Jean Paul
Dämmerungen für Deutschland
Jean Paul

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IV.
Vorschlag politischer Trauerfeste

In nichts offenbaret sich die herzlose Maschinenhaftigkeit der Neuern mehr als in der Dürre ihrer Feste. Man nehme einer Stadt Stadtschlüssel und Ehrenbogen, den Freiball, Kanonendonner, die Öllampen und 24 weiße Mädchen mit Blumen weg: so hat man ihr alle Sprachorgane und feurigen Zungen entrissen, womit sie zu einem Helden sagen kann: »ich staune an«, und der Heros zieht kahl und leise ein und ab. Ich wünschte nie, Napoleon unterwegs zu sein, weil ich vor jedem frischen Kirchturm zusammenfahren müßte, da jeder mir sich als den Zeigefinger, Reisebarometer und Fernschreiber der verdammten Huldigungs-Langweile vorstellte, womit man mir meine begangenen Heldentaten, statt sie zu belohnen, dermaßen verbitterte, daß es am Ende kein Wunder wäre, wenn ich kein Wunder mehr täte. Moderne deutsche Städte, erregt immerhin euere Langweile, aber sinnt doch auf einigen Wechsel dieser Langenweile!

Wie nun zu den politischen Freudenfesten die Erfindung, so fehlet zu Trauerfesten sogar der Mut. Sagt zweien Monarchien, sie sollen einen gewissen Tag des Wein- und Kelter-Monats trauernd feiern: sie erschrecken, sie mißverstehen, sie sagen: »Auch dies noch? So feige sind wir nicht.« Und doch waren es die Römer. Dies ist aber eben die Größe dieser Zentimanen der Völker und Greifgeier der Welt, daß ihre Festzüge von den Triumphen an nicht bloß den Gegenstand, sondern auch die feiernde Menge erhoben, und daß sie Kraft und Mut genug besaßen, die Tage großer Niederlagen oder anderer Staats-Unfälle (dies nefasti) feierlich zu begehen, indem sie das Staatsleben in einen kurzen Scheintod verwandelten durch Innenhalten mit allen priesterlichen, obrigkeitlichen und andern öffentlichen Verrichtungen. Welches Volk! das sich durch Unglücks-Feier nicht niederschlug, sondern emporhob.

Was uns anlangt, so erleben und feiern wir wohl auch einige Brandsonntage des Staats – wir orgeln weniger, läuten mehr und gehen, sind wir vom Hofe, schwarz – wenn nämlich ein Fürst 980 stirbt. Dies ist aber alles, was wir Festliches aufweisen. Allein wie anders, wie gewaltiger würde ein Totensonntag einer verlornen Schlacht, eines verlornen Landes etc. Herz nach Herz anfassen und durchschüttern! Wie würde am Schmerze sich der Mut anzünden! Wie würde, da schon ein Einzelner im Unglück groß erscheint, ein ganzes Volk in der Trauer um eine große Vergangenheit hoch aufstehen, welche eben dadurch eine Gegenwart wäre und eine Zukunft würde! – Sind wir denn so kindisch und eitel, uns mehr der Geschichte zu schämen als die Römer? – Wenn unsere politischen Freudenfeste uns den Staat und das Große in gemeinen Lusttaumel versenken und gerade tiefer in jene Genuß- und Eigensucht eintauchen, wogegen die Festlichkeit arbeiten soll: so würde dagegen ein Trauerfest eines Staates mehr als ein Bußtag – gleichsam der Allerseelentag eines Volks – noch höher als schon ein einzelnes über das Erdtreiben hebendes Begräbnis auf den Flügeln und Flammen der Vaterlands-Liebe schwingen, und die Gemeinschaft der Wunden würde zugleich sich zu heilen und sich zu rüsten anfeuern. – Nicht aus persönlichem Schmerze, aber aus allgemeinem ersteht Großes; nicht aus jeder Asche fliegt ein Phönix auf.

Unsere westlichen Nachbarn – wiewohl uns jetzt auch nach der übrigen Windrose benachbart – haben mehr diesen antiken Sinn, der lieber Geister als Maschinen bewegt. Im königlichen Schlosse zu VersaillesSanders Reisen durch Holland und Frankreich. B. I. war (oder ist vielleicht noch da) eine Uhr, welche während dem Leben des Königs stillstand, nach dessen Tode ging bis zur Krönung des neuen, dann auf die Todesstunde des alten stillgestellt wurde, gleichsam ein ewiger Zeiger des Grabes mitten auf dem Throne, eine schlagende Wünschelrute der Königsasche. Ein anderer, aber unchristlicher und Herz-durchbohrender Zeiger war die jährliche Königsmord-Feier der Revolution; indes doch dem römischen Großheits-Barbarismus verwandt. Laßt uns etwas weniger Erhabnes, aber mehr Erhebendes, wiewohl den römischen Trauerfesten bloß von weitem Verwandtes beschauen und bedenken. Es ist dies, daß ein König auf einem Throne, der sich seit einigen Jahren unter dem 981 Kriegs-Erdbeben gesenkt hatte, gleichwohl alles an den wenigen Stellen erlaubte – wo er noch verbieten konnte –, was gegen ihn und einen Staat geschrieben wurde, der sich den potenzierten Protestantismus nennen darf. Mitten unter Unglücksfällen und unter Feinden trauete er seiner protestantischen Regierungsverfassung ein Gegengift zu gegen alle Unglücks-Wahrsager nicht sowohl als Vor- und Nachsager. Und er hatte recht: alle Gegenschreiber überwanden nicht die Volks-Anhänglichkeit; und der bedrängte Fürst durfte das wagen, was beglückte Fürsten oft scheuen; die gedruckten Prangerchen Preußens wurden Stufen zum Ehrentempel. Wollt ihr – sobald euch England nicht genügt – einen größern Beweis, daß Preß-Freiheit nur bei Denk-Knechtschaft schade und sonst niemals? – Glaubt ihr nicht, daß aus dem Waisenhaus der Vergangenheit zuletzt Männer und Helden erwachsen herausgehen? – Glaubt ihr nicht, daß die Römer, welche dunkle beflorte Feste begingen zum Andenken eines abgesunknen Abendsterns, eben dadurch dem Aufsteigen eines Morgensterns entgegenkamen? Ihr müßt es wohl glauben, denn beide Sterne sind einer.

Kurz, glaubt ihr nicht, es gebe auch außer Frankreich Staaten, welche den 14. Oktober feiern können, wiewohl nicht mit einerlei Tränen? Kann sich niemand vorstellen, daß man z. B. im Oktober ein Adonisfest feiere, worin bekanntlich die erste Feier die Verschwindung (Aphanismus) hieß, und woran man Bilder sterbender Jugend und Urnen voll eingesäeter Blumen umtrug? Der zweite Feiertag des Adonisfestes (die Entdeckung) war eben lauter Feier, alle Hoffnungen kehrten zurück, und die Göttin der Schönheit erschien – und das erdige Leben wurde ein Himmel.

 


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