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Schmerzlicher Tod
einer guten Gattin und Mutter

vor dem Traume

eines redlichen Freundes.

4. Juni 1794.

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Anmerkung. Die Hingeschiedene war eine Frau Herold in Hof; sie hatte, von einer großen Masse Schwefelsäure überschüttet, einen schmerzvollen Tod zu erleiden. Jean Paul's innigst geliebter Jugendfreund, Chr. Otto, ward später der Gatte der in diesem Trosteswort angeredeten Tochter des Verstorbenen.

 

 

Lasset uns immer in den großen Traum des Lebens kleine, bunte Träume weben – und Ihr geliebte Freunde, um die noch der Rauch des niedergefahrenen Blitzes zieht, nehmt den Traum freundlich an, den ich Euch jetzt gebe.

Mir träumte:

In der Neujahrsnacht dieses Jahrs, wo der Aberglaube in seinem Kreise nach Leichenbahren und Flammen auf den Dächern blickt, stand ich im Gottesacker. Die künftigen Gräber des Jahrs waren wie Ruhebetten aufgethan und leer über ihn hingerichtet. Ein dunkler Wintertag nach dem andern zog vorüber und ließ seinen Todten in die kühlste Grotte des schwülen Lebens sinken. – Ich kannte die Sinkenden nicht. Dann kamen die hellen Frühlingstage und trugen schwerer und füllten die geöffneten Betten des Todes bald mit einem Vater – bald mit einer Schwester – bald mit einem Freunde. Zuweilen glitt aus zwei Armen ein kleiner Kindersarg in die zweite Wiege des Lebens, wie in einen Blumenkelch; und ich sagte in stiller Trauer: O ihr guten Kleinen! erstarret gern am Eisberg des Todes, sinket nur gern zurück auf das letzte weiche Kissen mit welken Blumen ausgefüllt! O das Kreuz, das so viele Wunden in euch geschnitten, liegt oder steht jetzt nur abgebildet auf euerem Hügel.

Und ich kannte alle die nicht, die die Frühlingstage unter Glockengetöse hier niederlegten.

Aber dann kam ein eingehüllter, stummer Morgen und trug seinen bedeckten Menschen im Sarge und hinter dem Bedeckten schwankten weiß gekleidete Gestalten, verhüllet und stumm, und das Gewölke senkte sich düsterer nieder und der Sarg ging auf – – O, da brach der Schrei der Qual aus allen Herzen und ich kannte die Unglücklichen und die Todte. – Ach Du bleiche, stille Gestalt, deren Augen auf ewig geschlossen, aber auch auf ewig getrocknet sind, wie gehst Du so zertrümmert unter die Erde! Hat Dich weiche Blume denn der Tod so oft zerknickt eh' er Dich ausriß? O um Deinen Mund hat sich der Schmerz im letzten Zug versteinert und Deine Hand ist blutig, als hätte sie lange am eiskalten Schlosse der Todespforte geklebt und sich verwundet abgezogen. – –

Doch, doch will ich lieber Dich ansehen, Du Beruhigte, als Deinen Gatten und meinen Freund, der noch den Schmerz empfindet, den Du geendigt hast und dessen Angesicht noch die Trauer um Dich zerquetscht – als Deine Schwester, die Deine jetzige so tief schlummernde Nacht eben so gern theilte, wie Deine bisherigen schlaflosen – als Deine guten Kinder, die erstarrend auf den Erdenhügel blicken, der sich auf immer zwischen das warme mütterliche Herz und zwischen das kindliche legt. – –

Und mein Auge hüllte sich ein, wie jetzt und das herunterfallende Gewölke deckte den Kummer und die trostlosen Menschen zu und alles war Wolke, wie unser Leben.

Auf einmal wurde die Wolke lichter und Himmelsblau schaute durch sie und sie wallete auseinander – da drangen zwei leuchtende blühende Engel wie Lilien aus dem Todtengrün heraus. Die Engel berührten das Grab: da erhob sich himmlisch heiter daraus die – – Mutter der zwei Engel und schloß sie schnell in die genesenen Mutterarme. Die Engel waren die zwei Kinder der wunden Erblaßten, die unter den weißgekleideten Gestalten nicht mit gewesen waren. – – O nein, nicht Du, A ... kamst aus dem Erdengrün, die Du in Deinem Seelenschmerze zu Hause niedergesunken wärest neben Deiner am Wundenschmerze erliegenden Schwester, sondern Deine zwei längst über dieses Leben weggerückten Schwestern warens, die an's auferstehende Herz Deiner Mutter sanken und sagten: »Sei willkommen im Lande der Ruhe, Geliebte! Hier heilest Du sanfter zu und das weiße Leichenkleid ist der letzte und sanfteste Verband der Erdenwunden. – – Schaue nicht mehr nach der Erde hinüber, wo unsere Geschwister sind und unser Vater, denn hier in der Ewigkeit eilen die Tage schneller und wir sind noch nicht lange weg von Dir. Bald fliegen alle Deine Geliebten an Dein Herz herauf, weil das lange Leben der Sterblichen nur ein kurzes ist für die Unsterblichen.« –

Lasset mich nicht sagen, geliebte Freunde, daß ich erwachte – denn ach die Erscheinung ist kein Traum, und der Trost ist auch kein Traum und ein zweites älteres mit einer edeln, ewig fortgeliebten Hülle gefülltes Grab, auf dem ich im Gottesacker stand, ist leider! leider! auch kein Traum!

 

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