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4. Kapitel.
Der Bleiche

Haralds ironisches Lachen ließ ihn herumfahren.

»Was ... finden Sie dabei so komisch,« hauchte er ihn an.

»Wenn Lücke gestattet, will ich Ihr schwaches Gedächtnis schnell heilen, Herr Ritschel. Sie sagen, Irina hätte geschossen ...«

»Nun ja ...«

»Und Sie sahen in der Fensterscheibe auch, wie sie die Waffe in dem flachen Beutel unter dem Flügel verbarg?«

»Ich sah nur, daß sie die Pistole unter den Flügel schob ... Von dem Beutel wußte ich noch nichts.«

»So ... so ... Ihr Gedächtnis ist miserabel. Wenn Sie wieder mal einen Hammer in der Hosentasche tragen, wählen Sie besser einen kleineren ...«

Ritschel prallte zurück. Seine Züge verzerrten sich ...

»Lücke, nehmen Sie ihm den Hammer weg ... Wahrscheinlich hat er auch Nägel in der Hosentasche, sogenannte Blauköpfe, und mit diesen ist das schwarze Tuch unten am Bechstein festgenagelt worden ...«

Herr Doktor Horst Ritschel mußte sich am nächsten Sessel festhalten, seine Nerven versagten ...

Lücke faßte ihm einfach in die Hosentasche, holte einen Hammer hervor, krempelte die Tasche um, und außer einer Anzahl von Blauköpfen fielen noch Stücke schwarzen Tuches und eine kleine Schere heraus.

»Ich denke,« meinte Harald, »Herr Ritschel wird seine Angaben nun stark korrigieren.«

Lücke war rot vor Grimm geworden. »Sie ... Sie elender Wicht, Sie haben das Versteck unter dem Bechstein erst jetzt angebracht!! – Wozu?!«

Aber Ritschel war vorläufig erledigt. Er war in den Sessel gesunken und schnappte nach Luft, während sein edler Freund Spitzer sich wie ein Verschmachtender die farblosen Lippen leckte und genau so erdfahl war.

Zu beider Unheil erklärte jetzt noch Heribert Prank: »Es wird damit schon seine Richtigkeit haben, denn als ich die Diele betrat, hörte ich dumpfes Hämmern. Ich glaubte, es käme aus dem Oberstock ... Aber jetzt besinne ich mich genau, daß das Hämmern von einem merkwürdigen Klirren begleitet war, – das waren eben die durch Hammerschläge vibrierenden Saiten des Bechstein.«

Lücke nickte ihm zu. »Ein Glück, daß wir Sie noch als Zeugen haben, Herr Prank. Nun haben wir die Herrschaften endgültig fest.« – Er setzte sich, und seine Miene verriet nichts Gutes. »Herr von Spitzer, weshalb dieser Schurkenstreich, weshalb brachten Sie beide die Tasche an der Unterseite des Flügels an?! Ihr Freund Ritschel scheint vorerst nicht antworten zu können. Also bitte ...!«

Spitzer murmelte undeutlich:

»Ich ... ich weiß gar nichts ... Ich glaube, Ritschel hatte das so mit Irina verabredet ...«

Lücke zog die Augenbrauen hoch. »Verabredet?! Wollen Sie mich veralbern?!«

Ritschel richtete sich auf ... Die Augen quollen ihm fast aus dem Kopfe ... Seine Blicke ruhten auf Harst, und er zischte diesen geifernd an: » Sie haben das arme Geschöpf auf dem Gewissen, Sie ... Sie Schnüffler!! – Irina fühlte recht gut, daß Doktor Lücke ihr mißtraute ... Sie bat mich flehentlich, ihr zu helfen, den Tatbestand irgendwie zu verwirren ... Ich kam auf die Idee, Spitzers Luftpistole hierzu zu benutzen. Wir nagelten den Stoff fest und legten die Pistole in das Versteck, – wir wollten sie nachher entweder selbst wie zufällig finden oder doch die Polizei irgendwie auf das Versteck hinweisen ...«

»Blödsinn!« sagte Lücke wegwerfend.

Aber Ritschel hatte noch einen Trumpf auszuspielen. »Kein Blödsinn! Haben Sie die Kugel bei sich?«

»Ja. Hier ist sie ...«

»Versuchen Sie einmal das Geschoß in die Pistole zu laden. Die Pistole hat Kaliber 6,7, nicht 6,9.«

Lücke war sichtlich überrascht. Er nahm die Waffe, klappte den Lauf herab und wollte die Kugel in die Kammer schieben. Es war unmöglich. Das Kaliber des Geschosses war zu groß.

Auch Harald war verblüfft. Er beobachtete Ritschel und Spitzer, und als er wie ich merkte, daß die beiden jetzt allmählich ihre Sicherheit wiederfanden, sagte er nachdenklich: »Also den Tatbestand wollten Sie verwirren, – in Irinas Interesse angeblich ... Ein seltsames Mittel, einen Verdacht von jemandem abzulenken ...!«

Ritschel lächelte anmaßend. »Ein Mittel, Herr Harst, das seinen Zweck erfüllt hätte ...! Die Polizei hätte herausgefunden, daß die Kugel gar nicht in die Waffe hineinpaßte, und würde angenommen haben, es handelt sich hier um einen Versuch des wahren Täters, den Verdacht gegen Irina zu verstärken. Mithin wäre Irina in der Tat entlastet worden. Und das wollte ich. Ein Jammer, daß die Umstände uns das Spiel verdarben. Irina ist ja niemals die Mörderin, das weiß ich am besten ...«

Lücke fragte fast lauernd: »Sie sind doch stark verschuldet ... Wieviel zahlte Irina Ihnen für diesen ... Liebesdienst?«

»Nichts!« rief Ritschel empört.

»Legen Sie den ganzen Inhalt Ihrer Taschen auf den Tisch – auch Sie, Herr von Spitzer!!« befahl Lücke eisig. »Bitte – etwas fix!! Soll ich nachhelfen?! Ihr Zögern verrät genug ...«

Horst Ritschel war wieder erheblich blaß geworden.

»Nun gut, – was ist denn schließlich dabei,« meinte er achselzuckend. »Irina nahm ihr Bargeld mit, schenkte mir aber einige Schmuckstücke ... Hier sind sie ...«

Er legte ein Brillantarmband und anderes auf den Tisch, – es war ein kleiner Juwelenladen.

»Irina bezahlt glänzend,« lobte Lücke ... »Lieber Schraut, packen Sie doch die Kleinigkeiten ein. Ich beschlagnahme sie vorläufig.« – Und zu Ritschel: »Trotzdem – leeren Sie Ihre Taschen, – – Sie auch, Herr Major ...!«

»Ich protestiere!« keuchte Ritschel in ohnmächtiger Wut.

»Meinetwegen, – aber gehorchen Sie ... oder ...« – und er brachte ein Paar Handschellen zum Vorschein. »Ihre giftspritzende Feder wird niemandem mehr schaden, Ritschel. Ueberreife Pflaumen fallen ab und haben Maden ...«

Ritschel hatte in der Brieftasche dreitausend Mark, Spitzer eintausend.

»Auch von Irina also ...« nickte Lücke gleichmütig. »Ein glänzendes Geschäft, so ein Kameradschaftsdienst ...«

Die beiden feinen Herren schwiegen.

Lücke blätterte in den Papieren Ritschels, – sehr zu dessen Unbehagen. Mit einem Male stutzte Lücke. »Donnerwetter. – Sie scheinen ja mit Irina häufiger Geldgeschäfte gemacht zu haben ... Hier ist ein Brief Irinas von vor zwei Wochen ... Sie schreibt:

»Lieber R., ich werde Ihnen die Summe übermorgen übergeben. Morgen ist es unmöglich. Kommen Sie wie stets an die Fontäne, aber erst nach zwölf, es ist jetzt so sehr lange hell.

I. V.«

Hm – also, nachher sollten Sie das Geld in Empfang nehmen ...«

»Ein Darlehn,« meinte Ritschel gelassen. »Was geht das Sie an?! Nichts!«

»Da haben Sie beinahe recht. Mich geht das nichts mehr an. Ich verhafte Sie beide, mache meinen Bericht, und ein anderer Kollege führt die Sache zu Ende, da ich mit dem Morde genug zu tun habe.«

Draußen blitzte es wieder ... Das Gewitter, das zuerst wohl nicht über die Havel gekommen war, zog nun doch herauf. In das Grollen des Donners mischte sich ein anderer schriller Ton ... Es klang wie der Ruf eines Nachtvogels ...

Ritschel hatte lauschend den Kopf nach dem Fenster gedreht. Lückes Drohung hatte gegenüber dem, was Harst Ritschel jetzt zu fürchten schien, jede Bedeutung verloren. Er umkrallte die Sessellehnen, er stierte in die Dunkelheit hinaus. – Das Fenster war noch offen ...

Ich sah, daß ein Zittern seine Gestalt überlief ... Dann duckte er sich hinter der Sessellehne scheu zusammen und flüsterte heiser: »Schließen Sie das Fenster, – – um Gottes Willen, schließen Sie das Fenster und ... ziehen Sie die Vorhänge zu ...!«

Spitzer aber war wie ein Blitz unter dem Tische verschwunden, hatte sich einfach vom Sofa herabgleiten lassen ...

Wir schauten halb erstaunt, halb erschrocken ebenfalls auf das Fenster. Mit einem Male schob sich der Lauf einer Büchse über den Fensterrand, ein Kopf folgte ... Es war ein Mann mit einem unheimlich bleichen Gesicht, schwarzem Bart und einer Hornbrille.

Sein Befehl an uns war eindeutig genug ... Oben auf der Mündung der Büchse saß eine trichterförmige Verlängerung ...

Als Lücke nicht sofort die Arme hochreckte, ertönte ein schwaches Puffen, und eine Kugel fegte an Lückes Ohr vorüber.

Der zweite Befehl galt Spitzer und Ritschel.

»Kommt heraus – schleunigst!!«

Ritschel, verborgen hinter der Sessellehne, heulte entsetzt, – – ein gräßlicher Schrei war's, wie ihn nur ein Mensch in höchster Todesangst ausstößt.

»Kommt, ich tue euch nichts!« rief der bleiche Kerl ... »Mein Wort, ich tue euch nichts!!«

Spitzer kroch unter dem Tische hervor ... Er sprang als erster in den Garten hinab ... Ritschel folgte, – – und dann – – erlosch das Licht im Musikzimmer und im Salon.

Ein neuer Blitz flammte auf ... Aber der Bleiche war noch da ...

»Rührt euch nicht!!«

Es puffte wieder, und ein Bild an der Wand zersplitterte ...

Das Prasseln einer jäh herabstürzenden Regenflut übertönte alles übrige ... Harst war zum Fenster gekrochen, – – er schoß in die Finsternis hinein, er feuerte viermal ... Aber als wir nun die Verfolgung aufnahmen, waren die Flüchtlinge samt ihrem merkwürdigen Retter längst verschwunden.


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