Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Trotz der Verkleidung Adelhards indes hatte der Torwärter sie zu erkennen geglaubt, als sie die Burg verlassen, und da alsbald Markwart hinterdrein gefolgt, dünkte es ihn befremdlich, so daß er ging und seine Wahrnehmung dem Pfalzgrafen hinterbrachte. Der sah den Botschafter zwar an, als ob derselbe Undenkbares rede, aber er suchte doch nach seiner Tochter im Schloß, und da sie nirgendwo zu finden war, befiel's ihn mit jäher Schreckerkenntnis, daß die Meldung Wirkliches berichtet habe und was dies bedeuten müsse. In einem Nu hatte sein Ruf alle Edel- und gemeinen Knechte der Burg zusammen entboten und sie geheißen, nach allen Richtungen des Windes und mit dem Wind in die Wette davonzureiten, um die Entflohenen einzuholen. So scholl in kurzer Frist auf jedem Weg rings um Megling stiebender Hufschlag durch die Nacht.

Markwart ritt mit seiner schönen Habe im Arm grad südwärts seiner Burg entgegen. Er wußte, daß ihnen Verfolgung drohen werde und vergönnte sich keine flüchtigste Weile zum Redeaustausch; nur unablässig achtsam, sein Roß nicht straucheln zu lassen, spornte er es fort. Der beinah volle Mond ging über den fernen Bergen auf, das Land und die Straße beglänzend, sein weißes Licht rieselte vor den Flüchtigen am Turm der Wasserburg Poing auf einer von der Alz umkreisten Insel, denen de Truchtlaichingen, Lehnsleuten des Erzbistums Salzburg gehörig. Ein guter Vorsprung war erreicht, doch die Schnelligkeit des Pferdes hub merklich an, sich zu mindern, es hatte schon einmal heut die weite Strecke von Markwartstein nach Megling zurückgelegt, und es trug gegenwärtig doppelte Last. Und nun – einen Atemzug lang hielt der Reiter aufhorchend an – da scholl eiliges Getrapp hinter ihnen auf der Straße.

Nur kurz noch, und deutlich ward's, sie wurden verfolgt, und unverkennbar, die Nachsetzenden verringerten ihre Entfernung. Die Straße ließ kein Entrinnen hoffen, unwillkürlich lenkte Markwart auf schmalen Weg zur Rechten ab. Aber die Nacht war zu hell, die Jäger nahmen das Ausbiegen des Wildes gewahr und stürmten hinterdrein. Durch moorige Niederung ging die Jagd, jetzt in einen schwarzen Waldbusch hinein und wieder heraus. Da dehnte es sich sonderbar wie ein endloser stählerner Schild, matt glimmend, nur hier und da sprang's wie ein Silberfunke auf. Etwas Geisterhaftes sah draus an, auf den ersten überraschten Blick sinnverwirrend; der weite Chiemsee war's, in todesartig schweigender Ruhe vom Mondschein übergossen. Vernehmbar klirrte hinter den Fliehenden schon das Eisengerassel, besinnungslos hielt Markwart gradaus auf die Wasserfläche zu. An dieser stand die Hütte eines Fischers Arlacho, der sich hier in der Ufereinsamkeit angesiedelt, und seitwärts davon lag etwas langgestreckt Dunkles am Strand. Der junge Burgherr kam zu keinem Bewußtsein dessen, was er tat, ein Instinkttrieb ließ ihn alles mit Blitzesschnelle vollbringen. Adelhard in den Armen mit sich raffend, war er abgesprungen und in den dunklen Gegenstand hinein. Die Pferde der Meglinger schnoben heran, Gedröhn und Geschrei; jagend schossen die Verfolger ins aufklatschende seichte Wasser, auf einen Einbaum zu, der kaum noch in doppelter Sprungweite vor ihnen vom Ufer gestoßen. Da wich der Grund jäh unter den Hufen der Rosse, sie stürzten vornüber, rangen sich, den Gehorsam versagend, schnaubend an den Strand zurück. Wie die Reiter aufzublicken vermochten, schwamm das dunkle Fahrzeug nicht mehr erreichbar drüben im silbersprühenden Gewässer. Gen Südwesten hinüber, und der rinnende Strahlenschleier der Nacht hüllte es ein.

Markwart zeigte sich in der nicht leichten Kunst des Einbaumruderns gut geübt, mit kräftig-sicherem Schlag trieb er das Boot vorwärts und verhütete, daß es sich im Kreise drehe. Die beiden Insassen hatten seit dem Fortritt von Megling kaum einige Worte miteinander gesprochen, nun taten sie's zum erstenmal. Adelhard saß ihrem Gefährten gegenüber, und sie blickten sich ins Gesicht; rastend zog er das Ruder herauf, doch gleich einer Schranke legte er es zwischen sich und sie quer über die Seitenwände des Einbaums. So fragte er, und man empfand, seiner Brust versagte der Atemzug dabei: »Wohin willst du, daß ich dich bringen soll?«

Sie antwortete ruhig, kein Zittern noch Zagen klang in ihrer Stimme: »Dahin, wo du bist.«

»Wird dein Vater dareinwilligen?«

»Nein.«

»So wird er dich verstoßen.«

»Ja.«

Das entgegnete sie ebenso ruhig und fügte nach: »Ich konnt's nicht anders.«

Er versetzte: »Du weißt nicht, was du tust.«

»Ich tu', was ich muß,« gab sie zurück.

»Das ist?«

»Ich sprach's dir, zu sein, wo du bist.«

Seine beiden Hände hielten sich fest um das Ruder gekrampft, daß es knarrend auf den Unterlagen leicht hin und wieder rüttelte. Und nach einem Schweigen sagte er: »Um meinetwillen willst du keine Fürstenkrone, willst deinen Vater lassen, Rang und Reichtum und mit mir auf meine karge Burg?«

Durch das Mondlicht leuchteten ihre Augen ihn an, wie sie's aus dem grünen Laubrahmen hervorgetan, zwei Saphirsteinen gleich: »Du hast um mich geworben und ich will deine Frau sein.«

»Laß dich warnen, denn du kennst mich nicht. Ich bin deiner nicht wert; laß von mir und kehre zu deinem Vater, da du's noch kannst.«

»Warum sprichst du mir, was ich nicht glaube, wovon du weißt, daß es nicht mehr geschehen kann?«

»So glaubst du an mich? Und das wäre – wenn du's vernähmest, würdest du sagen, es sei nicht gewesen? Denn seit ich dich gesehen, habe mein Leben nur dir gehört?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich nicht. Du konntest doch nicht für mich Liebe haben, ehe du mich gesehen, und so auch ich nicht für dich. Was gewesen ist, das liegt hinter uns und kommt nicht wieder; daran glaube ich, wenn du es von mir begehrst. Aber mehr noch glaube ich an das, was vor uns liegt, denn mein Herz hat mir schon lange gesagt, das ist das Glück.«

Lächelnd, leicht scherzenden Klangs hatte sie das erste gesprochen, doch den Schluß bildete ein Strahlenblick ihrer Augen, der noch höhere Gewißheit kündete, als die Worte. Mit einem plötzlichen Ruck aber warf Markwart die Ruderbarre zur Seite, aufspringend, stieß er aus: »So löse mich mit deinen reinen Lippen, Madonna, von allem, was war, und mache mich deiner wert!« und die Hände Adelhards fassend, und sie bittend sanft zu ziehen, daß sie sich zu ihm herabneige, kniete er auf dem Boden des ruhig im nächtigen Glanzmeer schwimmenden Fahrzeuges wie zu den Füßen eines heiligen Jungfraubildnisses vor ihr nieder.



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