Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Um sie nicht unnötig zu schrecken, äußerte der Wirtschafter von Neureit ihr am Morgen nichts über den Verdacht, den er geschöpft, sondern stellte den Überfall nur als einen von gewöhnlichen Raubgesellen unternommenen dar. Es war keine Gefahr mehr für die Grafentochter vorhanden, da ihr Vater am Mittag eintreffen wollte, um sie abzuholen, doch sorgte der Hofbauer dafür, daß ohne ihr Wissen Knechte aus einiger Entfernung überall, wohin sie gehen mochte, ein Auge auf sie hielten; man konnte nicht hineinsehen, was der dichte Waldgurt rundum im Innern barg. Sorglos wanderte sie so im weitgerodeten, von schon hochwüchsigem Korn bedecktem Gefild, der kurze Nachtschreck wirkte nicht bei ihr nach; sie hatte oftmals von ähnlichen Überfällen reden gehört, und eigentlich war's ihr lustig, da alles derartig gut abgelaufen, selbst einmal einen solchen miterlebt zu haben. Das Gelärm hatte sie nur so plötzlich aus tiefem Schlaf aufgescheucht, daß sie nicht Zeit gefunden, recht zum Bewußtsein zu kommen, und noch halb sinnverstört dagestanden. Sonst hätte sie sich nicht so untätig, nur verdutzt dreinschauend, benommen, wie's im wachen Zustand nicht ihrer Art entsprach. Denn sie war von Natur keineswegs zaghaft, sondern konnte sehr mutig entschlossen sein, wo es galt.

Doch fuhr sie trotzdem nun einmal leicht zusammen, da unerwartet dicht neben ihr hinter einem mit weißen Doldenblüten bedeckten Busch von Hartriegel sich etwas Großes und Dunkles aufhob. Aber dann lachte sie, denn es war Putulung, der dort am Boden gekauert, und sie mußte nochmals lachen, wie er jetzt, emporgesprungen, sie unbeweglich scheu anblickend, dastand. Ihr geriet's lebendig ins Gedächtnis, wieviel hundertmal er auf ihr Geheiß gleich einem Fischotter in die Alz getaucht und sie auf der Schleife den steilen Abhang hinunter- und heraufgezogen; nur größer in die Höh' geschossen war er, als damals, doch von Aussehen noch grad' ebenso, wie als halbwüchsiger Bube. Aber zugleich kam's ihr auch durch einen Blumenstrauß, den er in der Hand hielt, daß ihr die Blumen einfielen, die sie gestern in ihrem Zimmer empfangen, denn die gleichen waren's, die er sich jetzt eben gesammelt. Das ließ ihr unwillkürlich von den Lippen kommen: »Das sieht närrisch aus, Putulung, Blumen in deiner Hand! Was willst du damit, wozu hast du sie gepflückt? Doch nicht für dich.«

»Nein – für mich nicht – für Euch,« antwortete er, nur halbverständlich stotternd.

»Für mich?« entgegnete sie verwundert. »Warum?«

»Weil ich weiß, daß Ihr sie gern habt und, wenn Ihr hierher kommt, selbst danach sucht.«

Er hielt ihr den Strauß entgegen, doch sie rührte ihre Hand nicht, sondern sagte: »Da hast du wohl gestern die Blumen in meine Stube getan.«

»Ja – ich sah Euch im Wald kommen und lief, sie zu suchen.«

»Puh, du hast sie mit der Hand –.« Es entflog ihr, sie fügte, wie um es ungehört zu machen, schnell nach: »Daran hatte ich nicht gedacht, daß sie von dir sein könnten, sonst hätt' ich dir dafür gedankt. Freilich, ich habe dich noch nicht gesehen, nur heut nacht einen Augenblick. Wie kamst du da vor meine Tür mit der Fackel? Du schläfst doch drüben im Stall, mein' ich von sonst.«

»Ja – aber ich fürchtete –« stotterte er wieder.

»Was?«

»Es könnt' Euch Übeles geschehen – in der Nacht – darum hielt ich Wache vor Eurer Stube.«

»Das war unnötig, und wenn ich's gewußt, wär's mir –«

Sie verhielt: »widrig gewesen,« denn ihr kam's, daß sie mit dem ersten ja unrecht gehabt. Wahrscheinlich würden sonst die Räuber auch zu ihr in die Kammer gedrungen sein, daß sie sich noch mehr erschreckt hätte. Er war ein wachsamer und treuer Diener gewesen, wie ein guter Hund; so nannten die Leute ihn ja auch, den Hunnenhund. Sie schämte sich dessen, was ihr beinahe herausgeflogen, und fuhr fort: »Ja, wie's heut nacht kam, war's recht von dir, mein Vater wird dich dafür loben. Ich sah, wie du einen mit der Fackel schlugst, daß sie fortliefen. Aber was sagtest du zu mir? ich verstand's nicht. Wie war's? ein Wort – Osila. Das ist ein Frauenname. Was hieß das? Kanntest du mich nicht mehr? Warum nanntest du mich so?«

Putulung stand wunderlich, scheu, von einem sichtbaren Gliederzittern überlaufen. Er schob seinen Arm mit dem Strauß noch weiter vor und fragte: »Wollt Ihr die Blumen?«

»Nein, die will ich nicht, ich habe genug davon und mag sie nur, wenn ich sie selbst gepflückt habe. Aber ich will von dir wissen, warum du mich so genannt hast.«

Etwas herrisch klang's, daß er ihr nicht gleich gehorcht. Man sah, daß er seine weißen, sich an den Seiten zuspitzenden Zähne aufeinander drückte, murmelnd brachte er zwischen ihnen hervor: »Ich habe Euch nicht so genannt.«

»Doch – ich hab's gehört – willst du sagen, daß ich lüge?«

Sein Ableugnen verdroß sie; mit einem Gedächtniswort des Mundes kam auch ihrer Hand ein Gedächtnistun. Sie rief hinterdrein: »Hurtig! Sonst kriegt Putulung Schläge!« und ihre Hand brach, sich ausstreckend, von dem Hartriegelbusch eine schwanke Gerte ab.

Ihm schoß jählings das Blut in die gelbfarbigen Schläfen und gleichzeitig etwas Besinnungsloses, Brennendes in die Augen. Ein Krampf verschnürte ihm den Mund, ließ nur undeutlich die gestammelten Worte heraus: »Weil du's bist – ich wußt's von immer – als du noch klein warst – weil du Osila bist –«

Das brachte Adelhard auf: »Du bist frech, daß du so mit mir sprichst. Der Name klingt häßlich aus deinem Mund und macht mich bös. Ich mag dich nicht sehen – weg, Putulung, spring ins Wasser!«

Wie als Kind schlug sie leicht mit der Gerte nach ihm, doch nun schnellte er sich vorspringend auf sie zu, umklammerte mit den gespreizten Fingern der beiden Hände fest ihre Schultern und stieß keuchenden Atems aus: »Du willst es nicht hören? Osila!«

Seine Züge hatten Wildes, zwischen den geöffneten Lippen schienen die scharfen Zähne zu drohen. Das Mädchen suchte sich loszuringen, setzte ihm verächtlich entgegen: »Bist du wahnwitzig und willst mich beißen, wie ein Hund? Die Leute sagen, du bist ein Hunnenhund.«

Sie verband keinen Begriff mit dem einmal gehörten Wort, aber ihm peitschte es das Blut wie mit einer glühenden Geißel. Er schrie: »Du sagst's, ich bin Zwentebold, und du sollst Osila sein!« und mit wilder Kraft warf er sie gegen einen blumigen Hang zu Boden. Doch fast im Augenblick, wie sie hinfiel, packten ihn von rückwärts grimmige Fäuste im Genick, an Arm und Bein. Die Knechte, die der Hofherr mit der Überwachung Adelhards betraut, hatten den Vorgang wahrgenommen und, eilfertig herbeigestürzt, rissen sie Putulung von der Hingesunkenen auf, schleuderten ihn wieder zur Erde und umschnürten ihm hurtig Hände und Hals mit ihren dicken Lederriemen. Frohlockend taten sie's, Hand wegen unerhörter Freveltat an den ihnen Widerwärtigen und Verhaßten legen zu können, und ihn mit dem Schimpfruf: »Hunnenhund!« überhäufend, zerrten sie ihn an dem Halsleder gleich einem Hunde am Strick zum Gehöft.

Hier war kurz zuvor der Pfalzgraf Kuono von Megling her eingetroffen und hatte eben die Nachricht von dem versuchten nächtlichen Überfall empfangen. Man sah seiner gerunzelten Stirn Mißmut drüber an, so befand er sich nicht in nachsichtiger Verfassung für einen ihm zum Urteil vorgeführten Übeltäter. Mit wenig verhohlenen Worten stellten die schadenfrohen Knechte dar, was sie angesehen und was ihr rasches Hinzukommen glücklich verhütet; trotz der Gegenwart des hohen Gebieters machten die herbeigelaufenen Mägde ihrer Gehässigkeit durch lautes Geschrei Luft, rafften Steine vom Boden, die sie nach dem Gefesselten warfen, und verlangten, er solle zu Tode gepeitscht werden, denn wenn er sich so an die Herrin gewagt, sei keine von ihnen vor ihm sicher. Adelhard antwortete auf eine Frage ihres Vaters, was er getan: »Er hat mich beißen wollen;« der Pfalzgraf entschied in ungnädiger Laune kurz: »Werft ihn in den Teich und ersäuft ihn, wie eine bissige Ratte!« Doch nun bat Adelhard für den Verurteilten, der ihr ehemals oft als Hund und Zugpferd Spaß gemacht; er sei wohl gereizt gewesen, weil sie nach ihm geschlagen, und habe ihr nichts wirklich Böses zugefügt, sie fühle es schon nicht mehr, daß er sie umgeworfen. Sichtlich hatte sie Mitleid mit ihm, und es war ihr arg, daß er um ihretwillen so bestraft werden sollte; wie sie die Hand ihres Vaters ergriff, willfahrte dieser ihr und gebot: »So bindet ihn los und jagt ihn vom Hof! Ich schenke dir auf ihre Fürbitte den Hals, aber mache dich rasch fort! Wenn du dich wieder in meinem Bann sehen läßt, wirst du gestäupt und ersäuft, wie's dir recht wäre.«

Putulung hatte bisher, ohne einen Laut und ohne ein Glied zu rühren, mit niederstarrenden Augen gestanden. Nun, wie ihm die Riemen abgenommen worden, sprang er plötzlich gegen Adelhard vor, warf sich auf den Boden und küßte ihren Gewandsaum. Dann raffte er sich auf und lief davon, und hinter ihm drein die Knechte und Mägde, um nach dem Geheiß des Grafen sich wenigstens die Genugtuung zu schaffen, den vom Tod Losgesprochenen wie ein Wild aus der Hofmarkung davonzutreiben. Sie schleuderten Steine und Knüttel, eine rennende Meute mit lautem Gebrüll setzte ihm nach. Auch die Hunde des Gehöfts suchten sie auf ihn zu hetzen, doch nutzlos, denn wie dieselben ihn erreichten, sprangen sie schweifwedelnd an ihm auf und leckten ihm die Hände. So ging die Jagd durch die Felder, aber seine Geschwindigkeit vergrößerte den Raum zwischen ihm und den Verfolgern. Dann schoß er wie ein schwarzes Waldtier aus der Sonne in den dunklen Fichtengürtel hinein.

Der Anblick hatte dem Pfalzgrafen die Laune verbessert. Er war sehr gnädig gewesen und lachte: »Der Hunnensohn wird sich vor dem Wiederkommen hüten. Die Hitze macht durstig, gebt mir einen guten Trunk, Piligrim!«



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