Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Am Nachmittag zog der große Herr mit seinem gewappneten Geleit gegen das Kloster Seon weiter. Für Adelhard war ein kleineres gutgebändigtes Pferd mitgeführt worden, darauf ritt sie, doch ließ sich merken, es hätte nicht der besonderen Auswahl eines sanften Tiers für sie bedurft, sie saß fest und gewandt im Sattel; der steinicht schlechte Weg, oft steil auf- und absteigend, brachte sie nicht ins Wanken.

Als der Trupp über Rabenden hinaus geriet, kam ihm ein einzelner Reiter entgegen, nach Rüstung und Helmzier ein Edler; er hatte auf einer Anhöhe gehalten und schien zuwartend übers Land geblickt zu haben. Nun grüßte er nahegelangt, und Graf Kuono erkannte ihn als seinen Anverwandten Markwart von Markwartstein. Gesicht und Wiedergruß zeigten ihn nicht sonderlich von der Begegnung erbaut, er sagte: »Man muß Euch auf der Straße betreffen, Vetter, so scheint's, um zu gewahren, daß Ihr noch lebt.« Der Angesprochene versetzte jedoch frohgemut: »Ich muß es, Herr Vetter, da Ihr zur Stunde auf der Straße seid, denn auf Eurer Burg, wo ich Euch suchte, waret Ihr nicht. Man gab mir Bescheid, Ihr rittet gen Seon.« Es war freimütig, doch mit einem Ton geredet, der jugendliche Unterordnung unter den Älteren und Höherstehenden kundgab; dieser erwiderte leicht spöttisch: »Das zu erwarten, habt Ihr mich nicht gewöhnt und werdet mir nicht verübeln, wenn ich nicht, um Euch zu erharren, zu Hause geblieben.« »Leider,« entgegnete der Junge bescheiden, »trifft mich Euer Tadel gerecht. Aber die Kirche lehrt, man solle den nicht verwerfen, der sich zu bessern bemüht ist, und ich habe mir vorgesetzt, mein früheres Tun zu ändern.« Achselzuckend antwortete der Pfalzgraf: »Das vernehm' ich, denn der Kirche Wort und Vorschrift kam selten sonst in Euren Mund. Reitet Ihr etwa auf dem Wege gen Damaskus und seid ein Paulus geworden?«

Nun neigte Markwart sich artig zum Gruß gegen Adelhard und sagte: »Die Geleitschaft Eures Vaters lehrt mich, wer Ihr seid, Jungfrau Base, denn so muß ich erstaunt Euch heut ansprechen. Es ist lang, daß ich Euch nicht mehr gesehen, und Ihr habt Euch verwandelt, daß ich Euch ohne Vorwissen schwerlich erkannt hätte.«

Er wendete sich gegen den Grafen Kuono zurück: »Wenn Ihr's so nennen wollt, Herr Oheim, tut Ihr's wohl mit Fug, da ich das Glück gehabt, Euch auf diesem Wege anzutreffen. Falls Ihr es dem gewesenen Saulus verstattet, bittet er, mit Euch gen Seon reiten zu dürfen.«

Der Angesprochene erwiderte kurz: »Wir sind schon auf des Klosters Grund, ich könnt's Euch nicht wehren.« Es klang nicht unwirsch und ablehnend, eher wohl von den artigen und demütigen Worten des jungen Sippengenossen etwas wohlmeinender besänftigt; doch ließ sich heraushören, daß er in sich gegen ihn Ungesagtes barg. Bald tauchten jetzt im Wald ihnen langsam entgegenwandelnde Gestalten auf, der Abt Hartnid, von Mönchen geleitet, um die ihm angemeldeten vornehmen Gäste einzuholen. Der Pfalzgraf, wie alle seine Begleiter, stieg ehrerbietig zur Begrüßung des weißköpfigen geistlichen Herrn vom Pferde, der auch Adelhard freundlich bewillkommnete: »Ihr seid schön, Kind, wie das Wunder des aufgehenden Morgens; das ist das Gepräge Gottes, das er denen verleiht, die er ausgewählt, durch ihre Herrlichkeit den Ruhm seiner Schöpfung zu erhöhen. Es ist uns verboten, Frauen in unsere Behausung aufzunehmen, aber nicht ein Ebenbild der Jungfrau, das, wie vom Altar herab, ein göttliches Licht ausstrahlt für unsere Augen. So heiße ich Euch im Kloster willkommen.«

Nun zogen sie von der waldigen Anhöhe hinunter, drunten in einer weiten, sanften Mulde, über die sich da und dort die blauferne Spitze eines der Berge jenseits des Chiemsees aufhob, lag, breit vom Wasser umfriedet, der weitgedehnte Bau des Klosters Seon auf seiner Insel. Nur der Niederfall einer Zugbrücke und das Öffnen eines starkverwahrten Tores sprachen von der Nötigung auch zu solcher sichernden Abgeschlossenheit gegen die Welt und Zeit umher; unter hochwipflig schattenden Bäumen im großen, vom See umgürteten Garten wurden die Ankömmlinge mit Speise und Trank erquickt. Markwart nahm daran teil, und wie die Rede vom Nächsten der Zeitläufe auf die gelehrten Beschäftigungen der Mönche in der Klosterstille überzugehen anhub, überraschte es die Hörer, aus dem Munde des jungen Burgherrn drüben in der Bergwildnis manch treffendes Wort zu vernehmen, das Verständnis und unvermutete Kenntnisse bei ihm offenbarte. Nicht nur zu lesen und zu schreiben vermochte er, sondern zeigte sich aus Büchern in mancherlei nicht gemeinem Wissen unterrichtet; wenn er sprach, wandten sich ab und zu die Augen Adelhards erstaunt auf ihn hin, denn an solche Redeführung war sie unter den Burginsassen von Megling nicht gewöhnt. Auch ihr Vater hehlte nicht das Wohlgefallen, das er daran nahm, und wie nachher sich ein Anlaß bot, ergriff er diesen, abseits unter vier Augen mit dem Markwartsteiner zu einer kurzen Zwiesprache zu gelangen. Es war merkbar, er ging damit um, ihm einen ernstlichen Vorhalt zu machen, doch scherzend redete er ihn an: »Nun, Vetter, was treibt die Petzin im Bärenloch mit ihren Jungen? Man sagt im Lande, Ihr könntet davon erzählen.«

Da schlug jählings das Blut wie ein roter Flammenstrahl in die Schläfen des Befragten. Er drehte den Blick ab und versetzte stotternd: »Wen meint Ihr, Oheim? Woher sollt' ich davon wissen?«

Das gab wider sein Wollen zu, daß er's wußte, wer gemeint sei. Doch der Pfalzgraf, der ihn von zweifellos aufrichtiger Beschämung übergossen und sprachlos verwirrt sah, fand für klüger, auf sein Verleugnen einzugehen und erwiderte nur: »Es erfreut mich, Vetter, daß ich mich getäuscht, denn es hätte mir um Euch leid getan, wenn Ihr mich verstanden und mir drauf antworten gekonnt! Ich meinte die vom Stein, das Raubgezücht, von dem ich argwöhne, es hat heut nacht versucht, meinen Hof Neureit zu überfallen, um meine Tochter von dort als Beute fortzuschleppen und mir Blutgeld für sie abzupressen. Aber Piligrim hat's ihnen mit seinen Knechten gut vorgezahlt.«

»Davon – nein, davon weiß ich nichts,« brachte Markwart gestammelt heraus, und er zog mit einer plötzlichen Bewegung seinen linken Arm, der über dem Handgelenk unterm Wamsrand eine kleine frische Wunde vorschimmern ließ, hinter den Rücken zurück. Graf Kuono entgegnete ablenkend: »Das war mir auch nicht in den Sinn gekommen.« Er fügte noch einige freundliche Worte des Wohlwollens nach, die er beim Herannahen des Abtes damit beschloß: »Es wird mich freuen, Vetter, wenn Ihr inskünftig aus Euren Bergen herabkommt, Euch nicht an Megling vorüberreiten zu sehen, denn ich habe Euch nicht nur um Eures Vaters willen von Kindesbeinen auf gern bei mir gewahrt.« Dann ging der Pfalzgraf mit dem Abt Hartnid davon, die Geschäftsdinge zu bereden, derenthalben er nach Seon gekommen, befriedigt, eine Reue bei dem jungen Manne geweckt und ihn, wie er hoffte, für die Zukunft mehr in seine Gefolgschaft herangezogen zu haben.

Hohes Schilf umzog den Außenrand des Gartens, an dem in kleiner Bucht ein Kahn zwischen dem übernickenden Gehälm lag. Adelhard hatte sich in ihn hineingesetzt und betrachtete das dichte Gewimmel eines Schwarms kleiner Fische unter der Planke; es war ihr fremd, auf dem Wasser zu sein, sie wäre gern weiter draußen im Freien gewesen, doch verstand sie nicht, das neben ihr liegende Ruder zu handhaben, und getraute sich nicht. Da fiel ein Schatten über sie hin, und es klang hinter ihr: »Wollet Ihr auf den See hinausfahren, Base?« Markwart hatte sie, am Ufer schlendernd, wahrgenommen, und erfreut bejahte sie auf seine Frage. So trat er zu ihr und trieb geschickt das Boot mit dem Ruder davon. Sie sagte verwundert: »Könnt Ihr auch das? Ihr versteht Euch auf vieles, deucht mich. Wo habt Ihr's gelernt?« Er antwortete, daß er gar manchmal von seiner Burg her an den Chiemsee herabkomme; dort am Strand habe er im Weidendickicht verborgen einen Einbaum und fahre drin, mit einem Netz nach Fischen fahend, in der Abendkühle weit hierhin und dorthin umher. »Das muß schön sein und möcht' ich auch gern,« erwiderte sie, »aber auf der Alz kann man nicht fahren, und am großen See war ich nur einmal, wo sie unter der Brücke durch aus ihm herausfließt. Da bekam ich fast Angst, so weit ging's über das Wasser hinüber bis an die Berge. Ist's dort am andern Ende also nicht mehr weit nach Markwartstein? Ich habe wohl davon gehört, aber weiß nicht, wo es liegt.«

Er deutete nach einer waldigen Anhöhe empor: »Wenn wir droben wären, könnt ich's Euch zeigen, da sieht man's weit in der Ferne, und ebenso von dem Berg nahe bei Euch über Megling. Am heißen Tag zwar zumeist nicht, denn dann liegt oft der Goldnebel über dem See. Aber eh' die Sonne untergeht, blinkt sie unter dem hohen Berg, der einer Fledermaus mit ausgespannten Flügeln gleichsteht, auf einen hellen Punkt. Das ist meine Burg Markwartstein.«

Der kleine See lag, von der schrägen Sonne überglitzert, unbewegt, nur die schmächtigen Ruderwellchen dehnten sich in flimmernden Kreisen, und mit weißgefleckter Stirn zogen langsam ein paar Wasserhühner ins hohe Ried. Adelhard versetzte, den Kopf schüttelnd: »Auf dem Berge, den Ihr meint, war ich schon, doch Eure Burg sah ich nicht. Als Ihr uns auf der Straße begegnetet, erkannte ich auch Euch nicht, aber mir ist's gekommen, daß Ihr ab und zu bei uns gewesen, wie ich noch klein war. Habt Ihr mich nicht einmal unter dem Lindenbaum im Schloßhof auf dem Brett geschaukelt? So will's mir aufdämmern.«

Sie blickte ihn an, und um seinen Mund ging ein hübsches Lächeln: »Es mag wohl sein, doch ich erinnere mich nicht mehr dran, denn wenn's so geschehen, war ich damals auch noch ein vergeßlicher Knabe. Aber ich erkannte Euch auf der Straße, weil ich Euch später, vor nicht langem, noch einmal wiedergesehen.«

»Mich?« fragte sie verwundert. »Wo? Da hätt' ich Euch doch auch sehen müssen.«

»Nein, das konntet Ihr nicht,« gab er zurück, und das Lächeln kehrte ihm um die Lippen, »denn es geschah nur im Traum. Aber da sah ich Euch in einem weißen Gewand, auf das Euer Haar herabfiel, und Ihr standet in einem Licht, wie wenn die Sonne rotglühend untergeht. Ganz so – ja genau dieser Blume sähet Ihr gleich.«

Er bückte sich, sein Gesicht abdrehend, rasch seitwärts über den Bootrand, streckte die Hand nieder und zog eine Wasserrose herauf, deren glanzweiße Blätter die gelben Staubfäden, wie aus Gold gebildet, überringelten. Nun reichte er sie Adelhard hinüber, die sie nahm und lachte: »So sah ich aus? Da täuschte es Euch, denn ich habe kein weißes Tagkleid, nur einen Mantel von der Farbe, den ich nachts um mich schlage; wenn es kühl ist. Und nach dem Bild im Traum hättet Ihr mich heut erkannt? Ihr erzählt ein Märchen, Vetter.«

Er nickte: »Ihr habt wohl recht, was ich sah, wäret nicht Ihr, sondern das Ebenbild der Jungfrau, von dem der Abt geredet, daß es wie ein Wunder des aufgehenden Morgens sei und ein göttlich Licht ausstrahle für unsere Augen.«

Auch neben Adelhard schwamm jetzt mit erst halb erschlossenem Kelch eine weiße Wasserrose, und sie bückte sich gleichfalls über den Kahn, um die Blume zu pflücken. Aber das Erfassen des glatten Stengels schien ihrer Hand nicht gleich zu gelingen, und ein Weilchen spiegelte das helle Wasser ihr leicht von einer aufblühenden Röte überhauchtes Antlitz zurück. Dann hielt sie die weißschimmernde Knospe, beschaute sie und sprach schnell, wie es seltsam sei, daß sie so vom Seegrunde heraufwachse. Im Klostergarten sah man sich's regen, den Pfalzgrafen und den Abt, von Mönchen begleitet, aus der Tür kommen, um noch einen Abschiedsimbiß unter den Bäumen einzunehmen; es war Zeit, das kleine Fahrzeug in die Schilfbucht zurückzulenken.

Das Gesicht Adelhards sprach noch von der Sonnenwärme, die über dem See gelegen, und herzhafter als sie es sonst zu tun pflegte, trank sie mit vom Inhalt des Steinkruges, den frisch kühler Wein aus Südtirol füllte. Danach besuchten die Gäste noch einmal das Innere des Klosters, durchschritten die hochgewölbten, weiten Umgänge, an denen die Türen zu den fast unzählbaren großen, hellen Mönchszellen sich hinreihten. Gleich Irrgängen, aus denen sie sich ohne Beihilfe nicht wieder herausfinden würde, kam's Adelhard vor, und wie sie allein um eine Ecke gebogen, hallte ihr leichter Fußtritt sonderbar auf dem Steinboden, daß sie sich beinah erschreckt umsah. Doch da klärte das schallende Echo sich auf. Denn Markwart war ihr unvermerkt nachgeschritten; aber trotz seiner Gegenwart engte es ihr noch etwas den Atem in dem langen, einsamleeren, von rotem Abendglanz durchflossenen Gange, daß sie schnell sprach: »Wo sind die anderen geblieben? Laßt uns zu ihnen!« So suchten sie nach diesen miteinander, und neben ihr gehend, sagte ihr Begleiter: »Die frommen Brüder haben's gut; wenn ich an Markwartstein gedenke, wie eng ist's dort, und wie dunkel schauen die Bergwände in die Fenster herein. Aber doch möcht' ich's nicht tauschen um diesen großen, prächtigen Bau, denn mir ist's, als könnte nur dort das Glück vom Himmel zu mir kommen, auf das ich warte. Nur daß der See nicht drumher ist, in der Sonne drauf zu fahren, aber ich sagte, bis an den großen See ist's nicht zu weit, und auf ihm läßt sich's in meinem Einbaum noch schöner rudern, wenn das Abendrot rundum auf den Bergfelsen brennt, als ständen sie im Feuer.«

Dann geleitete der Abt seine Gäste noch ein Stückchen über die Zugbrücke hinaus, dort verabschiedeten sie sich, bestiegen die Pferde und ritten nordwärts zur Waldhöhe hinauf. Markwart schloß sich dem Pfalzgrafen zur Begleitung bis nach Megling an; er hielt sich zumeist im Gespräch mit ernsthafter Rede und heiterem Scherzwort neben ihm, nur zuweilen legte er eine Wegstrecke an der Seite Adelhards zurück. Es war Hochsommerzeit, und der Tag zögerte zu vergehen, aber allgemach ward es doch dämmernd und dunkel. Sterne begannen aus der Höhe zu flimmern, und drunten schimmerte nur noch hell, gleich einem weißen Erdengestirn, die Wasserrose in der Hand des Mädchens. Bei Altenmarkt überritten sie die Alzbrücke, bald erreichten sie die Höhe, von der Burg Begling breit und mächtig auf den Fluß hinuntersah. Auch hier fiel auf Anruf die Zugbrücke, Knappen mit Fackeln kamen aus der dunklen Torwölbung hervor, Markwart nahm Abschied vom Grafen Kuono, er reite nach Naumburg zu seinen Brüdern, um dort zu nächtigen. Der Pfalzgraf sprach unverhehlt sein Wohlgefallen aus, ihn in solchem Verhalten als Weggenossen angetroffen zu haben, und wiederholte die Erwartung, ihn hinfort öfter auf Megling zu begrüßen. Dann ritt er ins Tor ein, und nur Adelhard wendete sich noch einmal gegen den Zurückbleibenden um. Sie sagte: »Habt Dank, Vetter, daß Ihr mich auf dem See gerudert, und für die Wasserrose, die Ihr mir gepflückt. Es ist wohl billig, daß ich Euch dafür die andere wiedergebe, die ich gefunden. Lasset sie Markwartstein von mir einen Gruß sagen.«

Er konnte nur den Schimmer ihrer vorgestreckten weißen Hand gewahren, aber er fühlte, was diese ihm reichte; es war die Knospe, die sie aus dem See mit sich genommen. Nun rasselte die Brücke und dumpfknarrend schloß sich das Burgtor.



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