Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Eilfter Abschnitt
Zensur der Hof-Zensuren

Es gibt eine doppelte Publizität, die über die geheiligte Staatsperson des Fürsten und die über dessen Finanz-, Kriegs- und Regierungs-Operationen. Die Zensier-Freunde sehen gern die zweite mit der ersten verwechselt, um überall das Ventilregister des Schweigens zu ziehen und jede Untersuchung zu einer Majestäts-Injurie zu verkehren, als ob der Beweis des Irrens, er werde über einen Autor oder über einen Fürsten geführt, eine Beleidigung für die Ehre wäre. Kann ein Regent mehrere Ehrenpforten für seine Talente begehren als ein Plato, Leibnitz, Montesquieu, Rousseau, welchen allen man verschiedene Irrtümer ins Gesicht bewiesen? Mich dünkt, ein bescheidener Fürst müßte sich eher jenen Großen gleich setzen als ihnen überlegen.

Da ein Regent allen alles befiehlt: so kann er leicht glauben oder für nötig halten, auch alles zu wissen; allein niemand fodert diese Überzeugung. Wenn Friedrich der Einzige die deutsche Literatur rezensiert; wenn Bonaparte nach einem 2 Seiten starken Auszug aus Kants Kritik nichts sagt als sie sei pleine de bizarreries, sans suite, sans conséquence et sans but: so ist klar, daß beiden Großen – ungeachtet ihrer Falkenblicke durch die lange Zukunft und über die breite Gegenwart – dennoch, im Falle der eine ästhetische Professuren, der andere philosophische organisieren wollte, einige Maßregeln von ungekrönten Köpfen von wahrem Nutzen wären. Folglich erlaube der Regent über jede seiner Operationen die freieste öffentliche Untersuchung; denn entweder seine Untertanen werden gegen ihn überzeugt: so handelt er wie im Falle des Kriegs, gegen welchen alle Moralisten seit Jahrtausenden schreiben und schreien, und in welchen doch alles vom Größten bis zum Kleinsten mitzieht, und allen ist Körperzwang durch Geisterfreiheit versüßt; oder sie werden für ihn gewonnen: so gesellt sich das Licht zur Macht. Ob er nun überhaupt lieber der Mond sein will, der die Flut nach Kartesius durch Drücken erregt, oder der Mond, der nach Newton sie durch Ziehen hebt, ist leicht entschieden. Will man nicht Städte und Dörfer als bloße Wirtschaftsgebäude des Thronschlosses stehen lassen: so setzt jedes Verbergen ein Bewußtsein voraus, das selber noch mehr zu verbergen wäre; es ist eine Kriegslist mitten im – Frieden.

Eine andere Publizität ist die der Zeitungsschreiber.

Wenn man hört, wie frei der Engländer in Zeitungen und im Parliament alle andere Höfe behandelt, und wie frei seinen eignen Staat, worin eine stehende Opposition ohne ein stehendes Heer, wie bei uns dieses ohne jene ist; und wenn man doch vernimmt, daß die Minister und der Hof und der König alle Nebel niederglänzen, welche jedes Abend- und Morgenblatt aufsteigen lässet: so begreift man nicht, warum irgendein Hof furchtsamer ist bei kleinern Folgen, die ihm jede freie Presse schicken kann, welche bei seinen Untertanen doch nur die Gespräche wiederholt. Oft verbieten große Höfe Nachrichten, die nirgends bekannt sind als in Europa, als ob das Gespräch nicht schlimmer wäre, da es alle Stärke der Heimlichkeit und alle Verworrenheit und Einseitigkeit der augenblicklichen Geburt und der gemeinen Väter behält.

Es werden mehr Lügen gesagt als gedruckt; und die mündlichen sind kaum umzubringen, aber die schriftliche leicht. Da Fürsten eigentlich nur nach Höfen und Thronhimmeln fragen und sehen, weniger nach dem tiefen Boden, wo das Volk wimmelt: so scheint es, müßten sie statt aller Zeitungen, die nur dieses belehren, lieber die Gesandten zensieren und fürchten, die jenen vier Wochen früher sowohl die größten historischen Wahrheiten als Nachrichten zufertigen. Welche schwarze Schreckbilder können sie überhaupt im Dintenfaß und Druckerkessel erblicken, wenn sie in ihrem eignen Lande den feindlichen Manifesten – die immer mit wahrer Freimütigkeit geschrieben sind – umzulaufen zugestehen, während der Feind mit Körpern an der Grenze steht, dem sie eine Werbung der Seelen auf ihrem Territorium verstatten? – Und doch machts der Feind ebenso, und nichts schadet. Dies setze nur jeder Regent des Landes voraus; er vergleiche sich nur kühn mit den Regenten des Publikums – wie Friedrich II., der auf jede Weise regierte, uns Autoren zusammen benennt –: Himmel, wie werden wir Karten- und Schützen-Könige der Welt von den vielen Zeitungen, welche jetzt von den Mitlesern gehalten werden, zerrissen und verstäubt – mit Impfnadeln zerstochen, mit Wundspritzen befleckt – in effigie an unsern Ordensketten aufgehangen – auf Federn, als Schandpfählen, lebendig gepfählt – nach Siberien geschickt, auf dem Kopf mit Sanbenitos voll Flammen – kurz viel ärger zerstückt und beschmutzt als die niedlichste Kleiderpuppe, die ein Kind Jahre lang herumgetragen und ausgezogen, oder als alte Ordensbänder, die ein Jude zu Wickelbändern verkauft! – Und doch wachsen, wenn man einen solchen durchschossenen Regenten der Welt selber besieht, ihm täglich lustige schwere Zweige, und seine Farbe ist sehr munter und grün – er wiegt seinen Gipfel ruhig – er weiß kaum etwas vom Waffen-Tanz um seine Rinde und ist gar nicht zu verwüsten.

Warum scheuet aber ein Fürst politische Zeitungen mehr als ein Autor gelehrte und erlaubt nicht jene so frei als dieser diese? Denn wenn er vierzig Blätter zu Eselsohren eingebogen hat, und doch das 41te, z. B. britische, nicht krümmen kann, sondern es wie einen Eilboten aus London fliegen lassen muß: was hilft ihm die Quarantäne einer Vierziger-Mannschaft, wovon der 41te ansteckt? – Es hilft ihm nichts, aber nur darum, weil das Gegenteil ihm nicht schaden würde: denn an der Zeit stirbt die Zeitung, Kronos verschlingt sogleich sein Kind. Ja wie ein gekrönter Schutzengel der Menschheit aus wohlwollenden Gründen, so wird ein Würgengel derselben, wie Tiberius, aus selbstsüchtigen der Sprech- und Schreibsucht alles erlauben, als den besten Ableitern der Handelssucht. – Aber wozu dieser düstere Beweis? Der Ruhm und Ruf eines Fürsten – wie jeder historische – ruht ja nicht auf einzelnen zufälligen Tatsachen, die so leicht zu erschüttern, zu verdecken und zu erdichten sind, sondern auf dem unwandelbaren unverhehlbaren Geist, der durch ein ganzes Leben zieht. Der Geschichte können Fakta, aber nie Geister entwischen; und ein Geist, welcher fähig wäre, zumal in der Höhe des Throns, gleich einer Sonne die ganze Wüste seiner Natur mit lauter Lichtwolken zu überdecken durch ein ganzes Leben hindurch, nun ein solcher wäre denn ebenso groß, daß er nur eine Sonne, nämlich ein lebendes wohltätiges Gestirn sein könnte und kein feindseliges.

Soll endlich nie eine wahre freie Geschichte geschrieben werden als lange nach dem Tode des Helden, wenn schon Zeugen und Erinnerungen vergangen und Proben unmöglich sind? Und ist zum Tadel des Helden eine so alte Vergangenheit erforderlich als zur Epopee desselben? – Und wie alt muß sie sein? – So viel ist leicht zu entscheiden, daß der Hofprediger noch sehr zu loben hat als Leichenprediger; aber schwerer läßt sich sagen, wenn, unter welchen Regenten eines Hauses die Independenzakte der Wahrheit über die vorigen eintrete in Gültigkeit. In Paris z. B. getraute sich wohl jeder unter Ludwig XIV. über die Karolingischen Könige alles frei zu schreiben, was man eben davon weiß; bei welchem aber unter den Capetingischen Königen die Freiheit, einen davon zu messen, aufhört, ob bei Heinrich IV. oder erst bei Ludwig XIII., ist eine gefährlichere Untersuchung. Was wird aber aus der Geschichte, wenn sie ein regierendes Stammhaus nicht eher beerben kann, als bis es ausgestorben ist? Soll, wie in Italien bei einem Leichenbegängnis, bloß der Tote aufgedeckt, und alle Begleiter desselben verlarvt ziehen? – Ebenso viele Inkonsequenzen des Tons gibts im Raume. Große Staaten erlauben über kleine alle Freiheiten der Sprache; kleine aber nicht über jene; als ob das Recht nach der Areal-Größe wechselte. – Ferner: über Reichsstädte und Republiken gaben die Monarchen gern den Autoren den Binde- und den Löse-Schlüssel zugleich – über sich den letztern –; und für wie frei die Deutschen die kaiserliche Republik ansehen, beweiset am besten der Ton, womit sie von Bonaparte als von einem ersten Cäsar sprechen, der andern Cäsarn seinen Namen leiht.

Über die 13 vereinigten Staaten wird von allen deutschen Thronen, weil jene unter ihnen sind, sogar topographisch, und noch dazu frei, ein freies Wort nachgesehen. – Führen zwei Monarchien Krieg, so können Gelehrte so lange manche feindliche Gebrechen aufdecken, bis man den Frieden schließt und damit ihnen den Mund. Aber ganz mit Unrecht; denn so wie der römische Bürger bestraft wurde, der, ohne Soldat zu sein, den Feind umbrachte, so kann – den vom Staate bevollmächtigten Gelehrten ausgenommen, der das Manifest aufsetzt – keine Privatperson vom Kriege andere Rechte zur Freimütigkeit gegen die feindliche Souveränität erhalten, als er schon vom Frieden hatte.

Allerdings ist der erste kalte Schauder, der auch einen besten Fürsten vor einem aufgeschlagenen Buche überläuft, zu denken und zu retten. Er hat schon von seines Gleichen her keinen andern Ton gewohnt als den geselligsten, der nichts stärker fürchtet, als sich oder andere zu verstimmen; wie viel mehr folglich von seines Ungleichen! Seine ganze Erziehung (durch Hofmeister und Hof) ist fast eine für die feinere Geselligkeit; jede Stunde, die er älter wird, schafft er mehr Gesellschafter an und mehr Hofmeister ab, bis er zuletzt die Rolle der letztern allein übernehmen muß, und (wie die Zöglinge beweisen) nicht ohne Glück, insofern ein Hofmeister wenigstens nichts Höheres von seinen Schülern begehren kann als seine – Nachahmung. Dieser gesellige Ton der großen Welt – welche die größte wird am Hofe – ist nichts anders als die große stärkste Liebe, wie nämlich Leibnitz letztere definiert: amare est, sagt er, felicitate alterius delectari; Lieben heißt, sich sehr ergötzen an fremder Glückseligkeit. Nie geht ein Hof abends seliger (er spricht bis Sonntags davon) auseinander, als wenn der »Herr« besonders aufgeräumt gewesen; nicht etwa bloß aus Eigennutz – der am Hofe weniger im Trüben als im Hellen fischt, weniger aus der Mißlaune als aus der Laune –, sondern wirklich, so sehr er auch fortfischt, aus einer Anhänglichkeit an den »Herrn«, welche durch langes Familien-Beisammensein etc. etc. etc. etc. weit mehr aus einer vorgespiegelten zu einer innigen werden kann, als man voraussetzt. Und umgekehrt; Herr und Diener gewöhnen sich in einander – das ewige Sehen versüßt gegenseitige Eigenheiten – alles wird zu einer Krone geschoren, vom Mönch an und vom Hofweibe, das als Blume schon eine Blumenkrone trägt, bis zum Hofmann, dessen Baum Le nôtreLe nôtre war bekanntlich ein Deutscher; daher hießen ihn die Franzosen den ihrigen. zu einer Krone schneidelt – O man ist so glücklich! –

ln der Tat reifen an dieser warmen Sonnenseite und Sommerwende des Thronhimmels (wenn mir wie andern in der Ausschweifung fortzufahren verstattet wird) gesündere Früchte, als man vermutet.

Gerade der allgemeine Hof-horror naturalis, dem »Herrn« nur zwei unangenehme Stunden zu machen – Tage werden selten daraus –, lässet jeden, auch den kühnsten rechtschaffensten Günstling, länger am Thron-Rande feststehen, als sonst wohl selber manche fürstliche Gewohnheit, mit Menschen und Sachen zu wechseln, gern litte. Will denn nicht oft ein ganzer Hof mit tausend Freuden einen Günstling fällen und alles Teuere, ja Teuerste dazu opfern, wenn nur nicht jeden das Grausen vor der verdrüßlichen Stunde starr machte, die er dem Herrn durch die Entdeckung zubereiten muß, daß der Schoßmensch dessen Giftmischer sei? Gewöhnlich wird ihm daher selten ein welker Günstling aus der Hand gezogen, wenn ihm nicht ein fertiger sofort auf der Stelle darein zu geben ist. Bezaubern ist gefahrloser als Entzaubern; daher wird zu dem letztern oft ein Weib genommen, damit doch einiges Gegengift bei der Hand sei.

Die meisten Schreiber stellen sich das Verdienst, eine scharfe Wahrheit wie einen Hofdegen mitten im Lustball aus der Scheide zu ziehen, zu leicht und noch bequemer vor als die Kühnheit, gegen eine Gesellschaft von ihres Gleichen eine schneidende Wahrheit zu entblößen; denn sie denken sich überhaupt den Hofmann zu kalt und hart, da er doch mehr dem Hagel gleicht, der nur außen eine Eisrinde hat, innen aber zarten weichen Schnee. Was bleibt nun der Wahrheit und dem Throne übrig? – Bücher. Da manche bittere Wahrheiten mündlich ohne jene Versüßungen gar nicht zu sagen sind, die oft ihre Wirkung aufheben – so wie etwa der spanische König nach der alten Sage vom Papste am grünen Donnerstage exkommuniziert und sogleich absolviert wurde –; da nach einem altdeutschen SprichworteIn Lehmanns Florilegium politicum. ein Stein durch keinen Fuchsschwanz zu behauen ist: so übernehme das tote Buch die freie Sprache und richte kühn die Welt und mit ihr einen, der sie wieder richtet. Deswegen werde dem tiefern Chorton der Bücher sein Abfall vom Kammerton der Geselligkeit mehr zugute gehalten – und lieber werde der Sache der Ton verziehen als dem Ton die Sache; wenigstens sollte die Zensur lieber zugleich erlauben und bestrafen, als beides unterlassen.

Bücher haben neben dem Vorteil der Stärke der Stimmen noch den ihrer Mehrheit; beides gehöret dem tiefen breiten Boden an, aus dem sie aufsteigen zur Thronspitze. Physisch hört man zwar besser in der Höhe die Tiefe, aber moralisch besser in der Tiefe die Höhe; und die Hofgeheimnisse erfährt das Volk wenigstens leichter als der Hof die Volksgeheimnisse.


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