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9. Kapitel. Der Fall Waterston

Harst führte folgendes aus:

Frau Bink, die aus guter Familie stammte, hatte einen kleinen Sohn, den sie überaus zärtlich liebte. Um dem Kinde die Schande zu ersparen, daß sein Vater als unheilbarer Säufer in einer Anstalt endete, tötete sie in Wut und Verzweiflung Karl Bink, nachdem sie den dreijährigen Knaben einer nach Newyork auswandernden Bekannten mitgegeben hatte, die das Kind später adoptierte.

Diese Freundin Frau Binks hieß Watterstein, nannte sich nachher Waterston, und von ihr erhielt Heinrich-Hendrik Bink den Namen Waterston.

Der junge Waterston, der von seinem Vater nicht nur die Neigung zur Malerei, sondern auch die zum Alkoholgenuß geerbt hatte, kam nach Deutschland, um seine Mutter insgeheim zu besuchen, die ihn nach wie vor als ihr einziges Kind abgöttisch liebte.

Hier in Berlin mietete Waterston das Atelier in der Pücklerstraße und eine Privatwohnung. In dem Atelier ließ er den alten Herrn Waga und dessen Enkelin Elsie wohnen. Er selbst verbrauchte sehr viel Geld, verkehrte in besten Kreisen und lernte so die Gattin des Stabsarztes a. D. Dr. Helmut Görges, Frau Gudrun Görges, kennen, die etwas flatterhaft veranlagt war und schnell, zu schnell Waterstons Geliebte wurde, obwohl Doktor Görges eine elegante Erscheinung und ein reicher Mann ist.

Görges schöpfte Verdacht, da die Besuche seiner Frau in Waterstons Atelier zu häufig wurden. Sie ließ sich zum Schein von Waterston porträtieren. Als der junge Bink-Waterston merkte, daß Görges ihn beobachten ließ, reiste er am 5. Januar überstürzt ab. Inzwischen hatte dann Doktor Görges die unzweideutigen Beweise für die Untreue seiner Frau erhalten und leitete die Scheidung ein, die für die Berliner Gesellschaft einen Riesenskandal bedeutete. Alle Zeitungen berichteten darüber.

Hendrik Waterston, der aus seiner Mutter an Geld herauspreßte, was irgend zu erlangen war, sah sich im März gezwungen, nach Deutschland zurückzukehren, um seine Mutter zu bewegen, ihm mit einer größeren Summe beizuspringen.

Görges wieder, der den Verführer seiner Frau strafen wollte, hatte seinen einstigen Burschen und jetzigen Chauffeur Arthur Rittweg nach Newyork geschickt, und als Waterston hier eintraf, zwang Görges ihn zu einem sofortigen Zweikampf in dem Eichenhain bei Schlachtensee. Als Waffen wurden Kleinkaliberbüchsen gewählt.

Erwähnen muß ich noch folgendes. In dem Scheidungsprozeß wurden auch der alte Waga und seine Enkelin als Zeugen vernommen. Wahrscheinlich dürfte Görges als Zwangsmittel gegen Waterston, der zunächst den Zweikampf verweigerte, die Drohung gebraucht haben, Waterston verhaften zu lassen, da dieser seine geschiedene Frau Gudrun, die mit Ida Müller identisch ist, durch verwerfliche Mittel, durch Gewöhnung an größere Alkoholmengen, verführt habe. Die Kleinkaliberbüchsen als Duellwaffen wurden gewählt, da Waterston den Schießsport eifrig pflegte. Bei dem Duell waren anwesend: Die beiden Kontrahenten, Frau Gudrun, die ihre Untreue längst bedauerte, und der Chauffeur Arthur Rittweg. Waterston erhielt einen Halsschuß und verblutete, obwohl Görges alles tat, ihn zu retten. Man ließ die Leiche dann im Eichenhain liegen, die Mitwisser schwiegen, und Waterston blieb der unbekannte Tote, bis ich der Polizei den Wink gab, nach Gepäck auf den Bahnhöfen Nachfrage zu halten.

Weder Görges noch sonst jemand ahnten, daß Waterston Frau Binks Sohn war. Frau Bink schwor in ihrer verblendeten Mutterliebe Görges Rache, und heute früh hat sie durch ihre Leute Görges und den Chauffeur überfallen und verschleppen lassen.

Wie ich dies alles Schritt für Schritt aufdeckte, werde ich später zu Protokoll geben. Es war ein sehr schweres Stück Arbeit, Herr Bhut, und wenn Schraut diesen Fall zu Papier bringt, wird er hoffentlich genau so systematisch vorgehen wie ich.«

Kommissar Bhut und seine beiden Begleiter bedurften erst einiger Zeit, all diese Dinge geistig zu verarbeiten.

Ich auch. – Ein Duell!! Wer hätte das gedacht! Und doch, wenn ich mir nun Harsts vielfache Andeutungen ins Gedächtnis zurückrief, schämte ich mich, nicht selbst auf einen Zweikampf und eine Scheidungsklage gekommen zu sein. Die zweite Bleikugel war ja so vielsagend gewesen!

Bhut, der immerhin das geistige Uebergewicht Harsts nun neidlos durch einige Worte des Dankes anerkannte, fügte mit Recht hinzu:

»Und wo hat Frau Bink nun die beiden Ueberfallenen hingeschafft? Fürchten Sie wirklich nicht für deren Leben, Herr Harst?«

»Nein. Frau Thea Bink wollte Görges und Rittweg nur etwas ängstigen, was allerdings bei Männern vom Schlage der beiden kaum gelungen sein dürfte. Sie wird sie wieder freigeben, sobald sie selbst im Auslande in Sicherheit ist.«

»Und wo, glauben Sie, befinden sich Görges und Rittweg jetzt?«

»In Frau Binks Kaschemmenhaus, denke ich.«

»Ausgeschlossen!«, rief Bhut. »Wir haben das ganze Haus durchsucht ...«

Harst zuckte die Achseln. »Ja, dann müssen wir eben abwarten ... – Wie sind Sie übrigens auf Frau Binks Verbindung mit Waterston gekommen, Herr Bhut?«

»Durch Nachprüfung der Kriminalakten über Frau Binks Verbrechen. Dabei stieß ich auf das Kind der Eheleute Bink, das von einer Amerikanerin adoptiert worden ist. Ich folgerte daraus, Waterston könnte dieser Sohn sein ... – – Und jetzt, Herr Harst, – – das Protokoll ... Ihre Kombinationen interessieren mich ...«

Das war verständlich.

Um ein halb Uhr mittags waren wir beide wieder allein.


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