Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Im grauen Licht zog das Boot über den still beruhigten See unter den schwarzen Waldwipfeln von Herrenwörth entlang gen Süden dem Gestade zu; noch im Schatten erreichten sie's, doch über ihnen flammten die Felszinnen der Berge schon im Sonnengefunkel auf. Schwierig war zuerst der Weg durch weites versumpftes Moos am Seerand, Markwart hob oftmals Adelhard auf die Arme und trug sie über den brüchigen Boden, sie eilten, denn hierher reichte frei von allen Seiten her der Blick. Aber dann nahm die waldige Anwölbung des heutigen Buchberges sie schützend auf, und weiter stets durch tiefes Tannendunkel gelangten sie gegen Markwartstein. Hier schlich Putulung vorsichtig spähend zu der aus langen Fichtenstämmen über die wilde Ach gefesteten Brücke voran, doch drüben hob sich die Burg in lautloser Ruhe von ihrem Felsenhort, rundum lag kein Waffenknecht von Megling bedrohlich im Hinterhalt. Die Zurückgebliebenen folgten nach, auf den Anruf des Burgherrn senkte die Zugbrücke sich herab, und Markwart hielt seine schöne Braut sicher im trotzigen Schroffen- und Mauerschutz geborgen. Nur kurze Tage verharrte sie noch als solche bei ihm, dann hatte er vom Kloster Högelwörth her einen Gast zu sich entboten, der die Macht besaß, Mann und Weib zum unlöslichen Bande auf Erden und im Himmel zu vereinigen und der seine geistliche Befugnis übte, ohne nach der Beipflichtung anderer zu fragen, als der beiden, die er vermählte. Denn er stand nicht unter dem Gebot eines weltlichen Herrn, keine Satzung schrieb ihm anderes vor, als eigenes Bemessen seiner Amts- und Gewissenspflicht, und Markwart kargte nicht mit reichlichem irdischem Entgelt zugunsten des Klosters. An dem Tag aber verließ Putulung die Burg und stieg durch den tiefen Felswald über ihr hinan, mühevoll, manche Stunden lang, bis er auf freien Mattenhang und weiter empor zu der hohen Felskuppe hinankam, die ihre Seitenlehnen gleich den Flügeln einer Riesenfledermaus ausspannte. Dort in der leeren Einsamkeit über der unermeßlichen Weite zu seinen Füßen lag er windummurrt im Abendlicht des Tags und im Mondglanz der Nacht und hielt den Blick auf den kleinen, dunklen Fleck hinuntergerichtet, als welcher die Künzelsau in der silbern hingebreiteten Fläche des Sees erschien. Kein Schlaf kam in seine Augen, bis die Sonne, im Osten über den Gesichtsrand steigend, sie blendend anfunkelte. Da begab er sich wieder gen Markwartstein hinab, wo niemand ihn beim freudvollen Hochzeitsfeste vermißt hatte, und auch am Morgen danach war es den Jungvermählten nicht aufgefallen, daß sie ihn nicht gesehen noch in den Sinn geraten, zu fragen, wo er sein möge.

So hatte Markwart sich vor geistlicher und weltlicher Satzung ein Recht erworben, sein junges Ehgemahl gegen jeden Versuch, ihm dies wieder zu nehmen, auf Tod und Leben zu verteidigen, und wachsam hielt er seine Burg bei Tag und Nacht vor einem Überfall gesichert. Doch diese Besorgnis erwies sich bald als unnötig. Wie dem Pfalzgrafen Kuono Kunde von der Vermählung seiner Tochter geworden, nahm er von einem Unterfangen, sich ihrer zu bemächtigen und ihre Ehe gewaltsam zu trennen, Abstand. Zwar sein Zorn flammte hoch, und auf eine bittende Zuschrift Adelhards, ihr zu verzeihen, da sie nicht anders handeln gekonnt, ließ er ihr eine Absage ausrichten, daß er sie nimmer mit Augen sehen wolle, ihr das väterliche Erbe entzogen und sie aus seinem Gedenken ausgelöscht habe. Er war zu bitterlich in seinen stolzen Hoffnungen und Entwürfen gekränkt worden, aber seine Tochter wußte, im Innersten barg er doch eine unaustilgbare Liebe zu ihr, auf die er sich zurückbesinnen werde, wenn die lodernde Heftigkeit seines ersten Grolles allgemach verrauche. Das erharrte sie mit sicherer Zuversicht, und wenn auch seine gegenwärtige Abkehrung von ihr noch einen Schatten bildete, der kühl von der heimatlichen Burg im Norden auf sie herüberfiel, so konnte er doch die Wärme, den Glanz, die leuchtende Schönheit des Sonnentags, der sie umfloß, ihr nicht mindern.

Denn obwohl nur wenigen zu jenen Tagen ein flüchtiger Einblick in die vertrauten Gemächer des Burgherrn und seiner jungen Burgfrau verstattet gewesen sein mag, geben doch Niederschriften aus der Zeit Kunde von einem wundersamen, wie aus alten Märchen heraufklingenden Glück, das seinen Einzug in Markwartstein gehalten. Die Botschaft davon flog weitum durch die Lande, und Sänger verherrlichten die »saelde« der Vermählten und den tugendsamen Liebreiz » Vrouwen Adelhards« in Liedern. Klein und bescheiden lag die Burg auf ihrem felsigen Anstieg, dunkelumwaldet im noch wild-einsamen Talschoß, doch die darin hausten, dachten nicht daran, nach Prunk und Reichtum von Megling, noch nach anderer Gesellschaft als ihrer eigenen zu begehren. Wenn aber sie hinaustrachteten, so stand's ihnen offen, an den See und in die Weite zu reiten, wohin sie's gelüstete, denn der Unwille des Pfalzgrafen gefährdete ihre Freiheit nicht. Stets, ob Markwart allein oder mit Adelhard ausritt, geleitete ihn Putulung, mit Schwert und Speer gewaffnet. Doch eine vornehme Rüstung, die der junge Burgherr ihm ausgewählt, hatte er nicht gewollt, sondern trug nur die eines gemeinen Knechtes, Brust und Gliedmaßen mit schlichtestem Eisenkoller und Schienen überwölbt. So hielt er sich, niemals fehlend, neben Markwart, so oft dieser davonzog, bis die Zugbrücke sich wieder vor dem Heimkehrenden niederließ. Unter der Eisenkappe aber gingen die schwarzen Augensterne Putulungs rastlos spähend umher, den Weg voraus und zu den Seiten, aufwärts am Berghang und in die Schluchttiefe nieder. Man sah, ihrer achtsamen Schärfe entrann nichts, kein leisestes Regen im Waldgezweig, kein mattester Schimmer im Dunkel der Schatten. Auch zur Jagd in die Berge hinauf begleitete er seinen neuen Herrn, als ein unbeirrbarer Künder und Deuter des erspürten Wildes, denn jeder Laut, den kein anderes Ohr vernahm, zog ihm lauschend und forschend den Kopf in die Richtung des leisesten Geräusches herum.

Eines Tages, als Markwart mit seinem Geleit über den alten Römersitz Grabenstätt gen Chieming geritten, begegnete ihm auf der Straße ein Reitertrupp, der ihn begrüßte und anhielt. Seine Brüder von Baumburg waren es; sie hatten ihn seit manchen Monaten nicht mehr gesehen, beglückwünschten ihn zu seiner Vermählung und hehlten nicht eine Schadenfreude dabei, daß er ihrem hochfahrenden Sippengenossen, dem Pfalzgrafen, damit einen tüchtigen Verdruß zugefügt habe. Doch er tauschte nur ein flüchtiges Wort mit ihnen und gab Eile vor, die ihn fortnötige. Als er am Abend heimkehrte, nahm Adelhard zum erstenmal einen Schatten auf seiner sonst immer unbewölkt heiteren Stirn gewahr, so daß sie fragte, was ihn verdrossen habe. Er antwortete: »Nichts,« und als sie meinte, es müsse doch etwas sein, schlang er die Arme um sie: »Ja, daß ich so töricht war, auszureiten, statt bei dir zu bleiben und deine Lippen zu küssen.« Da lachte sie, schalkhaft und selig zugleich, unter ihrer Hand, die über seine Stirn glitt, zerging spurlos das Wölkchen, und sie versagte ihm nicht, was sie nicht minder begehrte, als er. Mit braunen Blättern begann draußen der Herbst die Laubbäume zu färben, doch auf Markwartstein blühte der Frühling holdselig wie an einem ersten Junitag.


Da ist Herr Markwart an einem Oktober-Frühmorgen von Markwartstein in die Berge hinaufgestiegen. Heimlich hat er sein junges Gemahl noch schlafend verlassen, denn in der Nacht hatte ihre Stimme ihn geweckt und im Traum von einem zwölfzackigen Hirschgeweih gesprochen, nach dem ihr Wunsch stehe, um es mit Gold zu überziehen, wie sie als Kind auf Megling ein solches in ihrer Kammer gehabt. Und lächelnd ist Herr Markwart mit einer Armbrust davongegangen, doch der Mittag gekommen, ohne daß er heimkehrt, und der Abend und die Nacht.



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