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Das ewige Feuer

Es schneite. Dreng war auf dem Weg zum heiligen Berg.

Die großen, nassen Schneeflocken tauten auf Drengs haarigem Rücken; er achtete es nicht. Im Anfang hatte er geglaubt, es sei der Himmel, der da in Fetzen herunterfiel; aber bald war er klüger geworden: es war bloß Regen, Regen einer anderen, noch kälteren Art. Dreng wollte auf den Gipfel des Feuerbergs, von dem sein Stammvater vor vielen Menschenaltern seinen Brüdern das Feuer heruntergeholt hatte. In der Hand hielt Dreng sein Beil; er war ein Rasender; er fürchtete überhaupt nichts mehr nach all den Nächten der Einsamkeit und des Dunkels, die er in dem vereisenden Wald verbracht hatte. Feuer mußte er haben, im Guten oder im Bösen. Und Dreng dampfte durch das Schneewetter und stieg aufwärts, ohne sich auch nur einmal umzublicken.

Der Berg lag weit im Norden, jenseits von mehreren Tälern, in denen Drengs Stamm gewohnt hatte, ehe die Kälte sie nach und nach vertrieb. Aber Dreng kannte den Weg. Seine ganze Kindheit hindurch war er gewöhnt gewesen, allabendlich zur Laubhütte hinauszuspähen und den roten Feuerschlund hoch dort droben Rauch gegen den Himmel ausatmen zu sehen. Er hatte auf die Sage gelauscht, wie das Feuer dereinst vom Berg herniedergestiegen war gleich einem langen, glühenden Arm und den Wald auf Meilen im Umkreis verzehrt hatte; und wie das eine Schreckenszeit gewesen war für den Stamm, der sich hatte flüchten und in Mooren und Wasserlöchern verbergen müssen, bis der da droben wieder gut war. Aber in den letzten traurigen Zeiten, als die Leute weiter und weiter nach Süden ziehen mußten, hatte man den Berg aus dem Gesicht verloren, und Dreng wußte nicht recht, in was für einer Laune er jetzt gerade war. Er hatte aus der Entfernung den Gipfel vor Wolken nicht sehen können.

Aber schon, als er ein Stück weit den Fuß des Berges hinangestiegen war, ward er von bangen Ahnungen ergriffen. Der Berg, dem man sonst vor Feuerblitzen und Steinregen nicht nah kommen konnte, war seltsam still. Ob er wohl schlief? Er redete auch nicht mit einem einzigen Donnerschlag, öffnete sich weder zu Feuerströmen noch zu flammenden Abgründen, lag ganz ruhig, schüttelte sich nicht, rollte keine heißen Steine nieder, war kalt und still. Vielleicht war es ein Hinterhalt; und Dreng ging ohne besondere Lust weiter; andererseits freilich war es ja für das, was er suchte, besser, wenn der Berg nicht grimmig war.

Dreng war längst an der Grenze vorüber, wo der Wald und alles Wachstum aufhörte; er ging jetzt über ein schroff ansteigendes Feld von seltsam verzerrten, erstarrten Steinen, die noch alle die Spur des Feuers an sich trugen, aber kalt waren und durchtränkt von Eiswasser. Sie glichen toten Ungeheuern, und Dreng fing an, sich niedergeschlagen zu fühlen; eine Ahnung der Wahrheit stieg in ihm auf. Spät am Nachmittag erreichte er den Gipfel. Das letzte, steile Stück Wegs führte durch schwarze, rauhe Asche, die ihm die Füße wund schnitt, dazwischen gelbe und blaue übelriechende Blöcke, alle kalt und zusammengeklebt mit nassem Schnee. Dreng erreichte den Gipfel. Er war erloschen und kalt, wie das Gestein, über das er heraufgestiegen war.

Ja, der brennende Berg war erloschen. Dreng stand am Rand des höchsten Gipfels, der einen weiten Ring bildete, und blickte hinab in des Berges gähnenden Schlund. Er war kalt und voll Schnee. Ringsum lagen Himmel und Abgründe und die ganze Welt öde. Nie wieder würde Dreng Feuer finden. Der gewaltige Geist auf dem Berg war nicht mehr. Die Welt war erloschen.

Eiskalt, mit blutenden Füßen, stand Dreng auf der Zinne der ausgestorbenen Erde, einsam, ohne Hoffnung.

Vor ein paar Tagen war er auf seinem Weg nordwärts über den Paß gegangen, auf dem alten Tierpfad, der jetzt vom Regen fast verwischt war. Alle Tiere jenseits, nach Norden zu, waren ausgewandert. Da war er ein letztes Mal stehen geblieben, um gen Süden zu schauen, in einer nebelhaften, eitlen Hoffnung, vielleicht wenigstens den Rauch aus den Wohnstätten seiner Stammesbrüder zu sehen. Und da waren seine Not und seine Verlassenheit in eine furchtbare Stimmung umgeschlagen, die ihn aufsässig gemacht hatte gegen die ganze Welt, gegen alles und alle. Und in einem Hochmut des Schmerzes hatte er über das Tal weg einen neuen Sang hinausgeschrien, einen Sang von der versunkenen Erde, einen Trutz-Sang, einen Verneinungs-Sang! Er hatte die Zähne gefletscht und gesungen und herausgefordert, er ganz allein, wie er so auf dem Paß stand, vor sich eine Zukunft, die derjenigen, auf die alles sonstige Lebende zustrebte, mitten ins Gesicht schlug. Das Echo gab seine Rufe hohl zurück, in seiner eigenen gebrochenen Stimme, bis er immer wilder ward und sich selber in Wahnwitz überbot. Und nachdem er sein Herz gesättigt hatte mit Einsamkeit und Verneinung, hatte er sich umgedreht und Front gemacht gegen den Nordwind und war hineinmarschiert mitten in den Winter. Freilich, damals hoffte er noch. Da war ihm nicht von fern der Gedanke gekommen, daß er kein Feuer mehr würde holen können vom heiligen Berg der Väter. War er nicht da, der Berg, der Quell alles Feuers, der unsterbliche Wärmer und Verzehrer? Der Ausweg aller Auswege blieb ihm doch immer, zum großen Feuergeist zu gehen und mit ihm zu kämpfen um einen Funken zum Lebensunterhalt! Und von dieser Hoffnung hatte sich sein Herz genährt, in ihr war Abenteuer, Glück oder Untergang!

Jetzt stand er auf dem ausgebrannten Berg. Der Quell des Feuers war vertrocknet. Der große Geist war tot. Dreng hatte zum letztenmal gesungen. Da stand er, der Feueranbeter, ohne Feuer, der Waldmensch ohne Wald!

Und dann begann seine Wanderung auf Erden als Mensch, als Anfänger, einsam und nackt, auf der kalten Erde.

Ein Affe hockte am Rand des Abgrunds und grinste mit langen, gelben Zähnen, als Dreng sich umwandte, um hinabzusteigen, ein alter Menschenaffe, der aus irgendeinem Grunde nicht mit seinen Genossen fortgezogen und Dreng auf den Berg gefolgt war. Da hockte er, die kalten Füße aneinandergepreßt, die Hände zusammengelegt, zitternd vor Kälte. Als Dreng auf ihn aufmerksam ward, erwiderte er seinen Blick mit klugen, gierigen Augen und kehrte ihm eine regenbogenfarbene Schwanzpartie zu, lief ein paar Schritte den steilen Abhang hinunter und saß wieder still. Dreng zielte mit einem großen Eisklumpen nach seinem Kopf, fehlte ihn jedoch; ein Verlangen packte ihn, sein Herz zu fressen.

Während des Abstiegs hielt sich der Affe in einem gewissen Abstand hinter Dreng, der ein paarmal Steine und Eisblöcke nach ihm schleuderte, ohne ihn zu treffen. Er folgte ihm auch weiter.

Dreng war kaum vom Krater herabgestiegen, als ein entsetzliches Unwetter losbrach. Berge und Himmel verflossen in eins. Er tötete einen Elch und schlief unter dem warmen Körper, in sich so viel vom Blut des Tieres, als er nur zu trinken vermochte. Im Verlauf von ein paar Stunden wich die Lebenswärme aus dem Tier, und Dreng erwachte unter dem Gewicht des erstarrenden Kadavers; immerhin hatte er sich die Nacht durch am Leben erhalten.

Und als die Sonne durchbrach und er schon mehrere Meilen weiter nordwärts war, lag der heilige Berg unter einem schimmernd weißen Gipfel von Schnee, der von nun an nicht mehr wich. Das ewige Feuer war abgelöst vom ewigen Schnee.

Und immer mehr Schnee kam in den Bergen, Schnee und immer wieder Schnee, und in den Tälern regnete und hagelte es unablässig. Die Eiszeit setzte im Ernst ein.


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