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3. Kapitel.
Der Müllberg

Weshalb schwieg er?! Weshalb seufzte er wieder?!

Er antwortete äußerst widerwillig:

»Irina versuchte Helga am Heckenloch zu treffen ... Natürlich war Helga nicht dort, und bevor Irina durch das Signal ...«

»Welches Signal?«

»Die Schwestern hatten vereinbart, sich durch sogenannte Vogelpfeifen miteinander zu verständigen ... – Bevor Irina also durch das Signal Helga herbeigerufen hätte – Helga schläft im Erdgeschoß, und Pingalli oben im ersten Stock –, wäre zu lange Zeit verstrichen, daher lief Irina wieder in den Vorgarten und zu Ihnen ...«

»Und daher flüsterte Irina Ihnen nachher zu, Sie sollten Helga etwas bestellen ...«

»Auch das ist richtig, lieber Harst. Und jetzt kommt wieder etwas sehr Eigentümliches, denn Irina trug mir auf, Helga folgendes auszurichten: Helga solle, falls sie etwa den Mann auf der Fontäne kenne, um jeden Preis dies verheimlichen. – Begreifen Sie das, Harst?! Ich nicht.«

»Ich ... ja!« sagte Harald gelassen. »Doch davon später. – Sie, lieber Prank, trafen dann Helga verkleidet am Heckenloch, und es kam zwischen ihnen beiden zu einem scheinbaren Bruch, weil Helga Sie verdächtigte, der Mörder zu sein. – Haben Sie Helga Irinas Bestellung ausgerichtet?«

»Ja. Sie war darüber sehr erstaunt, sie hatte niemand auf der Fontäne gesehen, konnte dies auch gar nicht von ihrem Platze aus, – nur mich sah sie auf dem Baumstumpf und auch Ritschel am Fenster. Ich habe Helga noch erklärt, daß wir drei, die wir angeblich im Salon weilten, uns das Ehrenwort ...«

»Danke ... – Was ich von Ihnen erfahren konnte, weiß ich nun, und – – Sie, lieber Prank, haben mir endlich die richtige Fährte gezeigt.«

Heribert Prank beugte sich vor und griff nach Haralds Hand. »Wer ist der Mörder?« bat er ... »Sagen Sie es mir, Harst ... Es wäre ja entsetzlich, wenn etwa wirklich Irina ...«

»Nein,« fiel Harst ihm ins Wort, »so entsetzlich wäre das nicht, – – und Sie müssen sich schon damit abfinden, daß Irina den Legationsrat töten wollte ... Sie dürfen auch das nicht vergessen, Prank: Irina war es, die das Licht ausschaltete, als Pingalli uns mit dem Karabiner bedrohte und als Ritschel und Spitzer geflohen waren. – Ich überschaue die Zusammenhänge noch nicht vollständig. Fragen Sie nichts ... Irina wird auch kaum gefunden werden ... – Uebrigens ist auch Helga eine glänzende Schauspielerin. Vorhin hat sie den Friedensengel so echt gemimt, daß mein lieber Schraut eine Gänsehaut bekam. Nun marschieren Sie heim, bester Prank ... Es wird alles schon leidlich in Ordnung kommen ... Auf Wiedersehen ...«

Prank mußte sich verabschieden, – gern tat er's nicht, und kaum war er weg, erschien der patente Hans vom Feldwege her, Kriminalkommissar Doktor Hans Lücke.

»Tag, Kinder ... Na, ihr habt hier ja mit dem Prank ein mächtig langes Palaver abgehalten ... – Was Neues?«

Er warf sich in den Liegestuhl und fächelte sich mit seinem eleganten Filzhut Kühlung zu. »Natürlich habt ihr nichts Neues entdeckt,« plätscherte sein gutgelaunter Redestrom weiter, »ihr armen Kerle findet ja nie ein Spürchen einer Spur ...« Er legte seinen Handspiegel auf sein hochgezogenes Knie und ordnete seinen schmalen Binder, in dem stets eine kostbare Perle als Nadel schimmerte. Er konnte sich eben alles leisten, der patente Hans, er war reich und nur aus Neigung zur Kriminalpolizei übergetreten, wo er das »Enfant terrible« für seine Vorgesetzten, aber der beliebteste Mann seiner Untergebenen war. Nachdem er seiner Krawatte den nötigen Schwung verliehen, betrachtete er eingehend seine zart gemusterten Seidenstrümpfe und begann von neuem: »Mein Oberchef hat mir heut' eine Nase versetzt, die war nicht schlecht. Erst wandte ich mich an den Chef. Der zeterte entsetzt: »Um Gotteswillen, den wollen Sie verhaften! Der Oberchef hat ja soeben befohlen, daß das Haus Doktor Pingallis scharf bewacht wird. Pingalli hat heute früh dem Minister mitgeteilt, daß er seine Sammlungen dem Museum schenkt und daß er den Abtransport schon angeordnet habe ... Also gehen Sie zum Oberchef, Lücke!« – Ich ging, und der Oberchef hörte zu und meinte dann: »Das ist alles Unsinn. Das hat Ihnen wohl der Harst suggeriert. Doktor Pingalli ist ein Ehrenmann, und Sie sind ...« – na, wie er mich titulierte, will ich nicht wiederholen, ich drehte mich jedenfalls kurz um und schmetterte die Tür ins Schloß und dachte: »Du kannst mir mal ... und so weiter!« – Ja, Kinder, – so schlau wie ihr bin ich auch. Ihr wißt natürlich einen ganzen Haufen. Ich desgleichen. Meine Quelle war Irinas Zofe, die ich mir heute gehörig vorband, und da erwachte ihr Gedächtnis. Pingalli hat Irina nachts sehr häufig besucht.«

Er blinzelte uns an. »Wußtet ihr das?!«

»Das sind olle Kamellen, lieber Lücke. Hatten Sie nichts Besseres auf Vorrat?!« Harst feilte an seinen Fingernägeln herum.

Lücke lachte. »Olle Kamellen?! Die Kamellen stammen von Prank, von Helgas Liebstem. Auch das hatte die Zofe ausspioniert. Alle Zofen spionieren. Diese Zofe besitzt ein Theaterglas ... Und von ihrem Mansardenfenster sah sie Pingalli mit einem Karabiner auf dem Fontänenrand. Pingalli schmierte sich nachher Schminke über die braune Edelfratze und war der Bleiche. Aber, wie gesagt: Der Oberchef, der volkstümliche Ausdrücke liebt und mich anfauchte, hat sich durch Pingallis Riesenstiftung für das staatliche Museum blenden lassen. Pingalli forderte Schutz für den Transport der wertvollen Steinsammlungen, Versteinerungen und Edelsteine, und nun stehen vier Mann Wache, und Pingalli lacht uns aus. Wer zuletzt lacht, lacht am klügsten, Kinder. Nun erzählen Sie mal, Harst.«

Der tat's und verschwieg nichts. Lücke kokettierte mit seinen Brillantringen und warf ein: »Irina und Helga Schwestern – – olle Kamellen! Das wußte ich schon gestern nacht. Beide geborene Müller, beide aus derselben Stadt, beide vom Leben eklig herumgeworfen, Eltern tot, Mutter starb im Irrenhaus, der Vater im Straßengraben und im Suff – – Pardon. Feine Familie ...! – Damals, als Irina mit Ganotta im Auto verunglückte, sollte Ganotta vor Gericht wegen zu schnellen Fahrens. Damals schon habe ich meine Nase in diese Sachen gesteckt, denn Irinas Freundschaft mit Ritschel und Spitzer war anrüchig.«

»Am anrüchigsten ist der rote Sonnenschirm ...« sagte Harst da. »Das ist keine olle Kamelle, das ist sogar sehr wichtig. – Wo ist der Sonnenschirm?!«

Lücke blickte ihn fest an. »Harst, was soll das?! Ein fliegender Sonnenschirm von Prank beobachtet, hat den Wert einer Zigarettenrauchwolke ... Ein Sonnenschirm ist kein Gewehrstock, Harst. Daran dachten Sie wohl.«

»Nein, mein Lieber. Aber ich frage mich: Wo blieb der Sonnenschirm?! Er ist weg, er verschwand aus dem Mordzimmer. Weshalb?! Wer ließ ihn verschwinden?! Wäre der Schirm harmlos, hätte sich keine Katz' drum bemüht, ihn beiseite zu schaffen. Aber ein schlauer Kater tat's doch. Wer?!«

Der patente Hans wurde nachdenklich.

»Sie haben recht, Harst ...! – Ueberhaupt, es ist da vieles zu klären. Pingalli stellt Helga als geistesgestört hin, Moritz benimmt sich wie ein Amokläufer und Helga theatert als Friedensengel ... Nette Geschichten!! Gehen wir zu Pingalli. Der Herr wird Farbe bekennen müssen ...«

Moritz öffnete uns die Haustür.

»Der Herr Doktor ist verreist, Herr Kriminalkommissar, und Fräulein Helga ebenfalls,« sagte der Bucklige mit übertriebenster Höflichkeit und dienerte immer wieder. Er verhöhnte uns.

»Wohin?« fragte Lücke scharf und blickte durch den engen Flur und die offene Gartentür auf den Hof hinaus, wo eine Anzahl Leute allerlei Dinge in große Holzkisten vorsichtig verpackten, während ein Herr mit Brille dabeistand und aufpaßte.

»Der Herr Doktor ist mit Fräulein Helga nach dem Süden gereist,« erklärte Moritz bereitwilligst.

»Ich denke, Fräulein Helga ist krank und sollte in eine Nervenheilanstalt,« meinte Lücke gelangweilt – scheinbar.

»Das war nur ein Scherz ...« und Moritz' Augen flackerten vor Hohn.

»Wer ist der Herr mit der Brille da auf dem Hofe?«

»Ein Assistent des Museums, Herr Kriminalkommissar, – zu dienen.«

»Mit welchem Zuge reisten der Doktor und das Fräulein?«

»Mit keinem. Mit einem gemieteten, großen Auto. Vor zehn Minuten verabschiedeten sie sich von Eva und mir. Eva ist die Haushälterin und Köchin.« Moritz machte eine einladende Handbewegung. »Wollen die Herren nicht bitte freundlichst nähertreten ... Es zieht hier ...«

»Ja,« nickte der patente Hans, » man zieht hier ... – Gut, treten wir ein. Ich möchte mir mal das Haus ansehen ... Es ist sehr alt ...«

»Unbeschreiblich alt ...« Moritz lächelte traurig. »So alt werde ich nicht werden.« Er wackelte mit dem Eimerschädel und schloß die Haustür ab.

»Sagen Sie mal, haben Sie vielleicht einen roten Sonnenschirm gefunden?« fragte Harst da und legte Moritz vertraulich die Hand auf die Schulter.

Moritz schielte ihn von unten an, »Hm – – Sonnenschirm ... – na ja, das war komisch ... Ein roter Sonnenschirm lag heute früh in unserem Erdbeerbeet unter den dichtesten Stauden, total verregnet und schmutzig ... Ich habe ihn Eva gezeigt, aber sie wollte ihn nicht haben, und da hab' ich ihn einem kleinen Mädel geschenkt, das auf der Straße spielte.«

Harst sagte ruhig: »Das ist gelogen. Wo ist der Schirm?«

Moritz grinste. »Ja, es ist gelogen ... Ich habe den Schirm zerbrochen und die Stäbe für die Buschbohnen als Stützen benutzt.«

»Und der Stock?«

»Liegt hinten auf dem Müllberg ... Ich hätte es nicht tun sollen, aber Eva meinte, der Schirm sei ein Dreck ...«

»Zeigen Sie uns doch mal den Stock ...«

»Aber gern ...«

Wir schritten über den Hof in die Südwestecke des Gartens, wo hinter einem kleinen Kaninchenstall sich der Müllberg versteckt auftürmte. Oben zwischen allerlei Unkraut lag ein eiserner Schirmstock mit heller Holzkrücke, die in einen geschnitzten Papageienkopf auslief. Aber die ehemals wertvolle Schnitzerei war halb zerschlagen.

Harald wog den Stock in der Hand, der etwas verbogen war.

»Herr Morwitz,« sagte Harald. »Sie könnten mir den Schirmstock schenken ...«

Herr Morwitz schielte wieder und nickte. »Meinetwegen ...«

Worauf Harst das Schirmfragment unter den Arm klemmte und zu Lücke bemerkte: »Wie mag er nur in die Erdbeeren gekommen sein?!«

Der patente Hans beäugte den krummen hohlen Eisenstock und antwortete: »Geflogen, – – er liebte das Fliegen, es ist neuzeitlich. Alles fliegt, mancher fliegt sogar ins Loch.« Und er blickte Moritz scharf am. Für den Schirm hatte er kein Interesse mehr. Ich auch nicht. Aber für Moritz ... Denn der hatte sich etwas verfärbt.

»Herr Morwitz,« meinte Hans Lücke gleichmütig, »haben Sie einen Waffenschein?«

»Wie?! Waffenschein?!«

»Ja ... Sie haben doch heute mit einem Revolver unziemliche Scherze gemacht. Und – hat Pingalli einen Waffenschein für seinen Karabiner?«

Der kleine Verwachsene fletschte plötzlich die Zähne. »Fragen Sie ihn ...! Ich weiß es nicht, ich weiß nichts von einem Karabiner, das kann ich beschwören.«

»Dein Eid ist mein Eid ... Meineid,« murmelte Lücke scherzend. »Ach, Herr Morwitz, – wenn wir nur nicht Ihre Photographie und ihre Fingerabdrücke im roten Alex hätten!! Sie haben dreimal gesessen. Immer als Morwitz. Aber Sie heißen, denke ich, August Müller ... Nicht wahr?«

Moritz' Schädel sank auf die Brust. Sein Gesicht war kalkig. Lücke fügte seufzend hinzu: »Nun muß ich Helgas ältesten Bruder wegen Bedrohung mit einer Schußwaffe verhaften ...«

Ich, Max Schraut, hielt den Atem an.

Harst lächelte nur. Ihm schien auch dies nicht neu zu sein. Er sagte zu Lücke: »Wir stellen keinen Strafantrag ... Mag Herr August Müller sich seiner Freiheit weiter erfreuen. Aber – eine Frage: »Ist Eva, die Xantippe, Ihre ... Gattin?«

Moritz hauchte ein verstörtes »Ja!«


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