Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nachspiel.

———————

Meine lebendige Begrabung.

Eine Fratze, die blos vergnügen und nicht nützen soll.

 

Ich glaub' es sehr gern, daß der correspondirende Lesezirkel in Mainz meine Sachen lieset und wenig davon erfährt, was ich und meine edlern Eingeweide dabei ausstehen. Die Gesundheit des Körpers läuft parallel mit der Gelehrsamkeit, Phantasie, dem Witze etc., die so wenig zur Seelengesundheit gehören als Korpulenz, Läuferfüße, Fechterarme zur leiblichen.

Wenn ich so lügen könnte wie Mohammed: so würd' ich geradezu erzählen: »Der Engel Gabriel wäre dabei gewesen, da die Seele von diesem oder jenem Konsistorialrath, Dompropst etc. etc. auf die Erde versandt werden sollte. Sie wurde wie Pyrmonter Wasser auf den Körper wie auf eine Bouteille gezogen; aber wie man mit der Einfüllung des Pyrmonters erst auf die Verrauchung seines besten Geistes wartet, weil er sonst die Flaschen zertriebe: so konnten die Engel die Seele dieses oder jenes Konsistorialraths, Dompropstes etc. etc., eben weil sie so außerordentlichen Geist hatte, nicht eher auf den Körper füllen, als bis dieser Geist, der ihn sonst aufgesprenget hätte, ganz verflogen war. Dann wurden sie so dumm auf die Erde spedirt, daß der Körper achtzig Jahre ganz gut hielt.«

Wir Autoren strengen uns bis zum Uebermaße an und schreiben Fibeln, Mordpredigten, periodische Blätter oder Reinigungen und andern aufklärenden Henker; aber unsern Madensack zerlöchern und zerzausen wir dadurch entsetzlich und doch meint's niemand ehrlich mit uns. Wir Autoren stehen zwar alle aufrecht da und verschießen lange Strahlen über eine ganze Halbkugel (denn mehr ist auf einmal von einer Kugel nicht zu erhellen und ganz Amerika muß unsre Federn entbehren); aber gleichen wir nicht völlig den ersten Christen, die das Licht, womit sie in Pech und Leinwand eingeschnürt, als lebendige Pechfackeln Nero's Gärten beschienen, zugleich mit ihrem Fette und Leben von sich gaben? Ich schreibe bekanntlich das Abrakadabra, dessen Aussprache sonst Fieber nimmt; aber ich habe mir dadurch ein schleichendes angeimpfet. Der Leser wird sich an Einfällen krank lachen, an denen ich mich todt lachte und ich werde es nachher mit vielen Umständen berichten. Ich sollte ihm niemals das Herz nebst den Herzohren bewegen, ohne daß er sofort zu sich sagte (ich wollte, er thät's laut): »durch diese Bewegung des meinigen hat der Verfasser ganz natürlich das hysterische Klopfen des seinigen unsäglich vergrößert.« Zuweilen hat er Ursache die Frage zu thun: »sollte der Verfasser so viele Köpfe erhellen können, ohne daß ihm sein eigner wehe thäte?« Und selbst jetzt trifft er's, da er mich so unterbricht: »diese Satire, die mir einige Schmerzen macht, muß dem Verfasser doch viel größere machen, denn meine sind zum Glück blos geistig.«

Eine wahre Wohlthat war's für mich, daß ich noch lebendig war, da ich begraben wurde; sonst könnt ich jetzt noch maustodt sein, so gut wie irgend einer. Ich greife alles mit Händen; es war im März – der Winter war sehr feucht und neblicht gewesen – schon im Herbst zog ich leck und wurmstichig herum – meine häufige Aergerniß über mein Hauswesen und über alle Menschen, sie mochten zum Kaukasischen oder zum Mongolischen gehören, that auch das ihrige – meine Bücherschreiberei oder Bücherbräuerei und Spinnerei ging übermäßig – ich saß fast ganze Sessel und ganze Nächte durch – Schwiegervater und Tochtermann liefen bei mir aus und ein und riethen mir, meinem Ehrgeize keine Zügel anzulegen, sondern fortzuschreiben und für lobende Rezensionen wollten sie schon sorgen – ich konnte meine Einfälle und Ohnmachten gar nicht mehr zählen: ganz natürlich kam endlich die allergrößte und ich blieb darin drei Tage und am zweiten wurd' ich schon beerdigt. Einer meiner künftigen Rezensenten befühlte meine Nasenspitze und der wird's attestiren, daß sie kalt war; der Hausdoktor, der das Uebrige betastete, sagte, das Uebrige wär' auch kalt und ich müßte mich in meinen Tod schicken. Was mir meinen Tod und meine Leichenbestattung am allermeisten versalzte, war, daß ich immerfort noch hören konnte: meine Natur und meine Ohren richteten sich ganz nach dem 112. Stücke des » Arztes,« worin Unzer Gründe und Beispiele genug vorbringt, daß Ohnmächtige und Todte noch aufhorchen. Den Vesperprediger konnte kein Teufel von meinem Krankensopha bringen, denn er wollte den Teufel selber davon bringen; und er benutzte entsetzlich meine Gehörknöchelchen und beutelte durch das Trommelfell »Ermahnungen am Sterbebette« hindurch. Wer war aber schuld als der erste und zweite Akt der Kreuzerkomödie, in die der Vesperprediger auf der Schreibcommode hineingesehen hatte? Nahm er sie nicht in die Hand und trug das Manuskript vor mein Bette und sagte, »ich glaubte« sehe und lese er »wie alle Autores, keinen Gott und keinen Teufel, aber ich würde wie sie, zur Strafe in kurzem zu beiden fahren und er woll' es nicht wünschen. Und Satiren und Komödien wären ihm stets bedenklich und weder die ersten Eltern noch die Erzväter und Apostel hätten dergleichen geschrieben.« »Wer weiß« sagte hier etwas.

Das sagende Etwas war blos der Matz, mein Staar. So eine lustige Scene kam aber noch keinem Ohnmächtigen vor wie mir allein und ich will mich bei ihrer Schilderung gern stundenlang verweilen. Ich lehrte nämlich einen Staar nichts sprechen als die unbestimmten Formeln: »das wäre« – es hat seine gute und seine böse Seite – , es läßt sich darüber viel sagen – wie man's nimmt –; meine Absicht war weit weniger dadurch einen verständigen Gesellschafter aus dem Matz zu machen, dem's allemal zu sehr am Aeußerlichen fehlen würde, als blos die: der Matz sollte beim Frage- und Advokatenspiel, das die jungen Leute oft bei mir treiben und das solche unbestimmte Antworten begehrt, so leidlich mit zu agiren wissen wie mein Sohn, der ihn gefangen. Ueberhaupt läßt der Staar mit sich reden. Diesem menschlichen Echo hatt' ich noch einen menschlichen Spiegel zugesellt – einen baufälligen Affen, den in einem Seetreffen der zufällige Schuß eines feindlichen Affen um das eine Bein verkürzet hatte. Ich schreib' es nicht ganz Grundsätzen, sondern der Einbeinigkeit zu, daß das Thier dem deutschen ernsten Karakter sich nähert und nicht springt: denn beim Ignazius Loyola ging's ebenso.

Indeß nun der Vesperprediger auf meinem Herzen pflügte und untereggte, saß der ernste mürbe Affe hinter dem Ofen und rekapitulirte auf dem Stelzfuß alle seine Gestus und packte den vorsitzenden Matz an und dessen Herz. Mein Jammer in der Todesnoth war nur, daß ich den Pavian nicht sah; aber den Matz vernahm ich und genas heimlich davon in der Todeslarve unter meinem Deckbette. Der Repetent des Pfarrers blätterte mit Nutzen in einem unbeschriebnen Manuscript und warf dem alten Matz durch falsche Gestus seine Fundamental-Irrlehren und seine vielen Satiren vor, denn er konnte ganz aufs leere Papier sich steuern. Mein Mandatarius und Sprecher wollte nicht davonfliegen und wußte auf solche konsistorialische Invektiven nichts zu versetzen als was er gelernt hatte; gerührt wird er schlecht gewesen sein. Nun war dem Pfarrer, der von seiner Koadjutorie durch den Affen nichts wußte, eben so wenig von meiner Adjunktur durch den Staar bekannt und er dachte mithin, in der Stube spräche nur ich und er. Wenn er zu mir sagte: »ich hätte ihn selber zu meinem Bette sehnlich holen lassen sollen und er wäre hoffentlich ein wohlbestallter hiesiger Diener göttlichen Worts und Tempels«: so spedirte der pantomimische Stelzfuß die Gestus redlich weiter und der Staar versetzte: »darüber ließ' sich viel sagen.« Natürlich ging darüber der Vesperdiener in Feuer auf und sagte: der Teufel finge schon sichtbar nach meiner Seele; daher pflanzte der Maskopei- und Laienbruder des Pfarrers den Groll und alles auf den bekämpften Staarmatz fort und der war genöthigt zu repliziren: »das wäre!« Als mich endlich der Krankenbesucher halb außer sich an der Hand erfaßte und sie schütteln wollte und sagte: »Sündenkind!« so fing sein Kollaborator nach dem Flügel meines Agenten, der aufschoß und mit den Worten »Spitzbube!« auf des Pfarrers Nase ankerte – allein so endigte er die schönste Doppelsonate.

Gleichwol schien ich mehr als jemals maustodt und lachte wirklich nur im Gehirn.

Man wird es schon wieder vergessen haben, daß mir das Gehör noch verblieben war; und vergeblich sucht' ich, da man über die Wahl der Kaufläden zankte, aus denen der Flor hersollte, nur soviel einzuwenden, daß ich noch lebte. Sondern ich wurde wie ein Schiffbrüchiger aufs Leichenbrett ausgesetzt eh' ich zu Boden fahren sollte.

Jetzt werd' ich das halbe bewohnte Europa über meine Frau außer sich setzen, weil ich etwas Närrisches an ihr vorzubringen vermag. Ich wollte anfangs zu ihrer Apologie eine taugliche Rechtfertigung des einfachen Ehebruchs vorausschreiben, aber ich störe mich in meinem ganzen Bericht und sie können in einen andern Akt hinein, die zwei Apologien.

Da nämlich an meinem Todestag das ganze Haus bis an den Stöpsel voll Vettern und Basen und wahrer Freunde war, so hatte mein Hausfreund, nämlich ein regulirter Chorherr und seine Freundin – nämlich die meinige, oder meine Frau – den Henker davon und gar nichts. Ich wollte nur, ich könnte einen eignen Quartanten über diesen regulirten Chorherrn zusammenschreiben und sagen: er ware mein Vor-, Neben- und Hintermann; kurz seinen nächtlichen kanonischen Horen d. i. den apokryphischen – lag er munter unter meinem Dache ob und blos meine Frau merkt' es... Ich will mich doch ändern und eh' ich weiter fortfahre mehr angenehm als nützlich zu sein, nur so viel zum Behuf des Ehebrechens fallen lassen: wenn erstlich zu einem Gelehrten und Autodidaktus, der auf mein Wort außer seinen Leidenschaften nichts so eifrig kalt und eingefroren haben will als seine eigne Frau, zweitens ein Kerl kömmt, der die ganze Sache auf sich nehmen will und die Gattin für ihren und jeden andern Gatten zu erkalten klare Maßregeln schon da hat: so steht ein solcher antarktischer Kerl, er mag nun das Quecksilber durch stoische oder christliche Mittel in Eis umsetzen, drittens schon deswegen kaum mit Gelde zu bezahlen, weil er viertens keines mag. Gerade so kühlen die Spanier ihren Wein durch Schlangen ab, die sie mit ihren eiskalten Ringen die Bouteillen bewickeln und umarmen lassen..... Nun wollte der regulirte Chorherr an meinem Todestage am allerwenigsten diese dem Betrauern so nöthige Erkältung aussetzen; allein das war wegen der Menge Leute und Zeugen durchaus nicht anders zu machen als durch mich.

So: Ich elender Ehrenmann oder vielmehr Unehrenmann lag Abends todt mit meinen lebendigen Ohren auf meinem Bette: meine Frau war in meinem Museum und lebte. Der regulirte Chorherr hatte schon alles mit ihr abgeredet. Dieser meine Successor hielt es für einen Ruhm, zu seinem Antezessor, (zu mir) zu schleichen und ihn mit Mühe in seinen restirenden Schlafrock und dessen Hosen hineinzudrehen. Da ich in die Gelehrten-Amtskleidung eingefädelt war – den hörenden Kopf senkt' er in eine meilenlange Mütze – so sah' ich jämmerlich aus und der irregulaire Chorherr trieb's doch noch weiter. Denn wie konnt' ich mich als ein Scheintodter dagegen setzen und sperren, daß er mich mit Bindfaden dem Rücken seines Rocks aufnähte? Hierauf zog er mich und den Rock an und wir hingen mit einander fest seinen Rücken hinunter; er trug mich vor den Spiegel, um mich anzusehen und anzulachen und meine schriftstellerischen Arme schlug er über seine Achseln herüber. Er sprang etlichemal auf, um zu sehen ob ich fest säße .... Wahrhaftig dergleichen Sachen schämt man sich auch nur zu berichten: dennoch muß muthig fortgefahren werden. Der Chorherr jagte wie besessen mit dem angenähten Redakteur und dessen Ohren zur Leichenkammer heraus und in alle Stuben hinein und schrie: »der verstorbene Redakteur sei ihm erschienen und habe ihn bestiegen und Gott wolle sich nur seiner erbarmen.« Auf diese Art, glaube man mir, hetzte er das Leichenkondukt und meine Verwandten zum Hause hinaus: mich aber hing er sammt seinem Rock an die Hausthüre, damit ich die Leute wie in Venedig ein Mensch mit der Montur eines ausländischen Ministers den inländischen Adel abtriebe und wenn es wahr ist, wie man nachher erfuhr, daß er eine Feldmaus in meinen rechten Aermel gesperrt, damit sie wie die Mäuslein im Arm, letztern schwenkte und mich lebendiger darstellte als ich war: so muß ich ja wahrhaftig roth werden vor den ehrerbietigen Rezensenten der deutschen Reichslande, die von mir den alleredelsten Begriff haben und die nun ihn schwächen sollen. Aber die Rezensenten sollten nur weniger den Autor vom Menschen spalten und auseinanderziehen: sie sollten sich wochenlang üben zu denken Lessing's Hemdknöpfe – Kant's Hosenbund – – Shakespear's Nabel – eines Rezensenten Lavement – Herder's Rasirmesser – Klopstock's Zopfband und des Redakteurs solches Zeug insgesammt.

Meine verscheuchte Vetter- und Basenschaft fürchtete sich vor mir als einer Ehrenwache und der regulirte Chorherr und die Chorfrau (meine) saßen gemächlich in meinem Museo und studirten wie ich: nur zuweilen guckte der Regisseur dieser Spukhistorie zum Fenster hinunter und flehte sämmtliche Emigranten und Réfugiés ums Himmels willen an: »seiner zu denken; denn es wäre der Redakteur der teuflichen Auswahl nicht nur im Schlafrock an der Thüre, sondern er läg' auch im Hemde noch auf dem Leichenbrette – es wäre unbekannt, welche Doublette der Nachstich sei; aber befahren könn' er jede Minute, daß die zwei Exemplare und Redakteurs zu einander stießen und so anrückten gegen ihn zwei Mann hoch.« Hieran eilt' er, den dritten Redakteur gegen meine Frau zu machen.

Ich wünschte, ich wäre so glücklich, daß ich diese Historie blos ersänne, so könnt' ich sie anders und lustiger wenden. Ich würde mich an der Hausthür plötzlich beseelen und meine Kreuzesabnehmung selbst verrichten, blos damit ich hinauf zum studirenden Chorherrn käme und ihn zwänge, drei Stockwerke hinabzuspringen vor Grausen. Auf diese Art und durch die Fiktion in der Hand wär' ihm spielend eine oder mehr Kniescheiben auszurenken; ich könnt an ihm leck machen was ich wollte und er nicht wollte.... So aber ist nichts zu machen und ich muß mich vom Chorherrn und der Wahrheit unbelebt auf's Brett aufspreizen lassen und kann gar nicht auf.

Damit man nicht überall herumsage, aus einem und dem andern Aufsatz von mir stehe vielleicht wenig ächte strenge Moral zu holen: so schieb' ich, eh' ich begraben werde, einige ohne Noth hier ein: »die größten Injurianten des ganzen weiblichen Geschlechts – d. h. die größten Verführer desselben – vergessen, daß sie ja nur die schönen und erträglichen Weiber auf zu schwere Proben gesetzt; um der häßlichen Prosodie bekümmerten sie sich ja niemals und scandirten dergleichen selten oder nie – ich aber habe diese sauern Rheinweine öfter mit dem liquor probatorius oder der sympathetischen Dinte untersucht und sie ganz gut befunden, weil weder eignes noch fremdes Schmeicheln sie interpoliret und versüßet hatte. Und wuchs denn nicht in meinen Tagen die männliche Verführungskunst noch immer schneller als die weibliche Verführbarkeit?« Und ist nicht blos meine Frau auszunehmen?

Inzwischen ließ sie mich am Tage darauf ordentlich zur Erde bestatten. Es kam der Regierung nicht zu Ohren, daß sie sich über diese Gelegenheit freute, der neuen Trauerordnung sich zu unterwerfen: sie hatte nichts dabei geschwärzt als die Haare. Ich verweise aber die Literatores, gelehrten Societäten und deren Ehrenmitglieder und alles was gelehrten Odem durch Lungen und durch Kiefern schöpft und was insgesammt die genausten Umstände meiner Beerdigung zu lesen begehrt – ganz auf meine zweite, die künftig angestellt werden soll, sobald ich todt bin und bei der die erste rekapitulirt werden muß – im Ganzen wurde natürlich dabei gegangen – getrunken – gesoffen – gefastet (von mir) – getrauert (auch von diesem) – geläutet – gepfiffen (vom Wind) – geheult (von meinem Spitz) – geweint (zum Spaße von den Jungen, die auf der Gasse die Leiche nachmachten) – getröstet (vom Kondukt) – gedacht (von keinem) .... Die Menschen fallen am meisten lächerlich aus, wenn sie etwas in großer Zahl verrichten; zum Glück aber konnt' ich kein Auge aufbringen, ich hätte vielleicht durch unzeitiges Lachen den Ernst der ganzen Beerdigung gestört.

Da ich aufgedeckt in der Spitalkirche meinen Lebenslauf verlesen hörte – er war und ist ja aber noch ungeschlossen –: so wars mir lieb, daß er meines mit mehren Ehren gedachte als der lateinische, NB. den ich in meinem Kandidatenlustrum dem preislichen Konsistorium postfrei machen und schicken müssen – dennoch freuet es von der andern Seite wieder wenig, selbst ein neues Beispiel sein zu müssen, daß das Publikum große Autoren niemals eher lohnt und ehrt als bis sie faulen .... Wahrhaftig man putzt ja unsern Kopf mit dem Lorbeerreis wie den des Ebers mit der Zitrone offenbar erst nach dem Tode und wie ist das und das übrige zu nehmen?

Der Stadtpfarrer (mit einem verglaseten oder verkohlten Herzen Ihr Geistlichen! da die wöchentliche Handhabung des Todes bei vielen euer Gefühl dafür mit Schwielen überschmiedet; da uns Weltleute hingegen der seltnere Anblick desselben noch in jeder Faser ritzt und ätzt: so greift – um weniger zu ärgern – in euern Leichensermonen und Leseleichen nach einer aufrichtigen Verstellung. fragte den Henker nach meinem Ableben und merkte blos an, ich wäre selig und jubilirte hinter dem Lamm; ich wußte aber von recht guter Hand in meinem Sarge ganz das Gegentheil und hatte meine Gedanken darüber. Und am Ende hätt' ichs doch nicht hintertreiben können, selig zu werden – denn wie hätt' ichs machen wollen? – wäre nicht mein Friseur Nachts in die Kirche eingebrochen, um mich zum Theil zu schinden. Denn er behauptet, wenn Thatsachen des Modejournals zu trauen sei, so müßten Haare mit der Zeit so rar werden wie Brennholz, weil von beiden Vegetabilien der Vertrieb stärker wäre als der Nachwuchs und die Lebendigen sollten den Todten stets die Haare und die Särge nehmen.

Das sind meine eignen Prinzipien und ich habe hundertmal mit dem Haarkräusler den Bettel vernünftig und nach allen Kräften überlegt. Ich und er gestanden freiwillig, die jetzige Mode, das weibliche Haupt mit Haaren wie einen Kanarienbauer mit Mäuse- oder Hühnerdarm zu verhängen, sei vielleicht die schönste und es könne wenige Damen geben, die nicht darin aussähen wie die Leichname, an denen die posthumischen Haare sich über das Gesicht herüberfrisirt haben und wovon mir Garman de miraculis mortuorum erlesene Beispiele vorführt – aber ich und der Kräusler warfen ein, wo Haare genug zu haben wären. Im Gouvernement von Paris hat man freilich längst darauf gesonnen und der Friseur war dort. Zu seinem Erstaunen, sagt er, sei er in den dasigen Kirchen- und Erbbegräbnissen herumgegangen und habe zugesehen, wie wöchentlich gewisse Haarschnitter von Todtenköpfen die immer nachwachsenden Haare herunternahmen, so wie man in Sachsen die Weiden jährlich köpfe. Eine Frau – ich erzähl' es ihm blos nach – die einen Mann begraben läßt, ist ganz gut daran; sie kann entweder ihren todten Ehegemahl verpachten (wie die wenigsten thun) oder sie kann auch den Haar-Forst für ihren eignen Kopf abtreiben lassen. Je mehre Männer eine einbüßet, desto mehre Locken schießen an ihr an und ihre Todten-Schar wird erheblich. Ohne solche Haar-Plantagen und Orangerien von menschlichen Scherbengewächsen sehen ich und der Friseur wahrlich nicht ein wie der Deutsche dem Franzosen nachwolle oder wie vollends eine Frau ein solches Lockengedärm um sich zu setzen verhoffe, daß man ohne Schmeichelei von ihr sagen könnte, sie sei schön genug .... im gepuderten Eiweiß des Haares runde sich ein Dotter von Gesicht ... aus dem Wellen schlagenden Haar stech' ihr ein Antlitz heraus wie ein Plattfisch aus der wogenden See .... und sie sei nirgends weniger kahl auf dem Kopfe – – Aber so verbleib' ich ja ewig todt und der skalpirende Friseur steht doch in der kalten Kirche und will mich anschneiden.

Denn man muß es ihm lassen, daß er mich täglich auswickelte und mein Haar kannte, das weich genug zu einer linken Brustlocke meiner Gattin schien. Mehre Gründe brauchen meine künftigen Biographen, denk' ich, nicht zu excerpiren, wenn sie das Publikum über die Ursachen befriedigen wollen, warum der Friseur mich schinden und skalpiren wollte. Indeß er nun meinem Tode ein antikes Wunder zugesellen und den häutigen Vorhang des Allerheiligsten von der Kranznaht bis zu meinem Luftröhrenkopfe zerreißen wollte, that ich ein zweites und noch größeres und wurde nach seiner Inzision ex tempore lebendig. Ich möchte nicht am Platze und auf den Füßen des Skalpirers gestanden haben, da meine Hände unerwartet nach ihm herausfingen und ich ihn in den Sarg ziehen wollte .... er wurde mit Schrecken gleichsam geladen und von ihm wie eine Bombe zum Tempel hinausgeschossen. Ich wehete munter hinterdrein und da er sich auf dem Gottesacker umdrehte und mich im langen Todtentalar wie eine Pulverschlange nachwedeln sah, wurd' er zusehends beinhärter und mußte käsicht zu Boden gerinnen. Ich hatt' ihm meine Erstarrung inokulirt und hätt' ihn nun an vielen Gliedmaßen plagen können; aber ich that's nicht, sondern aß die mir in den Sarg mitgegebene Zitrone zusammen und segelte mit dem Rückenwind nach Hause. Besagter Wind niesete mir zum größten Schaden frostig hinten nach, weil ich in meiner Todtentracht bekanntlich hinten wie die Käfer mit halben Flügeldecken ( hemiptera) aussah und dem Rückennordwind nichts entgegenzusetzen hatte als den – Südwind.

 

Bei allen Erzählungen wie dieser ist das für mich das allerunangenehmste, daß sie auswerden; und es wird bei dieser auch so gehen. Es gefiel mir, daß unten an meiner Hausthüre der Chorherr stand und am Leichentrunk pissete – welches Wort mir verstattet sein muß, sobald ich es hier nicht als Humanist, sondern als Physiolog gebrauchen will. Ich befahl dem Chorherrn, der Trauer-Union oben zu melden, sie solle mit Weinen und Trinken Halt machen, der Todte wäre wieder da und stände schon unten und er selber hätte neben ihm schon physiologisch gepisset. Aber er wurde toll genug und sagte: »ich wäre ein brabantischer Störer der öffentlichen Ruhe nicht sowohl als der privatisirenden: die Zeit wär' aber vorbei, wo ich todt gewesen und nachher doch wieder so lebendig geworden wäre als hätte das ganze Parterre für sein weniges Geld nichts gesehen als meine Sponsalien .... er riethe mir zusammenzufaulen wie ein zeitiger Christ und mich nicht aus Bosheit zu stellen als sei ich ausgelebt und mein Grab würd' eiskalt.«

Da ich ihn nun für nichts als einen das Ich, seines Nebenmenschen wegdisputirenden Egoisten und Idealisten nehmen konnte, so dacht' ich, ich würd' ihm das Dasein meines Archäus – oder meiner anima Stahlii – oder meines Nervenäthers nach gestrigen und heutigen Systemen – oder meiner aura vitalis – oder meines actuosum Albini nicht übel darthun, wenn ich mit der Hand auf sein Gesicht wie auf eine Laute schlüge und verschiedne Zähne aus lothrechter Stellung in wagrechte plättete; welches auch anging. Es stand jetzt bei ihm, auf diese Extravasation seines Gebisses ein Impromptu zu machen und ungemein gelassen zu sagen: die Berührung eines Todten, die sonst Zahnweh verscheuche, könne dergleichen auch machen. Er würde dadurch meine eigne Gelassenheit copirt haben, da ich nachsann und fand, jedem Menschen sitze die Hand als ein angeborner Dentist an und er brauche sie nur zu ballen. Aber er war so verdrießlich, daß er seine apostrophirten Zähne in die Hand aufsummirte und damit hinauf zur Trauergenossenschaft stieg; er machte die Hand und das Maul auf und hielt Allen Lücken und Zähne hin und sagte: »blos der verdammte Selige habe sie ihm translocirt und der Teufel solle den Seligen holen, den er noch nicht geholet und er pisse wie es schiene unten noch physiologisch.«

Das war aber erlogen; ich saß schon (mit dem ersten Gefühl des Lächerlichen) in meinem Museo fest und knätete an dieser Beschreibung des ganzen Vorfalls und stand auch nicht eher auf als jetzt, da sie leider, wie ich voraussagte, aus ist.

 

———————

 


 << zurück weiter >>