Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Sechster Abschnitt
Philosophieren über die Religion

Religion ist etwas anders als Religionsmeinungen; es gibt nur eine Religion, aber unzählige Religions-Meinungen. Allein der geistliche Stand ließ sonst gern beide vermengen, um die heilige Unveränderlichkeit, welche der Religion angehört, auf die Meinungen hinüber zu spielen. Die Kirchenglocke war eine Präsidentenglocke, welche nur läutet, damit man nicht rede. Wie sonst die Kühe die heilige Bundeslade den rechten Weg zogen: so glaubte man in Klöstern, das Wunder ändere sich nicht sehr mit dem Geschlecht. Jetzt, seitdem man nicht mehr das theologische System für einen Strumpfwirkerstuhl ansieht, der sogleich so vollkommen wurde, als er noch dasteht, lässet man den Büchern ihren Lauf. Aber ich behaupte: nicht einmal Religions-Meinungen werden durch Bücher allein, ohne die Sonne der Zeit, welk oder reif. Luthers Werke veränderten das halbe Europa, bloß weil sie das Ganze schon verändert vorfanden, und weil er den theologischen Doktorhut mit dem sächsischen Kurhut decken konnte.

Der Staat werfe doch, um nichts von Büchern für seine Landes-Religion zu befürchten, einen Blick in die Reichsstädte voll Parität hinab. Die Menge lutherischer Streitbücher hat bis diesen Tag darin die Katholiken, und die Menge der katholischen die Protestanten unverändert bestehen lassen, ja beide nur schärfer gesondert. – So waren die Juden, als der Nürnberger Rindfleisch noch gegen sie so predigte wie gegen die Schweizer Ochs, zu nichts zu bekehren; erwidern sie nicht aber jetzt die höfliche Berliner Parität mit den größten Anerbietungen, sich nicht mehr auszuzeichnen durch Religion? – Buchhändler haben, wie Holländer, alle mögliche Grundsätze und Religionen im Laden und in Händen, teils als Sortiment, teils als Eigen-Verlag; changieren sie aber je ihre Glaubensartikel mit ihren Handelsartikeln? Verlegen sie nicht leicht entgegengesetzte Systeme und die Satiren darauf, ohne erschüttert zu werden, da sie in ihrem Handelsbuche schon den höhern synthetischen Standpunkt für alle Systeme zu besitzen hoffen? – Nirgends wohnt so viel Glaube als in England, wo ebenso viel gegen ihn geschrieben wurde, gerade wie dort die Preßfreiheit gegen die Regierung mit der Achtung für dieselbe und für den König in gleichem Verhältnis steht.

Der Kern der Religion, ihr geistiges Herzblut und Gehirnmark, welches fortpulsiert unter den zufälligen Herzbeuteln und Gehirnhäuten aller Landes-Regionen, ist von allen Bestreitungen der letztern unabhängig und lebt bloß von der Sitte und vom Herzen. Nur aber an diesem moralischen Marke und Blute kann dem eigensüchtigsten Staate gelegen sein, weil er sehen kann, daß die Fürsten aller drei Reichs-Religionsparteien in Deutschland gleich fest bestehen, und die Regenten auf der ganzen heterodoxen Erde gleichfalls. Religion als solche kann von Philosophie nicht erzeugt und erklärt, folglich nicht vernichtet werden; umgekehrt gibt erst Religion dem Denken Richtung und Stoff. Alles Denken kann nur das Gemeine, nie das Göttliche, nur das Tote, nicht das Lebendige auflösen und ändern; so wie uns nur die runde Erde, nie der gewölbte Himmel eben und platt erscheinen kann.

Ich wünschte, ein Staat ernennte eine Kommission, welche Haussuchung nach Religion täte: so würde befunden werden, daß die stärkste gerade in der Mittelklasse vorrätig sei, welche eben am meisten liest und lehrt. Die höhere Welt ist eine quai de Voltaire, nicht aber eben das Buchhändlergäßchen; denn sie hat wichtigere Dinge zu lesen – als Bücher –, z. B. Gesichter und die Zukunft. Wo waren im Mittelalter die rechten Atheisten zu suchen als neben und auf dem heiligen Stuhle, wo der Statthalter vom Sohne des Gottes saß, den er leugnete? Ich glaube nicht, daß im Ganzen ein Kardinal so viel liest und glaubt als ein Gelehrter. Die Zensur sollte also weniger einen census capitum als morum ausschreiben, keine Kopf-, sondern Herzenssteuer.

Bloß zweimal kann eine Religionsmeinung dem Staate bedeutend werden, erstlich wenn sie schnell ein-, zweitens wenn sie schnell abfährt, so wie das elektrische Licht oder der Blitz nur beim Ein- und nur beim Absprunge zerschmettert. Aber dies vermögen nur lebendige Bücher, Auflagen von einem Exemplar, kurz Sprecher, nicht Schreiber. Will demnach ein Staat verbieten – wiewohl jeder Magen schon schwach ist, dem man verbieten muß –, so führe er nicht Bücher-, sondern Menschen-Zensur ein und lasse statt der Schreibfinger die Zungen abnehmen. Alle großen Revolutionen machte die Stimme, keine der Buchstabe, der nur nachschreibt, was jene vorsprach. In diesem Fall ist aber ein Religions-Krieg; – und das obige Kriegsrecht der Zensur entscheidet umso mehr, da durch die Geistlichen alles zugleich länger (denn ein Religionshaß und -druck überlebt jede politische Zensur), damit schneller und heftiger brauset und gärt. Zuweilen scheint die sanfte heilige Taube über ihren Köpfen nur ein Zeichen zu sein, daß sie eben aus ihnen ausgeflogen. So verteilt fast typisch auf den holländischen Kriegsschiffen der Schiffsprediger unter der Seeschlacht das Schießpulver.


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