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7. Kapitel. Ida Müller und der Tote

Wie wir in das Zimmer hineingelangten, das einen Eingang direkt vom Flur hatte, können unsere kunstvollen Dietriche erzählen.

Ich erzähle hier nur, daß meines Freundes Voraussage auch in dem Punkte wörtlich stimmte, der »die hergerichtete Bühne« betraf.

Das Zimmer, sehr gut möbliert und sehr diskret parfümiert, glich einer Stätte, die von Dieben gründlich durchwühlt worden war.

Das Bett, das hinter einem großen fünfteiligen Wandschirm stand, war benutzt worden. Auf der Steppdecke lag ein hellblaues Damennachthemd mit reichem Spitzenbesatz: zerrissen und an den Achselbändern voller frischer Blutspuren!

Der Inhalt sämtlicher Schiebladen lag auf dem Teppich, der Kleiderschrank bildete innen einen Haufen zu Teil kostbarer Toiletten, – – mit einem Wort: Das Bild dieses Zimmers war eine ungeschickte Szenerie, eine für Schwachköpfe berechnete Uebertreibung!

Harst stand inmitten dieser Verwüstung und lächelte nachsichtig.

»Ida Müller ist eine Anfängerin, – – sie muß zur Schmiere gehen, dort mag sie genügen. – Wie gefällt dir das hier, mein Alter?!«

»Gefallen?! Ich pflichte dir vollkommen bei. Ida Müller ist entflohen und hat ihre Flucht möglichst dramatisch als ein an ihr begangenes Verbrechen frisiert.«

»Das hat sie. – Hallo, – – Besuch ..! Treten Sie nur näher, verehrteste Wirtin, mein Name ist Harst, wir sind keine Einbrecher, wir interessieren uns nur für Ihre Mieterin ...«

In der Tür stand – nein, was sage ich! – in der Tür ragte eine Walküre von annähernd zwei Zentner Mindestgewicht bis zur oberen Türfüllung empor und fuchtelte mit einem altehrwürdigen Revolver wild herum ...

Ich will mich kurz fassen.

Frau Emma Klein war der Typ der Berliner Zimmervermieterin.

War Witwe, hatte von ihrem Verstorbenen, einem Polizeibeamten, auch eine Portion Mut geerbt und den ... Revolver.

Es war nicht gut mit ihr Kirschen essen ... Wenn Harst ihr nicht seinen Ausweis gezeigt hätte, würde sie bestimmt geschossen haben.

Jetzt hatte sie alle Zweifel an unserer redlichen Absicht überwunden und den Zwanzigmarkschein mit einem Honiglächeln verschämt entgegengenommen.

Nachdem Emma ihre zwei Zentner Lebendgewicht in einen kläglich quietschenden Plüschsessel plaziert hatte, seufzte sie tief und gramvoll und sprach die klassischen Worte:

»Mit der Ida Müller stimmt etwas nicht, das habe ich gleich gerochen!«

Emmas Nase hatte aufgeblähte Nüstern, und vielleicht ersetzte ihr diese Nase wirklich einen Teil des Gehirns.

»Die Jeschichte is so, Herr Harst ...«, wollte sie nun möglichst weitschweifig loslegen.

»Oh, – darf ich Fragen stellen ..? Das geht schneller, Frau Klein.«

Diese Emma hätte nicht Klein, sondern Walroß heißen sollen. Im übrigen war sie eine Seele von Mensch.

»Also, liebe Frau Klein, seit wann wohnt die Müller bei Ihnen?«

»Seit dem 15. Januar dieses Jahres ... Das heißt, – wohnen?! Wohnen kann man das nicht nennen. Sie hat dies Zimmer selten benutzt, aber immer pünktlich bezahlt – immer pünktlich!!«

»Was war die Müller von Beruf?«

»Handlungsreisende für Seifen und Parfüme, – sagte sie!! Mag sein ... Ich habe keinen Grund, über sie zu klagen, nur – – etwas stimmte mit ihr nicht, Herr Harst! Unsereiner hat doch einen Blick dafür.«

»Zweifellos – einen Scharfblick. – War sie regelrecht polizeilich angemeldet?«

»Aber natürlich ... Sie kam von Dresden hierher ... Nur – – sehen Sie dort mal die ... die eleganten Toiletten, Herr Harst!! Kann sich eine Seifenreisende so was leisten?! Ne, da stimmt was nich!!«

»Beschreiben Sie uns doch mal diese Müller«, bat Harst sichtlich gespannt.

»Na, – Alter so etwa dreißig, groß, voll, tadellose Figur, hübsches Gesicht, kastanienbraunes Haar und sehr wertvolle Ringe, – davon verstehe ich was! Sehr wertvoll!«

»Hatte sie ein besonderes Merkmal, – denken Sie mal nach, liebe Frau Klein ...«

»Nein! Nur – – sie trank!!«

»Trank?!«

»Ja. Likör ..!! Immerzu Likör. Dort der Bücherschrank sagt alles!!«

Freilich, der Schrank enthielt geradezu ein Likörlager.

Harst blickte Frau Klein sinnend an. »Also sie trank ... Sie meinen damit, sie war an Spirituosen in größeren Mengen gewohnt.«

»Ich meine, sie war meistens betrunken, Herr Harst, und dann kriegte sie das heulende Elend und führte Redensarten im Munde, daß mir ganz bange wurde.«

Mein Freund hob den Kopf. »Was redete sie?«, fragte er schnell.

»Oh, – – lauter dummes Zeug und gruselige Geschichten ...«

»Von einem Toten?«, warf Harst hastig ein.

Ich merkte, wie sehr ihn dieses Frage- und Antwortspiel mit Frau Emma Klein innerlich erregte.

Die riesige Walküre in dem einstmals sehr dekorativen Morgenrock bekam ganz runde Augen vor ehrfürchtigem Staunen.

»Können Sie aber fein raten, Herr Horst!! Es war wirklich so, – die Ida Müller muß mal irgendwie miterlebt haben, wie jemand, den sie gut kannte, verstarb ... Sie faselte immer davon, daß der Anblick damals ihre härteste Strafe gewesen sei, aber der Andere hätte sich nicht erweichen lassen, – – mit dem ›Anderen‹ kann sie vielleicht einen Mörder gemeint haben ...«

Harst stand plötzlich auf, fuhr sich leicht über die Stirn, holte tief Atem und sagte halblaut:

»Endlich!! Das ist die Gewißheit!«

»Worüber, Herr Harst?«

Er wandte den Kopf und lächelte plötzlich ganz harmlos.

»Die Gewißheit, daß Ida Müller in dieser Nacht sehr betrunken war und sich mit uns einen schlechten Scherz geleistet hat, liebe Frau Klein. Sie rief uns telefonisch hierher und brachte dann dieses Zimmer eiligst in diesen wüsten Zustand, schnitt sich in den Finger, befleckte ihr Nachthemd mit Blut und entfloh ... – Vermissen Sie nichts? Besaß die Müller nicht einen Koffer?«

»Zwei sogar, aus hellem Leder ... – Herr Gott, die Dinger fehlen ja, sie standen dort oben auf dem Kleiderschrank ...!«

»Entflohen, – wie ich andeutete«, nickte mein Freund und ging zum Kachelofen, dessen Feuerungstür nur angelehnt war. Als er sie öffnete, fiel roter Lichtschein durch die länglichen Zuglöcher der inneren Tür in das Zimmer und auf die Dielen. – Der ganze Ofen war mit brennenden und glimmenden Papieren angefüllt.

Horst schloß die Tür wieder und blickte die Walküre nachdenklich an. »Frau Klein, vielleicht sehen Sie mal nach, ob nicht in dem an Ihrer Flurtür angebrachten Briefkasten ein ... Andenken der Ida Müller liegt ...«

»Wird gemacht ...«, – und Frau Emma verließ das Zimmer.

Harst rieb sich wie fröstelnd die Hände. »Sie hatte natürlich zwei Wohnungen, diese kastanienbraune Frau, mein Alter, und ...«

Frau Klein hastete keuchend ins Zimmer zurück, indem sie einen Brief und noch etwas strahlend wie eine Siegesfahne schwenkte ...

»Von ihr!!«, rief sie begeistert. »Die Müller ist doch 'ne anständije Person gewesen!!«


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