Wilhelm Jensen
Hunnenblut
Wilhelm Jensen

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Drunten jedoch im einsamen Einbaum auf der weiten Seefläche hatten Auge und Ohr nichts von dem herantobenden Unwetter wahrgenommen, ehe plötzlich der Mond hinter jagenden Wolken verschwand. Fast zugleich aber auch schon fuhr ein erster Sturmesstoß heulend und aufwühlend in die Wasserruhe hinein; wie aus dem Nichts geboren, bäumten sich schäumende Wellen, warfen das Boot empor und rissen es hernieder. Hagelsturz schlug knatternd auf das Holz, unter seiner Wucht zischte ringsum der See, als werde er mit Feuerbränden gepeitscht; wie Sonnenmittag war's gewesen und nun sternlose Mitternacht. Nur blickeskurz schossen gelbe Schlangen und rote Zacken aus der Luft, blendend und geisterhaft den quirlenden Gischt überhellend. Dann lag alles erloschen, als ob die Augen für immer ihre Sehkraft verloren, und wie Einbruch des Himmelsgewölbes durchkrachte die Finsternis Geschmetter, Gepolter und endloses Umrollen des Donners.

Nicht mehr beherrschbar, ein willenloser Spielball in Wogen und Wind flog das kleine Fahrzeug auf und ab. Markwart hatte Adelhard auf den Boden niedergezogen, trachtete danach, sie gegen den heftigsten Anprall der schweren Eisschloßen zu decken. Halb unbewußt war's ihm vom Mund geflogen: »Ein Gottesgericht!« und ohne sich zu regen, erharrte er den aus jeder hoch aufschnaubenden Welle drohenden Untergang. Auch Adelhard bewegte sich nicht, sie hielt den Arm fest um seinen Nacken, ihren Kopf an seiner Brust. Nur einmal sagte sie leise: »In der Nacht, als du mich zu Seon auf dem See gefahren, träumte mir's so. Nun ist's geworden und ich bin bei dir, mein Arm läßt dich nicht und mich deiner nicht, was kann uns schrecken?«

Brüllend spielten Sturm und See mit dem winzigen Holzstück, schleuderten es gleich einem Rohrhalm durch die Nacht. Doch es war ein Einbaum, aus tausendjährigem Eichenstamm gehöhlt, stark und unzerbrechlich, und er bot dem Aufruhr des Wassers Trotz, wie er einst, von der Windsbraut unerschüttert, in der Erde gewurzelt. So trieb er im tosenden Gewoge dahin. Stunden hindurch, von schimmerloser Schwärze umgeben. Dann allmählich kam westher ein matter Schein zurück, verhängtes Licht des niedergehenden Mondes hinter der dünner sich lockernden Wolkenschwere. Und beruhigter hub der See an, gleich einer erlösten Brust sich in lang ausatmenden Wogen zu heben und zu senken; Hoffnung kehrte in Markwarts Seele, er faßte das Ruder wieder, und das Boot gehorchte wieder seinem Willen. Der Blick ließ ihn in der Entfernung den tiefschwarzen Schattenriß eines hohen, weitgestreckten Waldes unterscheiden, darauf lenkte er zu. Wohin sie verschlagen worden, wußte er nicht, aber was es sein mochte, das Ufer bot rettende Sicherung bis zum Morgenanbruch. Nun zeigte es sich von einem breiten Schilfgürtel umrändert, knirschend glitt der Einbaum geraume Zeitlang durch die hohen, ausbiegenden Halme, dann stieß er unvorgesehen auf festen Strand. Auf diesen hob Markwart seine Gefährtin hinüber und sagte: »Das Gottesurteil hat geredet; um deinetwillen hat es auch mich begnadet. Nun schreckt die Nacht nicht mehr, hinter mir ist sie vergangen, und du bist die Sonne, die den neuen Tag bringt.«

Tiefernst hatte er's gesprochen, doch freudevoll klang seine Stimme am Schluß auf. Er bückte sich, zog den Einbaum rasch fest ans Land und ergriff wieder die Hand Adelhards.



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