Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nro. II
Offizielle Bericht-Erstattung an den Leser von Deutschland, nebst den Briefen des Herzogs

Wohledler, Ehrwürdiger, Hochwohledler, Wohlehrwürdiger, Hochedler, Hochedelgeborner, Hochwohlehrwürdiger, Wohlgeborner, Hochehrwürdiger, Hochwohlgeborner, Hochehrwürdiger Reichsfreiherrl. Wohlgeborner, Hochwürdigster, Hochgeborner etc. etc. etc. Leser! – Ihre über den ganzen Adreßkalender ausgebreiteten Titel, welche noch tiefer und noch höher steigen, entschuldigen es, wenn ich sie alle in den einzigen einschmelze: Verehrtester!

Es zu rühmen, verehrtester Leser, was Sie seit der Erfindung der Schreibkunst weit mehr als alle Ludwige XIV te für die Wissenschaften, sie mochten sich in Purpurpergament oder in Lumpenpapier kleiden, getan durch Lesegeld, ist über meine Kräfte.

Alle Bibliotheken, von Lese-Bibliotheken an bis zur blauen (wenige Rats-, Regiments- und Kloster-Bibliotheken ausgenommen), schaffen Sie neu an, oder erstehen Sie in Versteigerungen, und wer anders als Sie läuft alle Werke flüchtig durch, die man kennt, vom ersten indischen Schauspiel an, das in Felsen unter dem Meer gehauen war, und von den Büchern im Serail, die Klafter lange sind, bis zu dem Opern- und Brockenbuch und dem Kinderlesebuch und den Büchern der aner und in ana, ungeachtet Sie noch zu gleicher Zeit alle Aktenstöcke, Brieftaschen, Noten, Planeten, Visitenkarten, Viehpässe, Bank-, Küchen- und Komödienzettel in Deutschland zu lesen haben! Wahrlich, ich wünschte zu wissen, was Sie nicht läsen.

Und doch unterstützt Sie dabei niemand als zuweilen ein Lektor; denn die beiden Leser im Reichs-Kammergericht zu Wetzlar, welche die Akten foliieren, übergeben und aufheben, wird niemand für sonderliche chargés d'affaires und Mitarbeiter von Ihnen nehmen.

Zehntausend Mann stark soll nach Meusel das sitzende Heer jetzt sein, das Sie auf den Beinen und sonst halten und besolden, teils als Referenten, teils als Sekretäre. Welche Ausgabe für so viele Land-, Stadt-, Marktflecken- und Dorfschreiber, da der Papst selber nicht mehr als 72 Schreiber hat, die aber Abbreviatoren heißen! Fünftausend Werke liefert das Heer jährlich, welche Sie alle teils zu kaufen, teils zu lesen haben. Wie schlecht ist nun jeder Referendär und Sekretär, der überall, wo die Gerechtsamen des größten Kurators und Nutritors des Schreib- und Buchhandels leiden, nicht aufspringt, beschirmt, ausfällt, aufschreibt und dann berichtet offiziell! Gibt es solche laxe Autoren?

Endes unterzeichneter Referent wenigstens ist der Mann nicht, der bei der Semester-Gage, die er von Ihnen zieht, dieses täte, sondern er berichtet mit Eifer, wie folgt:

Zwanzig Jahre und wenige Monate mögen verflossen sein, seitdem er in Ihre Dienste trat, zuerst als Referent der grönländischen Prozesse und darauf der Teufels Papiere, – jenes in Berlin, dieses (6 Jahre später) in Gera. So leicht etwa damals das Gnaden-, ja Ungnaden-Gehalt dafür ausfiel, oder so schwer das Raff- und Lese-Holz für damalige harte Winter: so reichlich haben Sie ihn nachher, da er eine leserlichere Hand schrieb, als Ihren Ehren-Söldner salariert mit Meß-Geschenken jährlich. Wer denn sonst, verehrtester Leser, als Sie hat bisher für den Unterzeichneten und dessen Frau und Kinder mehr getan als alle Fürsten und dessen Vater- und Wohnstädte? Sie allein dekretierten ihm ein Fixum mit Zulage; von den Städten und Thronen trieben erst Sie als Sportularius und Pfennigmeister die Beischüsse ein. Sie wahrer Musenfreund aller schreibenden Prezisten! Wie würde es ohne Sie und ohne den Lesegroschen, den Sie wöchentlich als Schreibpfennig und Almosengeld in allen deutschen Leihbibliotheken austeilen, um Schreiber und Schreiben stehen! –

Was noch heimlich und nebenher Ihre treffliche Hälfte, die vergeßliche, aber unvergeßliche Leserin, getan, o verehrtester Leser, die er das Glück gehabt in Berlin und sonst zu sehen, darf nur seine Dankbarkeit vermehren, nicht seine Freimütigkeit und Redseligkeit. Beinahe in unserm ganzen Heere der 10000 Xenophons ist eine Stimme darüber, sie Notre-Dame, ma-Donna, Hesperide, Titanide zu nennen, nicht eine bloße Haus-Ehre, sondern eine Palast- und Land-Ehre – Franzosen nennen sie die Jungfer Europa – wahrlich der Enthusiasmus ist allgemein – –

Nie kann deshalb Unterzeichneter aufhören, für die Rechte Ihres Hauses zu fechten, das voll Lesezimmer ist; er stattet ihm ewig die offiziellen Berichte ab, die äußerst nötig sind. Heute hat er einen der neuesten zu machen, einen Index expurgandarum (dedicat.) betreffend, den Ihnen die philosophische Fakultät in Jena, ohne ein besonderes Konkordat, das bekannt wäre, als Gesetz an die Flügel-Tore Ihres Lesezimmers affigieren und nageln wollte.

Das Faktum ist dieses:

Ihr Apanagist, Verehrtester, Verfasser dieses und der Vorschule der Ästhetik nebst einigen Vorlesungen in Leipzig über die Parteien der Zeit. Hamburg, bei Friedrich Perthes 1804, setzte dem eben gedachten Buche eine Zueignung an den regierenden Herzog August von Sachsen-Gotha vor, welche dieselbe ist, die der Ästhetik fehlt und diese Schrift verziert. Er schickte sie vorher an Ihn, den genialen und liberalen – ein Klang- und Sinn-Reim zugleich –, mit folgendem Briefe:

 

Gnädigster Herzog,

Ihrer Durchlaucht send' ich hier eine Dedikation an Sie, um Sie um die Erlaubnis des Lobes nicht sowohl – denn diese gab mir schon die Wahrheit – als um die Erlaubnis des ungewöhnlichen, mehr englischen als deutschen Tones zu bitten, worin ich es sage. Mögen Sie mir es verstatten, zweimal recht glücklich dediziert zu haben, das erste Mal der schönsten Königin, das zweite dem witzigsten Fürsten!

Das Buch ist eine – aber nach meiner Weise geschriebene – Ästhetik und mein Lieblings-Kind. Es erscheint im August schon. Daher möcht' ich wohl zur großen Bitte noch die kleine fügen, wenn sie schicklich ist, mich bald entweder zu erfreuen oder zu erschrecken.

Koburg, den 16. Jul. 1804

Ihrer Durchlaucht
untertänigster
Jean Paul Fr. Richter

 

Darauf erhielt der Brief- und Schriftsteller vom Herzoge folgende Antwort...

Doch, Verehrtester, eh' ich Ihnen die sämtlichen Akten vorlege, deren Einsicht Er Ihnen erlaubt, wünsch' ich Ihnen Glück, daß der Zufall, der Sie um einige unbedeutende Blätter von mir bringen wollte, Ihnen dadurch eine Menge interessanter zuführt. Auch dürfen sich zwei Schreiber selber Glück wünschen, wenn ihre Briefe ebenso gut in die Druckerei geschickt werden können als auf die Post; welches hier der Fall mit den meinigen ist in Rücksicht der Gesinnung, und mit den herzoglichen in Rücksicht des poetischen Gehalts.

Das Polyneon, worauf sich der Anfang des folgenden Briefes bezieht, ist ein großes episches Märchen über die Liebe, vom Briefsteller, welches alles, was große Kenntnisse und große Kräfte von Frucht- und Blumen-Gewinden, Perlenschnüren und Venus-Gürteln ineinander flechten können, zu seinem Zauber-Kreis der Liebe ründet. Doch das, was schildert, kann nicht selber geschildert werden; der Kreis wird zuletzt ein Trauring – der Ring ein Juwel – der Juwel ein Lichtblick – der Blick ein Geist. Der Tadel, womit man das Polyneon so gut belegen kann als mit Lob, ist bloß schwerer zu verdienen als zu vermeiden. Eine geniale Phantasie ist, gleich dem Luftballon, leicht in die Höhe und in die Tiefe zu lenken; aber das waagrechte Richten wird bei beiden etwas schwer; indessen hielt man es bisher doch für das größere Wunder, sich in den Himmel zu erheben, als sich darin zu steuern.

Daß man hier nicht schmeichle, sondern bloß dediziere, beweiset die endliche Edition des ersten Dokuments:

 

Angebogene Antwort, sub Littera zzz + x.

Panädonia bat (Pleonasmus, da sie eigentlich nichts zu bitten hat), als sie das Polyneon tausendfärbig und tausendförmig aus ihrem Füllhorn schlüpfen ließ; und dazumal ging es ihr wie Pandoren: es blieb ihr eine Bitte – was einerlei ist – eine Hoffnung, und diese Bitte oder diese Hoffnung kleidete sie auch in eine Weihe ein: Richter sei Freund, und Freund sei Richter. Dieses Epigramm sollte griechisch und nicht deutsch, nicht gedruckt, sondern in Kupfer gestochen werden, wenn mein Unvergleichlicher (mein Vortrefflicher, würde ich sagen, verglich' er nicht zuviel) es mir erlaubte. Doch ich werde mit meinen ineinander geschachtelten Parenthesen wie unser guter W*** und ende, damit mein Paulinischer Johann und mein Johannischer Paul nicht vor Langweile vor mir ende und vor meiner eignen Geduld, mit der letzten der Bitten: diese Bitte wie eine leichte Luftgondel Ihrem Schatz- und Kauffahrtei-Schiffe anzuhängen, nicht, damit beim Schiffbruche der teure Steuermann sich darin retten möge; aber – das ist eben das Rätsel. –

Einst krümmte Hesperus einen silbernen Nachen aus seinen Strahlen und fuhr hehr und genialisch über die Milchstraße der Ahnung und warf der verblüfften Welt Sternschnuppen in die zugestarten Augen, daß die Schuppen herabfielen und einige durch das Schlüsselloch der Zukunft in den Himmel blickten; aber nachdem sahen wir durch einen Spiegel in einen dunkeln Ort. – Das jammerte den jüngern Phosphoros; er nahm eine Riesenperle, überzog sie mit Uranusglanz, tauchte sie in Minneglut und bevölkerte sie – Doch Sie wissen alles schon, und nun haben Sie mein Rätsel errathen. Wenn Ihre Vorrede vorlaut ist, so ist meine Rede wohl Nachlaut; doch Sie sind gewohnt, den Weibern durch die Finger zu sehen, durch die Ihrigen und durch ihre. Phosphoros hat noch mehr Prätensions wie Sie, drum hängt er sich Ihrem Schatz- und Kauffahrteischiffe als Lustgondel an. Ma addio, cara anima; guberniamo il cielo é l'arcadia.

Phosphoros-Metahesperos
 

NB. Sie wollen wissen, ob ich eine Zueignung haben will? Dazu antworte ich mit Nein; aber ob ich das Überschickte sub Littera A mit meinem Admirations – A! beantworten werde, dazu sage ich Ja. Erschreckt Sie mein undemütiges Nein, so bleibt die Lustgondel im Hafen, und der Richter bleibt mein Freund, der Freund aber nie mein Richter. – Kommen Sie in Gottes Namen, in Gotha zu verpissen, was Sie in Liebenstein getrunken haben, nur verschonen Sie meiner Minister Perruquen, denn Sie wissen, daß die Netze der großen Welt nicht so ausgepicht sind wie die Federmützen der Gelehrten. Doch verzeihen Sie diese Reminiszenz und diese Art von Plagiat Ihrem Freunde und Mitsünder.

Lucifer
 

P. S. à propos! von Bier, Orten, Kommen und Gehn – Es ist nicht meine Schuld, daß ich geblieben bin. Sie verwechseln vielleicht, guter Richter, mein Abendrot mit meinem Morgenrot, wie es einst Ihr Gottwalt mit dem seinigen tat. Ich habe keinen Zauberstab, und der Spiegel, den ich halte, ist nur der der Eitelkeit, und doch kann ich nicht vergessen, daß ich zähne-, nägel- und haarelos bin. Wenn Sie recht schmeichelhaft sein wollen, so nennen Sie mich einen Kleister-Aal aus dem Kleister, wo Gott seine schönsten Sonnen knetet. Dieses irländische Bonbon wird mich unendlich freuen und gewiß nicht weniger neu sein, als die britischen sind, die Sie mir auftischen wollen. Sie wollen mir einen Lorbeerkranz aufsetzen, und – wissen Sie denn nicht, daß eine Graciosos-Kappe eine von den Helmzierden ist, welche ich das Recht zu führen habe; wie eine Säule, eine Rose, eine Henne, ein übersatter Löwe zwischen unverzehrten Herzen in dem feldreichen Bilderlande sind, die meinen Schild zieren, und über denen ein Rautenkranz. Diesen würde ich mir eher wie das Wiesel des Plinius wählen, wenn die schöne Otter der Männlichkeit mit Augen, Herzen und Gallenzahn mich zu durchbohren sucht. Auch gegen den Zahn Ihrer Witzesschlange möchte ich mit dieser Zauberraute die Taube meiner Falschlosigkeit umpanzern. Richter, Sie fürchten, daß ich mich vor Ihrer Eignungsschrift fürchten könnte, und wollen mich mit dem Wiegenliede der Schmeichelei einlullen! Sagen Sie Sich, daß ich als Jungfrau das Einhorn des Spottes entwaffnen kann, und das mit einem Kusse; einem Judaskusse, und Sie kreuzigen; mit einem Jonathanskusse, und Sie verlassen; aber auch mit einem Cyparißkusse, und mit Ihnen sterben und ewig leben; aber nie mit einem Krähenkusse, die sich aus gleicher Schwärze die Augen nicht auskratzen. – Mißhandeln Sie mich, und lassen Sie drucken, was Sie wollen: Vorreden, Briefe, ja meinen Brief. Verspotten Sie mich; ich weiß es nur zu gut, daß die Freundschaft der Männer eine umfangende Jungfrau ist, und ihre Schmeichelei eine giftige Verleumdung. – Doch, können Sie mit meinem warmen Kinderblute, mit meinem weichen Mädchenherz und mit meinen süßen Witwen- und Waisenzähren alte Wunden aus- und alte Flecken abwaschen, so tun Sie es; denn es ist keine Schande für mich, auf dem Altare des mächtigsten der Genien zu enden. Habe ich mir doch schon lange eine welke, rosenrote Hyazinthe mit dem Epigraph gewählt: καλὸν ύπερ του̃ καλου̃ θνήσκειν. Und gern möchte ich der Hyazinthus sein, nicht um Sie zu bestechen, aber um Sie zu entwaffnen. Kommen Sie auf mein Herz, mächtiger Sonnengott, es ist keine Pythische Schlange. Ihre Pfeile sind jetzt umsonst. Wenn ich gleich Taubenschwingen und eine schirmende Binde vor den geblendeten Augen trage und auf der blassen Stirne den lockigen Cyrrhus und schmucklos, ja kleiderlos Ihnen erscheine, so bin ich doch, stolzer, rachgieriger Sonnenlenker, kein Gott, sondern Panädoniens schwacher Schatten. – Dieses dürfen Sie Ihren Vorreden und allen Ihren Briefen anhängen; und jedes zartglühende, edle Weiberherz wird mich gegen Ihre Schärfe beschützen!

 

Hierauf antwortete der Zueigner folgendes Aktenstück:

Gnädigster Herzog,

Das Schreiben Ihrer Durchlaucht und dessen Bilderkabinett hat mir ebenso viel Freude als Mühe gemacht; zuletzt aber, da ichs ganz verstehe, nur Freude. Was den Streitpunkt des Witzes etc. anlangt, so behaupten Sie während Ihres Solotanzes bloß, es gebe keine Bewegung und Zeno habe Recht. Indes glaubt jeder Weltkörper zu stehen, ob er gleich fliegt.

Da Ihre Durchlaucht durch Ihre Mischung von Scherz und Ernst mir die Erlaubnis gaben, Ihr Nein auszulegen und zu rangieren: so hab' ich die Meinung erwählt, welche mir die wohltuendste ist, und ich habe das Ganze für die schöne Erhörung meiner Bitte angesehen. Doch ist immer noch Postzeit, mich durch einen ausdrücklichen Befehl um meinen schönen Traum zu bringen. Indes wär' es Schade, da in Deutschland ein solcher Gegenstand und eine solche Sprache unter den Dedikationen eben nicht gewöhnlich sind.

Ihre Durchlaucht teilen – wie es fast scheint – einen flüchtigen Irrtum des mir ewig teuern Herzogs von Meiningen über mich, welcher auf Kosten meines Herzens und Geschmacks zugleich einen einfältigen Spaß im hiesigen Wochenblatte mir zuschreiben konnte. Meine Seele blieb ihm so treu wie seine Gemahlin – und Koburgs Reize ... wenigstens vertausch' ich es in 14 Tagen mit Baireuth. – Verzeihen Ihre Durchlaucht diese Schreibseligkeit – empfangen Sie meinen Dank für Ihre Blätter voll Blitze und Duft – erhören Sie meine alte Bitte – und erlauben Sie mir die süße Hoffnung, Ihnen nicht durch meine Denkungsart (die Schreibart rechn' ich nicht zu ihr) zu mißfallen –

Ihrer Durchlaucht
Kob. d. 29. Jul.
1804
untertänigster
Jean Paul Fr. Richter

 << zurück weiter >>