Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

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VIII.
Geldnot und Notpfennig

Allerdings ist vor der Hand manches wahr, insofern man es scherzhaft sagt – Schuß- und Knall-Metall ist fast unsere jetzt laufende und klingende Münze – gleich den Jakobinern des 18. Säkulums, so werden auch die Jakobiner des 17ten rar (so hieß damals ein Vierundzwanziger) – denn die wahren Fersen-Gelder sind eben Kontributionen, und die Bajonette sind wie Pfandbriefe au porteur ausbezahlbar. Himmel! welche Steine würden dem guten Deutschland vom Herzen bloß durch ein Bröckelchen Weisen-Stein abfallen, weil nur ein Gran davon dazugehört, um 304½ Millionen Taler in Gold zu machenMöhsens Leben von Thurneisser in Baldingers Magazin für Ärzte. B. 5. St. 5. – könnte man fortscherzen.

Und warum sollte man es nicht? Ist Spaß hier nicht edler als Ernst, und ein stoischer Spaßvogel besser als ein jammerndes Leichenhuhn?

Die Männer haben jetzt ordentlich eine Unverschämtheit zu wehklagen, und die Nationalzeitung und der deutsche Anzeiger und Handelszeitungen schwimmen ohne Erröten in Tränen, ehe sie sich mit der Lethe vereinigen.

Hat uns denn London oder Paris, oder Buchholz, oder die Zeit so sehr von der hochsinnigen Ansicht erster Christen und ältester Alten herabgezogen, daß wir an Staaten keinen größern 1017 Mangel bekennen und beklagen als den an Geld! – Ist denn, wenn wir sonst früher und reicher gleich Seneka den Reichtum gleich Goldkot herabsetzen, dieser auf einmal durch sein Verfliegen zu himmlischem Monds-Silber und Sonnen-Gold geworden? Können wir uns denn nicht mehr zum Materialist HelvetiusDe l'esprit. III. 23. erheben, welcher sagte: arme Völker haben mehr Ruhmdurst und mehrere große Männer als reiche und handelnde? – Sind wir denn Janitscharen, welche im Felde nach dem Verluste des Fleischkessels sofort alles aufgeben und fliehenNach Graf Ferrieres-Sauveboeuf., dadurch ähnlich, daß wir an des Kessels Stelle den Beutel setzen? Sind wirs? – Freilich; denn zwischen Geld und Fleisch ist ein kleinerer Unterschied als zwischen Geld und Herz. – Allerdings mildern wir die Sache wieder in etwas, wenn wir kleines Geld und Herz etwan so zusammenstellen, wie es nach der Selams-Sprache im Harem geschieht; nämlich kleine Münze, die ein Liebhaber der Geliebten schickt, bedeutet: ich habe ein verwundetes Herz; und etwas anders wollen kaufmännische Deutsche, wenn sie Koburger, preußische und andere kleine Münze einsiegeln und zuschicken, ihren Freunden nicht sagen als: ich et compagnie haben ein verwundetes Herz. Fragt man die jetzigen Krämer und andere Untertanen, zu was sie ihre Fürsten begehren, so antworten sie alle (die Wendung ist übrigens witzig genug): zu dem, was schon ihr Kopf verspricht auf Münzen und Hälsen; sie tragen nämlich auf dem Kopfe die Krone voll Geld, so wie der Maurer auf seinem den Kübel voll Mörtel, nämlich um damit das Gebäude festzumauern. Die großen Alten aber nahmen freilich einen festern Menschen- oder Länder-Mörtel an, nämlich wieder Menschen.

England legte uns bisher die hundertjährige eiserne Kontribution – in jährlichen drei Messen zahlbar – auf; Frankreich die episodische; der englische Leopard leckte unsere Lazarus-Wunden unermüdet mit seiner Vampyr-Zunge sogar in unserem Schlafe; der französische Hahn hackte einigemal stark nach uns und weckte auf. Lieber drei Bisse als ewiges Totlecken. Nichts ist unheilbarer als ein Landes-Übel, das langsam frißt und wie der 1018 Nervenwurm (furia infernalis), aus dem Himmel gefallen, sich eingräbt und zerrissen noch tiefer bohrt; denn die Schmeicheleien des Zufalls, die Begünstigungen des Augenblicks verhüllen den Wachstum des Feindes und entkräften den Ungestüm des Widerstandes. Daher machten wir es mit den Engländern so wie (nach Swammerdamm) die Raupen mit solchen Insekten, die ihre tödlichen Eier in sie legen, indem sie, obwohl selber daran untergehend, doch diese gerade so versorgend mit einspinnen als sich.

Wie geschickte Ärzte gegen Durchfall Abführungsmittel verschreiben: so wurden uns gegen unsere britische Gelddiarrhöe abführende Kontributionen verordnet; was uns freilich schlecht gefiel, weil wir dem Talmud anhingen, welcher behauptet, daß jeder selig wird, der am Durchfall stirbt. Es wäre übrigens wohl der Mühe wert – so groß sie auch durch die vielen Gleichungs-Glieder würde –, die Aufhebung der englischen kaufmännischen Kontribution mit der Auflegung der französischen kriegerischen zu balancieren und die Gewinn- und Verlustrechnung zwischen der Hafen-, Beutel- und Magen-Sperre auf der einen Seite und dem Geld-Abflusse auf der andern herzustellen; nur müßten in dieser Rechnungs-Waage nicht verunglückte Kaufhäuser und Städte, sondern bloß Länder und Erd-Teile wiegen; wenigstens der beste, Europa. Leichter ließe sich dabei, statt des englischen Bankerutts, der europäische weissagen, wenn England sich an unsern fernern Verarmungen bereicherte, bis wir, wie die Ägypter bei dem Kornjuden Joseph – oder die alten Deutschen bei ihrem Spiele –, zuletzt nichts mehr einzusetzen und abzugeben haben als uns selber. Bloß dadurch gerieten wir wieder auf einen frohern Weg, weil wir, zu Schiffe verschickt, die englischen Kolonien selber zu bewohnen bekämen; was vielleicht etwas mehr ist, als sie von weitem besitzen – indem wir alsdann alle Kolonialwaren, wie die dasigen Sklaven, aus der ersten Hand erhielten, nämlich aus der selber, die sie bearbeitete, aus unserer eigenen.

Schneller Geld-Abfluß wirkt wie schneller Geld-Zustrom; nur daß beide bloß entgegengesetzte Wirkungen des Augenblicks geben, welche die Zeit bald ausgleicht und umkehrt; ein das große Los in Südamerika gewinnendes Spanien und ein mit dem Schwerte 1019 zum Bettelorden tonsuriertes Deutschland tauschen die Rollen bald um. Eine Kontribution gleicht freilich jenem Aderlassen bis zur Ohnmacht, das die Ärzte zuweilen gegen Blindheit verordnen, und befällt gerade die großen Geschäfte mit der stärkern Lähmung. Allein eine seltsame Heilkraft ergänzt an Staaten die von Kriegsschäden wie von Feuerschäden abgerißnen Glieder. Man sehe auf die vom Mordbrenner Louvois eingeäscherten Städte der Pfalz zurück – auf Sachsen und Preußen im siebenjährigen Kriege – auf die Rheingegenden im französischen – auf Deutschland im dreißigjährigen, woraus (nach Schiller) bloß Wallenstein in sieben Jahren 60 000 Millionen Taler (?) Kontribution erhoben – auf das geld- und friedens-arme Östreich – auf Frankreich mit seinen Corbeilles d'assignats – – – man schaue zurück, und schaue dann vorwärts, um zu finden, wie Länderwunden so bald sich schließen durch einen gekrönten Wundarzt.

Was sogar ein Ländchen aushält – und noch dazu jährliche Kontributionen, und dabei größere, als kein Wallenstein auf legte –, beweisen die vorigen Nürnberger, wovon jeder jährlich Fünfsechstel seiner Einkünfte, z. B. von 4166 Fl. jährlich 3446 an die Stadtkasse liefern mußte; – welche Einkünfte freilich durch einige zwanzig Patrizierfamilien zirkulierten, aber nebenbei auch 50 Millionen SchuldenDiese Unwahrscheinlichkeiten, denn nach dem deutschen Anzeiger sinds Millionen, stehen in Hessens Durchflügen B. 4. S. 50., gleichsam wie Venenblut neben Pulsblut – dennoch lebt Nürnberg noch und lebt auf.

Alle Eintritte in große Veränderungen und neue Reiche waren von jeher mit Beutel-Ausleerungen verknüpft, so wie Ankömmlinge in großen Städten (Paris, Rotterdam, Wien) anfangs vom Wasser starken Durchfall erleiden. Wenn bei den Freimäurern der Aufnehmling während der Aufnahme alles Metall von sich legen muß: so verlangt es der Krieg – ein unverstellter frère terrible – gleichfalls.

Wäre auch das Wortspiel erlaubt, daß es jetzt der Reiche mehr gäbe als der Reichen, so ist doch Deutschland jetzt zweimal besser daran als vor Otto I.; denn erstlich hat es noch gutes Geld in Bergen, und zweitens noch schlechtes im Beutel; diesen Vorteil 1020 aber mußte früher Deutschland entbehren, weil erst unter Otto die Silber- und Kupfer-Bergwerke bei Goslar gefunden wurden.Hachenberg. german. media. Bibliothèque universelle VI. p. 360.

Wenn nach unserer Goldhochzeit mit England und der Silberhochzeit mit Frankreich sich Hoffnung fassen läßt, daß unsere goldne Ader endlich aufhört, und daß das entbehrlichste Geld uns abgeführt worden: so müssen durchaus alle Preise der Lebensmittel – nach dem alten Wechsel-Gewicht der Waren und Gelder – um die Hälfte fallen, sobald nur die Einquartierungen abgezogen, welche bisher durch Genießen die alten Preise festgehalten – dann aber wird wahrscheinlich die Wohnung eines jeden Staatsdieners zum Lustschloß, der mehr mit Geld als mit Waren besoldet wurde, nämlich die der Professoren, der Justiz- und Kanzleibeamten, der Pensionärs, der Kapitalisten ohnehin, und es ist schwer zu berechnen, wie viel sie Überschuß und Surpluskasse haben werden. Indes ziemlich unschädlich wurde dieses mögliche Übergewicht der Geldeinnehmer über Waren-Inhaber und -Verkäufer schon voraus dadurch gemacht, daß die gedachten Staatsdiener jetzt im Kriege nicht viel ausbezahlt bekommen haben; eine Maßregel, welche einigermaßen den künftigen Reichtum ausgleicht durch jetzige Armut und Verschuldung.

Den Büchermessen scheinet die Geldnot am meisten Abbruch getan zu haben, so daß, wenn die englische Beredsamkeit zugleich mit der englischen Geldschuld wuchsWie einer in den europäischen Annalen behauptet. Buchholz behauptet im Phöbus gerade das Umgekehrte., bei uns umgekehrt das Verarmen das Verstummen unterhielt, als ob Güter und Zungen wie bei dem Malteser-Orden einerlei bedeuteten. Man könnte auch auf Chrysostomus' goldnen Mund anspielen. Demungeachtet sind zwei Dinge zu bemerken: erstlich, daß die Büchermessen schon vor dem Kriege unterlassen hatten, bezahlt – zu werden; zweitens, daß sie von jeher bei dem kriegs- und krieger-freien Süden nicht so viel gewonnen, als sie bei dem bedrängten Norden verloren. Im ganzen ein frohes Zeichen! Bücher sind sonach uns das Teuerste und Kostbarste; denn wir rechnen sie, scheint es, zu 1021 den Pretiosen, welche man in der Not zuerst aufopfert und entbehrt.

Seltsam ists, daß Europa, gegen andere Erdteile berechnet, alles hat, von Verstand und Klima an bis zu zahmen Tieren, und nur kein Geld. Denn in Europa besitzt ohne Ausnahme kein Land Metall genug, nicht bloß von Schweden an – wo man mehr Mühe hat, einen Silber-Taler zu verwechseln als zu verdienen – oder durch Frankreich fort – wo die Quinternen und Quaternen des Kriegs mehr denen, die ihr Leben gleichsam als Los einsetzten, zugehören –, sondern durch alle Länder mit Goldwerken hindurch, sogar bis nach London hinüber, wo (nach dem frühern Archenholz) weniger Metallgeld umläuft als in mancher deutschen Stadt, so daß sogar England seine Staatsflügel, wie Degen die seiner Flugmaschine, aus zusammengeleimten Papierchen macht. Wohl hängen auf diese Weise Handel und Wissenschaft vom Lumpenpapier oder Flachse wie die Volks-Tugend vom Strick oder Hanf ab. Kurz, unser Geld, das wir zum Teil mühsam aus der Erde graben, geht dahin, wo es wieder in sie eingegraben wird, nach Ostindien, bis man dort am Ende so wenig mehr davon begehrt und davon braucht, daß wir ihrer Waren satt werden und nicht etwa einen Staat zu dem geschloßnen Handelsstaate Fichtes erheben, sondern (was auch leichter ist) Europa selber.

Unsere Klage über unsern Geldmangel ist zugleich eine über unsern Sittlichkeits-Mangel; denn da der Krieg uns den Boden, die Sonne, die Hände, die Köpfe, die Herzen gelassen – folglich weit mehr, als in einem geldlosen Schweizer-Tale zum seligsten Leben gehört –, so haben wir über keine Beraubung zu klagen als über die an LuxusDie Beraubung an Kolonialarzneien wird durch die an Kolonialgiften eine kleinere, weil diese jene nötiger machten., d. h. über eine Beraubung und Verarmung des kleinern, nämlich reichern Teils. Wir haben noch zu beißen und zu brocken; aber wir wünschen in die Zahnlücken goldne Zähne hinein. Den Fehler aller Staaten, China ausgenommen (nach Hume), früher und lieber ausländische Waren zu holen als inländische zu veredeln, wollen wir fortbewahren; und wir wollen, wie im Kriege durch die an die Stelle der Offensive gesetzte 1022 Defensive, so im Frieden durch die an die Stelle der Activa gesetzten Passiva mit schönen leidenden Gehorsam zu demjenigen fahren, der sonst das bringt, was er jetzt holt, ich meine den – Teufel.

Daher kann sogar ein Hebel, wie Napoleons Zepter ist, Europa nicht in die Höhe und ins Gleichgewicht gegen Ostindien bringen, wegen der großen ummauerten Völker-Bastille, nämlich ChinaWenn Montesquieu (Grandeur et décadence des Romains ch. XX) Festungen für Verfalls-Zeichen der Tapferkeit hält – daher erst das sinkende Rom sich an Festungsmauern anlehnte –; und wenn der freie Deutsche alle Mauern floh: so bezeichnet die chinesische Mauer, als die Spaliermauer von 333 Millionen Menschen, deutlich das Menschen-Gewächs, welches daran reift und kriecht., worein wir, wie sonst die Könige in die Pariser, das Schatzgeld niederlegen für Tee. Man sollte halbe Bibliotheken gegen Tee und China schreiben, gegen ein verschroben selbstsüchtiges, kleinliches Land, das den edelsten Erdteil aussaugt und beschimpft, gegen ein Getränk, das die Trinker in zeremonielle Chineser, wie der Kaffee seine in feurige Araber verwandelt. Gut ists, daß Deutschland noch nicht so sehr auf Tee-Vikarien als auf Kaffee-Vertreter gesonnen; denn es beweiset, daß die Menge nicht so viele schale Teestunden, die erst ein Rack beseelen muß, als schwarze Kaffeestunden, welche zum Weissagen, Schreiben und Verleumden helfen, zu zählen hat. An China allein könnte England – käme kein eigner und fremder Tilgungsfond zu Hülfe – verarmen, da dasselbe – wenn nicht mehr als sechzigtausend Kisten Tee ganz Preußen, Holland, Dänemark, Deutschland, die Schweiz und ein Teil von Frankreich jährlich brauchten – allein eine Viertels-Million Kisten jährlich versäuft.Nord. Miszellen X. 5.

Das Selbststillen der Mütter ist nicht so wichtig als das Selbststillen der Staaten; und sollen nur immer ungebildete oder vergiftete Kolonien die Ammen unserer Staaten sein? 1023

 


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