Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

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III.
Kriegs-Erklärung gegen den KriegMan halte diese Kriegserklärung nur für einen Nachtrag zur andern in der Levana II. S. 188 etc.

Ich sagte oft, seitdem ich die seltsame Tatsache gelesen: ich wünschte, niemand trommelte hienieden weiter als in Bamberg der Professor StephanDie fast unglaubliche Nachricht, daß dieser Mann willkürlich mit dem Gehörknöchelchen, der Hammer genannt, so an sein Ohrentrommelfell schlagen kann, daß es auch andere vernehmen, steht in Voigts phys. Magazin. B. 9. St. VI. S. 541. aus seinem Ohre mit dem Hammer heraus, gesetzt auch, man hörte das wenigste. Aber leider ist der Bellona kaum das jetztlebende Europa breit genug zur Sturmtrommel, und sie häutet Weltteil nach Weltteil ab, um die Haut über die Regimentstrommel zu spannen.

Gegen den Krieg schreiben ist allerdings so viel, als im Druck harte Winter scharf rügen, oder die Erbsünde. Denn bisher waren die Geschichtskapitel mit Krieg gefüllt, unter welche der Friede einige Noten setzte. Seit der Schöpfungsgeschichte treibt dieses wahre perpetuum mobile des Teufels die Vernichtungsgeschichte fort. Der Friede war bisher nur eine blühende Vorstadt mit Landhäusern und Gärten vor der Festung des Kriegs, der jene bei jedem Anlaß niederschoß. In der alten Geschichte trifft man wohl 120jährige Kriege an, aber keinen so grauen, lebenssatten Frieden.

Gleichwohl wäre ein Wort für den Krieg noch heilloser, als eines dagegen fruchtlos ist; in keiner Zeit aber mehr als in der jetzigen, wo die personifizierte Zwietracht, welche in Voltaires Henriade die Maschinengöttin ist, im heutigen Epos wieder einhilft, und wo (sind anders kleinliche Spielworte dem an sich kleinlichen Kriegsspiele angemessen) vernagelte Köpfe und 960 vernagelte Kanonen einerlei gelten wollen, und wo alle Blüten der Völker sich bloß den Sichelwagen der Kriegsminister auf ihren eisernen Gleisen unterstreuen sollen. Allerdings trägt das rednerische, dichtende und geschichtschreibende Volk einige Schuld an der Fortsetzung der Kriege durch die gemeine Fortsetzung seiner Kriegslobreden. Freilich ist es Rednern leichter – daher junge Schauspieler und veraltete Fürsten dasselbe wollen –, Tyrannen darzustellen als Friedensfürsten, so wie Klavieranfänger am liebsten Durtöne spielen. Alles Gute nimmt wie der Himmel nur wenige Farben an; es gehört mehr Kenntnis dazu, einen Friedensfürsten als einen Kriegsfürsten zu malen.

Indessen bliebe auch die Menschheit samt der mensch-ähnlichsten Tierheit – den Hunden, Pferden und Elefanten, diesem an unserer Seite mitfechtenden Tier-Geryon und Zerberus – ewig auf dem Schlachtfeld und Kriegsfuß stehen, und hälfe keine Friedenspredigt zum ewigen Frieden: so würd' ich sie gleichwohl halten; ist der Wille nicht zu bessern, so doch vielleicht das Urteil.

*

Allerdings müßte selber Klopstock sein Ja zu den Wunden und Flammen der wildesten Kriege geben, sobald eine freie Schweiz oder von Tataren das gesittete Europa überfallen würde; wenn er nicht zugeben wollte, daß der Angriffs-Barbar gebückt-folgende Völker an einer dünnen Sklaven-Kette, wie gefangne Löwen, hinter sich mitziehe, bloß durch sein Erscheinen siegend.

Freilich wurzelt dann auf dem Anfallskrieg der Abtreibungskrieg fort, und leider so, daß sich jener leicht in diesen verkleidet, weil nicht nur die beste Verteidigung Angriff ist, sondern weil die Politik auch Präservationskriege annimmt; d. h. eine Staats-Notwehr, ähnlich der eines Einzelwesens, das dem Mörder, der ihm auflauern will, früher auflauerte und den Todesstreich vorausführte, welcher dann, sobald er fehlglitte, wieder den Mörder in einen billigen Notwehrstand einsetzte. Wir erbärmliche Menschen! Unsere Laster organisieren einander notwendiger (wie hier Mord den Mord) als unsere Tugenden einander! Hinter einer Brust- und Kopf-Wehr, wie die eines Kants ist, der den ewigen 961 Frieden verfocht, den er jetzt selber genießt, darf man schon behaupten, daß die Menschheit bei dem letztern, wenn nicht der Gott der Liebe zugleich der Gott des Mordes sein soll, einmal ankommen muß. Der Krieg kommt endlich selber am Kriege um; seine Vervollkommnung wird seine Vernichtung, weil er sich durch seine Verstärkung abkürzt. Wie Schwarz – ein Name, der sein Pulver und dessen Zwecke und Käufer weissagte – jetzt schon die Zeit der Kriege in die Kraft derselben einschmilzt: so wird es künftig noch besser gehen – so daß Schwarz den zweiten Namen, Konstantin Anclitzen, wiederbekommt –, wenn jene sich, wie in der Mechanik, im umgekehrten Verhältnis der Zeit vermehrt. Es muß zuletzt nicht wie jetzt statt siebenjähriger siebentägige, sondern statt dreißigjähriger dreißigstündige Kriege geben. Der Mechanikus Henri in Paris erfand – approbierte – Flinten, welche nach einer Ladung 14 Schüsse hintereinander geben; – welche Zeit wird hier dem Morden erspart und dem Leben genommen! – Und wer bürgt unter den unermeßlichen Entwicklungen der Chemie und Physik dagegen, daß nicht endlich eine Mordmaschine erfunden werde, welche wie eine Mine mit einem Schusse eine Schlacht liefert und schließt, so daß der Feind nur den zweiten tut, und so gegen Abend der Feldzug abgetan ist? Dadurch wird der Schlüssel des künftigen Himmels – wofür Muhammed das Schwert erklärte – noch mehr der Schlüssel eines hiesigen Himmels, den wir unter dem blauen so nötig haben als unter dem trüben. Das Gift zerfrißt sein Gefäß wie der Magensaft den speiseleeren Magen. Das Gute braucht zum Entstehen Zeit – das Böse braucht sie zum Vergehen. Eine ewige, nicht an der Zeit sich heilende Unmoralität wäre eine Organisation der Menschheit zur Unmenschheit. Mit Frieden muß die Erde schließen; denn mit ihm hob sie an, so wie die gerade Linie eher als die krumme istDie krumme wird auf die gerade zurückgeführt; diese ist mehr zentral und verborgen, indes jene auf der Oberfläche läuft. S. Stransky, Beleuchtungen physiologischer etc. Gegenstände. S. 154.; daher vielleicht deshalb in den Saturnalien, dem Wiegenfeste der goldnen Friedens-Zeit, kein Krieg durfte angekündigt werden.

962 Die stehenden Heere treiben einander zu gegenseitigen Vergrößerungen so weit hinauf, bis die Staatskörper unter der Strafe Gewehrtragens erliegen und gemeinschaftlich ihre schwere Rüstung ausziehen; statt der jetzigen bewaffneten Neutralität, d. h. des Friedens, tritt eine höhere im Sinne Heinrich des Vierten ein. Auf der kleinen Erde sollte nur ein Staat liegen – um den häßlichen Widerstreit zwischen Moral und Politik, zwischen Menschenliebe und Landesliebe, zwischen dem England nach innen und dem nach außen auszutilgen –; nicht aber eben eine Universalmonarchie sollte sein, weil diese wenigstens die Bürgerkriege zuließe, sondern eine Universalrepublik von dreizehn vereinigten Provinzen weniger als von einigen Tausenden, oder ein Fürsten- und Staatenbund und Föderativsystem der Kugel. Um so etwas rein-unmöglich zu finden, setzt man die unbewiesene Fortdauer barbarischer Völker voraus, welche mit ihren Wildnissen den Marktplatz der gebildeten umgeben. Aber wie London Dorf nach Dorf in seine Gassen verwandelt, so löset unaufhaltsam allmählich die Kultur die obwohl breitere Wildheit in sich auf. Wäre nur erst ein Weltteil mit sich ins Reine und in Ordnung: in den drei andern würde sein Zepter bald aus einem Ladstock der Kanonen-Kugelzieher werden und die Höllenmaschine immobil machen, statt, wie jetzt, mobil; und da alle Kriege nur Malteser-Kriege gegen die Ungläubigen sind, würden sie wie die Malteser aufhören.

*

Wie? die Sittlichkeit will Duellmandate nur Einzelwesen, nicht Völkern geben? Eher müßte sie die Zweikämpfe als die Millionenkämpfe sekundieren; denn jene zeugen mehr Ehre, diese mehr Unglück.

Das Unglück der Erde war bisher, daß zwei den Krieg beschlossen und Millionen ihn ausführten und ausstanden, indes es besser, wenn auch nicht gut gewesen wäre, daß Millionen beschlossen hätten, und zwei gestritten. Denn da das Volk fast allein die ganze Kriegs-Fracht auf Quetschwunden zu tragen bekommt, und nur wenig von dem schönen Frucht-Korbe des Friedens, und oft die Lorbeerkränze mit Pechkränzen erkauft; – da es in die Mord-Lotterie Leiber und Güter einsetzt und bei der letzten 963 Ziehung (der des Friedens) oft selber gezogen oder als Niete herauskommt: so wird seine verlierende Mehrheit viel seltner als die erbeutende Minder-Zahl ausgedehntes Opfern und Bluten beschließen. Wenn jetzt der Krieg nur wider, nicht für die Menge und fast nur von ihr geführt und erduldet wird – aber dies doch in solchem Grade, daß der Heerführer schon im eignen Volke das Pressen anfangen muß, und daß ers mit allen Schätzen machen kann wie der Pulvermüller mit dem Salpeter in Sachsen, wornach er, wo er nur will, suchen und graben darf, nur unter dem Ehebette nicht –: so willigte gewiß ein jetziges Land in einen mehr opfernden als reichenden Krieg viel langsamer als sonst die barbarischen hungernden Völker, welche nicht anders sich satt essen konnten als mit dem Schwerte in der Hand als Gabel. – Die arme, die rüstige Schweiz, so wie der reiche Hansebund wehrten nur ab, fielen nicht an. Die Staats-Erhebung durch neue Länder ist häufig dem Volke nur eine Kreuzes-Erhöhung; und in der Tat kann eine Million Menschen nicht hoffen, besser regiert zu werden, wenn noch eine neue zu regieren dazukommt; dies hieße einen Lehrer durch die Vermehrung der Schüler besser lehren lehren. Dem Fürsten wird, wenn Arm und Hand ihm länger werden, eben darum das Auge kürzer. – Auch nimmt eigne und fremde Habsucht, folglich die Kriegsnähe mit der Größe der Adlersklauen und des Fanges zu. Reichsdörfer wurden sonst seltener mediatisiert als Reichsstädte. Wenn der Fürst sich eine neue Compagnie von Compagnien kauft: so wird eben das längere Land der bessere Langschub feindlicher Kugeln. Auch würde das Volk wissen, daß jeder Länder-Ansatz für den Fürsten selber nur ein neuer Ansatz an die Kriegstrommete wäre, und daß niemand weniger genug hat, als wer zu viel hat. Friedrich der Einzige gab im ganzen das Beispiel einer schönen Ausnahme; er bauete sein Land mehr in die Höhe als in die Breite aus und zeigte eben damit, daß Österreich, um ein Riesengebirge, und Rußland, um ein Äquatorgebirge zu werden, nichts brauche, als ihm nachzuahmen und – sich selber friedsam zu erobern. Bekommt Friedrich am jetzigen gallischen Nachmuster seines Kriegs vollends ein Nachmuster seines Friedens: welche Macht widerstände der Allmacht!

964 Und Himmel worüber und wofür wurden nicht oft Kriege erklärt, d. h. Ländern der jahrlange Geburtsschmerz zur Entbindung eines Marterfriedens verordnet! – Nicht einmal um Länder-Zusätze oder um arrondierende Vorleg-Länder: sondern aus afrikanischen Gründen; denn zwei NegerkönigeZimmermanns geograph. Taschenbuch. führten wilden Krieg miteinander über eine europäische Grenadiermütze, welche beider Gemahlinnen gern haben und aufsetzen wollten. Gott! wie viele Kriege um Grenadiermützen durch Grenadiermützen in der ganzen Geschichte! Aber Himmel! ists nicht genug, daß ein Paar fürstliche Lungenflügel sich Staaten als Flughäute ansetzen, und daß ihr Atmen wie Moussons die Völker bewegt: müssen noch vollends die kranken Blähungen des Zufalls dazukommen als Wirbelwinde der armen Staatsschiffe? Doch hat dies eine freudige Nebenaussicht. Denn wenn die Vorsehung an den Spinnenfaden von Privat-Nerven und -Fibern ganze Völker wie an eine Jupiters-Kette hängt, oder wie mit einer Sklavenkette zieht; und wenn gleichwohl die Erde mitten unter dieser Allmacht der Zufälligkeiten um eine höhere Sonne zieht, als wir sehen: so muß gewiß viel Vorsehung und viel Gott in diesem Faden-Wirrwarr walten und schlichten. – Indessen kann wohl die Aushülfs-Unerschöpflichkeit der Allmacht und Allwissenheit – beide Worte sind eins – eine Erdkugel auf ein Blutkügelchen stellen; aber der unverständige und unbeholfne Mensch darf den Zufall nicht auf die Länderthronen setzen und darf nur wagen für, nicht wider Allgesetze. Der Krieg, sagt ihr, entwickelt und enthüllt große Völker und große Menschen, so wie sich bei Regenwetter ferne Gebirge aufdecken. Sonach hätten wir denn lauter große Völker; denn alle rohe kriegten bis in die Bildung hinein; die Zaims und Timarioten, welche bei den Türken für ihre Rittergüter im beständigen Kriegsdienste und als Kinder in Körben und als Greise in Sänften beim Heere sein müssen, wären ein Kongreß vereinigter Geisterriesen. Wo aber stieg denn das größte kriegerische, das römische Volk, welches jahrhundertelang weniger im Blute der Völker watete, als auf dem Blute schiffte, endlich aus? Unten am Throne der römischen Kaiser als Kron-Gewürm. Der lange 965 peloponnesische Krieg machte keine Sparter, aber wohl Lykurg; große Völker entstehen nur an großen Menschen; und eine große Idee, eine Gesetzgebung entwickelt die Völker ganz höher als ein Schlachten-Jahr; und Preußens Monarchie wurde nicht von oder im, sondern hinter dem kurzen Kriege und trotz demselben von dem langen Frieden gebildet. Nur erscheint uns die Wintersaat des Friedens so leicht als Sommersaat des schwülen Kriegs; aber der unsterbliche Krieg mit Xerxes erschuf nicht erst die Griechen, sondern sie ihn, und er setzte sie voraus.

Die Kriege, selber für Freiheit geführt, verloren entweder oder nahmen eine; hingegen der große Gesetzgeber – und es gab deren mehrere, die keine großen Krieger waren, von Moses, Solon, Lykurg, Christus an – befreiet sein Volk, ohne ein anderes anzuketten; und selber Muhammeds kriegerischen Eroberungen waren vorher seine religiösen untergebauet.

Was man noch außer den Wirkungen des Friedens mit denen des Krieges verwechselt, ist die Ursache des letztern oder die Idee, um welche man ihn führt, die aber wieder dem Frieden zugehört, z. B. der Religion oder der Verfassung. Bekamen denn die friedliebenden Schweizer ihre Wunderkräfte der Tapferkeit gegen Östreich und Frankreich von langen Kriegen oder nicht vielmehr von Vaterlandsliebe her? – Erschuf den weiblichen, ungeübten Kriegs-Neulingen unter der Revolution der erste Feldzug oder nicht vielmehr die Freiheitsflamme die siegende Macht? Nicht der längste Friede an sich macht, wie die Schweiz zeigt, selbstisch, zaghaft, weichlich, sondern die Regierungsweise, welche nicht mit feurigen Ideen den scheintoten Staatskörper beseelt und anbrütet. Der despotische Orient lebt zugleich in ewigen Kriegen und ewigen Ohnmachten; England aber ohne Landkriege und ohne Feigheiten.

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»Der Friede verweichlicht die Völker«, sagt einer der Gemeinplätze, wo Irrtum und Wahrheit sich friedlich nebeneinander aufhalten und mit sich Versteckens spielen. Eine körperliche Verweichlichung steht keinen Hunger, eine andere kein Überfüllen 966 aus; eine kein Frieren, eine kein Schwitzen. Die klimatische Abhärtung ist meist partiell; der Altdeutsche verträgt nur Hunger und Frost, das Südvolk mehr Schweiß und Durst; so aber hält jedes Volk durch seine klimatische Weichlichkeit und Abhärtung zugleich dem entgegengesetzten eine andere Blöße und andere Rüstung entgegen. Übrigens härtet der Krieg nicht viel stärker aus als der Friede; denn dieser gibt dem Landmann, Seemann, Kaufmann, Handwerksmann, also der Überzahl Eisenmolken länger zu trinken als die kurzen, mit Schwelgereien unterbrochnen Strapazen einiger Kriegsjahre dem Soldaten. Auch steht Abhärtung weit unter Stärke; jene haben die mongolischen Völker, diese die celtischen – beweist Meiners; der Krieg aber kann nur jene geben, nicht diese.

Der Weichling Alcibiades spielte den Perser und den Sparter gleich gut; die Heerführer und Fürsten aller Zeiten gingen geradezu und glücklich aus dem auflösenden Tauwetter ihres Standes in den grimmigen Wolfsmonat des Kriegs; und die Neukonskribierten fochten mit Rußland nahe an dessen Klima. Die aus dem üppigen und heißen Afrika kommenden Karthager dauerten wie die Franzosen den frostigen Alpenzug aus; sie konnten also in Kapua nichts Körperlich-Neues finden, das sie entmannte und verweichlichte; doch kann Kapuas Einfluß selber bezeugen, daß das Stärken der Krieger durch Krieg etwas so Hinfälliges sei als (ist das Gleichnis erlaubt) das Stärken der – – Wäsche.

Desto seltsamer ists, eine so kurze, sogar mit Kriegen und Ausrüstungen versetzte Friedens-Zeit, als die preußische war, für eine auflösende papinianische Maschine der Staats-Maschine auszugeben; falls es nicht etwa gar Ironie ist, von Verweichlichung zu sprechen bei kalter Sonne, karger Kost, kleinem Gelde, ewiger Arbeit. Auch sonst ist für Krieg und Menschheit die Behauptung schimpflich und unwahr, daß siebenjährige Erhärtungen in so kurzer Zeit zerfließen – daß der Mensch nur erst eine harte Haut bekomme, wenn auf sie und von ihr geschlagen wird – daß nicht Freudigkeit, sondern nur Schmerz sie gegen den Schmerz verpanzert, und daß erst Länder zu Gräbern umgeackert werden müssen, um einige Helden zu säen.

967 Was aber verweichlicht und die Festungswerke der Seele schleift, kann Krieg und Friede gleich gut zuschicken, nämlich die Herrschaft des Genusses über die Idee. Der Körper sei siech, weich, weichlich und weiblich: setzt z. B. ein Mutterherz hinein, so ist er eine Bergfestung, und die Kinder werden durch keinen Sturm erobert. Entzündet in der Jungfrau Liebe – wie in Hannibal Römerhaß –: sie geht auch über die Alpen und kann sterben und töten. Folglich kann ein Friede ebensogut durch eine Idee – es sei Freiheit, oder Religion, oder Ehre – den verzärtelten und genußhungrigen Körper gleichsam dem siegenden Geiste vorspannen, als ein Krieg ohne diese Idee den Geist im abgehärteten Körper gleichsam als einen gepanzerten Patienten hinlegt. – Das immer fortdauernde Kriegsfeuer brannte doch die Kaiser-Römer nicht härter aus, sondern schmolz sie durch das Verquicken mit dem Golde der Welt nur flüssiger zusammen.

Übrigens frißt der Fettfleck des vorherrschenden Genusses, so wie ein Fettfleck an einer Marmorsäule, unaufhörlich weiter und entblößt am Riesen eine so tödliche Stelle, als an dem durch Drachenblut hornhäutigen Siegfried (im Nibelungen-Lied) die kleine verwundbare war, welche ein Lilienblatt während des stärkenden Blutbades überdeckt hatte. Denn indes Lügen, Rauben, Töten sich von selber ihre Feinde anwerben und sich dadurch hemmen: so findet die Genußsucht neben sich nur Bundsgenossen und wächst, wie das Gift der Luft, durch Gesellschaft.

Ungeachtet der Friedensschlüsse, welche so oft die Uriasbriefe der Zukunft sind, kann man im allgemeinen voraussetzen, daß jeder Friede nur aufgeopfert werde, um einen festern zu machen. Die Unterbrechungen des Friedens und des Kriegs behalten auf etwas Höheres Bezug; aber der Friede wiegt über. Ein ewiger Krieg würde ganz anders entkräften als ein ewiger Friede, so wie ein Mensch, dessen ganzes Leben bloß über lauter Schlachtfelder gegangen wäre, mehr vom Vogel, dem Würger, als von einem Würgengel haben würde.

Was dem Frieden die Wohltaten verfälscht und schmälert, ist eben, daß er alte Kriegs-Wunden zu verschließen und zu neuen auszuholen hat. Wollte ein großer Staat nur die Hälfte seines 968 Kriegs-Brennholzes zum Bauholz des Friedens verbrauchen; wollt' er nur halb so viel Kosten aufwenden, um Menschen als um Unmenschen zu bilden, und halb so viel, sich zu entwickeln als zu verwickeln: wie ständen die Völker ganz anders und stärker da.

Wie viel mehr hat das kleine friedlichere Athen für die Welt getan als das würgende Riesen-Rom! Nur viel hätte die Wölfin Rom gegen die Welt in ihrem geifernden Toll-Werden getan und ihr Wunden nach Wunden gerissen, hätte Gott nicht dagegen Christentum und den Norden geschickt. Stärke sich selber die Kraft im Kriege, so reibt sie wenigstens die andere feindliche auf, die sich auch stärken wollte; hingegen im Frieden bewegen Kräfte sich an Kräften nur höher, keine wird eingesargt, sondern das ganze geistige Uhr-Spiel windet sich selber zu immer längern Zeiten-Schlägen auf.

Wenn sonst die Kriege, z. B. Alexanders, der Kreuzzieher, Säe- und Dreschmaschinen der Wissenschaften waren: so legen sie jetzt die Streitaxt an den Erkenntnisbaum, indes der Friede den Baum abernten würde, ohne ihn umzuhauen, und ihn wohlfeiler düngen und treiben könnte als mit eingegrabnen Leichen. Allerdings mag die Völker-Entwicklung, sowie die jüdische Religion, ihre ersten rauhen Stufen auf blutigen Opfern durchgehen; aber die höhere Entwickelung fodert, wie die christliche Religion, höhere Opfer als leibliche. Der vortreffliche Verfasser der »Hieroglyphen« wende mir nicht China und Japan ein; sonst setz' ich ihm die ruhige Schweiz und das unruhige Italien entgegen; wirft er mir wieder bei diesen die Regierungsformen ein, so tu' ichs auch bei seinen Beweisländern. Keine Despotie hebt sich, wie wir ja an den letzten Römern sahen, auf Schwertern aus dem Seelenschlamm.

Wenn man das gewinnende Volk in seine beiden Teile sondert, in den Krieg führenden, in den ihn erleidenden: so gewinnt vielleicht letzterer das meiste durch Verlieren, Abhärten u. s. w.S. Friedenspredigt. Aber könnte ein menschenfreundlicher Fürst nicht auch im bloßen Frieden – ohne Menschen-Töten – dieselben Kräfte an seinen 969 Untertanen entwickeln, indem er sie bloß eben die Übel, Entbehrungen und Requisitionen, ja sogar einige Gewalttätigkeiten des Kostüms erfahren ließe? Könnt' er nicht Abgaben zu Requisitionen erheben? Wie leicht und sanft könnte ein Fürst alle unblutigen Stärkungen des Kriegs zu genießen geben, wenn er z. B., anstatt Soldaten einzuquartieren, bloß die Bürger selber ausquartierte (denn die Einbuße wäre dieselbe); – wenn er statt feindlicher Durchmärsche freundliche Rast-Jahre, statt ähnlicher Belagerungen der Städte Besatzungen derselben, statt Kriegsfuhren Fronfuhren und mehr dergleichen erwählte! Wäre es denn nicht ebensogut als ordentliches Furagieren oder als die Entsatz-Krone aus Gras (corona obsidionalis)Pancirollus de reb. perd. Bekanntlich wurde den Befreiern einer Festung eine Krone von dem Grase gereicht, das während der Belagerung darin gewachsen war., wenn ein Fürst in seinem Namen durch Hirsche oder durch andere Leute so viel und noch mehr Grünes abmähen ließe, als in belagerten Städten kaum wächst?

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Der Glaube an Heilungskraft der Kriegs-Gifte gründet sein Wahres bloß auf die Geschichte verwelkter Völker, welche bloß durch neu antreibende verdrungen oder befruchtet wurden. Wie man Schwächlinge durch Auslassen ihres Blutes und Einlassen eines tierischen in sie neu belebt: so erstarkten durch Infusion wilder Völker abgemattete. So wurde öfters Europa durch Schläge gefirmeltoder per baculum investiert. Eine Note hat keine zweite nötig, oder sonst endigt das Notieren nicht.; so peitschte der Krieg Völker-Wechselbälge, damit das vertauschte Volk zurückkäme, wie man Kielkröpfe, die der Teufel untergeschoben, so lange geißelt, bis er die ausgewechselten Geburten zurückbringt. – Aber wir Deutschen sind, scheint es, noch nicht verwechselt oder vom Teufel in diesen Fall versetzt.

Gebildete Völker können durch Bekriegen vielleicht einige klimatische Eigenheiten der Bildung gegeneinander auswechseln; ob aber durch Handel, Bücher, Reisen und jetzige Allgemeinschaft nicht das kriegerische Bilderstürmen der göttlichen 970 Ebenbilder der Menschen – bloß um sie neu anzumalen – entbehrlich sei, spreche die Frage selber aus. Wiegen einzelne Entwickelungen die Verwicklung des Ganzen auf? Oder der Flor kriegerischer Kräfte den Fall aller friedlichen? – Übrigens find' ich der großen Menschen nach Verhältnis mehr im kurz-lebenden Griechenland als im lang-kriegenden Rom; und wir hätten vom Glück im Unglück zu sagen, wäre seit der französischen Revolution nur jede Schlacht die Mutterzwiebel oder die Wehmutter eines neuen großen Mannes geworden, und hätte man für die gefüllte Schädelstätte eines Schlachtfeldes stets einen großen Kopf erkauft. Aber die Zeit ist jetzt größer als ihre Menschen. Große Männer haben sich meistens auf dem Freiheits-Forum, in Kreuzschulen, in wissenschaftlichen Friedens-, nicht Kriegsschulen entfaltet; und Sokrates lernte nicht erst von seinem Feldzuge den Tyrannen und dem Giftbecher widerstehen.

Allerdings hat das Schlachtfeld eine Blumenerde, wo etwas Großes wächst und treibt, ähnlich der Fackeldistel, die sich bloß durch Stacheln nährt – es ist ein Feld-Held.

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Laßt uns einige Augenblicke mit einem friedlichen Beschauen der Helden zubringen und das Bewundern verschieben; um so mehr, da die Zeitungs-Gemeinschaft, vor dem Kanonenblitze, wie sonst die Bauern vor jedem Wetterleuchten, unnötig den Hut abzuziehen, immer mehr vom Pöbel heraufsteigt unter das Volk, ja bis zu dessen Beherrschern; so daß jetzt wieder, wie in den mittlern Zeiten, Genie die Kunst zu heißen anfängt, Wurfwerkzeuge des Kriegs zu handhaben.

Wohl ist für jetzige Staaten ein Geschenk Gottes ein großer Feldherr, so wie für jetzige Lazarette ein großer Feldscherer. Aber worin besteht seine Scheingröße und seine Größe? – Vor dem Pöbel steht freilich ein Mann erhaben da, der in seinem Bette liegt und Länder mit Ländern multipliziert oder dividiert; denn der Pöbel rechnet die gedachte Größe zur denkenden, die des Gegenstandes zu der der Anstrengung; nach diesem Maßstabe müßte ein Meßkünstler den Flug der Sonnen viel schwerer auszurechnen 971 finden als den der Schwalben, dem Silberschlag mit seinen Rechentafeln nicht nachkommen konnte. Mit einer ähnlichen bloßen Zahlengröße will die rabbinische MythologieZ. B. in jeder Höllenwohnung sind 700 Löcher; an jedem 700 Risse; in jedem Risse 700 Skorpione; an jedem 700 Gelenke; an jedem Gelenke 1000 Fässer Galle zum Peinigen der Verdammten. Flügges Geschichte des Glaubens an die Unsterblichkeit. B. I. – im Gegensatze gegen die sachen- und bildergroße Mythologie anderer Völker – blenden und malen, indem die Rabbinen, wie Handelsleute und Kinder, Größe Gottes, der Hölle u. s. w. in Zahlen suchen.

Ebenso kleinlich wird der Bewunderungs-Wahn, wenn ers an der Helden-Macht groß findet, an einem Zungenbande Völker und Pferde und Wagen zu ziehen und zu lenken; denn auf die Thronspitze gestellt, wohnt diese Zungen- und Feder-Kraft dem kleinsten jüngsten Männchen bei, das kaum seinen dicken Zepter umgreift. Ein Kron-Kind kann die Rechen- und Spinn-Maschine eines fertigen Staats umdrehen. Der Mordbrenner des ephesischen Tempels wurde noch unsterblicher als dessen viele Erbauer; ohne jenen würde der Tempel unter so vielen eingestürzten nicht so viele Federn bewegt haben, als er jetzt tut schon für Anspieler.

Aber was trägt denn der Feld-Held für Kronen? Drei, wie ein Papst. Die erste ist die mathematische der Kriegs-Statik und -Mechanik. In London ließ John Clerk, der nie auf einem Schiffe gewesen, wenige Exemplare von seiner neuen See-Taktik abziehen – einige erhaschte wurden die Gesetzgeber der britischen Seemacht, und der Stubenmensch teilte auf seinem Sessel Siege auf dem Weltmeere aus. Dieselbe mathematische Kraft, womit nachher der Feldherr statt unbenannter Zahlen benannte Menschen in Divisionsexempel auftürmt, besaß an und für sich der gute Taktik- und Strategie-Schreiber samt den Landkarten zu Hause neben sich. Vielleicht erklärt sich daraus Heinses Bemerkung in seiner Anastasia, daß viele große Feldherrn das Schachspiel sehr geliebt und verstanden, diese spielende Mathesis und Kombinations-Rechnung. Von dieser Seite nun betrachtet, dürfte 972 zuweilen mehr Kraft dazu gehören, einen Helden abzumalen, als einer zu sein; und Newton und la Place tragen höhere Kronen, als die erste dessen ist, welcher von ihnen angewandte Kriegs-Meßkunst lernt.

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Aber der Feldherr hat eine zweite auf dem Haupte, die des Muts. Furcht und Mut stecken an; wenn aber sich leicht beweisen läßt, daß die Völker nur im seltensten Falle feige sind; so gibt das Heer dem Feldherrn ebensoviel Mut als er ihm. Überhaupt ists schwer, auf einer von tausend funkelnden Krieger-Augen umlagerten Anhöhe davonzulaufen. Es ist leichter, vor einem als vor vielen feige zu sein oder sonst etwas Ehrloses; und vor Monarchen standen öfter Erblassende als vor Heeren. Ferner: der Sieger wird genannt, aber selten die Sieger, mehr der befehlende Mut als der gehorchende, und den Überlebenden stirbt die Lorbeer-Erbschaft der Gebliebenen zu. Vollends der Held selber, dastehend auf dem Hügel und seine Unsterblichkeit durch fremdes Sterben erobern sehend, kann sich an und für sich nicht für den Ungemeinen gegen einen Gemeinen halten, der sein nacktes Haupt unbekränzt in die Erde einhüllt, und welcher ihm mit dem gebrochenen Zähler-Wert zufällt. Aber ists nicht mehr Ehren-Mut, zu sterben ohne Ruhm, als zu leben von Ruhm? Gleichwohl ist nicht einmal der Mut der gemeinen Einzelnen hinauszuheben über den Mut des ungemeinen Einzelnen, welchen eine Masse auf blutigen Flügeln unverblutet in den Himmel vor dem Erdkreis trägt. Der Gemeine bekömmt so gut als sein Feldherr den Glanz nur durch Masse und Menge; aber daß letztere oder daß tausend Köpfe und Herzen sich zu einer Idee und Kraft verschmelzen und zusammenziehen, dieses Lob der Unsterblichkeit ist ein Preis der Ewigkeit und gehört dem ganz andern Wesen zu, das im All früher Sonnen als Soldaten ziehen hieß.

Ein französischer Soldat war (nach einem Anekdotenbuche) im Leipziger Schauspielhause etwas ärgerlich über die bewundernde Aufmerksamkeit auf einen französischen General, der oben aus der Loge heraussah. »Pah! was großer Mann!« versetzte der 973 Franzose den Bewunderern. »Wir (Franzosen) sind alle groß.« Aber er hatte vielleicht ebenso viel Recht als Eitelkeit.

Der rechte Mut ist nicht der an schlechte und gute Völker, an Rekruten und sogar Tiere verschwendete Kriegs-Mut und Wunden-Trotz, sondern der Mut im Frieden, im Hause, vor dem Throne, vor dem langen Unglück. Aber diese Festungswerke eines sokratischen, katonischen, altchristlichen Mutes legen um den Geist nur die Religion, Weisheit und der Charakter an. Mehrere Helden waren zu Hause oder auf dem Blutgerüste Feiglinge; aber die rechte Tapferkeit steht nicht einigen oder gewohnten Gefahren – denn niemand ist so furchtsam, daß er nicht irgendeine bedeutende Gefahr wüßte, die er leicht berennet –, sondern allen und ungewohnten; und eine solche Geister-Eiche pflanzt der Friede, der Grundsatz, die Freiheit. Montesquieu sagt: die Frau kann nicht im Hause, aber wohl auf dem Throne herrschen (d. h. besser über viele als über einen); viele Eroberer und Feldherrn sind im ähnlichen Falle und beherrschen mutiger die auswärtige Menge als den Einzelnen im Vorzimmer oder sich selber.

Die dritte und letzte, folglich höchste Krone des Helden ist die Besonnenheit mitten in Stürmen der Gegenwart. Nur deutsche Weitläuftigkeit könnte hier dem Leser das leichte Geschäft abnehmen (und dafür das lästigere der Geduld aufladen), die kriegerische und die friedliche Besonnenheit in Gefahren gegeneinander auszuwägen.

Wer vor einem blutroten Gemeinderate der Revolution steht, und nachdem er das Wort gehört: du verlierst deinen Kopf, dennoch seinen zeigt oder aufsetzt: der hat eine Schlacht gewonnen schon vor Tod und Fallen.

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Daher fodert der säkularische Held, welcher den alten französischen Sprachgebrauch, der die Feldzüge der französischen Könige Reisen nenntMeiners' Geschichte des weiblichen Geschlechts. B. 2., zu einer bloßen Wahrheit macht, durch ganz andere und seltnere Kräfte, die er nicht mit seinen Generalen teilt, seine Lorbeere ein. Es kostet mehr Anstrengung und Bewegung, 974 einen hohen Thron zu besteigen, als ihn zu besitzen. – Alexander, Cäsar, Karl der Große, Friedrich II. waren schon einsame Helden, nicht bloß obligate. Sowohl die Menge als die Vergessung so vieler berühmter Feldherrn seit der Revolution entscheiden über den Gehalt des Feld-Ruhms. Welche große Feldherrn der ältern östreichschen Kriege, so wie der französischen und englischen, wurden ihren Opfer-Heeren nachbegraben, wenn sie sich nicht durch Zepter oder Feder außerhalb der Gräber entfernt erhielten! Und welche gewöhnliche Menschen waren nicht die Ziethen, Tillys u. s. w. außer ihrem Kreise, d. h. die längere Zeit hindurch! – Wendet man ein, der letztere Fall gelte auch für jedes Kunstgenie außerhalb seines Zauberkreises, z. B. für den Kind-Engel Mozart: so gibt man eben zu, daß der bloße Feldherr an und für sich kein großer Charakter und Mensch – denn dieser breitet sich über das ganze Wesen und Leben aus –, sondern der üppige fette Sprößling einer Kunstfertigkeit sei. Der Künstler braucht es nicht überall zu sein, der große Mensch aber muß es.

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Wenn Shakespeare Feldherrn hinzeichnete, so hatte er einige Kräfte mehr als die Urbilder selber, deren Werk ohnehin wie das eines Schauspielers auf dem kurzen Augenblick und dann auf dem Mitspiel der Nebenspieler aufruht. Wenn der große Sophokles für seine Antigone die Feldherrnstelle auf Samos bekam: so war dieses bloß ein Lohn seiner Arbeit, der bekanntlich nicht wieder eine höhere sein soll; und wenn Äschylus auf seinen Grabstein nur seinen Kriegs-, nicht Dichterruhm setzen ließ: so war dies vielleicht Bescheidenheit.

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Die Eroberer wird kein Buch erobern und bereden; aber gegen das vergiftende Bewundern derselben soll man sprechen. Schelling redet »von einem fast göttlichen Rechte des Eroberers«; er hat aber die Straßenräuber gegen sich, welche in dieser Sache einem Alexander und Cäsar ins Gesicht dasselbe für sich behaupteten; und welche wieder den Kaiser Markus Aurelius für sich 975 haben, der die in Dalmatien gefangenen Räuber zu Soldaten avancieren ließ.

»Ich habe eine Idee,« sagt Sokrates, »und daran setz' ich mein Lebens-Wohl und mein Leben selber, denn fremdes darf ich nicht.« – »Ich habe eine Idee,« sagt der Eroberer, »und daran setz' ich Völker, Dörfer und Städte und erfülle meine und feindliche Landeskinder mit Blutdurst und Fleischhunger und leide kein fremdes Dorf, das nicht Tourtour, und keine fremde Gasse, die nicht Elenden-GasseTourtour, d. h. Tortur, heißt (nach Millin) ein Dörfchen im südlichen Frankreich von den häufigen Hinrichtungen Vornehmer. In den meisten alten Städten, sagt Nikolai, gibts sogenannte Elend-Gassen, weil sonst Fremd Elend hieß. heißt, und verdopple die SarahwüsteDie Sarah-Wüste ist bekanntlich so groß als Europa.: mehr kann ich für eine Idee wahrlich nicht tun.« Dies beweiset aber schön, daß ein Eroberer sich mehr aus Ideen mache als ein Philosoph. Kaligula wünschte nur einen Kopf des Volks, um ihn abzuhauen, der Eroberer nur einen geistigen, um ihn aufzusetzen. Was hilft indes alles Predigen der Geschichte! Wie wiederholte sie nicht stets, daß alle von Blut-Katarakten zusammengeschwemmte oder -geleimte Länder – z. B. eines Alexanders, Karls des Großen, der barbarischen und der orientalischen Ungeheuer – niemals beisammen geblieben, sondern daß häufig selber die, welche leimen geholfen, nachher geteilt und zerrissen haben! Immer glitten die durchstochnen, durch ein Schwert aneinander gereiheten Länder wieder davon herab, sobald die blutschwarze Hand, die es hielt, sich vor dem Tode senken mußte. Der Staat gleicht dem Glase: das dickste zerspringt am leichtesten in Hitze oder Kälte.

Wie sollte auch das Schreien der Geschichte oder der Blutstimmen oder der Steine etwas helfen! Ein Mensch und Alexander wird wie ein Volk und Rom eher der Freuden als der Länder satt; Alexander hätte sich gewiß nicht mit dem winzigen Trabanten der kleinen Erde begnügt, mit dem Monde, wenn er eine Aufziehbrücke dahin gefunden hätte, sondern er wäre gerade auf die Hauptstadt des hiesigen Planeten-Reichs, auf die Sonne, losgegangen und hätte daselbst nach der Eroberung Kriegskarten vom Hundsstern verlangt, so daß es wirklich den Eroberern (schon 976 das Wort ist hart) ergeht wie (nach Eisenmenger) zufolge den Juden uns Christen, denen in der andern Welt zur Strafe die Zähne zweiundzwanzig Ellen lang herauswachsen; ein Gebiß, womit man besser sich verteidigen als ernähren kann.

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Fragt doch die Angaffer der Riesenländer: welche Länder waren glücklicher, gediegner, weiser, die großen oder die kleinen? Vergleicht Athen, Sparta, die Hanse-Republiken, einzelne italienische Staaten – mit orientalischen Reichen, mit China, mit dem vorigen Rußland. Riesenstaaten gleichen der Riesenmuschel, deren Schalen sechs Zentner wiegen und der Fleisch-Inhalt 25 Pfund.

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Allerdings ist der Krieg so gut erhaben als die Pest in Athen oder Marseille; und der Verf. dieses hat schon früherTitan IV. an dieser in unserem Frieden wohnenden Mord-Sphinx die Löwen-Reize anerkannt. Es ist erhaben, wenn Römer und Karthager auf einem Boden fochten, den das Erdbeben unbemerkt unter ihnen erschütterte. Es ist noch erhabner, wenn bei Mutina die Veteranen der Legio Martia gegen zwei andere Veteranen-Legionen anrücken, nach Zurücklassung von fünf Tironen-Kohorten, um reiner zu kämpfen – wenn diese zwei Heere alter Helden ohne Feldgeschrei und stumm wie Todesengel aneinander würgen, ein Würgeengel am andern – wenn sie dann mit stummer Verabredung die müden Waffen einige Minuten niedersenken – und wenn beide Heere sich endlich schwer auseinanderziehen, jedes seine Hälfte als Leiche nachlassend.

Dieses menschlich-Erhabne ist inzwischen dem tierisch-Erhabnen, das den ganzen Frühling mit einem ähnlich stillen Wechsel-Mord der Tiere einnimmt, etwas verwandt. Oder muß sich denn immer stehende Menschheit auf liegender heben; oder Mensch-Heroen auf Mensch-Untieren? Im Himmel setzten sonst Engel keine Teufel voraus. Und was brauchen wir weiter? Wenn ein Sully – kein gemeiner Feldherr und ein tapferer Fürsorger 977 für Feldherrn und seinen köstlichen Helden Heinrich – Kriegslust scharf verachtet – wenn David keinen Tempel bauen durfte, weil er Kriege geführt – und wenn die ersten Christen sie unter ihrer Religionswürde fanden – wenn die blutbetrunkenen Römer sich nach Schlachten wuschen von innern Blut-Flecken – wenn sie Lebensstrafen außer dem Lager vollzogen, um nicht ihren Adler mit Blut zu besudeln, obwohl er nichts anders soff – wenn ihr Flamen dialis ein gewaffnetes Heer nicht einmal sehen durfte – Sparter sich stets nur langsam (wie ein neuerer König) zum Kriegen entschlossen – und wenn die Tiere kriegen gegen Tiere, gegen Menschen und neben Menschen: so war vielleicht auch mir ein Wort gegen den Krieg selber nachzusehen.

 


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