Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Der Pfalzgraf Kuono hatte mannigfache Händel und Zwiste, die der Sommerbeginn ihm zur Schlichtung aufgeladen, beseitigt, und zufriedenen Sinns wandte er sich der Beschäftigung mit dem Hauptplan seines Lebens zu, durch die Vergabung der Hand seiner Tochter in einen engen Verband mit dem bayerischen Herzogshause zu treten. Es war die rechte Zeit dazu; wenn er Adelhard anblickte, konnte ihm nicht Zweifel bleiben, sie stehe in höchster Frühlingsblüte ihrer Mädchenschönheit. In jene anderen Gedanken und Sorgen vertieft, hatte er das wohl nicht so wahrgenommen, sie noch als ein halbes Kind erachtet. Aber nun gingen die Augen ihm auf, sie sei's nicht mehr, seit den letzten Wochen nicht, oder eigentlich von Tag zu Tag weniger. Wie eine Knospe, die man noch erst in langsamer Entwicklung geglaubt, sich plötzlich in einer Sommernacht auffaltet und mit vollerblühtem Kelch die Frühsonne grüßt, so hatte sich Adelhard von Megling mit überraschender Schnelligkeit aus einem hochaufgewachsenen Mädchen zu einer von höchstem jungfräulichem Zauber umflossenen Gestalt verwandelt, und ihr Vater beschloß, sein Vorhaben, sie nach Landshut in die Hofburg zu führen, nicht mehr über den Sommer hinaus zu verzögern. Um seinen Besuch mit ihr dort anzumelden und sich guten Empfang zu bereiten, gedachte er als Kundschafter einen geeigneten Boten vorauszusenden und hatte sich dazu seinen Neffen oder Vetter – die Bezeichnungen und Namen für solche Grade der Blutsverwandtschaft gingen noch vielfach schwankend durcheinander – Markwart von Markwartstein ausersehen.

Denn dieser war nicht nur häufiger Gast auf Megling, sondern seiner eigenen Burg fast untreu geworden, als ob er sich gänzlich in die Gefolgschaft seines Oheims begeben habe. Nur ab und zu suchte er einmal kurz Markwartstein auf, dort nach der Ordnung zu sehen, dann kehrte er sogleich, zumeist noch am selben Tag zurück. Doch nahm er eigentümlicherweise den Hin- und Herweg nicht mehr, wie früher stets, in nächster Richtung ostwärts vom Chiemsee, sondern umritt diesen nach Westen und erreichte im Bogen, am Kloster Seon vorüberziehend, ohne sich gegen Altenmarkt zu halten, von der Seite her das pfalzgräfliche Schloß. Es war, als suche er zu vermeiden, daß Baumburg, die Feste seiner Brüder, ihm in den Blick gerate, und wenn dies von einer Anhöhe herab doch einmal in der Ferne geschah, wendete er hastig, wie von einem Schreck angerührt, die Augen. Von Megling aus aber geleitete er gleich einem Lehnsmann den Grafen, wohin dieser auszog, nützte ihm oft mit klugem Ratschlag oder erfreute ihn durch Witz und heitere Laune, und stieg von Tag zu Tag höher in der Gunst seines Oheims, der kaum einen Unterschied zwischen ihm und seinem eigenen Sohn machte. Der bisher entfremdet Gewesene war unverkennbar von ihm als naher Verwandter völlig in Haus und Huld aufgenommen.

Und als solcher empfand er sich augenscheinlich auch Adelhard gegenüber, wie sie das gleiche tat. Die Fremdheit ihrer ersten Wiederbegegnung seit Kindertagen lag kaum mehr begriffen hinter ihnen, sie duzten sich, wie es natürlich war, und trugen bald das Gefühl, als hätten sie immer täglich so miteinander gelebt. Er schaukelte sie auf dem hängenden Brett unterm Lindenbaum und erinnerte sich jetzt gleichfalls genau, daß er es als Knabe so getan; oft begleitete er sie auf den nahen Waldwegen und an den Fluß hinab, wo sie beisammen auf dem Gestein über dem weißschäumenden Wasser rasteten. Ihr Gespräch beredete nichts Ernsthaftes, flog am liebsten in leichten und neckenden Scherzworten von Mund zu Mund; zuweilen sahen sie sich auch nur stumm an und lachten, als komme ihnen ein ungesprochener drolliger Einfall. Das Mädchen blieb sich immer gleich, doch Markwarts Behaben wechselte manchmal rasch und wunderlich. Es geschah wohl, daß sie wie Kinder miteinander um etwas stritten, und seine Hand faßte ihren Arm, wie ein Knabe den eines Spielkameraden, und sie prüften, wer stärker sei. Aber dann konnte er sie, jählings zurückfahrend, loslassen, und sein Blick wich unsicher aus dem ihrigen, als würden seine Hände und Augen von plötzlicher Scheu gelähmt, ihr ins Antlitz zu sehen und sie zu berühren. Danach verfiel er zumeist in schweigsamen Ernst, daß Adelhard öfter verwundert fragte, was ihm sei. Dann schlug er schnell mit den Wimpern, blickte sie an und gab die Antwort: »Nichts – mir flog etwas ins Auge, es ist schon fort.« Oder einmal sagte er: »Mir war's eben, als läge der See von Seon da vor mir und eine weiße Wasserrose schwimme darauf. Aber wie ich die Hand nach ihr streckte, ward sie plötzlich schwarz, daß ich erschrak und sie losließ.«

Lachend erwiderte das Mädchen: »So kannst du auch mit offenen Augen träumen, nicht nur im Schlaf, wie du mir damals auf dem See erzähltest, daß du mich gesehen und mich danach auf der Straße wiedererkannt.«

Er schwieg kurz, dann versetzte er rasch: »Das war kein Märchen, denn ich sagte dir nicht die Wahrheit. Ich sah dich nicht im Traum, sondern wirklich.«

Erstaunt hob sie den Kopf.

»Wo denn?«

»In der Nacht auf Neureit, als du erschreckt aus deiner Kammertür hervorkamst. Ich war einer von den beiden, die mit Eisengittern vorm Gesicht am Treppenrand standen.«

»Du, Vetter?« Fast sprachunfähig brachte sie kaum hinterdrein vom Mund: »Was wolltest du im Hause?«

»Meinen Genossen, mit denen ich ausgezogen, helfen, dich wegzuführen, um deinem Vater ein hohes Lösegeld für dich abzunötigen.«

»Du? Das war schändlich.«

Adelhard sprang auf und setzte den Fuß davon. Aber unwillkürlich fügte sie noch nach: »Warum tatst du es denn nicht?«

»Weil ich dich bei dem Fackellicht zum erstenmal sah, und statt den andern zu helfen, riß ich sie fort. Doch am Mittag wartete ich draußen, bis du mit deinem Vater die Straße herabkämst.«

Nun wandte sie sich wortlos schnell um und ging. Er fragte ihr nach: »Zürnst du mir?«

Sie hielt abgekehrt an, oder doch nur eben ein wenig das Gesicht drehend. In dieser Stellung gab sie Antwort: »Da warst du es eigentlich, der mich schützte. So kann mein Vater dir zürnen, aber ich nicht.«

Nicht mehr als ihre rechte Schläfe ließ sich gewahren, doch diese stach in hochroter Farbe von dem Laubgrün neben ihr ab.

»Ich muß nach Hause gehen,« kam ihr noch von den Lippen, und sie schritt weiter in den schmalen Buchensaum hinein, über den nah der Bergfried herabsah. Aber unter dem Wipfeltor der grauen Stämme wandte sie sich noch einmal, und aus dem grünen Blätterrahmen leuchteten kurz ihre Augen gleich zwei blauen Edelgesteinen zurück.

Beide redeten nicht wieder von dem seltsamen Bekenntnis, das Markwart abgelegt, doch zweifellos hatte dies keine Empörung bei Adelhard hinterlassen, noch ihr Vater durch sie eine Kundschaft davon empfangen. Wie zuvor sah jeder Tag sie in gleichem Beisammensein, fast noch heiterer und ausgelassenen Kindern ähnlich, mehr noch zu übermütigem Treiben angespornt als früher. Dann indes nahm Markwart für längere Zeit Abschied von Megling. Er müsse nach seiner Burg, die er seit Monatsfrist nicht mehr besucht, um dort mancherlei zu ordnen und zu schaffen, daß er wohl eine Woche ausbleiben werde. So ritt er auf dem Wege gegen Seon davon; doch wie er bald durch eine Waldschlucht kam, hockte an ihrem Rand ein kleines, kaum mit Lumpen bekleidetes Mädchen, das auf ihn gewartet zu haben schien. Denn es sprang auf und hielt ihm ein Schieferstück empor, darauf, wie er's nahm, geschrieben stand: »Du hast's gelobt und ich warte, daß du kommst.«

Ein Schütteln ging ihm beim Lesen durch die Glieder, hastig zog er einen Griffel hervor und schrieb auf den Schiefer: »Ich versprach's, wenn ich mit meinen Brüdern geredet, doch ich habe sie bis heute noch nicht gesehen.«

Er gab der Dirne die Steinplatte wieder: »Bringe das zurück, wo du's bekommen!« und seinem Pferd heftig die Sporen einschlagend, jagte er von dannen.

Wie er's gesagt, verging eine Woche, eh' er nach Megling wiederkehrte. Gegen Abend war's und der Pfalzgraf noch auf einem Ausritt abwesend, nur Adelhard traf er allein in der Halle. Sie kam, ihm die Hand streckend, entgegen, fragte, in welchem Stand er seine Burg gefunden, und sie saßen redend sich auf den Steinbänken einer tiefen Fensternische gegenüber, aus welcher der Blick weit ins Alztal hinunterging. Er erwiderte, gar manches habe er anders instandgesetzt, denn es sei unwirtlich und roh gewesen, wohl ausreichend für das Bedürfnis eines Mannes, doch nicht, wenn er einmal eine Frau als Herrin auf die Burg heimführe. Danach fragte er Adelhard, was sie während seiner Abwesenheit getan, und sie antwortete, daß sie eben vom Hügel herabgekommen und nach den Bergen hinübergeschaut. Einer von ihnen sehe einer Fledermaus mit ausgespannten Flügeln ähnlich, darunter habe die Abendsonne auf einem hellen Punkt geblinkt, ob das Markwartstein gewesen?

Er entgegnete: »Ja, wenn's unter der Fledermaus glänzte, da haben deine Augen es eben zum erstenmal gesehen.«

Abendröte fiel durchs Fenster und über das Antlitz Adelhards, doch ihre Wangen blühten noch höher, als das Licht sie zu färben vermochte. Einen Augenblick schwieg sie, aber dann gab sie schnell zurück: »Nein – du redetest mir einmal nicht die Wahrheit und so tat ich's dir eben nicht. Ich sah deine Burg nicht zum erstenmal heut in der Weite, denn seitdem du fortgeritten, war ich an jedem Tag droben auf der Höhe und blickte nach ihr hinüber.«

Während sie's noch sprach, trafen sich die Augen der beiden und tauchten sich ineinander; ins letzte Wort aber klang Hornruf von draußen, der Pfalzgraf kam heim und trat rasch in die Halle. Er hatte eine Nachricht empfangen, die ihn gleich zur Ausführung seines Planes veranlaßte, so daß er hocherfreut war, Markwart zurückgekehrt zu sehen. Noch stehend teilte er ihm mit, er habe ihn erlesen, morgen an den Hofhalt des Herzogs nach Landshut zu reiten, denn dieser selbst, der von Adelhard vernommen, wünsche, sie bei sich zu sehen, ob sie ihm als Mage für seinen Sohn gefalle.

Da war's einen Augenblick, als ob auf den Angesprochenen ein Blitzschlag niedergefahren sei, so stand er wie betäubt. Dann raffte er seine Kraft zusammen und erwiderte: »Mich wollet Ihr zu solcher Sendung küren, Oheim? Laßt sie mich kürzer vollbringen und zur Stunde tun, was ich ohne Euer Zumuten wohl bis auf morgen verschoben hätte, für mich selbst um Eure Tochter werben. Denn ich hege den Glauben, sie trachtet nach keinem Herzogssohn, sondern was Ihr bewilligt, schlägt sie meiner Bitte nicht ab.«

Nicht minder aber sah der Pfalzgraf Kuono den Sprecher an, als sei diesem Unglaubliches vom Munde geraten, eh' er entgegnete: »Seid Ihr auf Eurem Ritt in der Sonne irren Kopfes geworden, Vetter? Erholt Eure Vernunft an einem frischen Trunk und ich will's als einen guten Spaß ansehen, daß Ihr um meine Tochter gefreit. Dann reitet in der Frühe nach Landshut. Euer Sendbrief wird in einer Stunde fertig sein. Du, Adelhard, geh auf deine Kammer!«

Eine Antwort war's, nicht zu mißdeuten, noch zum andernmal herauszufordern. Das Mädchen stand, weißen Gesichts geworden, wie die Wasserrosen auf dem See zu Seon, verhaltenen Atems, dann gehorsamte es dem Gebot des Vaters und ging wortlos zur Tür davon. Markwart sah ihr nach, ob sie ihm nicht einen Abschiedsblick zuwende; doch sie war die Tochter des großen Pfalzgrafen, und auch mit den Augen seinem Geheiß nicht zuwiderhandelnd, verließ sie die Halle. Zufrieden aber und als ob ihn der Worttausch der letzten Minuten in Wirklichkeit nur mehr als ein Scherz bedünke, sagte Graf Kuono: »Also morgen mit Sonnenaufgang, Vetter, denn man muß eine Fürstenkrone nicht warten lassen. Oder wenn Ihr's vorzieht, reitet noch heut nacht, so seid Ihr eher am Ziel. Wir haben Mondlicht und die Wege sind hell.«

Der junge Mann nickte stumm; das schien ihm das Liebere zu sein. Er begab sich in die Stallung fort und schüttete seinem Pferde reichlich Hafer in die Krippe; dann ging er zur Burg hinaus, umschritt den breiten, ins Felsgestein eingehauenen Graben und schaute nach dem Gemach, das Adelhard bewohnte, hinauf. Doch obwohl der Verschluß ihres Fensters geöffnet stand, ließ sich nichts von ihr gewahren, sie leistete auch darin selbst dem ungesprochenen Willen ihres Vaters Folge, sich Markwart nicht mehr zu zeigen. Die Sonne war lang gesunken, es war dämmernd und dunkel um ihn, denn der Mond ging erst zu später Stunde auf. So kehrte er nach vergeblichem Harren mit fressender Bitternis in der Brust zum Stall zurück und sattelte sein Roß. Doch er sprach nicht in der Schreibstube seines Oheims vor, sich den Brief von ihm zu erholen, sondern er schwang sich in den Bügel, hieß den Torwart ihm öffnen und ritt abschiedslos aus der Burg. Aber wie er noch unweit von dieser an eine Wegkreuzung gelangte, stutzte sein Pferd, denn es trat etwas heran, eine Landmagd schien's, das Licht ließ noch eben die bäuerische Tracht einer solchen unterscheiden. »Was willst du?« fragte er kurz, und sie erwiderte: »Reitet Ihr nach Landshut, Herr?« Da war's die Stimme Adelhards, daß ihm einen Augenblick das Herz im Busen stillhielt, und sie fügte nach: »So zieht Eures Weges allein und richtet aus, ich wolle keine Krone auf dem Scheitel. Aber reitest du nach Markwartstein, da hab' ich eine Bitte an dich, nimm mich mit dir, denn mein Verlangen ging in der letzten Woche zu oft dorthin, und ich habe nicht Flügel, durch die Luft hinüberzustiegen.«

Ein Schrei flog ihm von den Lippen, und stürmisch schlug ein paarmal sein Herz, die Säumnis nachzuholen. Dann hatte er blitzschnell Adelhard vor sich aufs Roß gehoben, sie schlang zum Halt fest ihren Arm um ihn, und hastig sprengte er mit ihr an der Alz aufwärts durch die Nacht davon.



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