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5. Gedankenflüge
in aufsteigender Richtung.

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Man freut sich nicht genug darüber, wenn man die Unerschöpflichkeit an Welten im Himmel und am Leben und Bildung auf der Erde betrachtet, daß man in diesem uferlosen Lebensmeere mitschwimmt, wo alles leichter da ist, als Tod. – Aus der Lüneburger Haide, dem Grön- und Feuerland würde niemand auf derselben Kugel ein Italien erwarten. Kann nicht ein fremder Planet oder die Sonne sich zu unserm verhalten in Schönheit, wie Italien sich zu Grönland? – In jedem Winter seh' ich dem nächsten Frühling mit der Hoffnung entgegen, mich neben die Bienen und das ganze kriechende übergoldete Thierreich ins Gras zu setzen unter Blüthen und so zu träumen und den schäumenden Becher des Frühlings auszuleeren. Dann treiben meine abgemähten Jugendjahre in Blumen aus; mit den Schmetterlingen fliegen aus meinen innersten Winkeln alle schwärmerischen Wünsche und umkreisen mich mit ihren farbigen, zarten Flügeln. Die große Welt Gottes drängt sich mit ihren Knospen und Blüthen und mit ihren frischen Sonnenflammen an mein abgekühltes Herz und ich trag' es voll in meiner Brust und mit irrendem Auge und schwankendem Fuße fall' ich der Natur zum ersten Male wieder in die Arme.

»Ach ihr himmlischen Idyllentage, besucht mich öfter als im Mai, und bleibet länger!«

Und wenn nun alle Fibern in feineren Lüften spielen und zittern; wenn alle entschlafenen Blumen des Lebens auf einmal ihre Kelche austreiben und uns mit längst entrissenen Düften heilen; wenn der Mensch am Thor eines unübersehlichen Paradieses steht, in dem Blüthenbäume Blüthenbäume beschatten; und wenn er an der Schwelle mit Entzückungsseufzern, mit seinen gegen die Vergangenheit und Zukunft ausgebreiteten Armen niedersinkt – – hat das Herz dann Ruhe gefunden und Befriedigung? Ach! wie sonderbar und einsam steht der Mensch in der runden Wüste des Lebens! Unsichtbare Krallen schlagen sich in sein Herz und reißen weite Wunden; – unsichtbare Hände sinken zu ihm nieder, halten ihn, wenn er sinkt, fächeln ihn, wenn er brennt und tragen Himmelsblumen vor ihm zur Stärkung vorüber. – – Ach es gibt Menschen voll Liebe, die nie sprechen können und sollen. Wie umfassen uns nicht alle die Verhüllten und verhüllen die Lippen! O, wenn Du nun für Deine Seele voll unsäglicher Liebe keine findest, die zu Dir jetzt spricht, obwohl sie es früher gethan hätte; wenn Du und sie jünger sein, wenn so vieles anders sein müßte, was doch das Herz nicht angeht, wie stehst Du mit der verhüllten Sehnsucht neben dem Wesen mit verhüllter Sehnsucht? – Ach wie oft stehen zwei Stumme neben einander und ein Engel der Herzen sollte ihnen sagen: werfet die Mienen weg und fallt euch an das Herz, das sich sehnt und brennt! –

Und doch wird das Herz von einer unerwiederten Hochliebe mehr gesättigt trotz aller darin fortstechenden Wunden, als von einer Leerheit desselben, wo nichts begehrt und nichts gelitten wird. Denn liebt auch der Gegenstand nicht zurück, so liebt mit dem Liebenden doch die ganze Natur, jede Jahrzeit und Blume und immer wohnt sie in einem Lieben, das nicht fällt, nur schwillt. Das Lieben war ja ohnehin vor dem Gegenlieben schon kräftig und beglückend da. Nicht Mangel des Gegenstandes, sondern des Gefühls trocknet das Leben so aus, daß jede Blume verdorrt. So vergeht und verschwindet eine Guyon etc. oder ein Mystiker an der Liebe zu Gott. Die Gegenliebe kann beinahe nur sich, nicht aber dem Lieben geben, und kann nur empfangen. –

Sei nur nicht egoistisch, wenn Du zweiundfünfzig Jahre hinter Dir hast und die Sonne anders untergehen siehest, als wärest Du fünfundzwanzig. Gewöhne Dich, daran zu denken, daß in dieser Minute dieser fallenden Feuerwelt ja wieder – wie einstmals von Dir – von sehnsüchtigen und liebenden Seelen nachgesehen werde; daß diese Sonne wieder Kinder und Jünglinge finde; daß, als Du an ihr Dich entzücktest, Greise an ihr welkten; ach, daß alle Zeiten in der Zeit auf einmal sind. –

Schauet nur froh hin, liebetaumelnde Seelen – das sagt euch mein Herz mit Entzücken – und macht das ganze Universum zu einem Gleichniß euers zufälligen Liebesflors, und seht euch weinend an, wenn sie gesunken ist und denkt, was so wenig wahr ist: nie liebte man heißer und nie war die Welt schöner! – Du Ewiger, der Du seit so viel unzähligen Jahren die kindlichen Irrthümer von so vielen Millionen gesehen, Du wirst die armen Herzen, wenn das Körperliche zerfallen, berichtigen und ihnen das zeigen, was sie eigentlich wollten!

»Wer hat die Liebe? Wer sie sucht und bleich wird und sie nicht findet; und hasset und sie sucht und stirbt, weil er sie zu finden glaubte. Nur das Sehnen der Liebe ist die Liebe!«

Ein fernes Herz gibt dir Sehnen nach ihm, – kann es etwas Schönres Dir schenken? – Ist nicht im Sehnen Freuen und Erleben? – Und was gibt es für ein Glück, wenn man nicht mehr sich sehnt, d. h. nicht mehr über das Jetzo hinaus verlangt? – Im Sehnen liegen die zartesten Himmelskräfte eingewickelt. – O sie ist ja schön, die Sehnsucht! sie beweiset, daß man noch etwas suchen will, und daß die schöne Gestalt dieses Etwas noch in uns wohnt. – Was sind dem Jüngling die Abendberge! Nach Reisen und Jahren verbergen sie keine Zukunft mehr, höchstens Gegenwart. Ein alter Mann hat wenig Sehnsucht mehr, außer nach Jugend, dieser Jahreszeit des Sehnens.

Vielleicht freilich genießt der alte Bettler, der nichts thut, nur raucht und geht, das Daseinsglück am meisten, da er keinen Zweck hat, als die Gegenwart. Denn die rechten Alten sind die, die keine Plane haben, als die der Gegenwart und die also von keiner Zukunft abhängen. Dieß hieße freilich selig sein vor der Seligkeit. Zum behaglichen Leben gehört Aufhören des Strebens, Begnügen und Ausgenießen der Stunde und blos Frohleben von einer kleinen Freude zur andern. Wer anders kann dieses haben, als der Alte, der seine alten Tage genießt, weil er nichts mehr schaffen kann, da alles Schaffen die Behaglichkeit stört. – Die idyllische Ruhe des Lebens ist nicht in der fortarbeitenden Jugend, sondern im Alter. Der Mensch hat das Seinige gethan und kann nichts mehr thun, als anschaun; er kann lesen, nicht schreiben; er kann seine eignen Werke genießen, aber nicht vermehren. –

Und doch gibt's nur eine Freude, die während ihres Genusses sich selber festhält für jedes nächste Genießen, die schaffende, wo Deine Seele ihre kräftigste Stunde zugleich erschafft, erlebt und darstellt im poetischen Schaffen. Andrer Freuden kannst Du Dich nur erinnern im matten Nachschein; diese steht immer im vollen Sonnenaufgang wie das erste Mal vor Dir und vor jedem. –

Daß ein kraftvoller Mensch seiner täglichen Abschwächung entgegengeht und voraus weiß, daß er jedes Jahr ein Stück verliert, wäre sehr hart, wenn sich nicht diese körperliche Abschwächung verbärge in das geistige Zunehmen an Kenntnissen, Ehren und bürgerlichen Einflüssen. – Nun aber, wenn ich mich umsehe nach allen denen, die hinter mir liegen: wahrlich, so wundere ich mich, daß ich noch stehe. Auch das gehört zum himmlischen Glück der Jugend, nicht so viele Gestorbene gekannt zu haben. Im Alter wird das ganze Gehirn ein Gottesacker vergangener Bekannten, bis man endlich selber dahin schwindet und nur in den Träumen der übrig gebliebenen Freunde noch fortspielt und erscheint. – Man sollte kaum in unsrer Vergänglichkeit nur eine Vergänglichkeit malen. Schatten zeigen auf Schwinden der Schatten.

Auch würden wir dieses Schatten- und Minutenleben in dem Sterben vor und hinter uns nicht aushalten, wenn nicht Liebe und Religion ein punctum saliens gäben. Er hilft der Phantasie nichts, daß bei dem Sterben doch die Berge und Sonnen nicht wanken, sondern stehen bleiben; denn es ist eben so viel, wenn Du wankest und vergehest; Dir ist dann doch alles vergangen Wir müssen die Ewigkeit in uns vorausnehmen, um die Zeit zu ertragen. Das Feste will das Feste; ein Ewiger muß das Vergängliche, seinen Todfeind, fliehen und hassen. – Hundertmal sag' ich zu mir, warum hebst du in der Noth die Augen nach dem Himmel, wo nichts ist in der Nähe, als Dunst und blaue Luft und Winter und in der Ferne Leere, bis etwa ein Weltkörper kommt, und warum blickst du nicht sogleich nach dem nächsten wieder, nach der Erde, wo du Halt und Grün und Frucht und Leben und Wärme findest und Goldglanz, und Edelsteine dazu? – Die Antwort ist: das Herz ist eng, aber der Himmel ist weit; die Nähe ist endlich, aber die Ferne unendlich, und darum tröstet das Auge sich an dieser. Wir schiffen alle nur an den Küsten der Wirklichkeit oder des All, wenn wir die Magnetnadel, Gott, nicht haben und können ohne sie nicht in das Meer der Unendlichkeit. Die Unendlichkeit steht über euch. Alles oben ist so groß, daß euer Größtes unten ein schmählich Kleines dagegen ist. Ihr seid nichts, wenn ihr die Welten vergeßt, ihr seid nicht viel, wenn sie euch an euch erinnern. Ihr Menschen, warum gab euch denn Gott den Blick nach oben, wenn ihr euer unten nie vergeßt!

 

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