Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Da taucht der Name »Chiemgau« aus dem verworrenen Dunkel, und rasch entwickeln sich staatlich geordnete Verhältnisse. Es erscheinen Herzöge, Grafen und niederer Adel, Lehnsherrn und Lehnsmänner, Freie und Unfreie, weltliche Beamte und Richter und ein geistlicher Stand, der allmählich über alle die Oberherrlichkeit beansprucht und sie durch Verheißungen, Klugheit, List, Gewalt und Banndrohung zu erringen trachtet. Seinem Herrschaftserstreben kommt die Gewissensangst und Gemütsbedrückung der Zeit hilfreich entgegen. Sie ist von der Völkerwanderung her roher, wild-gewalttätiger Art; unter den Besitzenden, den Vornehmen finden sich wenige, die sich nicht oftmals schwerer Sünden, grausamer Handlungen der Habgier, des Hasses und der Rachsucht schuldig gemacht und im Innern vor den dafür angedrohten Strafen des von den Priestern verkündeten Jenseits zittern. Auch den Frauen ergeht es nicht anders, und wenn sie nicht wirkliche Sünden begangen, so zagen sie wegen solcher, die ihnen die Einbildung vormalt. Ein allgemeiner, klug von der Geistlichkeit genährter Drang entsteht und wächst immer gewaltiger an, sich durch freiwillige Hingabe irdischen Besitztums an die Kirche möglichst von den bösen Erwartungen nach dem Tode loszukaufen. Denn was den Dienern Gottes geopfert wird, nimmt dieser selbst in Empfang und vergilt es mit Nachsicht. Die Lebenden beeifern sich, solche Gaben darzubringen, noch mehr aber die Sterbenden, die von ihrem Reichtum keinen heilsameren letzten Gebrauch zu machen vermögen, als ihn testamentarisch geistlichen Anstalten zu übermitteln. Schwärmerei der Einfalt und Ekstase überreizter Nerven gesellten sich tausendfältig drein, und Grundbesitz, Fronbauern, Geld, Edelsteine, Gold- und Silbergeräte flossen in unabsehbaren Mengen den irdischen Vertretern Gottes und Fürsprechern bei seiner Barmherzigkeit zu. Altäre, Messen und kostbare Meßgewänder wurden gestiftet, Kirchen und Kapellen erbaut, vor allem Klöster begründet und begabt. Denn nichts erschien der Zeit gottgefälliger und darum die Zwecke des Gebers sicherer erzielend, als die Herstellung großer gemeinsamer Wohnstätten für gebetseifrige Mönche und Nonnen, welche die Sorge für ihr leibliches Wohlergehen, die notwendige Bedingung ihrer auf das ewige Leben verwendeten, fürbittenden Wirksamkeit einschloß.

So entstanden rasch überall an gesicherten, schön und in fruchtbarer Umgebung belegenen Stellen Klöster, die mit unglaublicher Schnelligkeit ihr Besitztum an Land und Leuten, Zehnten und Fronden oft weithin ausdehnten. Nicht am wenigsten aber im Chiemgau, dem unmittelbar vom Bistum Salzburg geistlich behüteten. Zahlreiche Klöster erhoben sich hier als die frühesten in deutschen Landen: Ötting, Meglingen, Seon, Baumburg, Herren- und Nonnenwörth, Högelwörth, St. Zeno bei Reichenhall, Berchtesgaden, tief im Gebirge, und manch andere noch. Wo die wasserreiche Gegend es ermöglichte, ward die Anlage, wie schon mehrere der Namen besagen, auf einer Sicherung bietenden Insel bewerkstelligt.

Denn des irdischen Schutzes bedurften als erwünschter Zugabe zu dem über ihnen waltenden göttlichen auch die Klöster. Wohl hatte sich ein bojoarisches Herzogtum gebildet, dem auch der Chiemgau angehörte, und Mark- und Pfalzgrafen in letzterem trachteten seit dem achten Jahrhundert als herzogliche Beamte weltliches Gesetz, Recht und Ordnung zur Geltung zu bringen. Doch waren zuweilen diese Hüter der öffentlichen Sicherheit selbst recht fragwürdiger Natur, und außer ihnen gab es gar manche Leute, die sich vor dem ernsthaften Herandrohen eines unseligen Endes aus Gott und Teufel nicht allzuviel machten, sondern das, wonach ihr Gelüst stand, wenn die Macht ausreichte, sich mit Gewalt aneigneten. Die Habgier der weltlichen Herren ging nicht minder um, als die des Clerus, und bediente sich ihrer Mittel zum Rauben, Plündern und Brandschatzen, das keineswegs immer vor dem Eigentum und den gottgeweihten Mauern der Klöster kehrt machte. Denn auch im Chiemgau hatten sich vielfältig auf Felswänden oder steilen Höhen trotzige Bollwerke des gemeinen Adels festgenistet, unersteigbare Horste, in welche die Räuber ihre Beute hineinschleppten und lachend sich weder um Grimm und Fluch der Kirche, noch um Zorn und Waffen der Herzöge und Grafen, selbst der neuen Kaiser des Reiches bekümmerten.



 << zurück weiter >>