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2. Kapitel.
Der fliegende Schirm

... Ich hätte diese letzten Szenen, die auf mich einen so tiefen Eindruck machten, hier auch weit eingehender schildern können. – Es gibt noch allzu viel zu berichten. Ich muß mich kurz fassen, ich erwähne nur, daß Harald sich nun mit einem höflichen: »Verzeihen Sie meine Schroffheit. Herr Doktor ... auf Wiedersehen,« von Pingalli verabschiedete und daß wir beide still die Treppe hinabstiegen und über den Feldweg in unseren eigenen Garten zurückkehrten.

Hier stehen an sonnigen, warmen Tagen unter dem großen Lindenbaum drei Liegestühle – für Frau Harst und für uns, je nachdem einer Sehnsucht nach Luft und Sonne empfindet.

Aus einem dieser Stühle erhob sich Heribert Prank, – etwas müde und verlegen, und unsicher begrüßte er uns ...

»Ich wollte doch einmal fragen, ob der Fall Ganotta schon geklärt ist, lieber Harst ...«

»Hm – das fragen Sie mich?!« Und Harald lächelte ihn merkwürdig an ... »Sie sind in der Tat ein glänzender Komödiant, Herr Prank ... Herr Prank!«

Der Filmschauspieler, verwöhntester Liebling der Berliner, trotzdem ein bescheidener, liebenswürdiger Mensch, senkte mit zusammengepreßten Lippen den Kopf.

»Ihnen hätte ich's niemals zugetraut,« fügte Harst hinzu. »Ich möchte nur wissen, welche Motive Sie dazu bewogen haben?!«

Prank blickte schnell auf. »Was meinen Sie?! Was hätten Sie mir nicht zugetraut?!«

»Fragen Sie nicht so töricht ... – Besitzen Sie eine kleine automatische Pistole?«

Prank wandte sich jäh zur Seite.

Aber zu meiner Ueberraschung blinzelte Harst mir jetzt vielsagend zu. – Ich begriff nichts ...

»Haben Sie Helga gesprochen ...?« sagte Heribert leise. »Aber natürlich haben Sie sie gesprochen ... Von wem sollten Sie sonst die Wahrheit erfahren haben?! Helga ist ... ist ... für mich verloren. Ich habe sie unendlich geliebt ... Wir lernten uns zufällig vor zwei Monaten dort auf dem Feldwege kennen. Ich war bei Irina – wie so oft, und wie so oft widerte mich Ritschels fades Geschwätz und des Majors ekelhafte Gier nach Alkohol derart an, daß ich in den Garten und bis auf den Feldweg ging. Dort stand Helga im milden Glanz des Vollmondes – in einem hellen Mantel, wie ein köstliches Bild. Ich hatte sie bis dahin noch nie gesehen. Ich habe mich damals auf den ersten Blick in sie verliebt. Sie erschien mir wie die Erfüllung meiner stillen Sehnsuchtsträume nach einem wirklich reinen, keuschen Weibe ... – Ich bin ein moderner Mensch und doch ein Schwärmer ... Ich bin Filmheld und doch kein Lüstling. Ich habe mir meine Kraft und Fähigkeit, mit der Seele zu lieben, bewahrt.« Er drehte sich langsam wieder um und zeigte uns seine versonnen-schmerzlichen Züge. »Wir haben uns damals eine Stunde unterhalten, Helga und ich ... So, wie Menschen miteinander reden, die sofort den Gleichklang der Seelen spüren und ihre Herzen öffnen und glücklich sind, verstanden zu werden. Ich bat Helga um ein Wiedersehen. Sie schüttelte traurig den Kopf ... »Mein Vater,« sagte sie, »würde es nie erlauben, daß ich mit jemandem verkehrte, der bei Irina Vanderkott aus und ein geht ...« – Ich drang jedoch so flehentlich auf eine heimliche Zusammenkunft, daß sie mir schließlich erlaubte, am folgenden Abend an eine Lücke der Hecke nach Irinas Garten hin mich einzufinden. – So begann unser Liebestraum. Mehr darf ich Ihnen nicht mitteilen, genau wie mich auch mein Ehrenwort bindet, was die Vorgänge der verflossenen Nacht betrifft ...«

Zu meiner Ueberraschung klopfte Harald ihm da derbvertraulich auf die Schulter. »Sie sind ein braver, lieber Kerl, Prank ... Nur ein schlechter Menschenkenner. – Setzen wir uns, rücken wir die Liegestühle zusammen. So – hier eine Zigarette ... Und jetzt geben Sie uns Feuer, Prank, – mit Ihrer Pistole ... mit Ihrer Feuerzeugpistole ...«

Ich stutzte ... Mir ging ein Lichtlein auf.

Jeder kennt diese Feuerzeuge in Pistolenform. Sie sind aus schwarzem Blech gestanzt, die teueren aus dunklem Stahl mit Nagelfeile, Bürste und Zahnstocher, Messerchen und anderem im Kolben.

Prank faßte in die Tasche ... drückte die »Waffe« ab ... Es sprühte, und ein Deckelchen am Lauf sprang auf und der Docht brannte.

» Das war der Schuß, den Helga sah, mein Alter,« lächelte Harald. »Ich dachte mir es gleich, denn Prank hat ja in dem Film »Der Page Ihrer Hoheit« mit dieser »Pistole« sehr wirksam operiert ... – Das wäre der eine Punkt. – Der zweite: Sie, lieber Prank, der Major und Direktor Hirsch war gar nicht im Salon, als Ganotta getötet wurde, sie drei waren leise hinausgegangen, und gerade Sie, Prank, erkletterten den Eichenstumpf im Hintergarten, wollten sich eine Zigarette anzünden ... Da hörten Sie Irinas Aufschrei im Musikzimmer und eilten rasch hinein. Sie, Spitzer und Hirsch gaben sich dann gegenseitig das Ehrenwort, nicht zu verraten, daß sie den Salon verlassen hätten, damit nicht etwa der Verdacht auf einen von ihnen dreien fiele, den Schuß draußen abgegeben zu haben. – Es ist so. Sie brauchen nichts mehr zu leugnen, Prank, Sie haben Ihr Wort gehalten. Jetzt ist es Ihre Pflicht, alles zu sagen. Der Polizei gegenüber dürften Sie ja auch nicht schweigen. – Also, was sahen und hörten Sie von dem Baumstumpf aus?«

Heribert Prank nickte ernst. »Meine Aussage ist von Wichtigkeit – leider! Ich hatte die Villa nach rechts herum umschritten. Ritschel ahnte nicht, daß ich drei Meter entfernt von dem rechten Fenster stand, in dem er lehnte. Ich wollte nur einen Blick nach Pingallis Haus hinüberwerfen – nur das. Aber ich sah weit mehr ... Zunächst: Die Gestalt auf der Fontäne war ein Mann!«

»Das weiß ich,« – und Harald blies den Rauch in die Höhe. »Der Mann war Doktor Pingalli ...!«

»Wie?!« Prank wollte aufspringen.

Auch ich war entsetzt. Pingalli, – – an den hätte ich zu allerletzt gedacht.

»Ja, Pingalli,« erklärte Harald. »Pingalli war auch der Bleiche mit dem schwarzen Bart ...«

Prank lehnte sich zurück. »Entschuldigen Sie, das sind Vermutungen, nichts weiter, bester Harst.«

»Bester Prank, das sind Tatsachen ...!«

»Beweise?!«

»Gedulden Sie sich ein wenig, – eins nach dem andern ... – Wie war der Mann auf dem Fontänenrand gekleidet?«

»Mantel, Schlapphut, – – dunkler Bart ...«

»Hatte er eine Waffe bei sich?«

»Ein langes Etwas ...«

»Also den Karabiner, den der Bleiche ebenfalls benutzte. – Pingalli aber log uns vorhin in seinem Studierzimmer vor, es sei eine verschleierte Frau mit Regenschirm und Stativ gewesen. Mithin log er absichtlich. Fragen Sie nur Schraut ...«

»Allerdings,« bestätigte ich. »Es muß Pingalli gewesen sein ... Weshalb beschwindelte er uns sonst so grob?!«

»Ja – und er hat recht große Füße, und im Flur standen ein Paar alte Gummischuhe, die die Spuren noch verschwommener machten ... – – Prank, ich frage weiter: Sahen Sie, daß Pingalli schoß oder doch den Karabiner hob?«

»Ja ... das sah ich ... Aber er hatte kaum angelegt, als drinnen im Musikzimmer auch schon Irina aufschrie ...«

»Hörten Sie das dumpfe »Plomp« eines schallgedämpften Schusses?«

»Nein – nichts!«

Harald beschaute nachdenklich seine Stiefelspitze. »Das ist sehr merkwürdig,« sagte er bedächtig.

»Gewiß, sogar völlig unverständlich, lieber Harst. Ich hätte selbst dieses dumpfe Plomp unbedingt vernehmen müssen. Ich stand ja auf dem Eichenstumpf in Fensterhöhe, wenn ich auch nicht in die Ecke schauen konnte, wo der Bechsteinflügel steht.«

Harst runzelte die Stirn. »Dieses Rätsel wird immer dunkler ... Sollte doch etwa Pingalli gefeuert haben?! Aber die tödliche Kugel ist eine Pistolenkugel, niemals ein Karabinergeschoß. Oder – sollte doch eine Luftpistole verwendet worden sein?! – Wir tappen im Kreise. So kommen wir nicht weiter. Packen wir die Sache anders an. Erörtern wir erst Ihre Beobachtungen, Prank, und Ihre Beziehungen zu Irina und Helga und Ihr späteres Verhalten. Wir müssen eben schrittweise vorgehen. Jeder Gedankensprung führt uns hier in die Irre. – Sahen oder hörten Sie noch etwas auf Ihrem Baumstumpf?«

»Nein. – Das heißt ... – es mag unwichtig sein, wenn es mich auch seltsam berührte: Auf den Schrei Irinas hin drehte ich den Kopf blitzschnell wieder nach links – nach den beiden erleuchteten und offenen Fenstern des Musikzimmers. Ritschel war vom Fenster schon verschwunden, und da erblickte ich im Zimmer Irinas rotseidenen Sonnenschirm ...«

»Wie meinen Sie das, – Sie erblickten ihn?!«

»Ja – er flog vom Flügel her durch die Luft und fiel irgendwie in die Nähe des Wandschirms links neben der Tür ins Eßzimmer nieder. Ich hörte ihn noch auf den Teppich klatschen – eben das Geräusch eines mit Schwung geworfenen, niederfallenden Schirmes.«

Harald bückte sich und schnürte die Bänder seines linken, braunen Halbschuhes fester. »Das ist allerdings wertlos,« sagte er. »Wo lag oder stand denn der Schirm vorher?«

»Er lehnte am Notenständer ...«

»Also dicht am Bechstein ...

»Ja ...

Harst richtete sich wieder auf. »Und wo ist der Schirm geblieben?«

»Das weiß ich nicht, lieber Harst, ich habe mich um das Ding auch nicht weiter gekümmert.«

»Nun, – der Schirm war nicht mehr im Zimmer, als Irina uns geholt hatte. – – Genug davon. Etwas Neues jetzt ... Sie wissen natürlich, daß Irina und Helga Schwestern sind?«

Prank nickte widerwillig, sagte jedoch nichts.

»Wann und wie erfuhr Helga, daß Irina ihre Schwester ist?«

Heribert seufzte. »Sie bringen mich da in eine sehr peinliche Lage ... Ich habe Verschwiegenheit ...«

»Unsinn, – hier geht es um ein Menschenleben, Prank! Reden Sie!«

»Nun gut ... Sie haben recht. – Irina und Helga lernten sich persönlich erst wieder durch mich kennen. Sie waren so frühzeitig aus dem Elternhause zu Fremden gekommen, daß sie, zumal sie sich nie mehr sahen und nichts voneinander hörten, sich gar nicht wiedererkennen konnten. Außerdem heißt ja auch Irina mit ihrem richtigen Namen, den sie längst abgelegt hat, Elisabeth Müller ... Wie sollten also die Schwestern ...«

»Schon gut ... – Wodurch ward dann doch beiden klar, daß sie Schwestern seien?«

»Eines Abends,« berichtete Prank nun etwas träumerisch, »standen wir an der Lücke in der Hecke, Irina und ich auf der einen Seite, Helga auf der anderen. Irina war nur zu uns getreten, um Helga kurz zu begrüßen. Diese jedoch hatte mir allerlei von ihrer traurigen Jugend und ihren verkommenen Eltern erzählt und weinte leise. Irina fragte sie nach dem Anlaß ihrer Traurigkeit, und so geschah's, daß Helga neue Einzelheiten aus ihren Kindertagen erwähnte. Plötzlich fiel Irina ihr um den Hals ... küßte sie, weinte auch, und – – die Schwestern hatten sich gefunden. – Nun aber auch hierbei etwas sehr, sehr Merkwürdiges: Irina verbot Helga sehr eindringlich, ja nicht etwa ihrem Adoptivvater Pingalli mitzuteilen, was sich hier im Dunklen soeben abgespielt und herausgestellt hatte. Irina war dabei so energisch und so ängstlich – ängstlich vor Pingalli, daß Helga, die ja die Abneigung Pingallis gegen Irina kannte, schnell bereit war, sich nie etwas anmerken zu lassen und stets sehr vorsichtig zu sein, wenn sie sich mit Irina an der Hecke träfe. Auch von mir verlangte Irina strengste Diskretion und Vorsicht. Ich gewann bei alldem den Eindruck, daß Irina den Doktor Pingalli aus irgendeinem Grunde sehr fürchtete, und in der verflossenen Nacht, als Sie, Harst, diesen Ritschel als Erpresser entlarvten, kam mir der Gedanke, ob nicht auch Pingalli mit den beiden Schuften heimlich verbündet sei, – ein Verdacht, der jetzt zur Gewißheit geworden, da ja Pingalli der Bleiche war, der den famosen »Doktor« Ritschel und diesen kläglichen Säufer namens von Spitzer befreite ...«

»Hm ...!!« Harald schüttelte sanft den Kopf. »Lieber Prank, – und die Angst der beiden vor dem Bleichen, diese Todesangst?!«

Prank erklärte schlicht: »Auch Verbündete können sich verfeinden, zumal wenn zwei von ihnen vielleicht auf eigene Faust das goldene Huhn rupfen.«

»Stimmt, das kann sein ... – – Aber – – weiter – – Schritt für Schritt ... Das Dunkel lichtet sich schon ... Als Irina uns holte, wo war sie da noch vorher? Sie hatte doch Schmutzränder an den Lackschuhen ...«

Prank blickte zu Boden ...

Er schwieg.


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