Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel.
Der Spiegel

»Wenn Sie von Unterhosen reden, lieber Lücke, denken Sie sicherlich in Wahrheit darüber nach, weshalb oben alle Mansardenfenster der Villa hell sind. Ich glaube, Sie haben diese Fenster der Dienstbotenstübchen trotz ihres brummenden Schädels beobachtet und sich deshalb hier mitten in den Weg geschleppt.«

Hinter den Vorhängen droben huschten Gestalten hin und her. – Lücke erwiderte: »Sie packen! Sie ziehen ab!«

Wir stützten ihn, und er murmelte aufs neue eine Verwünschung gegen die Frau, die ihn hinterrücks erledigt hatte. »Ich war kaum drei Minuten hier im Garten, als die Person mir eins auswischte ...«

Langsam schritten wir rechts um die Villa herum. Alle anderen Fenster waren dunkel, und – – die Haustür offen.

»Hm!« meinte Harald. »Wartet hier mal.« Er lief nach links, wo die Garage stand. Er kam auch sofort zurück. »Das Auto ist weg, und die Einfahrt ist ebenfalls weit offen.«

»Ja,« nickte Lücke, »sie hat die Dienstboten abgelohnt und entlassen und ist ausgerückt. Ich werde sofort telephonieren.«

Wir betraten die Diele. Wir horchten, und von oben kamen allerhand Geräusche, Stimmen, Türenklappen und halblaute Zurufe.

Harald öffnete im Dunkeln die Salontür. »Leise!!«' mahnte er ... »Hier geht noch mehr vor.«

Die Finsternis ringsum machte ein Zurechtfinden sehr schwer. Ich hatte Lücke untergefaßt. Wir beide standen etwa unter dem Kronleuchter, Harst war verschwunden.

Dann flammte draußen ein Blitz auf, und ich sah durch die offene Schiebetür in das Musikzimmer hinein und erkannte zwei Gestalten, die sich umklammert hielten und miteinander rangen. Es war nur ein Momentbild. Die Dunkelheit verschluckte alles ...

Auch Lücke hatte dasselbe gesehen. Er trug seine Lampe vorn am Mantel. Ich hörte den Hebel knacken, und ein Leuchtkegel schoß vorwärts und zeigte uns Harst, der im Musikzimmer auf einem Menschen kniete.

Lücke taumelte auf die beiden zu.

»Einschalten, Schraut!« rief er.

Ich knipste das Licht in beiden Räumen an. Wir rissen den fremden Kerl hoch, der uns mit seiner Stromervisage frech angrinste und dann sehr höflich sagte: »Ich bin Heribert Prank ...!«

Harald lächelte. »Also der Falsche ... schade! Lücke bedauert seine Beinkleider und ich bedauere diese Kraftvergeudung. – Weshalb gaben Sie sich nicht zu erkennen, Prank?!«

»Weil Sie eben auch der Falsche sind, lieber Harst ... Hier war noch jemand, und da ich die Tür zum Flur abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt hatte und Sie durch den Salon kamen, muß der Bursche noch hier sein ...«

Wir schauten uns um. 2n der linken Fensterecke stand ein Ziersessel. Dort saß in aller Seelenruhe mit übergeschlagenen Beinen Doktor Horst Ritschel. Wir hatten ihn bisher in unserer Erregung völlig übersehen.

Ritschel war ganz und gar ein Mann von heute. Ein« dürre, übertrainierte Sportgestalt, ein hageres Gesicht mit eingefallenen Schläfen, dicken Hautwülsten um Mund und Kinn, kühl-spöttischen Augen. Ein eingefrorenes anmaßend-nichtssagendes Lächeln, bewußt nachlässige Bewegungen, dazu, wenn nötig, eine domestikenhafte Höflichkeit: Ein Charakterkopf ohne Charakter, ein rücksichtsloser Egoist, ein Mensch dem nichts heilig, der aber ebenso gut schon nach einer Stunde seines Vorteils wegen seine Gesinnung total wechseln konnte, – – ein Typ einer Zeit, die an solchen verlogenen Helden der Feder krankt. Natürlich trug er Monokel. Die Intelligenzbrille gehörte für ihn der Vergangenheit an. Sein Weizen blühte erst, seitdem Deutschland Leute von so grotesker Wandelbarkeit in Massen züchtete.

Aber er machte Figur, ohne Zweifel, und für die oberflächliche Kritikfähigkeit seiner Kreise war er Gott und Teufel zugleich. Sein Witz war brutal, seine Schlagfertigkeit war Routine, sein Geist war geschliffen zwischen dem Abfall einer Epoche ewiger Gährungen.

Er begrüßte uns durch eine Handbewegung ... »Da sind wir ja wieder so schön beisammen, meine Herren. – Was tun Sie hier?!«

Doktor Hans Lücke musterte ihn starr.

»Und Sie?« fragte er nur.

»Ich – – bin hier daheim – zu dienen,« er zog ein Papier aus dem hellen Ulster ... »Irina hat mir ihre Villa anvertraut ... Ich sollte die Dienstboten auf den Schwung bringen ... Irina ist unbekannt wohin davongesaust ... Ich riet ihr ab. Aber Weiber lassen sich nichts jagen. Hier ist die Vollmacht für mich ... Die Villa sollte nicht leer stehen. Ich wohne jetzt hier.«

Lücke nahm den Briefbogen, las und reichte ihn Harald. »Stimmt – der Hausherr in Vertretung ... Nur eine Vollmacht ist das nicht, lediglich eine Bescheinigung, daß Sie als Wächter der Villa bestellt sind, Herr Doktor Ritschel. Was bekommen Sie dafür?«

Ritschel spürte die Gegnerschaft, steckte die Beleidigung ruhig ein und meinte achselzuckend: »Meine Anwesenheit hier ist berechtigt, – auch die Ihre, Herr Kriminalkommissar. Aber die Herren Harst, Schraut und Prank ..., – ich müßte darauf bestehen, daß dieses Haus nicht Treffpunkt von Fremden wird.«

Lücke fragte kalt: »Wann gab Fräulein Vanderkott Ihnen diesen Wisch?«

»Vor etwa fünfzehn Minuten ...«

»Wie kamen Sie wieder hierher?«

»Ach – ich wollte Irina trösten. Ich bin ihr Freund ...«

»Da kann sie stolz sein,« nickte Lücke ganz ernsthaft.

Ritschel wurde rot. Doch auch die Pille schluckte er. Nur seine Augen wurden klein, und Lücke hatte sich einen Todfeind geschaffen, dem die Spalten vieler Zeitungen offen standen.

»Schrieb sie diese Bescheinigung freiwillig?« fragte Lücke noch eifriger.

»Natürlich ... Unter Freunden ist das ...«

»... durchaus nicht selbstverständlich, denn soweit wie bekannt, waren Sie hier stets nur geduldet, nicht erwünscht – man fürchtete Sie. wie man uns fürchtet, nur mit dem Unterschied, daß wir für das Recht kämpfen ... – Also Irina ist entflohen?«

»Habe ich das gesagt?! Nein. Irina ist lediglich mit den Nerven fertig und bedarf dringend der Entspannung.«

Diese höchst unerquickliche Szene wurde durch Heribert Prank beendet. Er, dieser hübsche, blonde, heitere Künstler, dem im Privatleben nichts vom Komödianten anhaftete, ging seinerseits zum Angriff über.

»Ich habe nichts zu verheimlichen. Ich war daheim, veränderte mich, und die Sorge um Irina trieb mich wieder hierher. Ich sah gerade ihr Auto im schnellsten Tempo davonfahren, ich erkannte Irina nicht, denn sie schien Herrendreß zu tragen, – ich fand die Haustür offen und schlich in den Salon. Da ich unter dem Flügel hier im Musikzimmer eine Gestalt wahrzunehmen glaubte, schloß ich rasch die Tür nach dem Flur ab und wollte eben das Licht einschalten, als Harst mich so warm begrüßte. – Das ist alles. – Weshalb krochen Sie unter dem Flügel umher, Herr Doktor Ritschel?«

Ritschel lächelte noch spöttischer.

»Ich suchte mein Monokel ... Es war mir entfallen.. »Vielleicht hörten sie es klirren, Herr Prank.«

»Nein – bedauere ... Ich hörte Nichts klirren ... Ein Monokel klirrt auch kaum auf einem Teppich ... Man pflegt als Hausherr ein Monokel auch nicht im Dunkeln zu suchen – entschuldigen Sie schon!« Auch Prank konnte bissig werden.

»Und doch war es so,« meinte Ritschel leichthin. »Sie werden sich dabei schon beruhigen müssen. Im übrigen wiederhole ich: »Mit welchem Recht sind Sie hier?! Ebenso die Herren Harst und Schraut?! Es gibt einen Paragraph wegen Hausfriedensbruch ...«

Harald hatte sich in aller Seelenruhe eine Zigarette angezündet und sagte überaus höflich:

»Herr Doktor Ritschel, vielleicht erklären Sie uns, weshalb Sie Ihren weiten Ulster nach beiden Seiten aufgeschlagen haben und weshalb Sie die Beine so dicht zusammenhalten ...?! Es muß für Ihren Intimus Major von Spitzer höchst unbequem sein, in der Zimmerecke hinter dem Sessel zu hocken. – Herr von Spitzer, richten Sie sich getrost auf ... Ich habe Sie längst bemerkt, und auch Sie werden noch einiges beantworten müssen – nicht mir, aber Lücke ...«

Und dieser Lücke tat jetzt etwas, was Herr Doktor Ritschel, der recht bleich geworden war, ebenfalls wortlos hinnahm: Er packte zu und zog Ritschel mit kräftigem Ruck von dem Sessel, – gleichzeitig schoß in der Ecke das schwammige, käsige Gesicht des glatzköpfigen Majors in die Höhe, und hinter den Goldzähnen dieses fragwürdigen Gentleman bildete sich der fabelhaft weanerisch-gemütlich sein sollende Spruch:

»Schaun's, dös ist wirklich a Gaudi, meine Herren ...«

Aber mit dem »Gaudi« war es nicht weit her, denn Harst ließ sich plötzlich in die Knie sinken, kroch unter den Flügel und hob die Hand ...

Am Unterteil des Bechsteinflügels war eine schwarze Tasche aus Tuch angenagelt, aus der Harald nun eine ... Luftpistole hervorzog.

Diese Tasche war so angebracht, daß jemand, der an der Seite des Flügels lehnte, die Pistole im Moment in dieses schlaue Versteck verschwinden lassen konnte.

Lücke nahm die Waffe und meinte zu dem edlen Freundespaar: »Das ist ja überaus wertvoll ... Ich danke Ihnen ... Ihr Monokel, Herr Doktor Ritschel, werde ich in gutem Andenken behalten. – Nehmen wir Platz ... Harst hat ganz recht, es gibt hier allerlei zu fragen ...« Er deutete auf das Sofa und die Sessel ... »Vielleicht setzen Sie beide sich auf das Sofa ... Wir drei begnügen uns mit den Sesseln. – Schraut, vielleicht telephonieren Sie an das Präsidium ... Das Auto Irinas ist ein hellblauer [Wortteil unleserlich] fahrer mit Klappverdeck, Marke Benz ... Das Telephon steht in der Diele.«

Ich verließ das Zimmer, bekam sofort Anschluß, und die Jagd auf Irina war damit eingeleitet. Als ich zu den anderen zurückkehrte, hörte ich gerade noch, wie Lücke fragte:

»... doch anscheinend gewußt, daß die Waffe dort verborgen war?«

Horst Ritschel, auch der österreichische Major a. D., schienen sich inzwischen wieder leidlich gefaßt zu haben. Ritschel entgegnete in einem recht überhebenden Tone: »Vermutet habe ich's, Herr Kriminalkommissar.«

»Aeußerst überraschend, Ihre Findigkeit, Herr Doktor ...!« Lücke blinzelte ihn spöttisch an. »Freilich, – Sie sind ja ein halber Detektiv ... Und Ihr Freund Spitzer ist mit derlei Dingen auch ziemlich vertraut. Wie war das doch gleich, Herr von Spitzer, – hat man Sie nicht unlängst aus dem Berolina-Klub hinausgetan?! Sie sollen sich da beim Kartengeben geirrt haben ...«

Spitzer fuhr wütend auf. »Ich verbitte mir solche ...«

»Pardon – und wie war das doch mit der anderen Geschichte, Herr von Spitzer ...? Hatten Sie nicht das Pech, in Verdacht zu geraten, einer Dame ein paar Briefe geschrieben zu haben, deren Inhalt sich als Erpressung deuten ließ?! – Setzen Sie sich nur wieder ... Ich könnte Ihnen noch mehr von Ihrem ... Pech vorhalten ... Lassen wir das. – Sie wohnen jedenfalls mit Herrn Ritschel zusammen in Halensee in der Friedrichsruher Straße, vier Zimmer, zweite Etage ... ein Eckhaus ... das so nebenbei. – Reden wir besser über diese Luftpistole ... Ich sehe: amerikanisches Fabrikat, ganz moderne Konstruktion, große Durchschlagskraft auf kurze Entfernung, Kaliber 6,9 – wie die tödliche Kugel. Sie bleiben also dabei, Herr Ritschel daß ...«

»Doktor Ritschel – – bitte!!«

»Nun ja, wenn Ihnen etwas daran liegt, auch diese Frage anzuschneiden. Herr Ritschel ... Gegen Sie ist Anzeige wegen unberechtigter Führung des Doktortitels erstattet worden ... Wir mußten uns auch notwendig in letzter Zeit mit ihrer Person etwas mehr beschäftigen, denn Ihre intime Freundschaft mit Herrn von Spitzer warf bedenkliche Streiflichter auf Ihre eigene ... sagen wir ... Einstellung gegenüber Moral und Sitte.«

Ritschel zuckte die Achseln. »Mein Doktortitel wurde mir von der Regierung eines Freistaates als Dank für ...«

»... diese Regierung regierte genau drei Tage, und die Regierenden sitzen zum Teil noch heute im Zuchthaus, Herr Ritschel. Ich fürchte, die Luft hier in Berlin wird Ihnen in kurzem zu ... dick werden ... Sie kennen doch die Redensart ›dicke Luft ... ‹ – Wollen Sie zugeben, daß Sie von vornherein wußten, daß Irina den tödlichen Schuß abgegeben hat?!« Lückes Tom war schneidend scharf geworden.

Ritschel biß sich in die Unterlippe. Er wurde erst rot, dann blaß ... »Ich ... bestreite das ganz entschieden,« platzte er heraus. »Ich habe lediglich vermutet, daß ...«

Lücke wandte sich an Harald. »Hätten Sie hierzu etwas zu bemerken?«

»Verschiedenes ...« Er stand auf und öffnete das rechte Fenster, beide Flügel, – genau so, wie wir das Fenster gleich nach dem Morde vorgefunden hatten. Die äußeren Fenster ließen sich nach außen öffnen. Er hakte sie fest, – in derselben Art, wie sie vor Stunden festgehakt gewesen. – »Herr Ritschel, Sie hatten sich, als der Mord geschah, hier hinausgelehnt und hielten Ausschau nach der Frauengestalt an der Fontäne ...«

»Der Gestalt ...« verbesserte Ritschel kleinlaut. »Es kann auch ein Mann in einem Mantel gewesen sein ...«

»Nun gut, – – gleichgültig! Sie schauten hinaus ... Bitte – lehnen Sie sich genau so hinaus, wie Sie es taten ...«

»Aber gern ...«

Ritschel erhob sich und nahm die Stellung ein, die er angeblich im Moment des Mordes innegehabt hatte. Harst stand hinter ihm.

»Danke, Herr Ritschel. – Lücke, bitte ... Lehnen Sie sich hinaus. Was fällt Ihnen auf?«

»Der rechte offene, äußere Fensterflügel spiegelt den Bechstein genau wieder. Man sieht das Instrument ganz deutlich, und man würde jede Bewegung Irina Vanderkotts nicht nur beobachtet haben können, sondern sogar gesehen haben müssen, da das Spiegelbild sich einem geradezu aufdrängt ...« – Lücke trat zurück und stellte sich dicht vor Ritschel hin. »Sollten Sie jetzt nicht die Wahrheit sagen, so verhafte ich sowohl Sie als auch Spitzer wegen Begünstigung. – Raus mit der Sprache!!«

Ritschel schloß wie betäubt die Augen. Erdfahle Blässe überzog sein Gesicht. Er hüstelte, senkte den Kopf ... Seine Stirn glänzte vor Schweiß ...

»Ich ... ich ...« – er rang förmlich nach Luft ... – »ich ... gebe zu, daß Irina ... geschossen hat ...! Ich wollte sie schonen ... Ich bin ihr ein treu ergebener Freund ...«


 << zurück weiter >>