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Das Meer

Hier ist einzuschalten, daß Dreng viele Jahre, nachdem er schon ein Menschenalter lang mit seinem Weib im Hochland gelebt hatte, das Opfer einer unheilbaren, wenn auch nicht eigentlich lebensgefährlichen Krankheit ward – einer gewaltigen Sehnsucht nach dem Meer. Es fing damit an, daß er nicht imstande war, jemals die Mahlzeit von frischen Muscheln zu vergessen, die er und sein Weib am Strand genossen hatte, kurz nachdem er sie überholt und sie sich gegenseitig auf ihren wilden Gesichtern das Lachen hervorgelockt hatten. Diese Mahlzeit, bei der Dreng zum erstenmal salzige Nahrung kostete, stand in späteren Jahren vor ihm als die einzigste eigentliche seines ganzen Lebens. Wenn er ihrer gedachte, nickte er vor sich hin, ohne es zu wissen, als müsse er sich eine ganz neue, wichtige Sache merken.

Und mit diesem Geschmack verbunden war eine ganz seltsam klare und glückselige Erinnerung an alles, was er in jenen paar Stunden erlebt hatte, in jenen Stunden, da er und Moa, so hieß sie, mit dem Namen, den ihr die Kinder, die sie gebar, gaben, am Meeresufer geruht hatten, eh sie heimkehrten auf den Gletscher. Dreng hatte die runden Steine und allerhand andere unbekannte Dinge untersucht; und verschiedenes erwies sich auch als eßbar, wenn schon von ungleichem Wert. Und er hatte in langen Zügen hinausgewittert über diesen See, der schwärzer war als die Wasser im Land, die er kannte, und keine Ufer hatte auf der andern Seite, soweit das Auge reichte. Das Wasser hatte auch einen ganz anderen, wilden Geschmack gehabt; gut; aber zuviel durfte man nicht davon kosten. Weiße Vögel mit einer eigenen herben Sprache flogen über die Wellen, die aussahen, als wären sie auf einer großen Wanderung begriffen.

Hatte Dreng bei sich selbst den Beschluß gefaßt, wieder dahin zurückzukehren, und hatte ihn nachher vergessen? War es das, was ihn rief? Weshalb war jener Tag so köstlich gewesen, so süß bis ins tiefste Innere, daß die Erinnerung daran der geheime Anfang war zu allem, was in Dreng späterhin zu einer Art primitiver Güte ward? Noch viele Jahre später konnte er oft den Kopf schütteln, und Moa konnte, wenn sie auf ihrer Wanderung von ihren Lasten aufblickte, ein feines, flüchtiges Licht entdecken, das über die brutalen Züge des Mannes huschte, einen Schimmer, der dem Lächeln des Tages am Meeresstrand glich. Moa schob ihre Traglasten mit dem ewigen Säugling zuoberst ein bißchen höher den Rücken hinauf. Sie wußte, jetzt sehnte sich der Mann, sehnte sich. Aber sie war es nicht, an die er dachte. Und doch war auf der ganzen weiten Welt nichts, vor dem sie sich demütiger beugte als vor dem heiligen Sehnen des Mannes, an dem ihr Anteil war, daß sie ihm in stummer Treue Gefolgschaft leistete bis in den Tod.

Ja, Dreng sehnte sich nach dem Meer. Die Jahre trennten ihn von jenem einzigen Augenblick am Strand, sein Leben ward eitel Winter; aber jener Augenblick war und blieb der einzigste. Das Ungekannte hatte sein Herz gepackt in der winzigen Spanne Zeit, als er auf dem weißen Sand saß und die Wellen zusammenrauschen und auseinanderstreben sah, einer Ferne zu, in die sein Auge nicht reichte. Und in diesem Wunder des Augenblicks lag etwas, das ihm ins Blut überging und das dereinst sein und seines Geschlechtes Schicksal ward.

Aber das wußte er nicht und entdeckte es nie, daß das Sehnen nach dem Meer mystisch war und ewig an das Morgendämmern seines Herzens geknüpft, von der Stunde an, da er zum erstenmal in Moas arme, gehetzte Augen schaute.


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