Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

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VII.
Evangelien und Jeremiaden der Zukunft

Die gewisseste Prophezeiung ist, daß sich eher nach dem 100jährigen Kalender des Wetters als nach dem 6000jährigen der Geschichte prophezeien läßt. Ich habe schon an einem andern Orte – aber mit andern Worten – die Frage getan: ob sich jemand den Ausgang eines Kriegs- oder Schachspiels zu erraten getraue, wenn in jeder Minute die Königin (z. B. die britische Elisabeth, oder die russische im siebenjährigen Kriege) kann weggenommen, oder ein neuer Offizier kann eingesetzt werden (z. B. in Paris). Dergleichen nimmt sich aber der Freund Hein täglich heraus, der dabeisteht und zusieht. Monarchien ist darum schwerer aus der Hand zu wahrsagen als Freistaaten, eben weil jene mehr durch Einzelner Leben steigen oder fallen, diese mehr durch das Gesamtleben. Ich habe mir daher vorgesetzt, mir in meinen Prophezeiungen sogleich auf der Stelle zu widersprechen, nicht aber, wie so manche politische Monatsschriftsteller, zu spät hinterher; auch ists viel wahrscheinlicher, daß unter zweien entgegengesetzten eine zutrifft als eine allein, falls sich nicht eben etwas anderes zuträgt.

Um nicht als Abschreiber und Plagiar der Wirklichkeit zu erscheinen, nennt man am besten das Datum seiner Weissagung; und dies ist der heutige Oktobersfeiertag 1808, ein bekannter Staats-Karfreitag, wozu Thronen und Berge als Schädelstätten aufstanden; ich sage aber als gewiß voraus, daß ein und der andere Staat künftig unter drei Rollen wählen wird, entweder wieder aufzuerstehen – oder sich am Kreuze zu bekehren – oder vom Kreuze aus zum Teufel zu fahren.

Im Jahr 1529 verwüstete uns eine tödliche Seuche, der englische Schweiß genannt, welcher man nur entkam, wenn man den Hang 1001 zum Schlafe überwand. Ein Mann, der sich, wie ein Völker-Nota Bene, N. B. schreibt, läßt zwar nicht mehr schlafen; aber die armen Deutschen werden sich doch an der britischen Krankheit totschwitzen, sobald nicht auch die deutschen Fürsten sich des kameralistischen Schlafes erwehren. Freiheit der Meere gibt uns nicht von der kaufmännischen Knechtschaft des Landes los, sobald England uns bei dem Frieden mit dem ausgeschütteten Fabrikluxus Gold und Fabriken zugleich wegschwemmt und unserer dürftigen Kaufunlust durch die niedrigen Preise seiner aufgehäuften Waren abhilft. Neben der Neuheit des Genusses wird noch der Spekulations-Einkauf der Fabrik-Juden bei der Gewißheit bald steigender Preise der ersten guten Rückwirkung des Geldmangels die Waage halten und diesen folglich verdoppeln. Nur wache Fürsten könnten helfen und heilen, wenn sie die Kosten stehender Heere auf die Nachahmung des großen englischen Fabrikwesens aufwendeten – was jetzt freilich während der Kontinents-Sperre an und für sich am leichtesten gelänge –, und wenn sie geradezu jeder englischen Luxus-Ware ihren Hof verböten. Die kriegführenden Höfe in ihren englischen Kleidern gleichen einer scharfsinnigen Versammlung von Philosophen und Aszeten, welche gegen Leiber-, Gaumen-, Augen- und Fleisches-Lust eines der vergnügtesten Disputatorien, ja Konzilien halten und kaum auseinander wollen, da sie sich mit ihren Kindern, Weibern und Mägen so gut bei der Tafel unterhielten. Dies mag andern als dem Verfasser die erste Jeremiade des Aufsatzes scheinen. Die Deutschen und Franzosen machen es mit den britischen Waren wie die Ägypter mit den Katzen: die alten wurden von ihnen angebetet und erhalten, aber ihr Fortpflanzen verhindert und die Jungen ersäuft. Alles beweiset, wie beide Völker das Gute auch am Feinde nicht verkennen, sondern es vielmehr anziehen, umwickeln, umbinden oder aufsetzen. Ja die englischen Waren waren ehrenhaft – wie der verbotne Baum mitten im Paradiese (1. Mos. III. 3) – so mitten in europäischen Märkten zu haben und gewannen den Vorzug, sogar vom Verkäufer zweimal gekauft, wie oft vollends vom Einkäufer verkauft zu werden! So wurden sie nicht, wie sonst arme Juden in Spanien, zum Feuer 1002 verdammt, sondern, wie reiche daselbst, geadelt und zu hohen Stellen befördert.In Frau d'Aunoy Reisebeschreibung durch Spanien im 17ten Jahrhundert (eine der besten, da sie nicht, wie Fischer, das Äußere, sondern das Innere und Vornehme darstellt) steht es, daß in derselben Woche, als man zwanzig arme Juden unerbittlich verbrannte, reiche am Hofe als Marquis, San-Jago-Ritter, königliche Pächter waren, freilich gegen Geld.

England tut uns mehr durch den verkauften Fabrik- oder Eitelkeits-Luxus Eintrag als durch den des Kolonial- oder Genuß-Luxus; denn jenem entsagen die Menschen am schwersten, und eine Frau entbehrt leichter ihren Kaffee als ihren Shawl, und sogar der Mann, z. B. der Offizier, deckt mit Gold und Tuch gern die Leibes-Leere zu.

Unter meine Evangelien der Zukunft gehört es, daß die Fürsten künftig zur Stelle der bisher tafel- und hoffähigen englischen Waren nur inländische, und zwar nur die teuersten, zum Gala-Luxus erheben werden, weil man mit einer teuern so viel Schimmer wirft als mit einer ausländischen. Wenn oft Fürsten verderbliche Modetrachten durch Missetäter strafend an den Pranger stellten: so werden sie künftig nützliche durch Hofleute lohnend auf die Thronstufen bringen.

Nach der Leidenswoche des Kriegs – in der jeder Fürst sich und andere am besten bekehren kann – wird mit der Osterwoche des Friedens die sogenannte Osterspaßpredigt anbrechen. Kommt die Taube (fast in Adlersgestalt) mit dem Ölblatte über das sündflutliche Deutschland geflogen: was deckt es an sich nach dem Versiegen auf? In jedem Falle altes Grün (denn woher hätt' es sonst die Adler-Taube genommen?), überhaupt eine lustige Zeit. Der Nachlaß der An- und Überspannung beim Nachlasse der Not – der Reiz und Rausch eines wohlfeilen ungestörten Lebens – der Wunsch, sich am Nachholen entbehrter Genüsse zu erholen – das kräftige Nebeneinanderströmen des Handels und der Politik – das erste Zusammenrücken kauflustiger und verkaufslustiger Völker – die Zunahme der bisher aufgeschobenen Ehen, ja der aufgeschobnen Taufen – alles dieses wird viel von dem Leben nach dem 10ten Jahrhundert, wo die große Pest ableerte, und von dem nach dem dreißigjährigen Kriege, welcher noch 1003 mehreres als Leben wegriß, wiederbringen und erneuern, nämlich ein schwelgendes. Aber sowohl im 11ten als 17ten Jahrhundert war der nachkommende Luxus nicht bloß die Folge von Reichwerden durch Erbschaft, sondern auch eine von Aufhebung der Furcht. Nach einer weggenommenen Furcht hat jeder einen besondern Hang, sich durch Wohlleben zu erfrischen. Daher geht der gemeine Mann nach dem besiegten Unfalle ins Wirtshaus und der vornehme in die Ressource.

Nie vermag – wie Östreich, Preußen u. s. w. zeigen – ein Fürst über sein Volk mehr als nach Landes-Unglück und Landes-Schmälerung; denn man ist lieber Engeln gehorsam als Schergen; und nach dem Kriegsgewitter steht jeder Landesherr immer als Schutzengel unter dem Regenbogen des Friedens. Was werden also nicht unsere Fürsten vermögen! Zumal wenn sie ihre Kräfte nur nach innen, nicht nach außen kehren und keine Feinde bekämpfen als die, welche jeder römische Zensor besiegt, und überhaupt das Fremde den Fremden überlassen; denn derselbe Brennspiegel, der mich Fürsten vergrößert darstellt, kann mich auch eingeäschert nachlassen.

Evangelium: Die jetzige Einbürgerung der den Globus umgreifenden Juden und Kuh-Pocken verheißt der Zukunft unberechneten Reichtum an Geldern und Menschen. Insofern die Juden reine Staatsfreie werden, höret ein Teil des Staates auf, ihr Beutel-Leibeigener zu sein, und wir verändern uns mit ihnen zugleich. Aufhebungen tausendjähriger Verhältnisse können ihre größte Wirkung wieder nur in großen Zeiträumen offenbaren; nur setzt der mitten unter den Größen der Umwälzungen stehende geblendete Mensch zu oft die Folgen in seine Nähe, wie man (nach Goethe), von Gebirgen umrungen, alle Gegenstände für näher hält. – Noch weniger auszurechnen ist die Einwirkung der durch Jenner so schnell anwachsenden Menschen-Flut, welche ebensogut ein Eisgang als ein Nil werden kann; denn der niedrige Damm, den gutmütige Krieger entgegenstellen durch tötende Batterien, hält wenig auf, da ja schon mitten unter ordentlichen, noch von keinen Einimpfungen entkräfteten Blattergiften die davon unterstützten Kriege so wenig vermochten, die Menschen 1004 auszurotten, sondern sie eher vermehrten, wie Konskribierte und Findelhäuser genugsam bezeugen. Die Menschen können sich künftig nach MalthusNach ihm verdoppelt die Volksmenge sich in 25 Jahren (nach Euler gar in 12⅘). Da nun die Menschen sich in geometrischer Fortschreitung vermehren, die Nahrungsmittel aber nur in arithmetischer: so verhält sich, wenn man 1000 Millionen Menschen nimmt, die Bevölkerung zur Nahrung im 2ten Jahrhundert wie 256 zu 9, im 3ten wie 4096 zu 13. – Aber schon Süßmilch bewies in seiner göttlichen Ordnung etc. I. S. 290, daß alle Weltteile 1600 Jahre nach der Erschaffung so bevölkert sein konnten als jetzt. ordentlich nicht mehr retten vor lauter Menschen, wie die Abderiten vor Fröschen, und man muß zuletzt auf Menschenköpfe wie auf Sperlingsköpfe Preise setzen; was aber zu unserer Schande erst die Türken tun, welche bekanntlich Säcke voll Köpfe liefern. Letzteres ist etwas; aber weit mehr Trost gibt Humboldts Nachricht, daß mehrere Nationen Erde fressen und verdauen. – –

Dies ist ja erwünscht! So sitzen wir ja alle im Fette und Überfluß , wie Maden im Käse und haben, wenn wir einmal an dergleichen Hartfutter und Hausmannskost etwas gewöhnt sind, vollauf an einer der größten Bouillonkugeln (und mensa ambulatoria), die es je gab, zu zehren, wenn die Erde, die schon längst unser Tischbette ist, gar unser angebornes Mußteil wird. Bis wir und die Regenwürmer (diese fressen wenig) einen solchen Erdglobus aufgegessen haben, liegen wir alle selber darin, und viel weniger lebendig als die Würmer.

Es ist eine schwere Prophezeiung, ob die folgende Evangelium oder Jeremiade ist: daß, wie jetzt in Holland und Paris, künftig überall auf politische Sommerhitze politische Winterkälte oder Gleichgültigkeit eintreten werde. Schon der erneuerte Handel wird durch die Geldsucht, die in Frankreich an der Bereicherung und in Deutschland an der Verarmung wachsen muß, das Vaterlands-Feuer, das die glimmenden Kohlen des Kriegsfeuers unterhielten, sichtbar dämpfen. Dazu kommt, daß wahrscheinlich des deutschen Krieges weniger wird, da jetzt mehr Napoleon als das Fürstlich-Darmstädtische Haus der sogenannte Reichsvorfechter (primo-pilaris) ist.

Wie wird es deutscher Freiheit und Bildung ergehen? – 1005 Frankreich und Rußland machen jetzt die KettenkugelEine Kettenkugel besteht bekanntlich aus zwei Kugel-Hälften. des festen Landes oder – im anmutigern Bilde – die beiden Gipfel des politischen Parnassus aus. – Deutschland wird sich bald mit Frankreich ins Gleichgewicht setzen, indem es dessen Kriegskunst seiner Kriegsnatur anfügt. Ferner: wenn die Volksmenge so wenig Über-Macht verleiht, daß 30 000 Mazedonier Persien, 40 000 Mongolen (nach Paw) Indien und 50 000 Tatarn China eroberten; und wenn der edle Geist MontesquieuGrandeur et décadence des Romains, ch. XX: Gerade die schwächsten Völker (die Goten, die Vandalen) stifteten die festesten Reiche. seinem Frankreich zu dessen engen Begrenzung Glück wünscht und daneben noch erweiset, daß große Heere und Flotten schwieriger siegen als kleine: so hat Deutschland künftig die Macht so wenig zu fürchten als jetzt den Willen. Übrigens fällt durch Montesquieus Bemerkung ein Lorbeerkranz mehr auf Napoleons Helm, indem er öfters den Sieg erstritten, ob er gleich den Nachteil gehabt, stärker und kriegsvolkreicher zu sein als der Feind. Man setze, die Erde führe Krieg gegen den Merkur: dann hätte der Generalissimus einer ganzen Erde weit mehr Blick und Kraft vonnöten, um 1000 Millionen in siegende Schlachtordnung zu stellen, als das Befehlshaberlein des elenden Merkurs über die wenigen Leute, die er tragen mag.

Eben glaubt' ich, ich müßte im Vorbeigehen den obigen Satz etwas einschränken durch den andern, daß das Verhältnis der Kämpfer-Zahl allerdings desto mehr entscheide, je weniger derselben sind; denn z. B. drei Mann übermannen wahrscheinlicher einen Mann als 30 000 Mann 10 000, oder gar 300 000 Mann 100 000; aber alle diese Sätze bestätigen vielmehr einander gegenseitig.

Rußland anlangend, dieses Doppel-Europa, dieser große Magnet, dessen Norden wie gewöhnlich den Süden sucht: so stieg dasselbe bisher von einer tiefern Stufe der Bildung auf so hohe über die stilliegende Türkei hinweg, und einmal angehobenes Aufschreiten nimmt (besonders unter günstigen Auspizien der Herrscher) so leicht mit viel weiteren Schritten zu, daß künftig sogar dessen Siege die Kultur nicht sowohl verschlingen als 1006 aufnehmen und fortbreiten müssen. Seine von uns abgelegnen rohen Völker kommen dabei so wenig schadend in Betracht als bei Östreichs Siegen dessen ungebildete östliche Grenz-Horden.

Hat die Freiheit eine Jeremiade oder ein Evangelium anzusagen? – Man scheide die kurze Geschichte von der langen. Erstlich: vor der Erfindung der Buchdruckerei gab es nur Länder-Zentra voll Licht und Wärme, welche wie Rom über den ungebildeten Umkreis tyrannisch geboten. Jetzt ist auf der Erde nicht mehr Brennspiegellicht, sondern Tageslicht. Denn eben dadurch ist unsere jetzige Welt der alten so sehr entgegengestellt, daß, wenn diese nur durch Lebens-Weise, also Handeln oder Regierungsform die Freiheit erzeugte, darstellte und bewahrte, unsere Denk- und Drucker-Welt gerade umgekehrt aus schwerem Kiesel Licht, aus Knechtschaft Freiheit, kurz aus der Handelsweise entgegengesetzte Denkweise herausholt. Mithin kann in Europa etwas nicht untergehen, welches nicht Sitte – die so leicht verfault –, sondern Idee ist, die sich auf jedem Lumpenpapiere festheftet. Die neue Erde, durch die Bücher weniger abhängig von einem Gesetzgeber als sonst die alte und mithin nur von den großen Springfedern aller Genien bewegt, welche von Natur schon für Freiheit glühen und arbeitenMan denke z. B. für Frankreich an Montesquieu, Montaigne, Voltaire, J. J., Diderot etc., tut eben darum unsterblichen Widerstand.

Rechnet ihr ferner außer der Vergrößerung der Erde durch Zeiten nicht auch die Vergrößerung derselben durch Räume an, d. h. durch die Kompaß-Nadel, die eine ganze neue Welt an die alte genäht? Aber mit der Völker-Menge wächst die Schwierigkeit ihrer Umkettung.

Endlich wie die sinkende Menschen-Natur unten in ihren Abgründen alles Bewußtsein voriger Höhe und Helle einbüßt: so erscheint umgekehrt der steigenden die neue Aussicht als Alltagshelle, und ihr ist Nacht, was andern nur Schatten ist. Wir fodern jetzt (wie Höflinge oder überhaupt die Menschen) desto mehr von der Zeit, je mehr sie uns gegeben. Könnten wir z. B. jetzt ertragen, daß ein Land in kurzer Kriegszeit und durch 1007 Kriegsgewalt viermal sein wechselnder Apostat und Renegat geworden? Gleichwohl wurd' es die Pfalz im dreißigjährigen Kriege.Schüler: Die Pfalz mußte in 60 Jahren sich zweimal lutherisch, zweimal kalvinisch schwören. – Ebenso ist uns der elektrische Zurückschlag oder das durch einen Himmels-Blitz erzeugte Um-Polarisieren des sächsischen Heers, damit es dem vorher mitdienenden entgegenschlage, jetzt auffallender, als dieselbe Sache unter Friedrich II. gewesen, der ja dasselbe getan. Würde uns jetzt das vorige hessische Menschen-Versteigern und -Versenden nach Nordamerika für Geld und für England, das kein Bundesland war, nicht ganz anders erschüttern als nur ein bloßes, ganz unbezahltes Mitdienen deutscher Bundeskontingente mitten in europäischen Ländern? – Und doch hat schon früher Deutschland sich gegen jenen Völker-Schnitt-Handel mit schneidenden Waren (die Schwerter sollten schneiden) weit stärker erklärt, als die sich für so viel freier haltende Schweiz gegen ihren viel schlimmern Grosso-Handel mit einem Volke getan. Der Höllen-Minister de Louvois sagte: mit den an die Miet-Schweizer bezahlten Talern woll' er die Chaussee von Paris bis Basel pflastern. Der General Stuppa versetzte: und mit dem vergoßnen Blute woll' er einen schiffbaren Kanal von Paris bis Basel anlegen. Beide hatten recht, denn die Schweizer lieferten vom elften Ludwig an bis zum vierzehnten den Franzosen 1 110 798 Mann für das Schmerzen- und Rekruten-Geld von 1 146 868 623 Gulden.Leset nach diese Berechnung in Schlözers (jetzt wieder zu lesenden) Briefwechsel. Teil VI. Heft XXXII.

Der Anfang des neunzehnten Jahrhunderts kann dergleichen nicht mehr verschmerzen, noch verschulden. Der Anfang des achtzehnten sah den Moloch und Henker der Pfalz (Louvois) und dessen Henkers-Knecht, General Melac (weswegen jetzt die besten Hunde, die nicht Bluthunde sind, da häufig so heißen); man trauet zweimal seinen Augen kaum, wenn man erstlich auf dem Papiere die vollstreckte Einäscherung aller pfälzischen Städte und Dörfer, und zweitens in der Wirklichkeit deren Wiederherstellung antrifft. Ging in den drei neuesten breiten deutschen Kriegen so viel unter die Erde und in die Luft?

1008 Montesquieu bemerkt, daß die Römer jedem kleinen griechischen Staate eine eigne Gesetzgebung unter dem Vorwande der Erlaubnis befohlen, um dadurch eben allem Gemeinschaftlichen unter ihnen und folglich jedem Verteidigungs-Bunde vorzubauen. Wie anders kann die neue Zeit zielen und wirken, wenn man die Vervielfachung der Souveränetäten, selber kleinster Staaten, dagegenhält!

Gibts irgendwo in der Weltgeschichte Fußstapfen eines Fortschrittes der Menschheit: so sind sie auf den Wegen zur Freiheit so wie zum Lichte. Wenn Griechenland und Rom die höhere Intension ihrer Freiheit durch die stärkere Extension fremder Knechtschaft und gleichsam Freihäuser und Freistätten durch ganze Sklavenmärkte und Sklavenküsten erkauften; wenn später Freiin, Freifrau und Freiherr nur die regierende Ausnahme war aus der regierten Mehrzahl – bloß wieder den sogenannten Freimann davon ausgenommen, den Henker –: so dehnt sich jetzt die zwar mehr monarchische und Staats-Zwecken untergeordnete moderne Freiheit durch die Gesetzbücher bis zu Kolonien, Negern und Juden und Erbuntertänigen aus.

Ich fahre im Evangelisieren fort. Erlebt der vielfach gekrönte Geist, an dessen Krone kleinere Kronen als eingesetzte Edelsteine schimmern, ein hohes Friedensalter – was nach der Geschichte allen glücklichen Weltstürmern und -bildnern zugefallen –: so hinterläßt er, wenn er in die andere Welt zieht, eine neue in Europa, also ein neues Europa nicht sowohl (denn dies hat er schon geliefert), sondern sonst einen neuen Weltteil, sei es Asien oder Amerika. Denn solche Kräfte des Krieges können, als Kräfte des Friedens gebraucht, um so mehr nur durch neue Wunderwerke der Welt sich aussprechen und befriedigen. Da er schon jetzt mitten im Wehen des Kriegs geistige Staatsgebäude im Vorübergehen aufgebauet, was läßt sich nicht weissagen, wenn erst die Jahre das Feuer gemildert und das Licht gemehret haben? Nichts; denn nicht einmal die Geniuskraft selber kann sich ihre Schöpfungen voraussagen, geschweige ein Zuschauer. Indes kann (scheint es) ein Geist, der nicht bloß Land, sondern Länder, nicht bloß Untertanen, 1009 sondern auch deren Fürsten unter den Hülfsvölkern seiner Kraft gehabt, schwerlich dem bisherigen Genuß des Macht-Gefühls, den mehr das Aus- als Eigen-Land gewährt, auf eine andere Weise im ewigen Frieden entsagen als dadurch, daß er statt der Krieger Gesandten schickt und Zeit und Gegner ändert durch Dinte und nicht durch Blut.

Große Krieger steigen von Sulla etc. an bis zu Friedrich II. so leicht aus dem Blutbade der Zeit auf die nächste Küsten-Aue und sind still. Um die Schleifer der Jahrhunderte fliegen wie um mechanische an großen Schleifmaschinen so viel Funken, daß sie ganz in Feuer stehen; aber sie schleifen doch nicht, um ewig Feuer zu geben. Möchte dann einem Napoleon in einer über der Zeit erhabenen Stunde der edle Geist Heinrichs IV. erscheinen und ihm sagen: tue für Europa, was ich gewollt und du vermagst.

Erscheinungen der Geister sind indes noch schwerer zu weissagen als die der Körper.

Deutschlands Unglaube an sich wird aufhören wie neulich sein Glaube an sich. Nach den Katholiken geschehen vor ketzerischen Ungläubigen keine Wunder; hingegen floß das feste Blut des heiligen JanuarsBibliothèque universelle T. IX. p. 429. sogleich, als sich der dabeistehende Ketzer bekehrte. Dem Täufling ist nicht Reue, nur Glauben nötig, sagt dieselbe Kirche.Decret. P. III. Dist. IV. C. XCIX. Leibniz glaubte mit Theologen, die Heiden wären selig geworden durch einen schnellen Glauben mitten im Sterben. Jetzt können die Deutschen werden, entweder was sie fürchten, oder was sie hoffen; ich hoffe aber, sie hoffen, nämlich sie glauben; und dann gehe ihnen statt des Regengestirns der Glückstern auf. Daher ists Sünde gegen Deutschland, bloße Wunden abzubilden ohne die Wundkräuter dabei.

Es ist leichter, aus dem Fluge des Adlers als den Flug des Adlers zu weissagen; die jetzigen Wappen-Adler sind Propheten und Erfüller zugleich; indes mag sich die Weissagung unter der Gestalt einer bloßen Möglichkeit geben. Nämlich der jetzige Kriegsgott Europens wird (sagt die Prophezeiung), wenn er seinen Panzer und Helm einem langen Frieden abgeliehen, seinem auf 1010 Waffen gebauten Reiche wahrscheinlich noch eine tiefere und breitere Unterlage unterbauen, weil er die Geschichte und die Alten kennt, welche ihren Reichen nur auf der ganzen sittlichen Natur des Menschen den festen Grund verliehen. So wenig als Furcht, so reicht Soldaten-Ehre allein, am wenigsten im Frieden, zum rechten Einwurzeln und Fruchttragen eines Staates zu. Kriegs-Ehre wird entweder von einem Heerführer entzündet, dessen hohes Unsterblichkeits-Bild schon bei Lebzeiten aus der Nachwelt herglänzt für die Mitwelt – und dann lebt ein Staat so lange als sein Viel-Mensch –; oder dem Volke selber stirbt auf dem Wege der Erziehung und Bildung die Größe des entfliehenden Bildners zu. Den Franzosen sind allerdings ähnliche Erbschaften nötig, und ihr Wiederhersteller hat ihnen manchen vom Zeitgeist fein durchgeführten Tempelraub nach Vermögen wieder zu erstatten. Z. B. sie opfern gern sich der Ehre, und gern andere der Lust. Vielleicht zwar, daß ihr jetziges langes Bereitstehen für den Opferaltar des Krieges in den Zwischenräumen des Genusses ihren ausgebildeten geschärften Epoismus stärker reizt und zeigt; aber wenn man bedenkt, daß Napoleon leichter alle Häfen sperrt als die Mägen der Leser des Almanac des Gourmands, denen wie den Zoophyten der Darmkanal das Herz erstattet, und daß man sogar sein Beispiel jeder sinnlichen Enthaltung so selten, und doch das seiner Tätigkeit so oft nachahmt: so liegen die Wurzeln des egoistischen Gift-Baums sehr tief, und Napoleon hat neue mächtige Wurzelheber vonnöten, um sie auszuziehen; aber ein Evangelium wär' es, eben wenn die Ablaktierung Deutschlands und Frankreichs französische Ehrliebe und deutsche Gutmütigkeit mehr gegeneinander auswechselte, ja und dies so sehr, daß geistig entstände, was einmal geographisch unter Karl dem Großen gegolten, welcher Deutschland als den wichtigern Teil Galliens annahm und festsetzte.

Das Kriegsfeuer hat (evangelistisch zu reden) gewiß etwas Besseres entzündet als Häuser, nämlich Herzen für Deutschland. Jetzt hat sich Vaterlandsliebe und Deutschlandsliebe durch einerlei Leiden mehr zu einer Liebe eingeschmolzen, eine Ausbeute wie die des durch einen Brand aus mehreren Metallen ausgeschiednen 1011 korinthischen Erzes. Es finden deutscher Norden und deutscher Süden – bisher so widerspenstig einander eingewachsen zu einem Reichskörper als zuweilen Zwillinge am Rückgrate zu einem Leibe – und ferner die deutschen Zwischenstaaten finden sich einander jetzt verwandter, zusammentreffend auf demselben Dornensteig von Leiden und auf der Wett- und Rennbahn ähnlicher Selbst-Verbesserung. Ein herrlicher Auferstehungsgeist arbeitet und glüht jetzt im vorigen Reichs-Kirchhof und beseelt Scheintote und beleibt Gerippe. Einerlei Ziel löscht den Unterschied unter deutschen Staaten immer mehr aus. Deutschland, überhaupt mehr Idee als Land, sonderte und knüpfte sich bisher weniger durch klimatische Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten als durch Ideen. So schied die Idee sonst Preußen von Östreich; so knüpfte sie Sachsen an jenes, so die verschiedensten fremdsprechendsten Völker an dieses. Der Unterschied der Völker von einer Mundart unter demselben Zepter des westfälischen Königs ist zehnmal kleiner als der unter dem östreichschen, und desto froher sieht man der Aussöhnung der Deutschen mit Deutschen entgegen. Ebenso werden durch eine schönere Gemeinschaft als die der Leiden und anstatt durch Schiffsziehen oder Schiffspumpen des Staatsschiffes vielmehr durch frohes Fahren in demselben nach Gewinn auslaufenden Bucentauro die sonst getrennten Völkerschaften immer mehr unter wenigen Zeptern und – Federn sich einander befreunden. – Und hier haben wir dem großen Gewichte noch ein größtes nachzulegen, nämlich deutschen Völkern deutsche Fürsten. Zwar war es bei Vätern des Vaterlandes sonst nicht der Fall wie bei andern Väter, welche noch mehr ihre Kinder lieben als diese sie; da vielmehr die Landeskinder ihren Fürsten, den Bekannten und Einzelnen und Höheren, heißer lieben müssen als dieser die Unbekannten, Vielen und Niedern. Aber wie heilig muß jetzt einem Fürsten der Boden sein, auf welchem der Baum seines Stammes weithin wurzelt, indes die kleine Pflanze nur kleine Schollen braucht! Wie sehr muß er eine Verwandten-Masse lieben, deren Zögling, Stellvertreter und Heiland er in einer Person ist! Die Vaterlandsliebe des Bürgers trägt oft nur taube Blüten, die des Fürsten immer Früchte; jener opfert und 1012 kämpft oft nur einsam und ohne Lohn, dieser immer in Gesellschaft und für Siegesbogen. Dachten deutsche Fürsten jemals deutsch: so müssen sie es jetzo noch mehr tun. Deutsche lieben so sehr ihre Fürsten: ists denn also für einen von diesen so schwer, Millionen liebende Herzen mit einem einzigen zurückzulieben?

Man drohte der Erde schon oft Universalmonarchien. Obgleich in unsern Jahrhunderten schwerlich eine andere als die des Rechts und der VernunftMontesquieu (Esprit de Loix L. IX. Ch. VI. VII.) preiset Frankreichs Glück, daß es unter Louis XIV. keine Universalmonarchie geworden. sich errichten wird, nicht aber eine über beide Erdhälften schlagfertig-hängende Wetterwolke: so möchte man doch, wenn es einmal einen Universalmonarch außer unserm Herrgott, oder in Rücksicht der Tiere außer dem Menschen geben soll, der Erde, welche sich hier Universum nennt, anwünschen, daß es ein deutscher wäre; denn die Allseitigkeit, der Weltsinn und der Kosmopolitismus der Deutschen fände auf dem höchsten Throne gerade die rechte Stelle.

Man sprach vom Grabe einer gewissen Monarchie. Ist dasselbe zu finden: so mag es wohl dem Grabe des heiligen Johannes in Ephesus gleichen, welcher, darin wie in einem Bette schlummernd, den Hügel mit der atmenden Brust auf- und niederbewegte.August. in Commentar. ad Johann. XXI. 23.

Werden wir künftig durch Einkindschaft und Gesellschaftsrechnung mit den Franzosen nicht unsern National-Charakter einbüßen und abfärben? Aber warum fürchten denn bei derselben Vermischung die Franzosen nichts für den ihrigen? – Ein Charakter, den man so leicht verlöre, werde denn verloren; denn es wäre keiner. Allerdings holten bisher die Hof- und Welt-Leute ihren Leib aus Paris und baueten ihn zusammen aus gorges de Paris, culs de Paris, barbes postiches, ventres postiches, Caca de Dauphin und was sonst noch zu Leibern gehört. Und ebenso machten sie es mit den barbes, gorges, culs des innern Menschen. Indes setzt hier vorige eitle, freiwillige Nachäffung gerade künftiges Widerspiel voraus und folglich keine Korrepetitoren der Repetitoren französischer Oper. Was Sprachen anlangt, so dürften wir wohl weniger die reichere verlernen als die Franzosen die 1013 ärmere; nicht bloß, weil es stets in Deutschland mehr deutsche Bauern geben wird als französische darin – wie denn sogar die preußischen Kriegsgefangenen viel Deutsch aus Frankreich heimbringen – nicht bloß, weil unsere vielseitige Kraftliteratur sich doch am Ende in die französische hineindrängt, um so mehr, je mehr dieses Feuervolk sich an Napoleon, Frieden und Deutschland weiter stärkt – nicht bloß, weil nicht die literarische Stärke nachahmt und nachspricht, nur die Schwäche – nicht bloß, weil die sonst auf Deutschreden gesetzte StrafeSonst wurde an Studenten (in der Burse) Deutschreden mit Geld bestraft. Meiners' Geschichte der hohen Schulen. B. I. uns das Deutsche doch gelassen hat: sondern darum, weil Friedrich der Einzige treffliche französische Verse geliefert, nachdem ihm sein Vater bei Ungnade verboten, auch nur französische Prosa zu sprechen.Memoiren von Pöllnitz. Erschwert oder verbietet uns nur Deutsch: so sprechen wir deutsch von der Leber weg, dieser Quelle des Durstes und der Galle. Die deutsche Nachäffung, zu deutscher Nachahmung veredelt, würde eben am leichtesten durch Geschäft und Verhältnis den Franzosen die Vorzüge ablernen, welche unserer Ergänzung abgehen. Was weit weniger nachmachende Volksmenge anlangt, so wird sie gerade im Verhältnis des Klimas den deutschen Charakter am festesten forthalten; und so wird der deutsche Norden, d. h. das größere Deutschland, zu seiner kräftigen Eigentümlichkeit höchstens fremde Milderungen sich antauschen, und nur der Süden wird sich dem Westen zu sehr zukehren. Denkt an Holland und Elsaß zugleich.

Leibniz sagte: die Zukunft sei vom Gegenwärtigen schwanger. Jupiter schwängerte in Gestalt eines Nebels die Io. Da aber diese Gegenwart und folglich der Nebel noch da ist: was heißen dann Prophezeiungen? Dennoch raten alle Landwirte, zu säen im Nebel. 1014

 


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