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Die baierische Kreuzerkomödie
Zweiter Theil.

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Zwischenspiel des Harlekins.

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Die vornehmen Stände sind viel ernsthafter und langweiliger als die niedern; – jene reden vier Monate davon, wenn einmal ein Cercle lustig ausfiel; bei dieser ist jede Zusammenkunft eine vergnügte. Ich wollte, ich wäre von schlechtem Herkommen; aber ich half mir damit, daß ich mich oft zu Bettelleuten that und lachte. Daher vermaledeiten und verjagten mich einmal drei Jahre lang meine Religions- und Blutverwandten, blos weil ich aus Humor ein Vierteljahr im fränkischen Kreise mit einem langen Bettelstabe hin und her gebettelt und gesungen hatte. Allein meine Collateralverwandten hätten bedenken sollen, daß ich während meines Hausirens ein Buch unter der Feder (wenn nicht unter der Presse) hatte, das den Titel führte: »statistische, artistische, belletristische ökonomische und empfindsame Reisen eines Bettlers durch die Fürstenthümer Baireuth und Ansbach.« Bernoulli will mir leider meine Reisen nicht wieder geben.

Sollte er oder ich sie einmal des Drucks würdigen, so würde Deutschland daraus ersehen, daß ich auf der Kirmeß gewesen, sowohl in Fürth, das im Ansbachischen, als in Arzberg, das im Baireuthischen liegt.

Eine Kirchweih oder Kirmeß ist nehmlich die einzige Messe, auf die Bettler jedes Standes jährlich gehen. Schon ein Paar Tage vorher drehen sich alle bettelnden Fußsohlen einer ganzen Gegend als Radien nach dem Kirchweihzentrum hin und fließen da wie Blattern zusammen. Am Morgen des Kirmeßtags hebt der Armen-Jahrgang und die Krüppelcolonne seinen Straßen-Gottesdienst und seine Singständchen an: die Blinden singen wie geblendete Finken recht gut, aber – sich und andere fast todt; die Lahmen gehen; die Taubstummen machen den meisten Lärmen und läuten mit einem Glöckchen die Messe ein; Einer singet in des Andern Arie hinein; vor jeder Hausthüre steht ein Vaterunser und drinnen in der Stube kann niemand mehr seinen eignen Fluch hören; ganze Hellercabinette werden einerseits verspendet, andrerseits eingesteckt; die einbeinige Soldateska flucht nach dem Gebet, weil sie zu wenig kriegt; das fröhlich sein wollende Dorf ist mit Sturm eingenommen. So arg ist's.

Aber in Fürth ist's noch ärger und keiner schrie weiter als ich. Ich will probiren, ob ich, wenn ich wahre Beredtsamkeit zu Hülfe nehme, die Sache darzustellen vermag, nämlich die Bettel-Volksmenge allda. Hängt im fränkischen Kreis um irgend einen irdischen Pilgrim ein Rock, der sich von hundert andern Röcken ernähret und den allmähliges Zu- und Ueberflicken ganz verdränget hat, wie der menschliche Körper selbst sich von Zeit zu Zeit verdünstend in seinen eignen Successor verwandelt, so hat besagten Rock jemand in Fürth auf der Messe an und will soviel Almosen hinein haben, daß er Abends sich so gut betrinken kann wie Alexander. Sticht jemand mit einem hölzernen Vicebein in die Erde: – in Fürth rückt er damit ein und bettelt, damit ans Thor gepelzt, meine Leser und Recensenten an. Führt jemand keine Hände und Arme bei sich – in Fürth streckt er sie aus nach einer schlechten Gabe. Hat Pathologie und Semiotik ächte Krankheiten sparsam wie Talente unter Bettler versäet, besonders die Bettler-Vapeurs, die Gicht, – nach Fürth ziehen alle zu diesen Krankheiten gehörigen Körper und halten weniger um Diät, als Diäten an. Ist jemand beredt – in Fürth ist er's, oder auch über Fürth, wie ich selbst von beiden ein Beispiel gewesen. An keinem Orte gibts so viele Menschen und so wenige Arme, Beine, Nasen, als da; – der Primus und Generalissimus aller dieser Kerle wäre einer der nur halb da wäre und dessen andre Hälfte schon im Grabe ruhte: ein solcher Halbgott, dessen Seele kein Körperkleid, sondern nur ein Kollet, einen Wams umhatte, wurde einmal vor meinen Augen herumgefahren. Ich mache mich lustig über das Elend, weil das Elend sich selber lustig macht; ich ärgere mich aber nicht wie andere Autores, wenn dieses Elend einmal zu viel trinkt und frißt, wenn es die Plagen der Erdkugel vergißt, wenn die Freude sich von den Maskensälen ab in die Tanzscheunen der Bettler unmaskirt einschleicht und die Mittänzerin des Krüppels wird. Nicht um zu leben, sondern ein paar Mal des Jahres höher zu leben, rennen und schwitzen wir Menschen.

Ich bereue das Geschrei nicht, das ich auf dem Fürther Bettler-Congreß mit verführte. Außen vor dem Fürther Introitus setzt' ich mich in einen Kreis von Krüppeln und sagte: »Heute ist unser Kreistag und ich sollte Kreisdirector sein und unsere Bettelbriefe sind Directorial-Ausschreiben und wir wollen mit größerm Geschrei betteln als gewöhnlich, aber ihr versteht mich nicht.« Daher bewies ich ihnen bei den paar Krankheiten, mit denen jetzt ein Bettler behaftet wäre, könne keiner mehr bestehen; die reichste Dame hätte jetzt mehr, der tödtlichsten Ohnmachten nicht zu erwähnen und in neuern Zeiten, wo alles aufs höchste stiege, müßtens auch die Maladien rechtschaffner Bettelleute; man sollte gar keinem den Bettelstab anvertrauen, bis er etwas Pathologie zu seinem Fortkommen innen hätte. Ich zog aber den D. Selle aus der Tasche und brachte den Tröpfen einige der gefährlichsten Krankheiten cursorisch bei. Lief also jemand durch uns, so fingen wir insgesammt an zu schreien: »Arme, elende Männer von einerlei Maladie! – unsre Väter sind hemiapoplektisch – unsre Vorfahren todt – unsre Mütter leiden am polnischen Zopf – die Jungen an Gries, ihre Schwestern an Polypen – unsre weitläuftigen Pettern an Mitessern – wir haben alles auf einmal und noch dazu Ischurin und gleich darauf Strangurie!«

In Arzberg Eine alte Sitte zwingt da den Pfarrer, jährlich am Kirchweihfeste für so viele Bettler als kommen, Kouverts zu haben. Der jetzige besitzt so viele Talente und Kenntnisse, daß er in Utopien eine reichere Pfarre haben würde, und in .... eine Pönitenzpfarre. [Der Pfarrer Vogel in Arzberg, nachmaliger Dekan in Wunsiedel, ist einer der ersten geistigen Wohlthäter Jean Pauls gewesen. S. Wahrheit aus J. Paul's Leben, 4 Bd. ff.] aß ich beim Pfarrer, aber nur in seinem Hof, wie andre Bettler auch. Wer einen Bettelsack im Vermögen hatte, kam damit sammt Magen und Darm, sogar aus der Nachbarschaft der Nachbarschaft. Ungefähr einhunderteinunfünfzig Konvictoristen hockten und saßen da im Refektorium des Pfarrhofes wie Raben auf einem Kalbe, das in eben so viele Kouverts zerfiel. Bei solchen petits soupers von Kälbern und Bettlern erschein' ich für mein Leben gern, zumal mit Akzion. Hätt ich aber auch nicht den Erzvorschneider und Erztruchseß dabei gemacht und nicht gleich anfangs gesagt, fettere Bissen schnitt' ich zuletzt weg und Wißbegierigen würde Hoffnung zu einer Rede von mir gemacht und sie könnten dabei essen, und wäre ich überhaupt weniger klug eucharistischen Streitigkeiten entgegengegangen: so wären dergleichen wirklich entstanden. Es entstand aber nichts, als – Spaß, den ich selber machte. Gesandten-Rangstreit aus Ehrgeiz minder, als aus Hunger, hatte man unter ihnen dadurch zu verhüten, daß ich sie nach der Menge der Rocklöcher und den Rockfarben paginirte und foliirte; die poröse Kolonne fing sich ganz unten mit einem Kerl an, der drei Löcher hatte, zwei am Aermel und eins im Kopf, und nahm an Mitteltinten und Poren so lange zu, bis sie sich oben in einen versoffnen Studenten zuspitzte, der in einem Rock wohnte, dessen Grund zu lauter Nebenpartien geworden und unter dessen Flecken ingesammt der Fleck nicht herauszufinden war, der das Stamm-Tuch gewesen. Den Generalstab konnten Krüppel formiren, die ich mit Fleiß so disponirte, daß immer einer, der das linke Bein verloren mit einem Nebenmann, der das rechte verspielet, zusammenfloß, weil man so in großer Entfernung wirklich beide Kerls für einen nehmen konnte, der auf zwei außerordentlich auseinander klaffenden Beinen stand. Nun war weiter nichts anzufangen – der ganze Nährstand kauete an seinem Mußtheil hinauf und hinab –, als die versprochene Rede die ich eben so über den Pfarrhof und die Panisten hinüber hielt:

»Ich wünsch' euch allen gesegnete Mahlzeit und hinterdrein etwas Kirmeßkuchen! Ein hochlöbliches Pfarramt hofft seine Pflicht gethan und ein Kalb, wie den Reichsochsen in Frankfurt gebraten zu haben; brummet aber Einer von euch über das Amt oder das Kalb, so kann ihn allemal der Bettelvogt aus dem Hofe hinaus karbatschen: – auch verhofft ein hochlöbliches Pfarramt anderseits, es werd' ihm keiner von diesem Eß-Synodus was – stehlen; denn ich stehl' auch wenig. Ihr werdet mich doch verstehen, wenn ich in meiner Tischrede fortgehe und euch berichte, daß ein gewisser Edelmann in ..... oder sein Pachter diejenigen unter euch, die noch keine Krüppel sind, einfältige Schlingel nennt. Es läßt sich hören; denn ihr könntet so gut miserable Krüppel sein, als irgend jemand und könntet recht hübsch davon zehren, wenn ihr wolltet. Ich soll euch deswegen – ich reise, wie ein Reisender darauf herum unter den Armen – seine Dienste offeriren und auch versichern, daß der Pachter (denn den Edelmann soll ich verschweigen) an 31 Scheffel Mutterkorn Nach Tissot, Salerne, Ackermann etc. nimmt der Genuß des Mutterkorns durch Brand Arme, Füße, Schenkel etc. ohne Nothwendigkeit eines Verbandes ab. Ein vortrefflicher Oekonom versicherte mich, daß bloß die schwarze Hülse, nicht der weiße Kern des Mutterkorns das Gift bei sich führe. verbacken kann, das als Brot mäßig gegessen, Hände und Füße so leicht und ohne Schmerzen abschnallt und ausrupft als einem mürben Strumpfe die Socken abfahren. So wären also spielend Arm und Beine auszuzupfen und es steht jetzt in Jedes Willen, ob er ein Krüppel werden will, da man es ihm anbeut und ihm das Amputations-Korn nicht höher verhandeln will als reines Korn. Es schreibe sichs aber nachher Jeder selber zu, wenn er im Alter Arm und Beine hat und nichts weiter, und nicht Mitleiden genug erregt. Jetzt aber packt euch mit mir fort!«

Eh' ich das thue, glaube ich die Polizeibedienten nur mit Einem Worte rechtfertigen zu müssen, weil sie aus recht guten Gründen freies Betteln an Kirchweihen gestatten. Auf diesen Messen der Dörfer versehen sich die Bettler, wie andere Käufer von minderer Wichtigkeit, mit den verschiedenen Bedürfnissen ihrer verschiednen Gliedmaßen, mit Brod, Kuchen, Eier und auch Geld, daher sie selber nicht damit bezahlen können; auch wird ein Handelsmann durch sie so vieler Uhren, Geldbeutel, Schuhe etc. los, daß er schon zufrieden sein kann, da er zumal für solche theure Sachen andre Käufer schwerlich findet. Handels- und Wandels-Flor wird mithin durch Bettler zu sichtbar belebt und begossen und der Handelskonsul des Dorfs, der Bettelvogt, sollte einen solchen Groß-Avantur-Handel ganz anders unterstützen. Zweitens muß man nicht glauben, daß ichs nicht höre, wie entsetzlich das Kirmeßdorf flucht, frißt etc. und wie sehr es grade am Tage, wo es seine Kirche einzuweihen hat, solche entweihet; sind nun da nur 13 Minuten Bettler und Krüppel zu entrathen, welche die Gassen auf und niederschweifen und Haus-und Gassen-Andacht vor jeder Hausthüre verrichten und um einen Heller herumsingen und die Straßen so mit Kirchenliedern besäen, daß der Teufel in den Bettlern und in den übrigen leibhaftig sitzen müßte (und da sitzt er) wenn nicht jene durch ihre Andacht, fremder und eigner Gottlosigkeit dieses Tags die Wage halten wollten und könnten? –

 

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