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3. Kapitel. Frau Thea Bink, die Zuchthäuslerin

Die Kellerkneipe der Mutter Bink in der Lavendelgasse hieß sehr schlicht »Zur Mutter Bink«.

In dieser Nacht thronte die weißhaarige Frau, die noch verblüffend jung trotz der weißen Haare aussah, wie immer hinter dem blitzsauberen Ausschank und überwachte die beiden steifbeinigen alten Kellner, die den zahlreichen Gästen immer wieder Bier und Likör und Gratiswürstchen vorsetzten.

Mutter Bink hatte heute Geburtstag. Sechsundfünfzig war sie geworden.

In ihrem schwarzen, schicken Seidenkleid, mit den schmalen Händen und dem etwas hochmütig-verschlossenen Gesicht paßte sie so gar nicht in diese Umgebung hinein. Eine Kaschemmenwirtin, die ausnahmslos nur Leute »von der Zunft« bei sich duldet und die selbst einige Jahre hinter Eisengittern in stiller, unfreiwilliger Zurückgezogenheit gelebt hat, stellt man sich gemeinhin anders vor.

Wer nach Schluß der Polizeistunde noch bei ihr vorsprechen wollte, benutzte den zweiten Eingang über den Hof. Das Haus gehörte Frau Theodora Bink, es war uralt, über der Einfahrt war ein Granitstein mit der Jahreszahl 1745 eingefügt, und dieses ehemalige Patrizierhaus aus Friedrichs des Großen Jugendtagen zeigte auch im Innern den Hang der damaligen Zeit für Wendeltreppen, Winkelchen, Eckchen, enge Flure und dann wieder eine protzige Raumverschwendung einzelner Vorderräume.

Harst wußte hier bereits überraschend gut Bescheid, ein Beweis, daß er nachts zumindest schon einmal und zwar in derselben Maske wie heute die Kaschemme besucht haben mußte. Er wurde ohne weiteres von dem Türhüter, der uns auch das Tor der Einfahrt geöffnet hatte, durch einen langen Flur an Küche und Küchendünsten vorüber zum »Allerheiligsten« geführt. Das war »das« Vereinszimmer der Kaschemme. Zur Zeit war es leer.

Sagen Sie Mutter Bink«, befahl Harald dem trinkgeldfreudigen Manne in gebrochenem Deutsch, »daß ich sie erwarte ... Hull ist mein Name.«

Hull?! – Nun wurde mir auch klar, weshalb mein Freund gerade die Maske mit dem kurzen, dicken blonden, den Mund verdeckenden Schnurrbart gewählt hatte. Er besaß einen Paß auf den Namen eines Engländers Percy Hull, Agent, London. – Ein Agent kann alles Mögliche sein.

Frau Bink trat ein. Ich sah sie zum ersten Mal, und mein Erstaunen über ihre stattliche, vornehme Erscheinung steigerte sich noch, als sie zu sprechen begann. Sie begrüßte Mr. Hull in tadellosem Englisch ganz in der Art einer Dame, die Gäste zu einer feingeistigen Teestunde empfängt. Ihre Stimme und Ausdrucksweise paßten sich ihrem Aeußeren vollkommen an, und es schien im ersten Augenblick undenkbar, daß diese Frau eine Verbrecherkneipe besaß und sechs Jahre Zuchthaus hinter sich hatte. Und doch war es so: Sechs Jahre Zuchthaus wegen Totschlags! So hatte Harst es mir im Auto erzählt. Einzelheiten über diesen Totschlag, der viele Jahre zurückläge, wüßte er nicht, – behauptete er ...

Nun saß diese merkwürdige Frau uns gegenüber, und ich, der ich ihr als Freund und Compagnon Mister Hulls vorgestellt worden war, konnte nur immer wieder heimlich den Kopf schütteln über die geistigen Zauberkunststücke oder geistigen Akrobatenstücke, die von zwei ziemlich gleichwertigen Gegnern in heißem Wettbewerb hier geleistet wurden.

Es war ein Kampf mit Worten zwischen Frau Thea Bink und meinem Freunde um die Verschleierung der Wahrheit, – – Das war es. Und das war auch das Interessante, Packende bei alledem.

Man rede mir nicht davon, daß eine Kriminalerzählung unbedingt den Leser durch logischen Aufbau und durch grob zugespitzte Situationsmalerei, mithin durch Sensationen fesseln müßte. Nein, nur wer in die Tiefe der Geschehnisse und in die gleiche Tiefe der mit den Geschehnissen schicksalhaft verbundenen Personen, also in ihren seelischen Gehalt hinabsteigt, wird die vornehmste Aufgabe jedes Schreibenden erfüllen: Erzieher am Volksganzen, Mahner und Läuterer zu sein!

Da saß sie nun, diese ehemalige Zuchthäuslerin, die zarten Hände im Schoße verschlungen, den Kopf klüglich im Schatten haltend. Ueber dem schwarzen Seidenkleide, das schmucklos war wie ein Trauergewand und doch schlicht-vornehm wie eine Toilette für eine ernste Feier, – über diesem stumpfem Schwarz leuchteten das fleckenlos weiße Haar und das makellos rosige Gesicht wie die Bestandteile eines wesenlosen Hauptes. Und dann sprach diese Frau, begann den Angriff:

»Sie sind mir vorgestern eine Antwort schuldig geblieben, Mr. Hull. Gut, Sie haben Hendrik Waterston auf einer Ueberfahrt nach Newyork näher kennen gelernt. Woher aber wußten Sie, daß Waterston bei mir verkehrte, mich kannte?!«

Harst, der sich eine Zigarre angezündet hatte (er, der »Nur-Zigarettenraucher«, – natürlich Absicht!), erwiderte harmlos: »Oh, – er erwähnte gelegentlich Ihr Lokal, Frau Bink ... Sehr einfach also, daß ich Sie aufsuchte ...«

»Gewiß, sehr einfach ...« Das konnte versteckter Hohn sein ... Vielleicht ... – »Und Sie haben dann also mit Waterston in Briefwechsel gestanden und wunderten sich, daß Ihre letzten Briefe als unbestellbar zurückkamen.«

»Ja, ich wunderte mich nicht nur, ich war sogar sehr in Unruhe Waterstons wegen. Er hatte mir vier Landschaften zum Verkauf überlassen, und diese wertvollsten seiner Arbeiten fanden in London Käufer ... Kein ehrlicher Agent hätte sich damit zufrieden gegeben, daß sein Auftraggeber und Gläubiger plötzlich verschollen war. All das sagte ich Ihnen bereits vorgestern, Frau Bink. Nun frage ich Sie: Woher kennen Sie Waterston und was wissen Sie über seinen Verbleib? Ich habe das Gefühl, daß Sie weit besser eingeweiht sind, als Sie dies zugeben möchten, und ich würde es außerordentlich bedauern, mich nötigenfalls an die Polizei wenden zu müssen. Waterston muß gefunden werden.«

Frau Thea Bink hob etwas die Schultern. »Polizei?! Soll das eine Drohung sein, Mr. Hull?!«

»Vielleicht ...«

Da lachte sie. Kurz, hart, ironisch.

»Die Polizei dürfte genau so wenig ausrichten wie Sie ... Ueber Waterstons Verbleib weiß ich nichts. Unsere Bekanntschaft war eine rein zufällige, Mr. Hull. Er wollte meinen Hof mit dem uralten malerischen Speicher im Bilde festhalten und saß dann auch tagelang dort draußen vor seiner Staffelei. Natürlich unterhielten wir uns zuweilen, und einige Male war Waterston in meiner Privatwohnung, die hier über dem Restaurant liegt, zu einem Imbiß mein Gast. Als er Januar Berlin verließ, hörten auch unsere oberflächlichen Beziehungen auf.«

Harst nickte gedankenvoll und starrte zur Zimmerdecke empor. Urplötzlich ging er dann zum direkten Angriff über.

»Lesen Sie Zeitungen, Frau Bink?«

»Welche Frage?! Gewiß lese ich Zeitungen.«

Mr. Hull griff in die Tasche. »Hier ist eine Berliner Zeitung vom 18. März dieses Jahres. Kennen Sie diesen Mann, der hier abgebildet ist?«

Sie nahm das Blatt ohne Interesse entgegen, beugte sich näher dem Lichte zu und erwiderte dann kopfschüttelnd:

»Wer soll das sein?! Unter dem sehr unscharfen Bilde steht:

»Der Ermordete aus dem Eichenhain bei Schlachtensee. – Wer kennt ihn?«

Ich kenne ihn nicht, Mr. Hull. Von dem Morde habe ich natürlich damals gelesen. Glauben Sie etwa, daß es Waterston ist?! Das kann nicht sein. Waterston war bartlos, dieser Mann trägt einen kurzen Spitzbart.«

»In drei Monaten wächst ein Spitzbart gerade zu dieser Länge, Frau Bink. Waterston reiste am 5. Januar nach Newyork, und dieser Mann hier, den das Bild darstellt, wurde am 15. März erschossen und verblutet aufgefunden.«

»Sind das Ihre ganzen Beweise dafür, daß Waterston tot ist?«, meinte Frau Bink mit einem kühlen Achselzucken. »Ich vermag Ihnen wirklich keine näheren Angaben über ihn zu liefern. Wenden Sie sich an die hiesige Polizei, wenn Sie glauben, daß ...«

Harst wehrte energisch ab. »Ich denke nicht daran. Mein Beruf als Agent für alle möglichen Aufträge erfordert sehr viel Menschenkenntnis. Meiner Agentur ist sogar ein Auskunftsbüro angegliedert, ich bin halb und halb Detektiv, und mein Freund und Kompagnon desgleichen. Wir werden ...«

Frau Bink hob Schweigen gebietend die Hand. Das Würdevolle ihrer Erscheinung und ihres Benehmens kam sogar hierbei zum Ausdruck. Nur ihre Stimme klang jetzt schärfer und unangenehm überlegen. »Sie sind nicht halb und halb Detektiv, Sie sind es ganz, Herr Harst!!«

Die Sätze sollten wohl wie Blitzschläge auf uns herniederfahren. Sie hatte sich jetzt der deutschen Sprache bedient, und sie beobachtete nun die erwartete Wirkung dieser Enthüllung, daß sie »Mr. Hull« durchschaut habe. Als mein Freund nur verbindlich lächelte, fügte sie gereizt hinzu: »Daß Sie im Eden-Hotel ein Zimmer belegt haben, Mr. Harst, brachte ich ebenso schnell heraus wie die verdächtige Tatsache, daß dieser »Mr. Hull« dort im Eden-Hotel niemals schläft und nie Post empfängt ... – Weshalb spionieren Sie hier herum?«, fragte sie fast drohend.

»Oh, – – nur weil ich sehr gern wissen möchte, weshalb Sie durch Ihre Leute dem alten Herrn Siegfried Waga und seiner Tochter Elsie Ihre freie Souterrainwohnung auf dem Hofe empfehlen ließen, und weshalb Sie ihm die beiden Stuben nebst Küche für ein Spottgeld überließen, für zwölf Mark monatlich. Ja, das möchte ich wissen, – – außer vielem anderen, wohlgemerkt!!«

Frau Bink mochte sich tadellos in der Gewalt haben. Aber dieser Hieb saß besser als ihre Enthüllung von vorhin. Sie konnte ihre Verlegenheit und Verwirrung nur schlecht bemänteln, und Harst gönnte ihr auch gar keine Zeit, eine Ausrede oder eine fadenscheinige Begründung zu ersinnen.

»Sie haben sich hier auf einen sehr gefährlichen Boden begeben, Frau Bink«, erklärte er mit einem deutlich hervortretenden Mitgefühl. »Ich warne Sie. Unterschätzen Sie die Kriminalpolizei nicht! Ich fand den Weg zu Ihnen über die Person des alten Waga, der mir von ihrer »Großmut« berichtete. Waterston ist der Tote aus dem Eichenhain, und Sie, fürchte ich, tun alles, dies zu verschleiern. Das ist mehr als verdächtig.«

Er erhob sich langsam. Seine Augen ruhten fest auf der regungslos dasitzenden Frau mit den plötzlich wie versteinerten Zügen.

»Unternehmen Sie in dieser Angelegenheit nichts, Frau Bink, gar nichts. Sie verstehen mich wohl!! Ich bin nicht Ihr Gegner, aber ich werde nie dulden, daß Sie fernerhin auf eigene Faust Justiz spielen!«

Ein rätselvoller Blick traf ihn von unten her. Dann stand auch Frau Bink auf. »Ihre Warnung ist überflüssig, Herr Harst«, sagte sie mit einer gleichgültigen Handbewegung. »Ich werde Sie hinausgeleiten lassen ...«


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