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Herzblätter und Schwungfedern.

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Gedanken und Dichtungen.

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Selbstbiographie.

Ich könnte wohl auf meine Brust zeigen und sagen: »da ist ein Gottesacker.« Aber nicht von Menschen, sondern von Gedanken und Systemen.

 

Blumen und Blüthen.

Sehr verschieden ist's, den Weg mit Blumen oder ihn mit Blüthen bestreuen. Diese lassen Früchte zurück, jene sind selbst Früchte.

 

Philosophie und Dichtkunst.

Nicht die Philosophie, sondern die Dichtkunst gibt dem Leben eine spielende Behandlung, die es verdient. Jene ist auf einen steinichten Niederschlag eingeschränkt, diese gibt den Freuden und Leiden Schwingen; jene sieht nur fliehende Schmerzen und Freuden, diese schenkt jedem Untergang ein Abendroth.

 

Vermischung von December und Mai.

Heute (28 Mai 1819) war nach langer Zeit der Himmel Abends grau bedeckt. Ich sah in die Wolkendecke um 8½ Uhr wie nach einer winterlichen und freuete mich des häuslichen Stubengefühls, das mich nicht ins Freie trieb. Bei dem Anzünden des Lichts wurde der Himmel außen noch dunkler – den Wind nicht gerechnet – und doch durft' ich nur auf die Blätter- und Gipfelwogen draußen sehen: so stand vor mir, was ich eben im Herbste so wünsche und dichte – der Lenz. – Ein hellschöner Abend verdirbt immer die Gegenwart durch sein Ziehen nach außen; hier aber zog nichts; und ich genoß im Zimmer das, wonach er zieht.

 

Glück.

Diese Blume bricht der größre Theil, und in ihrer schönsten Blüthe der Theil der Menschen, der Poesie blos zum Empfangen, nicht zum Geben hat. Aber was hat dieser? – die Tugend und dann – den Schmerz, den niemand erfährt. Die poetische Seele ist im Junius der Jugend einer Wonne fähig, von der nur sie Ahnung hat und die nur sie erlangen kann. O warum sehnen wir uns dennoch öfter in die Kindheit als in die Jugend zurück, als wenn nicht hier das volle blüthenstäubende Feld der Freude stände? – darum haltet die Jugend heilig und betastet ihre Tulpen nicht; es ist so bald vorbei und dann auf immer. – Errathet ihr die Menschen, die euch fröhlich machen weil ihr es sein könnt und die im Innern ein ausgehöltes Leben tragen, die nichts mehr entgegen gehen und die nicht mehr weinen außer vor – Freude; aber o Gott vor welcher?

 

Die Hoffnung.

Der Mensch hat wohl eine Hoffnung und einen Wunsch auf irgend ein einzelnes nächstes Glück; aber er muß sich doch gestehen, daß er hinter der beglückenden Begebenheit wieder das ganze jetzige Dasein und die Leere findet, die er durch sie verdeckt; und daß er durchaus nach jener ein fortgehendes Glücklichsein träumt und nie erreicht. – Daraus folgt die Werthschätzung der gegenwärtigen Lage.

 

Eintritt ins Menschenleben.

Das erste Lächeln eines Kindes ist der Eingang unter die Menschen. Vorher gehört es unter die Thiere. Daher ergreift es so sehr.

 

Der Tod.

Der Tod greift ins Gemeine herein und stört es. Der Mensch den er herauszieht, gehört nicht mehr in die alltägliche Kette und so wird, was durch die Menge gleichgültig erscheint, durch Absonderung theuer, nicht allein alles Geliebte, sondern jedes Leben.

 

Weihnachten

Rührend zeigt sich die Liebe, die den ernsten Vater ins kindische Reich lockt. Der alte Soldat trägt die lächelnde Tochter unter die Spielwaaren und geht mit einer Puppe in seiner Hand nach Haus.

 

Mutterliebe.

Suche die größte nicht bei den Großen, nicht in den Palästen, wo so leicht zu geben ist und so viel Mitgehülfen zu finden und so viel Lohn auf der Stelle; aber dort in der einsamen Kammer suche sie, wo die Verarmte für ihr Kind das Hemd bettelt und die Kost bettelt, es unter der Arbeit auf dem Rücken schleppt – das mühsam erquälte Kien- oder Leseholz zwei Stunden in die Stadt trägt und den erbettelten Kreuzer für die Heilung des Kindes hingibt.

 

Vater und Sohn.

Keine größre Seligkeit als einen rein moralischen Menschen sich zu denken und zu genießen, zumal als Vater den Sohn, wie ich.

 

Kinderleben.

Man weiß nicht, was man den lieben Kindern mehr beneiden soll, ihr unruhiges Wachen oder ihren ruhigen Schlaf.

 

Die Zukunft.

Der Mensch will seine Zukunft, die seiner Familie, gar nicht denken und sehen, als ob sie nicht doch käme; als ob nicht alles auseinander gestreut würde. Warum will er jetzo nicht das fest anschauen, was er als gewiß voraus schaut?

 

Verlust der Geliebten.

Hast du Kinder, oder eine Frau, oder einen rechten Freund, so stellt dich doch deine beste Philosophie, und dein Wohlhaben und Wohlsein nicht sicher gegen den größten Schmerz, der jede Minute auf dich hereinstürzen kann, nämlich ihr Tod. Vor diesem Jammer, dessen Gedanke dich schon erschüttert, beschirmt dich nichts, höchstens die Vorbereitung ihn zu ertragen.

 

Bei dem Tode des Sohnes.

Wir betrauern die Gestorbenen, als blieben wir die Fortlebenden und jene allein die Todten. Die Jahrhunderte gehen ja als Echos hintereinander und der tausendjährige Schmerz redet durch den neuesten.

 

Voraussehen des fremden Sterbens oder Verunglückens.

Höhere Wesen vermögen es gewiß noch besser als unsere Hellseherinnen; aber wie muß ihnen denn zu Muthe sein, wenn sie z. B. einen Jüngling mit Thränen von seinen Eltern scheiden sehen, die er nie wieder sieht, weil er nach einigen Jahren auf dem Rabenstein stirbt? – Wenn ein Mann alles zu einem Feste vorbereitet und sie wissen, daß er's nicht erlebt?

 

Einsamkeit in der Ehe.

Zweimal ist sie da; das eine Mal, ehe Kinder gekommen, das andre, wenn sie fortgegangen in alle Welt und sie die alten Eltern wieder allein lassen.

 

Wichtiger Trost.

»Habe keinen Schmerz über deinen Verlust, denn die Zeit nimmt ihn.« Aber da sie jeden nimmt, über wen dürfte man denn trauern? und da sie jede Freude nimmt, über was eine haben?

 

Entfernung der Andern.

Am fernen Ort wird auf einmal unsre Seele angefallen und beraubt von dem Gedanken: wie weit ist es zu der, die du liebst; wie starren Wälder, Berge, Klüfte zwischen Herzen trennend, die kaum die Brust trennen sollte.

 

Die Entfernung einen geliebten Wesens.

Wenn ich mir denke, daß heute (31. Dezember 1819) meine Caroline Jean Paul's Gattin, damals verreist zu ihrem Vater nach Berlin. nur die Hand zur Thüre hereinreichte und ich sie warm fassen könnte und sie gar sich bewegte und meine drückte: – ich hätte damit den ganzen Menschen, d. h. die ganze Seele, und ein so kleines formloses Glied ersetzte sogar Auge und Angesicht. Himmel! wie ist der Mensch und seine Wünsche! Wie wird das Herz durch den Raum abgetheilt! der Sohn in München – die Frau in Berlin! vorher Alles neben mir.

 

Entbehrung der Liebe.

Es ist unglaublich und fürchterlich, wieviel das Liebe dürstende Herz des Menschen an Liebe und Geliebten entbehren kann – wie es schlagen kann, wenn so viele Geliebte entfernt über der Erde sind oder unter der Erde, – wie es Wesen die es nicht zwei Tage entbehren will, Jahre lang missen kann, wenn nur Gewißheit der Wiedererscheinung da ist, z. B. ich meine Odilie – wie es vorher entbehren kann, eh' es findet und nachher wenn es gefunden! Ach, das arme Herz muß sich an alles gewöhnen und thut es auch.

 

Pflicht und Liebe.

Wie kalt, enge, abgemessen thut Jeder seine Pflicht, sobald er es der Gerechtigkeit wegen thut! Aber gebt ihm Liebe – wie gibt und übertreibt er! Für Bezahlung schickt auch die Wirthin das Essen. Aber sie sei von euerm Wohlwollen gegen sie überzeugt und hab' auch eines: seht dann, wie sie handelt!

 

Liebende.

Man muß bei zwei Liebenden nicht die individuelle Natur anschauen, sondern den Ausdruck des Allgemeinen. Wie ihr in Gedichten, in dargestellten Schein-Individuen das Hohe erkennt, warum nicht in wahren? Ueberhaupt sollte man mehr den großen Geist des Allgemeinen achten und erforschen und sich sogar im Leben nicht um die Ecken der Individualität bekümmern.

 

Wiederholung in der Musik.

Sie gleicht darin der sprechenden und hörenden Liebe, die nie satt werden kann, dasselbe zu sagen und zu hören; (denn warme Herzen kennen keine Langeweile, kalte nur diese). Woher in der Musik dieser Genuß der Wiederholung, da man in der Poesie Neues zu Neuem verlangt und in der Malerei noch mehr? Nicht weil die Töne, ungleich den Worten und Gestalten, vorüberfliehen, sondern weil sie mit den Gefühlen sich verschmelzen und wir ein jedes ewig behalten wollen, da jedes einen unendlichen, die Welt aus- und einschließenden Werth hat.

Und doch liegt und spricht ohnehin in jedem einzelnen Ton eine Ewigkeit, die das Herz nur fortzuklingen braucht. Kein äußerlicher Ton ist ohne tausend innere Töne voraus und nachher.

 

Geburtstag.

Dein Geburtstag ist auch der von so vielen andern Menschen. Wie werden sie denselben Tag feiern? Im Schacht? Im Sklavenkerker? Auf dem durchlegenen Siechbette? – Die meisten werden ihn vergessen; wenig mehr wird von Armen gefeiert als der letzte Tag ihrer Tage und dieser nur von den Ihrigen.

 

In derselben jetzigen Minute

ist ein Schmerzschrei – ein Folterstich – eine höchste Entzückung – ein Liebe-Ausbruch – eine frei gemachte Seele – eine beraubte – eine Todesnoth – ein Volksjauchzen und Alles, was einzeln in Entfernungen das Leben füllt. Dieselben himmlischen Singtöne, die jetzo eine selige Minute vor unsern Ohren ausmessen, messen sogleich die sechzig Sekunden von zehntausend Schreitönen und rufen sie auf der Erde mit aus und die Tonleiter ist Himmels- und Höllenleiter zugleich.

 

Fremde Leiden.

Alles was ich thue wenn ich von Kriegs- oder andrer Noth lese, der ich nicht abhelfen kann, ist nicht, zu fluchen oder zu jammern oder unthätig zu sein, sondern recht thätig; nehmlich – da alle dieses Elend nur aus der Immoralität mehrerer Individuen entsprungen – recht zu verwünschen und zu vermeiden die kleinste Immoralität in mir, da jede sich in fremden Wunden endigt.

 

Liebe gegen Menschen und Gott.

Wie kommt es, daß uns doch ein Mensch, der alle Menschen aus angeborner Neigung lieb hat, lieber ist als einer, der sie wie die Bourignon nur Gottes wegen liebt?

 

Mildthätigkeit.

Ich bitt' euch um zweierlei. Gebt euer Almosen mit eurer eignen Hand. Durch die fremde thut ihr Gutes ohne es zu wissen; jede Tugend aber soll die Mutter einer neuen werden; anders indeß ist sie unfruchtbar. – Und zweitens, da unsre Kräfte – die moralischen und die merkantilischen so wenig umspannen; da überall auf der Erde mehr ausgefallne Arme sind als thätige, die sie einrichten und verbinden; da es soviel Thränen gibt und immer nur zwei Hände, sie abzutrocknen: so nehmt jeden fremden Schmerz, der euch nahe genug kommt zum Heilen, von Gott als eine Gabe an und denkt, für ferne Schmerzen hat er auch seine nahen Aerzte. Aber seid nie so gottlos, das Elend zu versäumen, das neben euch geboren wird. Ach, die Nachbarschaft ist das einzige, worauf Gott und der Schmerz rechnen konnten in den weiten zwischen Thälern und Bergen liegenden Schlachtfeldern.

 

Glück der Unschuld.

O es gibt eine freudige Zeit im Leben – und gerade bei gedrückten, aufgehaltenen Menschen läuft sie nicht ab – wo man noch nicht weiß was Eitelkeit und Vergehen des Lebens ist, was Schein des Ruhms und aller Güter ist und wo wir noch durstig nach einer mit glänzenden Stunden gefüllten Zukunft ausgreifen und wo uns das zweite Leben das jetzige nicht aufhebt oder entkleidet, sondern aufschmückt und befriedigend schließet. Ist sie verloren so bleibt sie verloren.

 

Resignation.

»O du schöne kleine Zeit! Ich werde dich nie vergessen. O ich möchte wieder kleine Wünsche haben – mein Auge sollte der nächste Berg aufhalten – ich sollte nichts von der weiten Erde und ihrem Toben und ihren Neuerungen kennen. Ach, wenn doch einmal der Mensch so wenig erreicht neben dem Wall des Grabes, so ruht er lieber still in der engen Ecke der Zufriedenheit.«

 

Wiederkehr der Jugend.

Kommst du einmal wieder nach langer Dürre, selige Rührung? Kann sich dieses erstarrte Herz noch bewegen wie im Mai? O, sonst weint' ich, weil ich süße Thränen im Busen trug – und jetzt, weil er keine hat, weil er die Erde keiner Hoffnung mehr würdig findet! – Aber komme! Alle alten Jahre stehen fest bei mir, alle Freunde der Vergangenheit, die süßen verhüllten Augenblicke leuchten durch den Schleier.

 

Ueber eine alte Frau, die in ihrer Einsamkeit sang.

Die Stimme die im alten Körper noch ihre Jugend behielt, fliegt wie ein Zugfrühling über das abgeerntete Herbstleben und singt aus dem Blau die freudige Erinnerung herab; man hört das Herz wiedertönen von nie wiederkommender Zeit und weint ihm zu.

 

Alte Kalender.

Wenn man die Hand voll alte Kalender nimmt, in die man seine Haushaltungssachen geschrieben, ist's einem als habe man die verwelkten Jahre selber in der Hand.

 

Immergrün der Gefühle im Traume.

Jetzt hab' ich alles gesagt. Der Gefühle der Jugend erinnert man sich nur, hat sie aber nicht mehr, weil der Gegenstand fehlt. Aber der Traum bringt den Gegenstand und alle Verhältnisse dazu: dann hat man die Gefühle, deren man sich im Wachen blos nur wieder erinnert.

 

Schein unserer Dauer.

Diesen haben am meisten die Gelehrten. Man denke sich die Bücher weg, so verrinnt die ganze Vergangenheit hinter uns in eine unförmliche, unkenntliche, unbenannte stumme Masse und nur Gegenwart steht lebend vor uns und die Gebiete des Todes liegen ausgedehnter obwohl in Nacht hineingehend vor uns, als der grüne schmale Streif vom Ufer des Lebens und sterben sehen hieß da verstummen hören auf immer.

 

Verschiedene Bewegung.

Welch seltsam ruhiges Gefühl bei dem bloßen Spazierengehen auf einer Landstraße, wenn man die Reisenden in hastigem Fortfahren darauf siehet!

 

Das ewige Vergehen im Leben.

In einer großen Stadt verbirgt sich hinter der Menge Lebender ihre Vergänglichkeit, als ob Einer den Andern vor ihr sicherte und sie nicht vielmehr nur weniger bemerkt, die Zahl der Vergehenden vermehrte. So wird in einem Heere weniger an Sterblichkeit gedacht als in einer Einöde.

 

Gefühl der Vergänglichkeit.

Am stärksten brennt es zurück, wenn man nur seinem Ich gegenüber ist, oder in dasselbe hinein, oder aus ihm heraussieht. Aber neben dem zweiten Menschen um uns wird alles fester; jedoch freilich auch durch die Täuschung des Handelns mit ihm, das uns immer den Blick verdunkelt. Ein zweiter Geist scheint dem unsrigen ordentlich die Gegenwart zu befestigen, so wie schon bei der Geisterfurcht ein zweites lebendes Wesen unseres aufrecht erhält. Vor einer Versammlung von Menschen wäre bei jeder Erscheinung keine Furcht möglich. Je mehr Ich, desto weniger Furcht.

 

Fabel.

Die Sekundenuhr wirft der Minutenuhr Trägheit vor und die Repetiruhr beiden das Schweigen.

 

Urvorwelt und Urnachwelt.

Beide Welten strecken vor unserm Auge sich in eine unendliche Länge aus. Die urältesten Trümmer der Erde nähern sich uns als jüngste, wenn wir die Billionen Jahre zurückzählen, nach deren Verlaufe sie erst erschien – und einst wird man nach ähnlichen Billionen Jahren auf uns zurück schauen. So macht der bloße Gedanke der Zeit uns das Jetzt so klein wie es der Raum des Himmels mit unserm Erdenplatze thut. Wir sind alle von unendlichen Größen wie von Gebirgen eingeschlossen und schauen aus dunkeln, engen Thälern empor und hinaus. Um uns her spüren wir das Vergehen nicht, da es in feine kleine Tropfen zerstäubt ist; aber vor uns liegt es in ungeheuren Massen beisammen. – Wenn vor diesem Blick nicht einmal der Erdball und das Jahrtausend besteht, wie kann da der Flimmer eines verfliegenden Menschenpompes ausdauern? – Oder ein Thron wurzeln und sich steifen auf der zerstäubenden Erde? – Für den, der das Unendliche des All recht anschaut und durchfühlt, ist es etwas Furchtbares und Großes, nur zu existiren.

 

Der Besuch alter Jugend- und Wohnstädte.

Das Verschieben der Besuche alter Freunde in fernen Städten ist gefährlich und man verliert seinen Jacobi immer auf der Erde. – Aber sogar alle Städte, wo du lange gelebt, verzögere nicht lange wiederzusehen; denn die Feuersbrunst kann kommen und dir alles wegfressen, was du aus alten Zeiten Eingewohntes kanntest und liebtest. – So bist du im Leben nicht einmal der Dauer steinerner Wesen sicher, geschweige der lebendigen und du mußt froh sein nicht etwan wenn du sie ganz veraltert findest – so glücklich ist man nicht, weil sie schon dahin oder hinunter gezogen sind – sondern wenn du statt ihrer nur die alten Häuser noch antriffst; und wenn diese leeren Gehäuse einer blumigen, morgenröthlichen Zeit nicht selber wieder umgebaut, verstellt und eingerissen sind. Dann ist die Reliquie deiner Jugend, des Eltern- und Verwandten-Hauses, wie die der Kirche auf immer dahin; und neue Menschen ersetzen so wenig als neue Gebäude und nur der unverbrannte Platz unter deinen Füßen ist geblieben. Jede Freude da ist uns fremd und jede Trauer; die Tänze werden von andern Königen regiert und andre Königinnen lassen sich anbeten. Wer uns kannte sieht alt aus und hat Kinder und Noth; und wer uns nicht kennt, blüht und ist stolz. Familien sind gestürzt und gestiegen; neue Bäume stehen da wie Fremde an einem Markttage. Unsre Welt bewohnt den Gottesacker und nur sein Glockenschlag ist der alte.

 

Lebensalter.

Wie muß dasselbe Baireuth dem frischen Knaben vorkommen – noch schöner dem liebesuchenden Jüngling – anders dem hinaufstrebenden Mann – und dem beruhigten – und endlich wieder mir oder gar einem Greise?

 

Einsamkeiten der Menschen.

Die Einsamkeit des Postreiters in der weiten Winternacht – die des Bergmannes in seinem Schachte – die des Gefangenen – die des Mannes auf dem Leuchtthurm, über dessen Laterne oft die Wellen schlagen – und die härteste des Begrabenen, der unter der Erde im Sarge erwacht.

 

Unsre Sterblichkeit.

Wie käme unsere Sterblichkeit uns vor, wenn wir uns als Pupp-Männer und Weiber dächten, die auf einer Bühne mit einander umgehen und von denen eine Puppe nach der andern durch einen Zug oder Riß in die Höhe geschnellet würde? Aber was wäre sie anders ohne Unsterblichkeit?

 

Geistersehen.

Was sucht eure Natur, als die Gewißheit, daß es Geister gebe? daß dieses ebene, auswendig gelernte Leben nur einem neuen höhern zulaufe? daß es etwas anders gebe als Körper, die reden, als kalte Ebenbilder des bewußten Ichs? – O welche gräßliche Gruft voll leerer kalter Asche wäre die warme Welt, wenn nicht das Herz ewig das voraussetzte, was es nicht dürfte, wenn es nicht wäre. – Und doch fürchten wir uns vor dem Heraustreten dieser lebendigen Götter, weil ihr Blick das Grün des Lebens einäschert und uns allein neben ihnen lässet.

 

Veredlung.

Wie irdisch flach, dumpf ist der Nebel der auf der Erde noch steht! Aber oben im Himmel, welche Farben, welche Gebirghöhe nimmt er an.

 

Mensch und Natur.

Die Berge ruhen, die Flüsse gehen, am Himmel glänzt unverändert dieselbe Sonne, und Wolken stehen auf und schwinden nach alter Weise; Blüthen kommen wieder und gehen; – die ganze stille Natur bleibt unverändert und sieht uns zu. Aber wie wechseln die Geister durch einander auf diesem festen Theater und erfinden sich Jahrhunderte und goldene Alter!

 

Meine Naturliebe.

Wie man Thiere lieben darf, so darf ich doch auch die Natur lieben; und wenn sie mich entzückt bis zu herzlicher Liebe zu ihr: ist denn da eine Mechanik gedenklich, und ist das All blos die größte Strumpfstuhlmaschine die es gibt? Der warme Regen und die Blumen darunter sind mir nahe-lieb – eigentlich alles – und im Garten wird mir schwer ein Leben zu tödten. Die Wolken liegen in meinem Herzen – jeder Regentropfen gehört meinem Auge – ich nehme dem Himmel und der Erde gar nichts übel –; so ein langes Reden und Stammeln des Donners, ohne daß er etwas thut, ist mir gerade recht und ich lieb' ihn deßhalb. Ich lebe in, nicht über den Wolken bei dem Wetter; die Wolken gestalten mir die überirdischen Mächte und darum lieb' ich sie.

 

Die Sonne.

Die Sonne ist der größte Landschaftmaler; in jeder Stunde liefert sie an verschiedenen Längengraden Aufgänge und Untergänge zugleich, Regenbogen, und umgibt sich hier mit einem Hof und dort mit schimmernden Wolken.

 

Gewitter.

Wie klein muß uns das sonst so erhabene Gewitter erscheinen, wenn wir vom Gebirge auf dasselbe niedersehen und über uns den größeren, erhabneren Himmel schauen, von dem uns unten nur diese dunstige Erddecke trennt.

 

Milder Regen.

Nach langer Dürre ein stiller Gewitter-Regen (12 Juli 1822) das saugende Auffassen der Bäume – der ruhige Fallton des Träufelns – die unbeweglichen Gipfelgärten – der halbhelle Abendhimmel, der sich zur demüthigen Erde niedersenkt – kein Wind, kein Sturm, kein Blitz – die Natur lauter Ohr und offen – keine Schwüle und keine Kühle. – Man möchte ein großer vollfarbiger Baum sein. – Und wie alles doch wieder der Abendröthe entgegenarbeitet!

 

Vor der untergehenden Sonne.

Wie oft hat diese untergehende Sonne entzückte Blicke beschienen! Und wie viele dichtende Herzen wird sie jetzt wärmen! – Man kann sich gar nicht vorstellen, wenn man die Herrlichkeit des Lenzes und der Gebirge und der treibenden grünenden Welt vor sich hat und in der Empfindung das Große immer mehr erstarkt, daß es einen Tod, oder nur einen Schlaf geben könne, der alles verdeckt.

 

Mondaufgang.

Wie oft, du mildes Gestirn, hat dein Auge, das Auge der Nacht, mich bewegt und erhoben! Und wie viele tausend Herzen haben sich schon an Dir erquickt und deiner Mannichfaltigkeit. Du, der Du nie – wie die Sonne – beschwerst, wenn Du höher steigest und glänzest, und der Du der Erde eine Erhabenheit gibst, die nur dem Himmel gehört.

 

Die Nacht.

Du schauest über eine liegende Kirchhofwelt – die liegenden Greise und Kinder und Matten – einige Arme umfassen sich liebend – nur einige offene Krankenaugen.

 

Nachthimmel.

Der Nachthimmel hat allein zuweilen ein Gewölke unter dem Mond, das durch Licht wie durchfurcht ist – dunkle Hügel und Lichtsteige dazwischen. – In der Nacht, wo auf der Erde keine Schatten und Lichter sind, zeigt der Himmel beide stärker; und wenn unten alles im Grau ist, so wechseln oben, wenn auch nur am Wolkengewölbe, scharfe Lichteinschnitte und Wolkenhügel. – Die Sterne setzt der Mensch ordentlich voraus.

 

Einsamkeit des Menschengeistes.

Wenn du vor der Schlacht stehst und all das Zurüsten, Zurufen und Drohen und Freuen hörst und eine gewaltige, donnernde Welt vor dir hast: so findest du eine ganze Menschheit, indeß in dir doch nur Ein Mensch ist. All dieß Prachtgetümmel geht doch nur von Einzelnen zu Einzelnen und weiter ist nichts da. Daher diese ganze Klang- und Glanzwelt, die dir eine fremde Stärke und Ausdehnung leiht, entschwindet, wenn eine Kugel dein Ohr und Auge schließt. Hinter ihnen, den kalten, ist dann die laute Welt verstummt und nichts; und es ist dieselbe Einsamkeit in dir, ob du das Auge in einer stillen Waldhütte schließest oder auf dem lauten Parademarkt des Todes. – Aber da dieß für alle Prunkstätten des Lebens gilt und für jeden Platz und für die ganze Lebenskugel, so muß, damit das Einzelne nicht einzeln bleibe, sondern sich zu etwas Ganzem und dadurch Großem vereine, ein Wesen da sein, in welchem eben alle dieses lebendig und von innen, nicht von außen zusammenfließt; und dieß ist Gott, durch den allein alles groß wird, was in der Welt groß scheint.

 

Gott.

Nur an die Unendlichkeit der göttlichen Größe und Kraft denken wir. Aber ein Wesen, das moralisch unendlich ist, die höchste Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit; – nicht geworden, nicht blos seiend, alles ordnend; ewige Wahrheit – nie belohnt – ohne Richter, das Gesetz und der Gesetzgeber zugleich; – nach der unendlichen Liebe in sich, die ihr Gesetz ist, nicht erst empfängt, die Welt ordnend; – dieses Sein in dem moralischen Meer! – Wie können wir etwas wissen, da wir nur empfangen, nie geben; gleichsam die moralische Selbstachtung die auf eine Ewigkeit deutet nur erhalten, nicht verbreiten. Und der Ewige ist alles was er gibt.

In uns aber wohnt das Moralische so leibhaftig und stark, daß wir, wüßten wir nur gewiß, es säh' uns ewig ein moralischer Gott, nicht ein strafender, zu, nie unmoralisch handeln könnten. Sollen wir also nicht in dieser Finsterniß und Verwicklung des Lebens jenen Lichtpunkt suchen?

 

Die Kirche.

Die ganze Woche lenkt von der Kirche ab und nur ein Tag ihr zu. Selbst ein böser Geist, der auf die Erde käme und ihr nur Böses wünschte, und die Menschen in der Kirche fände, müßte – wenn er sie von dem Alltagtreiben, von allem Körperlichen und Eigennützigen so abgetrennt erblickte und mit den Wünschen und Sehnungen nach etwas andern, als sie bisher getrieben haben, eben grade weil sechs Tage den siebenten nicht aufheben konnten, so etwas glauben von menschlicher Anhänglichkeit an Gott, und Höchstes mitten im Niedrigsten der Welt.

 

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