Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Zwölfter Abschnitt
Tonmesser des deutschen Tons über Fürsten

Noch ist der Ton schlecht; wenigstens schlechter als der gallische und britische; entweder schreitet er in süßlichen, auch falschen Quinten fort, oder er gibt die harte Sekunde anmaßender Nähe und Rüge an. Warum? fragt man – Warum, antwort' ich, kann der Deutsche nicht einmal seinem Vetter, Gevatter, Vater ein Werk in so gutem Tone dedizieren als irgendein Franzose, ohne in jenen alten akademischen zu geraten, womit er sonst nicht den Vater, sondern den Landesvater teils in Verse-Stichmen, teils in Hut-Stigmen ehren wollte?

Freilich hat er den ehrlichsten und langweiligsten (Ton) von der Welt. Noch fehlt unter allen Werken der Erde das allerlangweiligste, wiewohl es blattweise umläuft; nämlich ein mittelmäßiger Oktavband gesammelter deutscher Zueignungen. Wer sich ihn nur denkt, gerät in Schweiß; werd' er nie gesammelt, der Oktavband! Der Deutsche versteht es viel leichter, jedes Lob zu verdienen, als eines zu geben; dem Franzosen wird sogar das Umgekehrte leichter. Ganze Bände Lobreden, wie von d'Alembert und noch mehr von Fontenelle, sind noch jetzt unsere Lust und Lehre; aber man lege einmal die Bibliothekenleiter an eine ähnliche deutsche Bibliothek an! Warum nun ist der deutsche Lobredner fast so langweilig?

Einige Ursachen lassen sich sagen; denn alle geben, hieße fast die Wirkung geben.

Der Deutsche ist redlicher als jede Nation; nur er darf die Phrase »deutsch handeln« für »gerade handeln« nehmen – »italienisch, französisch, englisch, irländisch handeln« bedeutet bei den Völkern selber etwas anderes –; und zugleich ist er als Volk von Natur unpoetischer als jedes.Allein eben darum ist der Einzelne darunter poetischer, weil das Gleichgewicht aller Kräfte dem Individuum zur höhern dichterischen Unterlage dient. Kommt er nun in die Empfindung des Bewunderns: so wird sie, wie jede, so überschwenglich, daß er, wie die Römer vor ihren Kaisern, die Akklamationen 60mal wiederholen möchte – und daß er um die Überfülle des Stoffs den Reiz irgendeiner Form, welche dem Gegenstande Langeweile und Erröten ersparte, ganz zu ziehen versäumt. Er wünschte nur, der Deutsche, daß es noch etwas Höheres gäbe als »höchste Bewunderung und Verehrung und die Nachwelt«, daß er noch tiefer in Ehrfurcht ersterben könnte als zu den Füßen u. s. w. Ja, weil das Gefühl auf einmal kommt, wenn er sich vor das Zueignungs-Pult stellt: so wird ihm, so lange als er Papier und Dinte vor sich sieht, glaublich, er habe dieses Gefühl zuerst, weil ers zum ersten Male hat; und verhofft, der Welt so viel Neuigkeiten zu sagen als ein Liebhaber, der von seiner Geliebten spricht. Jedes poetische Regieren über eine Empfindung setzt deren längeres Alter voraus.

Ferner ist wohl niemand gegen Höhere so höflich als ein Deutschmann seit einigen Säkuln; wieder aus tausend langweiligen Gründen, wovon hundert hier genug sein mögen. Da der deutsche Gelehrte (besonders sonst) tiefer als der ausländische von den höhern Ständen abliegt; da er sie also halb im Nebel, halb im Glanze sieht: so kennt er weder deren Sitten noch deren Werth; er schmeichelt sich, mit seinem Lobe wacker zu überraschen; er setzt, um den Lorbeerkranz für den Fürsten nicht zu klein zu flechten, ihm lieber den ganzen Lorbeerbaum mit steifem Stamm und hängenden Wurzeln auf den Kopf; er sagt zu einem fürstlichen Windspiel und Bärenbeißer, so wie der Holländer alle Hunde ihrzet, Vous – er wünscht dem Pferd, das er vorreitet, etwas von der Kunst jenes alten, den Trajan anzubeten, um schließen zu lassen, was vollends geschieht, wenn der Reiter absteigt – kurz die Dedikation bückt ihn so, daß er sich nicht eher wieder aufrichtet als in der Vorrede, wo er (verhältnismäßig) sehr keck wird und groß.

Wenn der Franzose der Kammerdiener Europens war – sonst; denn jetzt hat er genug zu tun, will er zu Hause nach dem Bruderkuß den frère servant vorstellen –: so war und ist der Deutsche der Schuhknecht, Bäckerknecht, Reitknecht, Stückknecht, Hausknecht noch in den meisten Städten der Erdkugel; bloß der deutsche Boden wurde nie von Ausländern besiegt, desto mehr dessen Autochthonen, die wenigen ausgenommen, die aus dem höflichen Kur- oder Angelsachsen nach dem groben Angel-Land abgingen und daselbst verblieben.

Wenn viele das Sonst und das Jetzt der Franzosen tadeln – z. B. die ekel-weiche Preis-Aufgabe der französischen Akademie, welche Tugend Ludwigs XIV. die größte sei, oder die ruchlose Leichtigkeit, Bonaparte zur göttlichen Providenz oder gar vollends Robespierre zum Wiederschöpfer des Schöpfers auszurufen –: so bedenk' ich für meine Person dagegen sehr, daß sie ihre eigene Weise haben und lieben, nämlich schimmernde Gegensätze nicht nur zwischen Sprechen und Glauben, sondern auch überall, so daß sogar der bescheidenste Mann (wir haben das Beispiel) ganz leicht von ihrem Redner-Witz ein Lob annimmt, das er bloß für den Bestandteil eines Einfalls und einer Einkleidung ansehen darf, wenn er nur will – Und Himmel, wie sind sie – das vermag keine Delikatesse deutscher Kleinstädterei – so artig-pikant, so verbindlich-keck! Welcher Deutsche hätte wohl in der französischen Akademie so philosophisch-kühn über Fürsten-Pflichten gesprochen, da der bewunderte Kaiser Joseph II. darin war, als d'Alembert getan? Hätte man nicht lieber die SchweißkurDie Nordamerikaner setzen ihren Gast zuerst in ein Schwitzbad, dann an den Tisch. des Belobens dem hohen Grafen von Falkenstein verordnet? Ja, hätte man ihn nicht gar, wie auf deutschen Akademien Prinzen geschieht, zum Rector Magnificus erhoben? Oder welche deutsche Fakultät hätte, wenn Heinrich IV. zu ihr am vollen Hofe gesagt hätte: »Das ist der tapferste Mann des Königreichs«, so kühn wie der französische General versetzt: »Vous avez menti, Sire, c'est Vous«? Welche Fakultät (die philosophische will ich ausnehmen als eine weltweise) hätte so scheinbare Tadelbriefe an alle Großen des Reichs geschrieben, wie Voiture gethan? – Noch such' ich in den deutschen Kreisen, z. B. im kursächsischen, nur die, welche einem Swift durch das Imprimatur zuließe, eine Scherz- und Zank-Folie einem wahren Glanz-Lobe des Lord Sommers unterzulegen. Wirklich foliierte Swift so vor dem Märchen von der Tonne; aber was würde ein Deutscher dazu sagen, nicht ein Fürst, sondern ein Zensor? – Dieses gewiß: »Soviel nämlich« (brächte er vor) »hoff' er doch zu wissen, daß der Respekt, den ein Privater Fürsten und Lords Sommers schuldig sei, nie erlaube, von solchen anders zu sprechen lobend, gedruckt besonders, als etwa so: Ew. Ew. werf' ich mich alleruntertänigst zu Füßen und ersterbe etc. etc.«

Noch ein Grund des deutschen Lang-Tons in jedem Lobe ist schon in der Vorschule der Ästhetik angegeben. Ich zitier' ihn daher bloß; – denn endlich ists doch zu merken, daß sogar die bloßen hundert Gründe, worauf ich mich einschränken wollen, nicht ohne alle Langeweile aufzögen hintereinander – – und es ist der, um kurz zu sprechen: »daß eben der Deutsche, der wie ein Apostel in alle Welt geht, nie gern vor aller Welt erscheint, außer herrlich gekrönt, gepudert, gelockt, geschminkt. Kants Biographien scheueten sich, die Herren namentlich zu nennen, die bei dem Seligen mittags gegessen, was doch meines Merkens ja nichts ist als eine wahre Ehre.« – Nur über seinen Bedienten Lampe wird auffallend freimütig gesprochen – als ob die sittliche Ehre eines Hausdieners anders zu behandeln wäre als die eines Staatsdieners –; es ist aber noch nicht entschieden, was, wenn nicht Lampe, doch seine Verwandtschaft darauf tun werde.

In die alte Dessauer Kinderzeitung wurden die Namen mancher Kinder eingerückt, welche die Rute oder sonst etwas verdient hatten: ich weiß aber nicht, ob sie jetzt als Erwachsene mehr die Öffentlichkeit ertragen als andere Deutsche. Auch der Reichs-Anzeiger –: unser papiernes Regensburg – tut viel dadurch, daß er uns alle verknüpft, auskundschaftet, ausspricht und, wenn wir nicht ehrlich bezahlen wollen, frei zu nennen droht; doch wird diese fürchterliche Strafe, vielleicht als eine verbotene Selbsthülfe, selten vollstreckt.


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