Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Nro. III
Dissertatiuncula pro loco

Erster Abschnitt
Allgemeine geographische Einleitung in die philosophische Untersuchung

Nichts hat mich von jeher mehr erfreuet, als wenn ich im übrigen Deutschland die stärksten und einfältigsten Ausfälle auf die *** Staaten in Bezug ihrer Leseknechtschaft zu hören bekam, weil ich bloß den Mund aufzumachen brauchte, um zu erweisen, daß eine Zensur und folglich eine Lese-Freiheit da herrsche, welche durchaus nicht uneingeschränkter sein kann. Ich ließ daher gewöhnlich – bevor ich den Hauptschlag tat – die Spaßvögel erst auskrähen und fiel selber boshaft genug mit seinsollenden Einfällen ein, als z. B. damit, daß man allda nicht die Preßfreiheit hätte, die Preßfreiheit zu loben, ja nur den catalogus prohibitorum in dem in ein geistiges Gefängnis auf Wasser und Brot gesetzten Lande zu nennen, so wie in der Fastenzeit die Isländer (nach Olaffen und Povelsen) von Fleisch nicht einmal das Wort in den Mund nehmen – und daß alsdann die Literatur dem am Franziskanerkloster bei Montpellier liegenden See voll stummer Frösche gleich sei, welchen der heilige Antonius von Padua das Quaken verbotenEs ist noch dazu die Frage, ob das Faktum nur wahr ist, denn es steht in des verdächtigen Berkenmeyers Singular. geographiae.  – – Aber (so unterfuhr ich plötzlich selber meine Zufuhr) setzt dieses Stummen-Institut nicht eine doppelte größte Sprechfreiheit voraus, die der Frösche und die des Heiligen? –

Denn so ist es in der Tat. Es ist ein schönes und unerwartetes Schauspiel, nämlich jene herrliche zensur-freie Lesefreiheit eben gedachter Staaten, welche so weit geht, daß es durchaus kein Werk gibt – sei es noch so zynisch, weltweise, ja gottes-, staaten- und fürsten-lästerlich –, welches sie nicht nur frei zu lesen erlaubten allen dortigen Zensoren (denn vom Pöbel sprech' ich hier nicht), sondern sogar auch geböten. Diese Freiheit, alles zu lesen, was geschrieben wird, – eine größere ist überhaupt nicht denklich – genießt nicht nur ein glücklicher Zensor, sondern ganze Zensurkollegien; gleichsam als wolle der Fürst die letztern – sehr verschieden von einem Sultan, der sein Glück mit 40 verschnittenen Stummen umringt – als ebenso viele verschneidende Redende um sich stellen. (Denn Denken ist Reden – leises, nach Platner.)

Kann der Staat besser zeigen, daß er die alten Besorgnisse von zufälligem Einflusse eines Buchs auf schwache Gemüter u. s. w. verachte, als wenn er die größte Lesefreiheit allen Zensoren ohne Unterschied gewährt, wozu unmöglich lauter Götterhäupter zu vozieren sind, sondern auch Gassen- und Straßen-Köpfe, ja wohl Austern- und Milben-Köpfchen, denen gerade die heimliche Lektüre der zügellosesten Manuskripte am ersten das, was sie ihr Gehirn nennen, versengen könnte? Rottete sich diese in so viele Städte gelegte Schar zusammen: wie gefährlich könnte sie werden, wenn das Lesen gefährlich machte! Aber das Gegenteil wird so gewiß vorausgesetzt, daß man solchen All-Lesern die allgemeine Sorge für die Orthodoxie, wie in Frankreich den Setzern die für die Orthographie, ruhig anvertraut. In der Tat sind sie die Menschen, die ein solches Vertrauen rechtfertigen und belohnen; denn unter ihnen ist jede Generation eine neue unveränderte Auflage der vorigen, indes sie selber durch Lektüre mit der Zeit so fortschreiten, da sie zuletzt geistesarme Werke so häufig verbieten als ihre Vorfahren geistreiche; – wodurch sie den Wunsch und die Ehre, verboten zu werden, leise schwächen; da sonst Verbieten und Verschließen den Büchern so viel schadete als der Landmann den Raupen, wenn er sie, um sie auszurotten, in die Erde grub, worin sie sich eben verwandeln. So hörte in Griechenland der Ostrazismus auf, weil er zuletzt statt großer Männer schlechte verjagte, z. B. den Aristobulus.

Genau genommen ist jede Klage über Lese-Knechtschaft falsch, da eine heilige Notwendigkeit der Natur uns, auf welchen Umwegen es auch sei, stets zur Freiheit führt. Denn so wie es keinen reinknechtischen Staat voll Knechte gibt, sondern im Sklavenschiff stets einen freien Kapitän, einen Bey und Dey, der als der einzige Träger der Menschenrechte sie desto reicher entfaltet: so ist auch ein Staat voll lauter Lesesklaven, eine ecclesia pressa ohne eine ecclesia premens, kurz ein Kerker nicht möglich, worin der Schließer selber mit eingeschlossen wäre, sondern freiere Schrift-Sassen, die Zensoren, genießen und behaupten eben das Glück und Recht, das man vermissen will,

Dieselben innern und äußern, vor Mißbrauch bewahrenden Gesetze, auf welche sich z. B. der liberale preußische Staat bei den Lesern der Druckschwärze verläßt, setzet jeder als illiberal verschriene bei den Lesern der Dinte voraus und nimmt, wie sonst Buchdrucker nichts Heterodoxes zu drucken schwuren ohne den Wiederdruck eine Widerlegung, letztere, aber nur innen beigefügt, bei jedem Zensor an. Immerhin mögen dann solche freie Staaten des Dinten-Lesens die übrigen gemeinen, zu keinem Zensieren besoldeten Seelen scharfen Verordnungen unterwerfen; sie sollen immerhin Menschen, die nicht einmal von weitem zu dem Zensurkollegium gehören (etwa als Bücher-Träger, Offizianten etc.), alles ganz strenge verbieten und ihnen Denk-Knebel und statt des Fußblockes den Kopfblock anlegen: mich dünkt, sie werden hier doch nichts tun, als was die Griechen längst getan, welche nicht litten, daß Gesänge und Freiheit, überhaupt Gedichte von den Sklaven gesungen wurden.

Anstatt also in den ** Staaten Verringerung der Zensoren zu bestellen, hat der Freund der Freiheit nichts zu wünschen und zu betreiben als die ungeheuerste Vermehrung derselben. In jeder Landstadt, in jedem Marktflecken sollte alle Welt, wenigstens wer Geschriebenes lesen kann, verbunden sein und sich selber anbieten, Sachen zu zensieren und vorher durchzulaufen, teils um dem Staate zu zeigen, daß er so gesund ist wie jeder andere Zensor, teils um gemeinschaftlich für die geistige Gesundheit der übrigen, nicht lesenden Staatsbürger sorgen und verbieten zu helfen. Nur möchte, wenn man so viele Zensoren anstellte, als es jetzt Leser gibt, von Sachverständigen zu erwägen sein, ob der Umlauf eines Manuskripts, die Abnutzung, die Verspätung desselben, desgleichen die unleserliche Hand, überhaupt die Schreibzeichen nicht es rätlicher machten, wenn für die Zensoren, d. h. für die hier möglichen Leser – 300000 deutsche Leser soll es nach Feßlers Zählung geben – der Schnelle wegen die Handschrift vervielfältigt würde, so daß wenigstens 100 Leser ihre besondere und also 300000 ungefähr 3000 Exemplare hätten; was in unsern Zeiten ja so leicht zu machen ist, durch die Druckpresse, welcher keine Abschreibfeder nachkommt. Solche leserlich gedruckte Manuskripte für sämtliche Zensoren – gleich Lavaters gedruckten Manuskripten für Freunde – könnten alsdann die Buchhändler, als Offizianten der Zensurkollegien, ausgeben, und der Staat hätte keinen Heller Ausgabe; ja anstatt des Zensurgroschens pro Bogen müßte der Leser selber einen Lesegroschen pro Band erlegen. Längst wurde daher auch diese Einrichtung schon von Staaten und Städten, die mehr geistig reich sind als leiblich, z. B. in Berlin und Weimar getroffen; nur daß sie eben darum das ganze Zensier-Geschäft – wie Athen die Kriegs-Zurüstungen – bloß Privat-Instituten überließen, welche unter dem Namen Rezensuren oder Rezensionen meines Wissens durch ganz Deutschland bekannt genug sind, und welche eben stets das lesen, was nicht zu lesen ist, sondern zu verbieten.


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