Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Zweiter Abschnitt
Unterschied der Denk-, Schreib-, Druck- und Lese-Freiheit

Gegenwärtige Lokal-Dissertatiunkel geht nun, ihrer Bestimmung nach, tiefer in die Materie und verlässet die besondere Beziehung auf die ** Staaten. Inzwischen wird doch auch der letztern Sache unter der Hand fort verfochten; denn die höchste Lese-Freiheit, welche die Abhandlung den Menschen überhaupt erstreitet und zusichert, kommt also auch z. B. den böhmischen, mährischen, ungarischen Zensoren und den Staatsgründen ihrer Einsetzung zu Gute.

Wahrscheinlich muß ich – zumal da ich in der Universität der größten deutschen Stadt zwar nicht einen Grad, aber doch ein Ämtchen suche – vorher scharfsinnig absondern und feststellen; ich zergliedere daher das Wort Freiheit in die in der Aufschrift angezeigten vier Weltgegenden und Weltteile. Die erste, die Denkfreiheit, hat meines Wissens bisher niemand verboten als der Schlaf, der Rausch und die Tollheit; das Bette, die Bier- oder Weinbank und die petites maisons sind die Ruderbänke und Sklavenschiffe des Denk-Ichs – Keine Zensur und keine Inquisition setzen in einen solchen wahren Personal-Arrest als gedachte böse Drei. – Auch die Schreib-Freiheit wird – wenige Kerker ausgenommen – in ganz Europa jedem frei gelassen, schon weil sonst die Zensoren, sobald nicht alles geschrieben werden könnte, antizipiert wären und nichts zu verbieten hätten und mithin ihre Gehalte mit Sünden zögen; sie wären dann ebensogut Polizei-Lieutenants im Himmel.

Hingegen Druckfreiheit und Lesefreiheit! – Aber wie verschieden sind beide, so verwandt sie auch scheinen! Es läßt sich, wenigstens im Allgemeinen, denken und retten, daß ein Staat sich von Ketten der Zeit und der Stelle zum Verbote, ein an sich schätzbares Werk zu lesen, gezogen glaube; aber kann er darum den Druck verbieten und so das Verbot des Lesens auf alle fremde Staaten und Zeiten ausdehnen? Ja gesetzt, alle lebende Staaten hätten dasselbe Bedürfnis des Verbots: woher bekommen sie das Recht, damit künftige Zeiten zu beherrschen? Dürfte ein sthenisch krankes Land darum alle Weinberge und Tierreiche ausrotten – anstatt sie zu untersagen –, oder alle Hunde – wie Briten die Wölfe –, weil sie wütig werden?

Ein Buch gehört der Menschheit an und der ganzen Zeit, nicht seinem zufälligen Geburtsort und Geburtsjahr; es wird wie die moralische Handlung zwar in der Zeit, aber nicht für sie, sondern für die Ewigkeit geboren. Das Meer und der volle Buchdruckerkessel sind Welteigentum, und nur die Küsten haben Herren. Wie kommt nun ein unbekannter Zensor dazu, der Richter, Lehrer und geistige Eß-König einer ganzen Ewigkeit zu sein, der Regent eines unabsehlichen Geisterreichs? Denn darf er nicht das bloße Lesen, sondern den Druck an sich verbieten: so darfs jeder andere Zensor und in jeder andern Zeit ja auch, und folglich wär' es ganz leicht und ganz gesetzmäßig, das Werk selber zu vernichten, z. B. eine Spinoza's – Ethik, eine Kants-Kritik, oder die Bibel selber, oder alle Bibliotheken in der Welt. Denn der Zensors- und Omars-Vertilgungskrieg gegen Bücher gilt bloß – allen. Aber Himmel! Warum verbot man dann überhaupt nicht gleich früher lieber statt eines Drucks die Buchdruckerkunst überhaupt? und statt eines Lesebuchs Buchlesen insgesamt? – Denn jede Einschränkung wäre eine viel zu gefällige Nachsicht für Menschen, welche gern zeigen möchten, was sie aus ihrem Abc-Buch geschöpft haben, nämlich nicht nur die übrigen Buchstaben d e f ff g h i etc., sondern auch flinkes Lesen.

Jene Zensur-Maxime aber angenommen, so wird jeder Literator, der nur ein gelehrtes Sachsen, Niedersachsen, England schreibt, geschweige ein gelehrtes Europa, Asien, Afrika, Amerika, wissen und fühlen, was eingebüßet werden kann, schon aus dem, was schon verloren gegangen. »Wie,« (darf er sagen) »man sollte keine neuen Bücher zu Rate halten und zum Druck befördern, da schon so unzählige alte umgekommen sind, nach Morhof (Polyhist. c. V. de ordine biblioth.) klassische gerade 100000; – und sonst die vielen andern, z. B. die vom sinesischen Kaiser Xiu verbrannten; die von Cromwell eingeäscherte Bibliothek in Oxford; die vom Kardinal Ximenes bei der Einnahme von Granada verbrannten 5000 Korans – wiewohl doch der Urtext restiert –; die aus den Zeiten der schwäbischen Kaiser eingeäscherten Dokumente und überhaupt die Makulatur von Jahr zu Jahr? O wie würden wir alle die Sterblichkeit und die Würde eines Buches mehr wahrnehmen, erschiene in beiden Messen nur eines und das andere!«

»Aber«, könnte man sagen, »den zufälligen Geistermord z. B. an Kants Kritik konnte auch der Zufall verüben am Manuskript, als es auf dem Postwagen nach Riga ging; ja Kants Kopf hing ja noch früher von der Wehmutter ab, die, als er das Licht der Welt erblickte, am ersten machen konnte, daß er kein Licht der Welt wurde, indem sie mit einer nicht schreibenden, nur pressenden Hand ihn für alle Systeme so zuründete, daß er Jahrzehende später nichts geschrieben hätte als Ja, Ja!« – Ganz gewiß! Und dies ist eben die Größe der Gottheit und ihrer Welt, daß sie das Größte ans Kleinste, Welten an Lichtfaden, die Ewigkeit an Minuten hängt, – sich bewußt ihrer Überfülle von Kraft, Zeit und Raum; aber darf der kleine Mensch seinen Bruder lebendig begraben, weil es das Erdbeben tut? – »Folglich«, könnte man fortfahren, »wurde noch nie eine Wahrheit unterdrückt auf der unabsehlichen Erde voller Geister und Zeiten!« – Ich glaubte es selber, wäre die Erde die Welt; aber eben der Reichtum des Seins, die Welt voll Welten verstattet so gut das Aussterben eines Gedanken auf der Erde als das des Mammuttiers – ja sogar ein Mensch kann nur einmal auf der Erde erschienen sein, sogar im Monde, im Jupiter, im Saturn und dessen Ringen, und wo denn nicht? Im Universum selber. Wer fühlt in sich eine Notwendigkeit der Wiederholung in der Zeitlichkeit?

Folglich gehe der zeitliche Mensch fromm zu jedem Lichtstrahl, der hie und da aus der hohlen Wolkendecke auf seine Erde und Erdenstelle fährt, und spanne unter dem Gewölke nicht vollends den Sonnenschirm der Zensur auf.


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