Jean Paul
Freiheits-Büchlein
Jean Paul

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Vierter Abschnitt
Zensur des Philosophierens über Regierungsform

Wenn die Vernunft Götter und zweite Welten in ihr Zergliederungshaus fordern darf: so hat sie auch ein Recht, dasselbe feine Messer an den Staat und seine Form zu legen, gesetzt sogar sie zöge daraus lauter Mängel ans Licht. Denn die Vernunft kennt in ihren Forderungen nur eine Menschheit, nicht einen einzelnen oder eine Menge. Ja jede Staatsform würde sich für Un-Form erklären, wenn sie fürchtete, vor dem Lichte, wie Hornsilber, schwarz zu werden und zu verlieren. Aber dieses Recht, sogar zu schaden, würde wohl keiner Philosophie den Weg in Staaten bahnen, die es lieber allein ausüben, wäre nicht zu erweisen, daß die ächte ihnen nichts bringen kann als nur Nutzen.

Nie hat Philosophie mit ihrem weiten Tageslicht, dessen Allgemeinheit nirgends auf die engen Punkte der Zeit verdichtet fallen kann, die Früchte der Leidenschaft reifen können. Das Licht hat keine Schwere und sucht statt der dicken Erde den leichten Himmel. Eben die philosophische Weite gibt, wie die dichterische, die duldende Überschauung der Menschheit und folglich jedes einzelnen Aktionisten daran. Die Philosophie löset, wie alle auflösenden Säuren, das schwere Metall – hier ists Krone und Zepter – so durchsichtig in sich auf, daß man nur das Menstruum, nicht irgendeinen Körper darin sieht.

Warum glaubt man überhaupt, daß verderbliche Bücher so großes Unheil stiften können? Ich wünschte, sie könnten dies stark und schnell; dann brächten gute desto leichter Heil; ja noch reicher; denn das Gute bliebe stets auf der Seite der Kraft, weil es nicht dumme Engel, nur dumme Teufel gibt. Aber Wissenschaft und Kunst gleichen eben jeder Musik, welche im großen Luftmeer nur liebliche sanfte Schwingungen macht, die nichts beugen und wegnehmen, indes die Faktion und Leidenschaft dem Winde ähnlich ist, der im Luftmeer strömt und niederreißt und heult.

Ist nicht alles Stärkste über alles schon tausendmal gesagt, und kann ein Buch verboten werden, das nicht ein Nachdruck der Vorzeit wäre?

Wuchsen die Staats-Umwälzungen seit dem Nachtschatten des Mittelalters mit dem Verdünnen desselben in Halbschatten, in Viertels-, Achtels-Schatten? Nahm Denken mit Empören in gleichem Verhältnis zu? In umgekehrtem höchstens.

Wankten und fielen vor der Erfindung des Drucks Thronen nicht öfter? Stiegen nicht die größten Wetterveränderungen in dem Dunstkreise des Geisterreichs ohne Dinte und Druckerschwärze auf durch Sonnen wie Christus, Sokrates, Pythagoras, welche sämtlich nicht schrieben? Nur erst unter seiner Auflösung fing der pythagoräische Bund zu schreiben anJamblich. in vita Pythag. .

Und doch war nur damals ein Autor das, wozu Friedrich der Einzige den spätern Autor ausrief, nämlich ein Regent des Publikums; und die Feder damals ein Zepter. Jetzt hingegen ist der Preßbengel ein sehr niedriger Regenten-Thron. Bücher wirken jetzt wegen ihrer Menge weniger, eben weil sie dadurch einander entgegen und folglich aufhebend wirken. Indes bleibt stets ein Sieges-Übergewicht (warum litte man sonst einen Drucker?), und zwar des schönern; denn eben die Menge der Bücher führt, wie und als die Menge der Zeiten und Menschen, ihr blühendes Gegengift gegen jede vergiftende Einzelheit bei sich. Wäre die Zeit – der Exponent der Menschheit – nicht eine Arzenei der Erde, sondern ihr Gift: so müßte dieses Gift, da es täglich zunimmt, uns mit jedem Jahrhundert fortschreitend mehr zersetzt und aufgerieben haben, und die Geschichte würde bloß der Krankenzettel eines großen Körpers sein, der immer mehr abstürbe.

Wenn die päpstliche Kammer bloß auf solche Memoriale, die sie abschlägt, lectum (gelesen) setzt: so tun dies wohl die meisten Lesezimmer. Ja die Obern setzen es voraus; denn sonst gäben sie keinem Zensor und Drucker »die Erlaubnis der Obern«; sonst könnte ja überhaupt der Bücherverleiher heute in einer Stadt so viele Engel leihen, als er Leihgroschen bekäme für ein Engels-Werk; morgen ebenso viele gefallene durch ein gefallenes, und so die gute Stadt wechselsweise in den Himmel und in die Hölle tauchen, hin und her sie lichtend und schwärzend.

»Gesetzt nun aber, um zurückzukommen,« – fragt hier Opponent – »ein Philosoph untergrübe das Prinzip einer Verfassung, den weiten schweren Thron, gleichsam mit seiner schwarzen feinen Rabenfeder: sollte in solchem Fall ein Staat nicht das Federmesser gegen die Feder ziehen dürfen? das fragt Opponent.«

Nein, wenn anders der Staat nicht den Arm des Stroms statt des Stroms selber abgraben oder wie Xerxes geiseln will. Der Geist, der Staaten umwarf, war der Geist der Zeit, nicht der Bücher; die er ja selber erst schuf und säugte. Wird denn der Autor nicht früher als sein Buch gemacht? Werther erschoß sich, ohne noch von Werthers Leiden eine Zeile gelesen zu haben. Christus bekam von Johannes die Taufe, bevor er sie einsetzte. Hat je das beste Buch eine einzige Mode des Mode-Journals, nämlich des ewigen, pariser, besiegt? – Nie durch sich, sondern nur durch die Zeit, die aber kein Buch ist, sondern höchstens ein Buchladen.

Gewöhnlich wird die französische Umwälzung als ein Beweis, wie leicht Schreibfedern zu Spring- und Schlagfedern werden, vorgeführt. Aber der noch stärkere Beweis, daß alle Schreiber nicht die Gewittermaterie, sondern nur die Elektrizitäts-Zeiger einer schon vorhandenen – obgleich folglich die Träger einer kleinen – sind, sollte allen andern lesenden Staaten dies sein, daß sie sich selber gleich bleiben und den gallischen sich gleich machen wollten. Die französische Literatur war in ganz Europa, die Umwälzung nur in Frankreich. Und was wurde denn selber unter dem gallischen Sturmwinde – der aus der Sandwüste endlich den höchsten Berg zusammen wehte – Neues gesagt, was nicht von den Griechen, Römern und besonders von den Parliamenten unter Karl I. schon mehrmals wäre erneuert geworden? – Warum lieset man jetzt diese Bücher zensurfrei, sogar in Frankreich, und wird nicht umgewälzt? – Darum, weil die Meinung zwar die Königin, aber auch die Tochter der Zeit ist – weil das Sonnenlicht der Untersuchung Völker wie den Diamant still durchfließt, indes das elektrische der Faktionen zerschmetternd einfährt.

Wer empört sich denn gewöhnlich? Gerade die beiden Klassen, welche am wenigsten lesen, weil die Bücher, in die Mitte des Staats angeschlagen, von denen, welche die Wurzel und welche den Wipfel bewohnen, schwer herab oder hinauf zu sehen sind, ich meine vom Volke und vom hohen Adel. Doch wird der Nebel und Dunst, der aus dem platten Meere des Volkes aufdringt, nicht eher zu einem Wolkenbruche gesammelt als am nächsten Berge eines Großen. – Hingegen wer lieset, die Gelehrten, die Mittelklasse – die Welt sage, ob alle Fakultisten je etwas anders gemacht haben als Manifeste bloß für andere, als Deduktionen, zwar gegen den einen Fürsten, aber doch für den andern Fürsten; oder ob andere logische Schlüsse als Friedensschlüsse. Stets unschuldig weiß, wie ein Hahnenkamm im Winter, steigen die Gelehrten auf ihren Schreibtisch, der ein Kriegs-Schachbrett mit rhetorischen Figuren ist, nie selber mit ihrer eignen. Sie sehen, wie Prediger, gern Ketten über alle Gassen gespannt, damit kein Lärm unter ihr feuriges Predigen einfahre; und die Lähmung, welche Setzer von den bleiernen Buchstaben erhalten, kommt ihnen früher durch die geschriebenen an die Hand.

Der einzige Fall, wo das Licht der Bücher gewalttätig wirkt, ist da, wo es gehindert und wo die matte Lichtspitze durch die Umkrümmung mit dem Lötrohr zu Schmelzfeuer verdichtet wird. Das stumme Frankreich bekam plötzlich eine Zunge, wie der stumme Sohn des Krösus; nur anders, teils vor einem Morde des Vaterlands, teils zu einem eines Vaterlandsvaters. Aber desto schlimmer, wenn die ungestüme Notwendigkeit spricht, nicht die lange sanfte Freiheit; wenn nicht der fromme Kirchner, sondern ein Erdbeben die Glocken läutet.

Wie verwandt ist damit eine Erscheinung, an welcher schon mehrere große freilassende Staaten irre wurden! Österreich unter Joseph II. ist der erste. Wenn nämlich plötzlich ein Volk ins Sprachzimmer und vors Sprachgitter gelassen wird aus der Zensur-Zelle, so weiß es kaum vor Überlust, was es sagen soll oder sagt; es gleicht Knaben, die nie mutwilliger toben als auf dem Wege aus dem Gehorsam der Schule heraus. Allerdings muß man Völker, wie Wochenkinder, nie schnell wecken, weil sie nach den Ärzten jähzornig werden. Ferner ist dann die Presse eine wahre Kelter, die auf einmal die reifen und halbreifen Beeren einer Traube ausdrückt. Mögen aber nie Alexander und Maximilian Joseph anders fortfahren, als sie anfingen, oder als Friedrich der Einzige noch fortfährt, und mögen beide sich gegen den Zufall damit trösten und rüsten, daß nirgends mehr Wind weht als eben unter der Schwelle, und daß folglich das Licht am leichtesten erlischt, wenn man es über sie trägt! – Was kann ein edler Fürst an seinem Thron-Himmel Schöneres sehen als eine Sonne, die er selber daran als Sonnengott vorüberführt? Seine einzige Vorsicht bei plötzlichem Freigeben der Federn sei bloß eine nicht zu kurze Nachsicht! –


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