jener Stelle einen alten Eichenhain. Die Eichen stehen sehr weit auseinander, zwischen ihnen liegen viele bemooste Steinhaufen. Dir ist nun bekannt, daß eine abgefeuerte Bleikugel, sobald sie auf einen Stein aufschlägt und sich breitdrückt, einen blaugrauen Fleck hinterläßt, – einen solchen Fleck von der Größe eines Markstückes fand ich, und wenn du nun einmal die Bleikugel, die Fräulein »Ungenannt« ihrem Briefe beifügte, genau dir ansehen willst, wirst du noch jetzt in dem plattgedrückten, an den Rändern ausgefaserten Geschoß Spuren von grauem Steinmoos erkennen. Mithin hat »Ungenannt«, behaupte ich, vor mir das tödliche Geschoß dort an der Mordstelle gefunden und mir absichtlich zugeschickt. Vielleicht hat »Ungenannt« mich auch im Walde beobachtet.«

Er schwieg. Ich massierte mir etwas die Stirn, denn der Fall begann recht verzwickt zu werden.

Mein Freund, den wohl nur Kommissar Bhuts Erscheinen im Atelier noch mehr verärgert hatte, fügte jetzt in seiner gewohnt bedächtigen, klaren und präzisen Art hinzu:

»Trotz der Mullbinden und der Entdeckung der Stelle des Kugelaufschlages kam ich mit meinen Nachforschungen keinen Schritt weiter. Dir gegenüber verheimlichte ich meine Enttäuschung, beschäftigte mich aber in Gedanken andauernd mit dem schwierigen Problem. Ich sagte mir, daß der ausgeplünderte, elegante Tote – selbst die Manschettenknöpfe fehlten! – unbedingt ein Mann sein müßte, der weder in Berlin noch in Deutschland beheimatet gewesen sein könnte. Sein Verschwinden hätte sonst auffallen müssen. So gelangte ich denn mit der Zeit zu der Annahme, er sei ein Ausländer gewesen, der, ohne irgendwo in Berlin sich einzumieten, dort im Walde eine vereinbarte Zusammenkunft gehabt hätte, bei der er den Tod fand. Wie, – das will ich vorläufig für mich behalten. Meine Theorie würde jeder Fachmann, auch Herr Bhut, als phantastisch bezeichnen. In logischer Folgerichtigkeit entschied ich mich fernerhin für die Annahme, der Tote habe bei seinem Eintreffen in Berlin sein Gepäck auf dem Bahnhof oder auf dem Flughafen Tempelhof abgegeben. Da mir als Privatmann nicht die behördlichen Mittel zur Verfügung stehen, benutzte ich den alten Trick und schrieb mit Maschine anonym an die Polizei und gab ihr den Tip, doch einmal nach Gepäck nachzufragen, das am 14. oder 15. März irgendwo in Berlin zur Aufbewahrung abgegeben sei. Dieser Brief ging vor fünf Tagen ab. Den Erfolg hast du selbst heute miterlebt: Bhut erschien in dem leeren Atelier!«

Er nickte mir lächelnd zu.

»Du machst jetzt ein Gesicht, mein Alter, wie ein Schütze, der abwartet, was der Scheibenanzeiger nach dem Schuß um die Königswürde herausschieben wird. Wird es eine Zwölf sein?! – Ja – für uns ist es eine Zwölf ... Denn – gib acht! – der frühere Mieter des Ateliers war ein Amerikaner Hendrik Waterston, war Maler, studierte hier die Gemäldegalerien und kehrte Januar dieses Jahres nach Newyork zurück. Ich behaupte, Waterston ist der Tote.«

»Also behauptest du auch, die Polizei hat Waterstons Gepäck gefunden und dadurch seine Persönlichkeit festgestellt?«

»Ja. Es muß so sein. – Bisher, glaube ich, haben wir uns auf einer streng logischen Linie vorwärtsbewegt. Wir wollen es auch weiter tun. Besinne dich jetzt gefälligst auf Bhuts Bemerkungen mir gegenüber. Er sagte ungefähr: »Den Anlaß dieser Razzia darf ich Ihnen nicht verraten, außerdem dürfte er gerade Ihnen bekannt sein«. Hiermit gab Bhut zu, daß er mich für den Absender des anonymen Schreibens an die Polizei hält ...«

»Mag sein«, nickte ich vorsichtig.

»Es ist so!« Harst war jetzt der Harst, der sich selbst am Feuer der eigenen Gedankenfülle immer mehr erwärmt. »Springen wir jetzt zu der Person Siegfried Wagas über. Waga kam zu mir, als du gerade in der Stadt zu tun hattest. Er kam als Bettler ... Seine ehrwürdige Erscheinung, seine Not und sein bescheidenes Benehmen veranlaßten mich, ihn ins Zimmer zu bitten, und im Laufe des Gesprächs erwähnte er, er sei bis Januar des Jahres bei einem reichen Amerikaner Faktotum gewesen und habe in dessen Atelier mit seiner Enkelin gewohnt, jetzt hause er in einem Kellerloch ... Der Amerikaner sei Maler gewesen, habe ihn anständig bezahlt, habe Hendrik Waterston geheißen und sei überstürzt nach Amerika abgereist.«

Ehrlich gestanden: Dieser Kriminalfall entwickelte sich zu einem so geheimnisvollen Durcheinander, daß ich leise mahnte: »Sprich weiter! – Und was nun?!«

Er erhob sich. »Was nun?! Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist ... Der alte Waga wohnt in der City unweit des Rathauses in einer jener uralten malerischen Gassen, die leider durch die fragwürdige Bewohnerschaft verschandelt werden ... Er hat eine Enkelin Elsie, die überraschend pikant ist. Ich würde jede Wette darauf eingehen, daß Elsie Waga die Schreiberin dieses Briefes ist und daß ihr Großvater absichtlich zu mir kam ... – Brechen wir auf. Wenn meine Vermutungen zutreffen, werden wir in dieser Nacht noch einiges erleben.«

– Einiges?! –

Unsere Erlebnisse waren keineswegs alltäglich und erst recht nicht nervenberuhigend.

Wir kleideten uns um ...


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