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Fünfzehntes Kapitel

Frau Marie Grubbe nach Tjele gekommen war, blieb sie dort zusammen mit ihrem Vater wohnen, bis sie sich sechzehnhundertneunundsiebenzig dem Justizrat Seiner Königlichen Majestät, Palle Dyre, antrauen ließ; und mit ihm lebte sie dann in einer bis zum Jahre sechzehnhundertundneunundachtzig ereignislosen Ehe.

Es ist dies ein Zeitraum, der mit ihrem dreißigsten Jahre beginnt und mit ihrem sechsundvierzigsten endet, volle sechzehn lange Jahre.

Volle sechzehn lange Jahre, gelebt in alltäglichen Sorgen, in kleinlichen Pflichten und in abstumpfender Einförmigkeit, und kein Vertrauens- oder Vertraulichkeitsverhältnis, um diesem Leben Wärme zu verleihen, keine versöhnende Gemütlichkeit, um es licht zu machen. Ewige Zänkereien um nichts, lärmendes Geschelte wegen unbedeutender Vergeßlichkeiten, mürrische Zurechtweisungen hier und plumpe Spöttereien dort, das war alles, was ihre Ohren hörten. Und dann jeder sonnenhelle Lebenstag in Taler, Ort und Heller ausgemünzt; jeder Seufzer, der erklang, ein Seufzer um Verlust; jeder Wunsch, den man hörte, ein Wunsch nach Gewinn; jede Hoffnung eine Hoffnung auf mehr. Und fadenscheinige Knickerei an allen Ecken; behagenstörende Geschäftigkeit in jedem Winkel; und des Geizes allzeit spähendes Auge, das wach aus jeder Stunde schaute. Das war das Leben, in dem Marie Grubbe lebte.

In der ersten Zeit geschah es oft, daß sie mitten in der Geschäftigkeit und dem Lärm alles um sich her vergaß, in wachen Schönheitsträumen befangen, wechselnd wie Wolken, reich wie das Licht.

Aber da war namentlich einer.

Es war der Traum von dem schlummernden Schloß, das die Rosen verbargen.

Der stille Garten, der stille Garten des Schlosses! Ruhe in Luft und Laub, und wie eine Nacht ohne Finsternis träumendes Schweigen über dem Ganzen. Da schlummerten der Duft in den Blütenglocken und der Tau auf der biegsamen Klinge des zarten Grashalms. Da schlief das Veilchen mit halbgeöffnetem Munde unter den gekrümmten Schößlingen der Farnen, während Tausende von aufbrechenden Knospen mitten in der üppigsten Zeit des Frühlings auf den Zweigen der moosgrünen Bäume in Schlaf gelullt waren. – Sie kam zum Burghof: die dornigen Ranken der Rosen ergossen lautlos die mächtige, grüne Laubwelle über Mauern und Dach herunter und schäumten still und blütenreich in Rosengewimmel und Rosentupfen. Aus dem offenen Rachen des Marmorlöwen ragte der springende Wasserstrahl gleich einem spinnenwebzweigigen Kristallbaum empor, und blanke Pferde spiegelten ihre atemlosen Mäuler und geschlossenen Augen in dem schlummernden Wasser der Porphyrkumme, während der Page sich schlafend den Schlaf aus den Augen rieb.

Sie weidete den Blick an dieser Schönheitsruhe in dem schweigenden Hofe, wo herabgefallene Rosenblätter in hohen Wehen an Mauer und Tür lagen und mit ihrem errötenden Schnee die breiten Stufen der Marmortreppe verbargen.

– Ruhen zu können! – In seligem Frieden die Tage über sich herabschweben lassen, Stunde auf Stunde, während alle Erinnerungen, Hoffnungen und Gedanken einem in unbestimmten, weichen Wellen aus der Seele wegrannen ... Das war der schönste Traum, den sie kannte.

Dies war die erste Zeit; aber die Phantasie ermüdete davon, ewig fruchtlos demselben Ziel entgegenzuschweben, gleich einer eingeschlossenen Biene, die gegen die Fensterscheibe summt; alle Fähigkeiten ermüdeten mit ihr.

Wie ein schönes und edles Gebäude in Barbarenhänden verwahrlost und verdorben wird, indem die kühnen Türme zu plumpen Kuppelhelmen niedergedrückt, die spitzenfeinen Ornamente Glied um Glied abgebrochen werden und die reiche Bilderpracht Schicht auf Schicht mit tötendem Kalk zugedeckt wird, so ward Marie Grubbe in diesen sechzehn Jahren verwahrlost und verdorben.

Der Vater, Erik Grubbe, war alt und hinfällig geworden, und es schien, als habe das Alter, wie es sein Antlitz schärfer und abstoßender gemacht hatte, auch alle seine schlechten Eigenschaften verschärft und hervorgehoben. Er war mürrisch und unzugänglich, eigensinnig bis zum Kindischen, heftig, im allerhöchsten Grade mißtrauisch, listig, unehrlich und geizig. Er führte jetzt in seinen alten Tagen beständig Gott im Munde, namentlich wenn Vieh erkrankte oder die Ernte mißraten war; und er hatte da eine Heerschar kriechender, gleisnerischer Beinamen eigener Erfindung für den lieben Gott. Es war unmöglich, daß ihn Marie lieben oder achten konnte, und sie hegte jetzt obendrein Groll wider ihn, weil er durch nie erfüllte Versprechungen, durch Drohungen, sie zu enterben und von Tjele fortzujagen und sie aller Unterstützung zu berauben, sie dazu vermocht hatte, sich mit Palle Dyre zu vermählen; obwohl das, was sie am meisten zu diesem Schritt veranlaßt hatte, die Hoffnung war, unabhängig von der väterlichen Vormundschaft zu werden, welche Hoffnung sich jedoch nicht erfüllt hatte, sintemalen Palle Dyre mit Erik Grubbe übereingekommen war, Tjele und Nörbäkgaard, das Marie bedingungsweise als Mitgift gegeben war, gemeinsam zu bewirtschaften; und da Tjele das größere von den Gütern und Erik Grubbe nicht imstande war, die Aufsicht zu führen, so hatte dies zur Folge, daß sich die Neuvermählten häufiger unter dem Dache des Vaters als unter ihrem eigenen aufhielten.

Palle Dyre, der Gemahl, ein Sohn von Obrist Klaus Dyre auf Sandvig und Krogsdal, später auf Binge, und seiner Gattin, Edele Pallesdatter Rodtsteen, war ein feister, kurzhalsiger, kleiner Mann, mit recht lebhaften Bewegungen und einem entschlossenen Gesicht, das indessen etwas durch ein Muttermal entstellt wurde, das sich über die ganze rechte Wange ausbreitete.

Marie verachtete ihn.

Er war ebenso geizig und knauserig wie Erik Grubbe, aber im Grunde war er ein tüchtiger Mann, klug, schneidig und mutig, nur ermangelte er völlig des Ehrgefühls; er beschummelte und betrog, wo er nur damit durchkommen konnte, und schämte sich niemals, wenn es entdeckt wurde; er ließ sich ausschelten wie ein Hund, wenn es ihm einen Schilling Vorteil einbringen konnte, keine Widerrede zu führen; und wenn ihm ein Bekannter oder ein Anverwandter einen Kauf oder Verkauf oder eine andere Vertrauenssache übertrug, so hegte er niemals Bedenken, dies Vertrauen so auszunutzen, daß es ihm selber Vorteil einbrachte. Obwohl seine Heirat ihm in der Hauptsache ein Geschäft gewesen war, so war er doch stolz darauf, mit der geschiedenen Frau des Statthalters verheiratet zu sein, was ihn indessen nicht hinderte, sie auf eine Weise anzureden und zu behandeln, die mit jenem andern Gefühl unvereinbar schien; nicht daß er in irgendeiner Art ungewöhnlich grob oder gewalttätig gewesen wäre, keineswegs; aber er gehörte zu jenen Menschen, die in einem stolzen und selbstzufriedenen Bewußtsein ihrer eigenen Tadellosigkeit als in jeder Hinsicht korrekte und normale Alltagsmenschen sich nicht enthalten können, andere, in dieser Beziehung weniger glücklich Gestellte ihre Überlegenheit fühlen zu lassen und sich selbst mit einer unangenehmen Naivität als Muster zur Nachahmung hinzustellen, und Marie gehörte ja nun einmal nicht unter die glücklich Gestellten; sowohl ihre Scheidung von Ulrik Frederik als auch die Vergeudung ihres mütterlichen Erbteils waren nur allzusehr in die Augen fallende Unregelmäßigkeiten.

So war nun also der Mann, der der dritte im Leben auf Tjele wurde, und keine seiner Eigenschaften berechtigte zu der Hoffnung, daß er es lichter und freundlicher zu gestalten vermöchte, was er denn auch nicht tat. Ewiger Streit und Uneinigkeit, gegenseitige Störrigkeit und wechselseitiges Ertrotzen, das wars, was der eine Tag nach dem andern mit sich führte.

Marie wurde dadurch abgestumpft, und all das Blütenfeine, Duftende und Holde, das sich bisher in üppigen, freilich unbändigen und oft barocken Arabesken durch ihr Leben geschlungen hatte, das welkte dahin und starb des Todes. Roheit in Gedanken wie in der Rede, einen plumpen und knechtischen Zweifel an dem Edlen und Großen und eine freche Verachtung gegen sich selbst – das hatten diese sechzehn Tjelejahre gebracht.

Und noch eins.

Es war eine dickblütige Sinnlichkeit über sie gekommen, ein gieriges Verlangen nach den guten Dingen des Lebens, ein kräftiges Wohlbehagen an Speise und Trank, an weichem Sitz und weichem Lager, ein wollüstiges Entzücken an betäubenden, würzigen Düften und ein weder geschmackbeherrschender noch schönheitsgeadelter Hang zur Pracht. Alles Gelüste, die sie nur kärglich befriedigen konnte, – aber das machte ja ihre Begierde nicht minder stark.

Sie war üppig geworden und bleich, und es lag eine lässige Trägheit über allen ihren Bewegungen. Ihr Blick war meistens wunderlich leer und ausdruckslos, aber zuweilen seltsam glänzend, und sie hatte die Gewohnheit angenommen, ihre Lippen zu einem unveränderlichen und nichtssagenden Lächeln zu formen ...

Nun schreibt man sechzehnhundertundneunundachtzig. – Es ist Nacht, und der Tjeler Pferdestall brennt.

Die flackernden Flammen züngelten durch den dicken, brandbraunen Rauch und leuchteten über den ganzen grasbewachsenen Hofplatz hinüber auf die niedrigen Wirtschaftsgebäude, auf die weißen Mauern des Wohnhauses bis zu den schwarzen Baumkronen des Gartens, die sich bis über das Dach erhoben. Knechte und zugelaufene Leute rannten hin und her zwischen dem Brunnen und der Brandstätte mit feuerblank blinkendem Wasser in Kübeln und Eimern. Palle Dyre stürzte von einem Ort zum andern, das Haar um die Ohren fliegend, einen rotbemalten Rechen in der Hand, während Erik Grubbe betend über einer alten, in Sicherheit gebrachten Häckselkiste lag und mit steigender Angst den Fortschritt des Feuers von Spanne zu Spanne verfolgte und hörbar jammerte, sooft eine Flamme Luft erhielt und triumphierend ihren funkenumstobenen Wirbel hoch über das Haus hinschwang.

Marie war auch da unten, aber ihr Blick hatte ein anderes Ziel als die Feuersbrunst.

Sie sah den neuen Kutscher an, der die erschreckten, brandscheuen Pferde aus dem raucherfüllten Stall führte. Der Türrahmen war ausgestoßen und die Türöffnung über ihre doppelte Breite erweitert, indem die schwache Rohziegelmauer zu beiden Seiten niedergerissen war; und aus dieser Öffnung heraus führte er die Pferde, eins an jeder Hand. Die kräftigen Tiere, die ganz verstört waren von dem Rauch, bäumten sich und warfen sich gewaltsam zur Seite, sobald das blendende, unsichere Licht der Flammen ihre Augen traf, und es sah so aus, als müsse der Kutscher in Stücke gerissen oder zwischen ihnen niedergestampft werden; aber er ließ weder los, noch fiel er; er zwang ihnen die Mäuler zu Boden und jagte mit ihnen, halb laufend oder springend, halb schleppend, quer über den Hof und ließ sie dann innerhalb der Gartenpforte frei.

Es waren viele Pferde auf Tjele, und Marie Grubbe hatte reichliche Gelegenheit, die schöne, hünenhafte Gestalt zu bewundern, während sie in wechselnden Stellungen mit den feurigen Tieren rang, jetzt fast hängend an dem ausgestreckten Arm, in die Höhe gehoben von einem sich bäumenden Hengst, jetzt sich gewaltsam auf die gegen die Erde gestemmten Füße zurückwerfend, jetzt wieder sie in Sprüngen und Sätzen vorwärtstreibend, und das alles mit diesen weichen, zähen, elastischen Bewegungen, wie sie allen ungewöhnlich starken Leuten eigentümlich sind.

Die kurzen Leinwandhosen und das graue Werggarnhemd, dem der Brand einen gelblichen Schein verlieh und das er mit schattenstarken Falten zeichnete, hoben vorzüglich die prächtigen Formen hervor und stimmten schön und einfach zu dem kräftig gefärbten Antlitz, dem feinen, blonden Flaum um Mund und Kinn und dem dichten, blonden, wallenden Haar.

Sören Großknecht wurde dieser zweiundzwanzigjährige Hüne genannt; eigentlich hieß er Sören Sörensen Möller, hatte aber den Zunamen von seinem Vater erhalten, der auf einem Edelhof in Hvornum Großknecht gewesen war.

Die Pferde wurden also gerettet, der Stall brannte nieder, das Feuer an der Erde wurde ausgelöscht, und die Leute gingen hin, um nach der durchwachten Nacht einen kleinen Morgenschlummer zu halten.

Auch Marie Grubbe suchte ihr Lager auf; sie schlief nicht, sie lag da und dachte, und bald errötete sie über ihre Gedanken, bald warf sie sich unruhig hin und her, als würde ihr bange vor ihnen.

Endlich stand sie auf.

Sie lächelte höhnisch mitleidig über sich selbst, während sie sich ankleidete. Im allgemeinen pflegte sie an Werkeltagen nachlässig, unreinlich, fast schäbig gekleidet zu gehen, um sich dann bei Gelegenheiten um so stärker, auf eine mehr in die Augen fallende als geschmackvolle Art zu putzen; aber heute war das anders; sie zog ein altes, aber reines, dunkelblaues Beiderwandkleid an, band ein kleines, hochrotes, seidenes Tuch um den Hals und nahm eine nette, kleine, einfache Haube hervor; aber dann besann sie sich und wählte eine andere, die mit ihrer umgebogenen, gelb und braun geblümten Kante und ihrem Nackenstück aus unechtem Silberbrokat gar nicht zu dem übrigen paßte. Palle Dyre dachte, sie wolle zur Stadt und über den Brand berichten, sagte aber zu sich selbst, daß aus Pferden für sie zum Fahren heute nichts werden könne. Sie blieb indessen zu Hause, aber mit der Arbeit wollte es nicht recht gehen; es war eine solche Unruhe über ihr, sie ließ das eine wegen des andern liegen, um auch das wieder hinzulegen. Schließlich ging sie in den Garten hinaus; sie sagte, es geschehe, um wieder in Ordnung zu bringen, was die Pferde in der Nacht zerstört hätten; aber sie stiftete nicht viel Nutzen da draußen, denn sie saß den größten Teil der Zeit im Lusthaus, die Hände im Schoß, und starrte sinnend vor sich hin.

Die Unruhe, die über sie gekommen war, legte sich nicht; sie ward vielmehr von Tag zu Tag stärker, und sie hatte eine plötzliche Lust bekommen zu einsamen Wanderungen nach dem Fastruper Gehölz hinüber oder in dem untersten Teil des äußeren Burggartens. Ihr Mann wie auch ihr Vater schalten sie deswegen; aber es war, als sei sie taub, nicht einmal eine Antwort gab sie ihnen, und da dachten sie denn, es sei am besten, sie sei eine kleine Weile sich selbst überlassen, solange die geringeren Anforderungen der Wirtschaft es zuließen.

Eine Woche nach dem Brande machte sie an einem Nachmittag ihre gewohnte Wanderung nach Fastrup zu und folgte gerade dem Rande eines langgestreckten, brusthohen Gehölzes von Eichengestrüpp und wilden Heckenrosen, als sie plötzlich Sören Großknecht, so lang er war, am Saum des Gehölzes mit geschlossenen Augen liegen sah, als schlafe er. Eine Heusense lag in einiger Entfernung von ihm, und das Gras war gemähet, da, wo sie stand, und ein gutes Stück weiter aufwärts.

Sie blieb lange stehen und starrte nieder auf seine großen, regelmäßigen Züge, seine breite, kräftig atmende Brust und seine dunklen starkgeäderten Hände, die er über seinen Kopf gefaltet hatte; aber Sören ruhte mehr, als daß er schlief, und schlug plötzlich die Augen auf und sah sie ganz wach an. Er fuhr zusammen vor Schrecken darüber, daß die Herrschaft ihn schlafend angetroffen hatte, statt beim Mähen, aber er war so erstaunt über den Ausdruck in Mariens Blick, daß erst, als sie errötend etwas über die Wärme sagte und sich wandte, um zu gehen, daß er erst da zur Besinnung kam und aufsprang, seine Sense und seinen Dengelstock ergriff und den Stahl zu streichen begann, so daß es durch die warme, zitternde Luft hinschrillte.

Und dann fing er an zu mähen, als gölte es das Leben.

Endlich, als er Marie über den Rain in das Gehölz gehen sah, hielt er inne und stand eine Weile da und starrte ihr nach, die Arme auf die Sense gestützt. Dann schleuderte er auf einmal die Sense weit von sich und setzte sich nieder, mit gespreizten Beinen, mit offenem Munde und die Hände nach beiden Seiten weitab in das Gras gestemmt; und so saß er in stiller Verwunderung über sich selbst und seine eigenen verwunderlichen Gedanken.

Er glich ganz einem Mann, der gerade von einem Baum heruntergefallen ist.

Ihm deuchte, sein Kopf sei so voll, ganz als träume er. – Ob da nicht irgend jemand war, der irgendwelche Hexerei an ihm ausgeübt hatte? Denn so war er noch nie gewesen; es wimmelte und wimmelte drin in seinem Kopf; es war just, als könne er sieben Dinge auf einmal denken, und er hatte gar keine Gewalt darüber, es kam ganz von selbst und ging wieder von selbst, als wenn er gar nichts damit zu tun hätte. – Es war doch sonderbar, wie sie ihn angesehen hatte, und sie hatte nichts darüber gesagt, daß er mitten am Tage dalag und schlief. – Gerade aus ihren klaren Augen hatte sie ihn so sanft angesehen und so ... so wie Jens Pedeserns Trine hatte sie ihn angesehen. Die gnädige Frau. Die gnädige Frau. Da war eine Geschichte von einer Frau auf Nörbäkgaard, die mit ihrem Jäger davongelaufen war; ob der wohl auch so angesehen worden war, während er dalag und schlief? – Die gnädige Frau! ob er mit der gnädigen Frau gut Freund werden konnte, so wie es der Jäger geworden war? Er verstand es nicht; ob er wohl krank war? Es brannte wie ein Fleck auf seinen beiden Wangen, sein Herz klopfte und war so beklommen, und er hatte Not, Atem zu holen ... Er fing an, an einem Eichengestrüpp zu zerren, konnte es jedoch nicht herausreißen, so wie er saß; da stand er auf und riß es los, warf es hin, griff nach seiner Sense und begann zu mähen, so daß das Gras in Schwaden hinflog.

In den nächsten Tagen darauf traf es sich oft, daß Marie dicht in Sören Großknechts Nähe kam, weil er in dieser Zeit zumeist Hofarbeit hatte, und er starrte sie da immer mit einem unglücklichen, verwirrten und fragenden Blick an, als wollte er sie um die Lösung des wunderbarsten Rätsels bitten, das sie ihm in den Weg geworfen hatte; aber Marie sah nur verstohlen zu ihm hin und wendete den Kopf ab.

Sören war ganz beschämt über sich selbst und ging in beständiger Angst umher, daß seine Dienstgenossen merken könnten, daß es mit ihm nicht ganz richtig war. Er war nie in seinen Lebtagen von einer Empfindung oder einer Sehnsucht erfaßt worden, die auch nur im geringsten phantastisch gewesen wäre, bis jetzt, und daher machte es ihn unruhig und bange. Es konnte ja sein, daß er im Begriff war, sonderbar oder verrückt zu werden. Man wußte ja niemals, wie so was über die Leute kam, und er gelobte sich selbst, daß er nie mehr daran denken wollte; aber schon im nächsten Augenblick waren seine Gedanken wieder da, von wo er sie ausschließen wollte. Gerade das, daß er diese Gedanken nicht wieder loswerden konnte, was er auch tat, bedrückte ihn am meisten; denn er verglich es damit, was er von Cyprianus gehört hatte, nämlich, daß man ihn verbrennen und ertränken könne; und er kam gleichwohl wieder, und doch nährte er im innersten Herzen den Wunsch, daß die Gedanken nicht entschwinden möchten, weil es nachher so leer und traurig werden würde; aber das wollte er sich selbst nicht eingestehn, denn er schämte sich so, daß seine Wangen rot wurden, sobald er ruhig erwog, welche Tollheit er in seinen Gedanken trug.

Eine Woche, nachdem sie Sören schlafend gefunden hatte, saß Marie Grubbe unter der großen Buche auf dem Heidehügel mitten im Fastruper Gehölz. Sie saß mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß; aber sie las nicht, sie starrte ernsthaft vor sich hin, einem großen, dunklen Raubvogel nach, der in langsam gleitendem, spähendem Flug über die unendliche, wogende Fläche der laubschweren Kronen dahinschwebte. Die lichterfüllte, durchsonnte Luft ward durchzittert von dem eintönigen, schlaflullenden Summen von Myriaden unsichtbarer Insekten, und süße, allzu süße Düfte des gelbblühenden Ginsters und der bittere Duft des sonnendurchwärmten Birkenlaubs am Fuße des Hügels vermischte sich mit dem erdigen Waldbodenduft und dem mandelsüßen Duft der weißen Spireen unten in der Niederung.

Marie seufzte.

»Petits oiseaux des bois, flüsterte sie klagend,

que vous êtes heureux,
De plaindre librement vos tourmens amoureux.
Les valons, les rocheres, les forêts et les plaines
Sçauent également vos plaisirs et vos peines

Sie saß einen Augenblick da, als strenge sie sich an, sich auf den Rest zu besinnen, dann nahm sie das Buch und las mit leiser, mutloser Stimme:

»Vostre innocente amour ne fuit point Ia clarté,
Tout le monde est pour vous un lieu de liberté,
Mais ce cruel honneur, ce fleau de nostre vie,
Sous de si dures loix la retient asservie
«


Sie schloß das Buch mit einem Schlag und rief fast:

» II est vray je resseus une secrète flame,
Qui malgré ma raison s'allume dans mon âme,
Depuis le jour fatal, que je vis sous l'ormeau,
Alcidor, qui dançoit au son du chalumeau.
«

Ihre Stimme hatte sich wieder gesenkt, und die letzten Verse wurden nur ganz leise und ausdruckslos geflüstert, fast mechanisch, als ob ihre Phantasie sich zur Begleitung des Rhythmus ein anderes Bild schüfe als das, was die Worte zeichneten.

Sie lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Es war so sonderbar, so beängstigend, jetzt wo sie fast alt geworden war, sich von demselben schweratmigen Sehnen, denselben ahnungsvollen Träumen und unruhigen Hoffnungen bewegt zu fühlen, die ihre erste Jugend durchbebt hatten; aber würden sie Bestand haben, würden sie anders sein, als der kurze Flor, den eine sonnenreiche Herbstwoche ins Leben rufen konnte, ein Nachflor, der seine Blüten aus der allerletzten Kraft der Pflanze aufbaute und sie schwach und erschöpft der Gewalt des Winters preisgab? Es war ja einmal tot, dies Sehnen, und hatte still in seinem Grabe geruht; was wollte es, warum kam es? War nicht sein Lebensziel erfüllt, daß es in Frieden ruhen konnte, statt in einer erlogenen Form des Lebens aufzuerstehen und das Jugendspiel noch einmal zu spielen?

So dachte Marie wohl, aber es war durchaus nicht ernst gemeint mit diesen Gedanken; es war nur dichterisch gedacht und ganz unpersönlich, gleichsam mit dem Gedankengang eines andern; denn sie hegte keinen Zweifel an der Starke oder Dauer ihrer Leidenschaft, und die hatte sie so ganz und so unwiderstehlich wirklich erfüllt, daß da gar kein Raum blieb für nachdenkliche Verwunderung. In Fortsetzung dieser unwirklichen Vorstellung verweilte sie einen Augenblick bei dem Bilde des goldenen Remigius und seinem unerschütterlichen Glauben an sie; aber das entlockte ihr nur ein bitteres Lächeln und einen künstlichen Seufzer, und dann waren ihre Gedanken anderwärts gefesselt.

Sie war neugierig, ob Sören den Mut haben würde, um sie zu werben. Sie konnte es kaum glauben. Er war ja ein Bauer... und sie malte sich seine sklavische Furcht vor der Gutsherrschaft aus – sein hündisches Gehorsamkeitsgefühl, seine kriechende, sich selbst herabsetzende Ehrerbietung; sie dachte an seine simplen Gewohnheiten und seine Unwissenheit, an seine bäurische Sprache und seine groben Kleider, seine grobe Beschäftigung, seinen arbeitsgehärteten Körper und seine plumpe Gefräßigkeit. Und sie sollte sich unter dies alles beugen, dies alles lieben, Gutes und Böses aus dieser schwarzen Hand nehmen... es lag in dieser Selbsterniedrigung ein seltsamer Genuß, der halb verwandt war mit grober Sinnlichkeit, aber zugleich auch verwandt mit dem, was als das Edelste und Beste in der Natur des Weibes gilt.

Aber so war ja auch der Ton gemischt, aus dem sie geschaffen war. –

Einige Tage darauf war Marie Grubbe in der Braustube auf Tjele damit beschäftigt, Met zu mischen; denn nicht wenige der Bienenstöcke hatten in der Nacht, als der Brand ausbrach, Schaden gelitten.

Sie stand gerade ganz drinnen am Herd und starrte durch die Tür hinaus, in deren Öffnung Hunderte von Bienen, angelockt von dem süßen Honiggeruch, umhersummten, golden und glänzend in dem hereinfallenden Sonnenlicht.

Im selben Augenblick bog Sören Großknecht mit einem leeren Reisewagen, in dem er Palle Dyre nach Viborg gefahren hatte, durch das Tor ein.

Er gewahrte einen Schimmer von Marie, beeilte sich auszuspannen, zog den Wagen hinein und die Pferde in den Stall und stolzierte dann eine Weile umher, die Hände in den Taschen seines langen Kutscherrockes vergraben, den Blick auf seine großen Stiefel geheftet. Plötzlich drehte er sich um und ging auf die Braustube zu, während er resolut den einen Arm schwenkte, die Stirn runzelte und sich in die Lippe biß wie ein Mann, der sich selbst zu einer unangenehmen, aber unvermeidlichen Entscheidung zwingt. Er hatte sich auch von Viborg bis Foulum geschworen, daß es ein Ende haben solle, und er hatte vermittels einer kleinen Flasche, die sein Herr im Wagen vergessen hatte, seinen Mut aufrechterhalten.

Er nahm seinen Hut in die Hand, als er in die Braustube hinabkam, sagte aber nichts und stand da und scheuerte verlegen mit dem Finger auf dem Rande des Braugefäßes herum.

Marie fragte, ob Sören eine Bestellung von ihrem Mann für sie habe.

Nein.

Ob Sören ihr Gebräu kosten oder ob er ein Stück Steinhonig haben wolle?

Ja, danke – nein, übrigens, danke; das sei es nicht, warum er gekommen wäre.

Marie wurde rot und fühlte sich ganz beklommen.

Ob er noch etwas fragen dürfe?

Ja, das dürfe er gern.

Ja, dann wolle er, mit gütigem Verlaub, bloß das sagen, daß es nicht ganz richtig mit ihm sei, denn sowohl wenn er schlafe, als auch wenn er wache, habe er allezeit die gnädige Frau in Gedanken; aber könne nichts dafür.

Ja, aber das sei ja auch ganz recht von Sören.

Hm, das wisse er denn doch nicht, ob es das sei; denn es sei nicht so, daß er auf das passen tät, was er sollte, wenn er an die gnädige Frau dächte. Es sei auf eine andere Art; er dächte an sie, wie die Leute zu sagen pflegten, in Liebe.

Er sah sie ängstlich fragend an und wurde ganz verzagt und schüttelte den Kopf, als Marie antwortete, das sei ganz recht so, das wäre das, was der Pastor sagte, daß alle Menschen tun sollten.

Nein, es wäre auch wohl nicht auf die Weise; es wäre so verliebt. Aber das sei es wohl ohne Ursach, denn, fuhr er in einem aufreizenden Tone fort, als suche er Händel, so eine feine Frau, der sei wohl bange, einen simplen Bauernburschen wie ihn anzurühren, obwohl Bauern doch auch halb wie Menschen wären und weder mehr als andere Menschen Wasser noch sauren Milchbrei statt Blut hätten; er wisse wohl, vornehme Leute, die hielten sich für eine Art ganz für sich; aber das eine sei doch wohl wie das andere, sollt er meinen, denn sie äßen und tränken und schliefen und all dergleichen, wie der gemeinste, ärmste Bauerntropf es täte, und er könnte sich darum nimmermehr denken, daß die gnädige Frau mehr Schaden davon nehmen könnt, wenn er sie auf ihren Mund küßte, als wenn sie einen Kuß von einem Edelmann nähme. – Ja, sie solle ihn nur nicht so scharf ansehen, weil er so frei in seinem Mundwerk sei, er mache sich nichts daraus, was er sage, sie könne ihn seinetwegen gern in Verdrießlichkeiten bringen; denn wenn er von hier wegginge, ginge er entweder in des Müllers Teich oder schlinge sich ein Strickende um den Hals.

Das müsse er nicht sagen, sie habe gar nicht daran gedacht, zu irgendeinem Menschen auf der Welt ein Wort über ihn zu sagen.

Na, das habe sie also nicht, ja, das könne man ja glauben, wenn man Lust hätte; aber das mache nun doch keinen Unterschied in der Sache. Sie habe ihm doch sonst Verdrießlichkeiten genug gemacht, und es sei allein ihre Schuld, daß er sich umbringen wolle, denn er liebe sie so von Herzen.

Er hatte sich auf einen Bierschemel gesetzt und saß nun da und starrte Marie mit einem tiefbetrübten Ausdruck seiner treuen, sanften Augen an, während seine Lippen bebten, als kämpfe er mit den Tränen.

Sie konnte es nicht lassen, zu ihm zu gehen und ihre Hand tröstend auf seine Schulter zu legen.

Aber das müsse sie nicht tun; er wisse recht gut, daß, wenn sie ihre Hand auf ihn lege und einige Worte still vor sich hinsage, sie ihm den Mut wegbeten könne, und das wolle er nicht haben. Übrigens könne sie sich sehr gut neben ihn setzen, wenn er auch bloß ein simpler Bauernbursche sei, falls sie bedenke, daß er noch vor Abend tot sei.

Marie setzte sich.

Sören schielte zu ihr hin und rückte ein wenig auf der Bank von ihr weg, dann stand er plötzlich auf. Er wolle also Lebewohl sagen und der gnädigen Frau für alles Gute danken, in der Zeit, daß sie sich gekannt hätten, und ob sie seine Schwestertochter Ane grüßen wolle, die hier Braumagd auf dem Hofe sei.

Marie hielt seine Hand fest.

Ja, nun wolle er denn gern weg.

Nein, er solle bleiben; da sei niemand in der Welt, den sie so lieb habe wie ihn.

Ach, das sage sie jetzt bloß, weil ihr bange sei, daß er kommen und überall um sie herumspuken würde; aber davor könnt sie ganz ruhig sein, denn er sei gar nicht gehässig gegen sie, und er würde ihr auch nie nahe kommen, wenn er erst tot sei, das wolle er ihr versprechen und auch halten, wenn sie ihn dann loslassen wolle.

Nein; sie wolle ihn niemals loslassen.

Ja, es könnt aber doch nichts helfen; und Sören riß seine Hand an sich und rannte aus der Braustube und quer über den Hof.

Marie war dicht hinter ihm drein, als er in die Knechtekammer schlüpfte, die Tür hinter sich zuschlug und den Rücken dagegenstemmte.

»Mach auf, Sören, mach auf, sonst rufe ich alle Leute zusammen!«

Sören antwortete nicht, aber nahm ganz ruhig etwas gepichtes Segelgarn aus der Tasche und begann, es um die Klinke zu wickeln, während er die Tür mit Knie und Schulter zuhielt. Die Drohung mit den Leuten fürchtete er nicht, da er wußte, daß sie alle auf der Wiese beim Heuen waren.

Marie hämmerte aus Leibeskräften gegen die Tür.

»Herrgott, Sören!« rief sie, »so komm doch heraus, ich liebe dich ja so innig, wie nur ein Mensch lieben kann, ja, das tue ich, Sören, ich liebe dich, liebe dich, liebe dich; – ach, er glaubt mir nicht; was soll ich armes, elendes Menschenkind denn nur anfangen?«

Sören hörte sie nicht; er war durch die Knechtekammer gegangen und in eine kleine Kammer dahinter, wo er und der Jäger zu schlafen pflegten. Hier sollte es vor sich gehen, und er sah sich drinnen um. Da fiel ihm ein, daß es unrecht gegen den Jäger sei; es sei besser, es da draußen zu tun, wo so viele beisammenlagen. Er ging wieder in die Knechtekammer hinaus.

»Sören, Sören, ach laß mich hinein, laß mich hinein; wie, ach, mach auf. Nein, nein, ach, er hängt sich auf, und hier steh ich. Ach, um Gott des Allmächtigen willen, so mach doch auf, ich hab dich ja geliebt seit dem erstenmal, da ich dich sah. Kannst du denn nicht hören? Es ist keiner, den ich so lieb hab wie dich, keiner, keiner in der ganzen Welt, Sören!«

»Is dat wahr?« fragte Sörens Stimme, heiser und unkenntlich dicht an der Tür.

»Ach, Gott sei Lob in alle Ewigkeit! ja, ja, ja, Sören, es ist wahr, es ist wahr; ich schwör dir den heiligsten Eid, so es auf Erden gibt, daß ich dich aus meiner innersten Seele liebe. Ach, Gott sei ewig Lob und Dank ...«

Sören hatte die Schnur abgenommen, und die Tür ging auf.

Marie stürzte in die Kammer hinein und warf sich um seinen Hals, schluchzend und jubelnd.

Sören stand ganz verwirrt und verlegen bei dem allen da.

»Ach, dem Himmel sei Dank, daß ich dich wiederhabe,« rief Marie, »aber wo wolltest du es denn tun? Sag mir das jetzt«, und sie sah sich neugierig um in der Kammer mit ihren ungemachten Betten, wo verschossene Pfühle, verfilztes Stroh und schmutzige, lederne Laken unordentlich übereinanderlagen.

Aber Sören antwortete nicht, er starrte Marie drohend an: »Worum häst du dat nich ihrer seggt?« sagte er und schlug sie auf den Arm.

»Verzeih mir, Sören! Verzeih!« weinte Marie und drückte sich an ihn, während ihre Augen flehend die seinen suchten.

Sören beugte sich verwundert zu ihr hinab und küßte sie. Er war ganz erstaunt.

»Dat is doch kein Komedie nich und kein Wunnerwerk?« fragte er leise vor sich hin.

Marie schüttelte lächelnd den Kopf.

»Düwel ok! wer haar dat denken künnt!«


Im Anfang wurde das Verhältnis zwischen Marie und Sören gut geheimgehalten; als aber Palle Dyres häufige Reisen nach Randers und sein langwieriger Aufenthalt dort in seiner Eigenschaft als Königlicher Kommissarius sie unvorsichtig machte, blieb es für das Gesinde auf Tjele bald kein Geheimnis mehr; und als das Paar sich entdeckt sah, versuchte es nicht im mindesten, die Sache geheimzuhalten, sondern lebte, als ob sich Palle Dyre am andern Ende der Welt befände und nicht in Randers. Um Erik Grubbe kümmerten sie sich gar nicht; wenn er Sören mit seinem Krückstock drohte, drohte ihm dieser mit der Faust wieder, und wenn er auf Marie schalt und versuchen wollte, sie zur Vernunft zu bringen, foppte sie ihn, indem sie eine ganze Menge vor ihm herleierte, ohne ihre Stimme mehr als gewöhnlich zu erheben, was notwendig war, wenn er etwas hören sollte, da er ganz schwerhörig geworden war und obendrein wegen seiner Kahlköpfigkeit und seiner Gicht eine Mütze trug, deren lange Ohrenklappen fest um seinen Kopf gebunden waren, was ihn auch nicht gerade hellhöriger machte.

Daß nicht auch Palle Dyre Mitwisser wurde, war nicht Sörens Schuld; denn in der Unbändigkeit seiner jugendlichen Liebe trug er kein Bedenken, selbst wenn der Herr zu Hause war, in der Dämmerung, oder wenn er sonst Gelegenheit hatte, Marie in den Herrschaftsgemächern selbst aufzusuchen; und nur die günstige Lage der Bodentreppe errettete ihn in mehr als einem Falle davor, entdeckt zu werden.

Seine Stimmung Marie gegenüber war ziemlich wechselnd, indem es ihm zuweilen in den Sinn kommen konnte, daß sie stolz sei und ihn verachte, und alsdann wurde er sehr launenhaft, tyrannisch und unbillig und behandelte sie härter und roher, als er es eigentlich beabsichtigte, um dann durch ihre Folgsamkeit und Sanftmut seine Zweifel widerlegt und vernichtet zu sehen; in der Regel war er indessen gut und fügsam und leicht zu lenken; nur mußte Marie sehr vorsichtig sein mit ihren Klagen über ihren Mann und ihren Vater, daß sie sich nicht als zu empfindlich gekränkt darstellte; denn dann ward er toll und rasend und schwur, er werde Palle Dyre das Gehirn einschlagen und seine Hände um Erik Grubbes dünnen Hals legen, und war so erpicht darauf, seine Drohung auszuführen, daß es vieler Bitten und Tränen bedurfte, um ihn wieder ganz zu beschwichtigen.

Aber von alledem, was störend auf das Verhältnis zwischen Sören und Marie einwirken konnte, war doch nichts andauernder und wirksamer als die Neckereien der Leute; denn die waren selbstverständlich aufs höchste erbittert über diese Liebelei zwischen Brotherrin und Kutscher, die ja diesen ihren Dienstgenossen ungleich günstiger stellte, als sie selbst gestellt waren, und ihm, namentlich in Abwesenheit des Hausherrn, einen Einfluß verlieh, auf den er nicht mehr Anrecht hatte als sie. Deswegen quälten und plagten sie Sören denn auch auf alle erdenkliche Weise, so daß er oft ganz außer sich geriet und bald entschlossen war, Reißaus zu nehmen, bald sich das Leben zu nehmen gedachte.

Die Mägde trieben es natürlich am ärgsten mit ihm.


Eines Abends wurden in der Tjeler Gesindestube Lichte gegossen. Marie stand neben dem in ein strohgefülltes Gefäß herabgelassenen kupfernen Kessel und tauchte die Dochte ein, die die Braumagd Aue Trinderup, Sörens Schwestertochter, in eine gelbe Tonschüssel abtropfen ließ. Die Küchenmagd brachte und holte die Dochtspieße, hängte sie unter dem Lichtertische auf und nahm die Kerzen ab, wenn sie dick genug geworden waren. Am Tisch in der Gesindestube saß Sören Großknecht und sah zu; er hatte eine rote Tuchmütze auf, die mit Goldtressen und schwarzen Plumagen ausstaffiert war; vor ihm stand eine silberne Kanne mit Met, und er saß da und aß von einem großen Stück Braten, das er mit seinem Taschenmesser auf einem kleinen zinnernen Teller in Stücke zerschnitt. Er aß mit großer Bedächtigkeit, trank dazwischen aus dem Krug und beantwortete hin und wieder Mariens lächelndes Nicken mit einer langsamen, anerkennenden Kopfbewegung.

Sie fragte ihn, ob er gut sitze.

Nun, das ließ sich halten.

Dann wäre es wohl am besten, wenn Ane in die Mägdekammer ginge und ein Kissen für ihn holte.

Das tat sie auch, jedoch nicht, ohne den andern Mägden hinter Mariens Rücken eine ganze Menge Zeichen zu machen.

Ob Sören ein Stück Kuchen haben wollte?

Ja, das wäre nicht so übel.

Marie nahm eine Talglichtrolle und ging, um den Kuchen zu holen, blieb aber ziemlich lange weg.

Sie war kaum zur Türe hinaus, als beide Mägde wie auf Verabredung anfingen, aus vollem Halse zu lachen.

Sören schielte wütend zu ihnen hinüber.

»Ach, kleiner Sören,« sagte Ane, indem sie Marie Grubbes Stimme und Rede nachahmte, »will Sören nicht eine Salviette haben, um Sörens feine Finger abzutrocknen, und einen Polsterschemel für Sörens Füße? Und kann Sören bei dem einen dicken Licht nun auch genug zum Essen sehen, oder soll ich besser für ihn anzünden? wie, kleiner Sören? Und dann hängt da ein weiter, geblümter Rock in des Herrn Kammer; soll ich den nicht holen, der würd so fein zu Sörens roter Kapuze passen!«

Sören würdigte sie keiner Antwort.

»Ach, will der Junker nicht ein klein Wörtlein sprechen?« fuhr Ane fort; »so gemeine Leut wie wir und unseresgleichen, die wollen so gerne ein bißchen feine Rede hören, und ich weiß, der Junker kann es, denn du hast doch gehört, Trine, daß seine Liebste ihm ein Komplimentenbuch gegeben hat mit allerlei Feinheit darin, und es kann doch niemalen daran fehlen, daß so ein hochgeborener Herr buchstabieren wie auch lesen kann, einerlei ob vorwärts oder rückwärts.«

Sören schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und sah sie wütend an.

»Sören,« fing nun die andere an, »ick will di nen falschen Schilling förn Kuß gewen; ick weet wull, du kriegst von de Ollsch Braden und Win ...«

Im selben Augenblick trat Marie mit dem Kuchen ein und setzte ihn vor Sören hin, aber er schleuderte ihn über den Tisch.

»Jag de Fruenslür rut!« rief er.

Ja, aber der Talg würde ja kalt.

Das wär ihm ganz egal.

So wurden die Mägde denn hinausgeschickt.

Sören schmiß die rote Mütze weit von sich und fluchte und war wütend; sie solle hier nicht gehen und ihm Futter ranschleppen, als wär er ein mageres Schwein, und er wolle nicht vor den Leuten zum Narren gemacht werden, indem sie Komödiantenspielermützen für ihn mache; das solle ein Ende haben, das; er wäre ein Mann, und es wäre unerhört, daß er hier herumginge und sich verhätscheln lasse; so habe ers nicht gemeint; er wolle befehlen, und sie solle gehorchen, er wolle geben, und sie solle nehmen; ja, er wisse recht gut, daß er nichts habe, um davon zu geben, aber darum solle sie ihn nicht zu Nummer Null machen, indem sie gäbe. Wolle sie nicht mit ihm über Stock und Stein gehen, so müßten sie sich trennen. Das könne er nicht aushalten, sie solle sich wirklich in seine Macht geben und mit ihm davonlaufen; sie solle nicht dasitzen und die gnädige Frau sein, so daß er immer zu ihr aufsehen müsse; er hätt das Verlangen, daß sie Hund mit ihm sei; sie solle es so haben, daß er gut gegen sie sein könne und von ihr Dank empfinge, und ihr solle bange vor ihm sein, und sie solle nichts haben, worauf sie sich verlassen könne, als ihn.

Ein Wagen kam zum Tore hereingerollt, und da man annehmen konnte, daß es Palle Dyre sein müsse, schlich Sören in die Knechtekammer hinab.

Hier saßen drei Knechte auf ihren Betten, außer dem Jäger Sören Jensen, der aufstand.

»Dor häbben wir den Baron!« sagte der eine Knecht, als der Kutscher eintrat.

»Pst! Lat em nix hüren!« rief der andere mit erheuchelter Ängstlichkeit aus.

»Ja,« flüsterte der erste halblaut, »ick wull nich an sin Stell sin för soveel Rosennobel, as dör in' Mehlsack gähn dohn!«

Sören sah sich unruhig um und setzte sich dann auf eine Kiste nieder, die an der Wand stand.

»Dat möt 'n fürchterlich qualvollen Dod sin«, sagte der eine, der geschwiegen hatte, und schauderte.

Jäger Sören nickte ihm ernsthaft zu und seufzte.

»Wovon snackt Ji dor?« fragte Sören mit erheuchelter Gleichgültigkeit.

Niemand antwortete.

»Is dat hier an dieß Stell?« fragte der erste Knecht und ließ den Finger quer über den Nacken gleiten.

»Pst!« sagte der Jäger und runzelte die Stirn gegen den Fragenden.

»Bün ick dat, von den Ji snackt,« sagte Sören, »denn sitt nich dor und tuschelt, denn seggt gerad rut, wat Ji seggen willt.«

»Ja!« erwiderte der Jäger mit starkem Nachdruck auf dem Wort und sah ihn mit ernster Bestimmtheit an. »Ja, Sören, wir reden von dir. Herrgott ...,« er faltete seine Hände und schien in finstere Grübeleien versunken. »Sören,« begann er dann von neuem und wischte sich die Nase ab, »es ist ein tödlich Verbrechen, so du betreibest, und ich will dir sagen,« er sprach, als ob er aus einem Buche läse, »kehre um, Sören! da stehen Block und Galgen,« er zeigte nach dem Wohnhause hinüber; »hier ist ein christlich Leben und Begräbnis«, und er führte die Hand im Bogen in der Richtung auf den Pferdestall zu. »Denn du sollst an deinem Halse gestrafet werden, also lautet das heilige Wort des Gesetzes, ja, so ist es, so ist es, bedenke das wohl!«

»Pah,« sagte Sören trotzig, »wen wull mi woll anpetzen?«

»Ja,« wiederholte der Jäger mit einer Betonung, als würde da ein Umstand berührt, der die Sache sehr verschlimmerte, »wer wird dich wohl angeben? Sören, Sören, wer wird dich angeben? – du bist ja auch, hol mich der Deuwel, ganz und gar verrückt,« fuhr er in einem ganz unfeierlichen Tone fort, »und obendrein dämelich, so'm halbalten Frauenzimmer nachzulaufen, wenn da das bei zu riskieren is, was da is. Wenn sie noch jung wär! – Und so 'n toller Satan obendrein, laß du die den Blaubäckigen man ungeschoren behalten, es gibt doch, Gott sei Dank, noch andere Weibsbilder als die da!«

Sören hatte weder Mut noch Lust, den Versuch zu machen, ihnen zu erklären, daß er gar nicht ohne Marie Grubbe leben könne; er war selbst ganz beschämt über diese unvernünftige Leidenschaft; aber wollte er die Wahrheit gestehen, das hieße die ganze Koppel, Knechte und Mägde, auf sich hetzen, und darum log er denn und verleugnete seine Liebe.

»Ja, Ji hewt klog snacken,« sagte er, »äwerstens, kiekt mal Lühr, ick hew 'n Dahler, wenn Ji annern kenen hewt, un enen Lappen un enen Plünnen und noch enen und noch vele, dat wat toletzt 'ne ganze Last, Frünnings, un hew ick irst minen Büdel vull, denn mak ick mi ganz stilling up de Socken, denn kann jo een von juch sin Glück versöken.«

»Das mag ja ganz gut sein,« erwiderte Jäger Sören, »aber das nenn ich Geld stehlen mit 'm Strick um den Hals. Es kann ja ganz angenehm sein, Kleider und Silber geschenkt zu kriegen, und es kann ja auch ganz schön sein, in seinem Bett zu liegen und sich zu strecken und sich für krank auszugeben und Wein und Braten und sonst was Gutes runtergeschickt zu kriegen; aber es wird nie im Leben gehen hier unter so vielen Leuten; es kommt doch eines Tages raus, und dann ist dir das Schlimmste auf der Welt sicher.«

»Ach, se laten dat nich so wiet kamen«, sagte Sören ein wenig mutlos.

»Ja, sie wollen sie alle beide gern los sein; und ihre Schwestern und ihre Schwäger sind nicht die Leute, die sich ins Mittel legen werden, wenn sie sie erblos gemacht kriegen können.«

»Ach, Düwel ok, denn helpt se mi wull ut de Patsch!«

»Meinst du? Die mag genug zu tun haben, sich selbst in Sicherheit zu bringen, mit der ist es zu oft schief gegangen, als daß da jemand wär, der ihr auch bloß mit einer Haferspreu helfen wollt.«

»Na, denn man to,« sagte Sören und ging in die Hinterkammer, »bedrohter Mann lewt lang.«

Von dem Tage an mußte Sören, wo er ging und stand, dunkle Anspielungen auf Galgen und Block und glühende Zangen hören, und die Folge davon war, daß er, um die Angst fern- und den Mut aufrechtzuhalten, seine Zuflucht zum Branntwein nahm; und da ihm Marie häufig Geld zugesteckt hatte, war er nie genötigt, sich nüchtern zu halten. Allmählich wurde er indessen gleichgültig gegen die Drohungen, war aber doch viel vorsichtiger als früher, hielt sich mehr zu dem Gesinde und suchte Marie seltener auf.

Als Weihnachten herankam und Palle Dyre heimkehrte und zu Hause blieb, hörten die Zusammenkünfte zwischen Sören und Marie ganz auf; und um nun die Dienstgenossen äußerlich glauben zu machen, daß alles vorbei sei, und sie dadurch davon abzuhalten, dem Hausherrn gegenüber zu klatschen, begann Sören eine Liebelei mit Ane Trinderup vorzuspiegeln, und er täuschte sie alle, sogar Marie, die er doch in den Plan eingeweiht hatte.

Am dritten Feiertag, als fast alle in der Kirche waren, stand Sören vor dem Ende des Hauptgebäudes und spielte mit einem der Hunde, als er Mariens Stimme rufen hörte, fast unter der Erde, deuchte es ihm.

Er wandte sich um und sah alsdann Mariens Antlitz durch eine Luke hart am Boden, durch die Luke im Pökelkeller.

Sie war bleich und verweint, und ihre Augen starrten gar verwirrt und ängstlich unter den schmerzlich verzogenen Brauen.

»Sören,« sagte sie, »was habe ich dir getan, daß du mich nicht mehr lieb hast?«

»Äwers dat doh ick doch! Kannst du denn nich verstahn, dat ick mi fürsehn möt, denn se dohn hier ja nix nich wider as mi int Unglück to bringen und mi wat nahtoseggen. Schnack nich mit mi und lat mi gähn, wenn du nich willst, dat se mi dotmaken.«

»Lüge nicht, Sören, ich sehe wohl, wo du hinauswillst, aber ich wünsche dir deswegen auch nicht eine böse Stunde; denn ich bin ja nicht deine Jugendgenossin, und dein Sinn hat immer nach Ane gestanden; aber es ist unrecht von dir, es mich sehen zu lassen, und das ist nicht wohlbedacht. Du brauchst nicht zu glauben, ich wolle mich dir anbetteln, denn ich weiß ganz genau, in welche Gefahr du dich begeben würdest und was für Not und Plackerei und Entbehrung dazu gehören, wenn wir ein Paar für uns selbst werden wollten, und das wäre ja auch für keinen von uns zu wünschen, wiewohl ich es doch nicht lassen kann.«

»Ja, äwers ick will Ane nich hewen, nich um allens in de Welt, so 'ne Buerdiern, ich holl von kernen Minschen wat as von di, lat sei di ok oll und dull nennen un watt se willn.«

»Ich glaube dir nicht, Sören, so gern ich auch wollt!«

»Glöwst du mi nich?«

»Nein, Sören, nein; ich habe nur den einen Wunsch, daß hier, wo ich steh, mein Grab wär, und ich könnt die Luke schließen und mich niedersetzen und im Dunkeln hinüberschlummern.«

»Du sast mi all glöwen!«

»Niemals, niemals! Es gibt nichts auf der Welt, was du tun könntest, was mich dazu brächte; denn es ist kein Wahrscheinlichkeitsgedanke darin.«

»Du makst mi ganz mall mit din Gered, und dat ward di noch leed dohn, denn wenn ick dorför ok bi lebennigen Liew verbrennt warr oder to Dod quält warr, du sast mi dat wull glöwen.«

Marie schüttelte den Kopf und sah ihn betrübt an.

»Ja, denn möt dat gahen, as dat gahen will«, rief Sören und lief davon.

An der Küchentür blieb er stehen und fragte nach Ane Trinderup und erhielt die Antwort, sie sei im Garten. Er ging in die Knechtekammer hinüber, nahm eine geladene, alte Flinte des Jägers und lief in den Garten hinaus.

Ane stand da und schnitt Grünkohl, als Sören sie erblickte. Sie hatte die Schürze voll Blätter und hielt die Finger der einen Hand an den Mund, um sie warm zu hauchen. Ganz langsam stahl sich Sören zu ihr heran, den Blick auf das Untere ihres Rockes gerichtet, denn er wollte ihr Gesicht nicht sehen.

Plötzlich wandte Ane sich um und sah Sören und seine finstere Miene; die Flinte und der schleichende Gang machten ihr bange, und sie rief ihm zu: »Ach, lat dat, Sören, lat dat!« Er erhob die Flinte, Ane stürzte mit einem wilden, gellenden Schrei durch den Schnee davon.

Der Schuß fiel, Ane lief weiter, griff sich dann an die Wange und sank mit einem entsetzten Schrei um.

Sören warf die Flinte hin und rannte an das Ende des Wohnhauses.

Die Luke war geschlossen.

Dann zur Haupttür, durch alle Stuben hindurch, bis er Marie fand.

»Dat is ut!« flüsterte er, blaß wie eine Leiche.

»Sind sie hinter dir her, Sören?«

»Ne, ick hew ehr schaten.«

»Ane? Ach, wie wird es uns ergehen? – Lauf, Sören, lauf – nimm ein Pferd und flieh, mach schnell, mach schnell, nimm den Grauschimmel!«

Sören rannte.

Einen Augenblick später sprengte er zum Tore hinaus.

Er war noch nicht halbwegs nach Foulum gekommen, als die Kirchgänger heimkehrten.

Palle Dyre fragte gleich, wohin Sören reite.

»Es liegt eine draußen im Garten und jammert«, antwortete Marie; sie zitterte am ganzen Leibe und konnte kaum auf den Beinen stehen.

Palle und einer von den Knechten trugen Ane herein, die schrie, daß man es weithin hören konnte; im übrigen aber war die Gefahr nicht groß; die Flinte war mit Fuchsschrot geladen gewesen, und ein paar Stück waren durch die Wange gegangen, und noch ein paar hatten sich in die Schulter hineingebohrt; aber da es stark blutete und sie so jämmerlich klagte, wurde ein Wagen nach Viborg zum Bartscherer geschickt.

Palle Dyre fragte sie, als sie sich einigermaßen gefaßt hatte, darüber aus, wie das alles zugegangen sei, und erfuhr da sowohl dies als auch die ganze Geschichte von dem Verhältnis zwischen Sören und Marie.

Als er aus dem Krankenzimmer herauskam, umdrängte ihn das Gesinde, und alle wollten ihm von dem erzählen, was er soeben gehört hatte; ihnen war nämlich bange, daß sie sonst auf irgendeine Weise gestraft werden könnten. Palle wollte sie jedoch nicht anhören, sagte, es sei Gerede und dummes Gerücht, und schickte sie weg. Das Ganze war ihm nämlich sehr ungelegen; Scheidung, Verhörsreisen, Prozeß- und ähnliche Ausgaben, das wollte er am liebsten vermeiden, die Sache mußte niedergeschlagen werden können, und alles mußte sich wieder in Ordnung bringen lassen und bleiben, wie es war. Mariens Untreue selbst war ihm ziemlich gleichgültig, und die Sache ließ sich vielleicht gar dadurch zum guten wenden, daß er mehr Macht über sie und möglicherweise auch über Erik Grubbe gewinnen konnte, dem sicher viel daran liegen würde, daß die Ehe weiter bestände, trotzdem sie gebrochen worden war.

Als er mit Erik Grubbe gesprochen hatte, wußte er freilich nicht recht, was er glauben sollte; aus dem Alten war nicht klug zu werden, er war sehr aufgeregt und hatte sogleich vier berittene Knechte mit dem Befehl ausgeschickt, Sören tot oder lebendig anzuhalten, und das war keine gute Art, für die Geheimhaltung zu sorgen; denn bei den Verhören betreffs des Mordversuchs konnte so viel anderes herauskommen.

Am Abend des nächsten Tages kehrten drei von den Knechten heim; sie hatten Sören bei Dallerup gefangen, wo der Grauschimmel gestürzt war, und hatten ihn nach Skanderborg gebracht, wo er nun in Arrest saß. Der vierte Knecht war irre geritten und kam erst am Tage darauf zurück.

Mitte Januar zogen Palle Dyre und Marie nach Nörbäkgaard; denn die Leute hatten das Vergessen leichter, wenn die gnädige Frau ihnen aus den Augen war; allein Ende Februar wurden sie an alles wieder erinnert, denn da erschien ein Schreiber aus Skanderborg und sollte erkunden, ob Sören nicht dort in der Gegend gesehen worden sei, sintemal er aus dem Arrest ausgebrochen sei. Der Schreiber war indessen zu früh gekommen, erst vierzehn Tage später wagte sich Sören eines Nachts nach Nörbäkgaard und pochte an Mariens Kammerfenster. Das erste, wonach er fragte, als sie aufschloß, war, ob Ane tot sei; und es schien seine Seele von einer schweren Last zu befreien, als er hörte, daß sie ganz gesund war. Er hatte seine Zuflucht in einem verlassenen Hause der Gassumer Heide und kam später oft wieder und wurde beständig mit Geld und Nahrungsmitteln unterstützt. Sowohl die Leute als auch Palle Dyre wußten, daß er seine Einkehr auf dem Hofe hatte; aber Palle tat, als wisse er von nichts, und auch die Leute kümmerten sich nicht weiter darum, als sie sahen, daß der Herr so gleichgültig dabei war.

Um die Zeit der Heuernte zog die Herrschaft nach Tjele zurück, und dort wagte Sören nicht, sich blicken zu lassen. Sowohl hierüber als auch über die ewigen Sticheleien und Beleidigungen des Vaters wurde Marie so ungeduldig und erregt, daß sie den Vater ein paarmal unter vier Augen vornahm und ihn ausschalt, als wäre er ihr Hundejunge gewesen. Die Folge davon war, daß Erik Grubbe Mitte August einen Klagebrief an den König sandte. Dieser Brief endete, nachdem er ausführlich alle ihre Vergehen besprochen hatte, durch die Gott erzürnet, großes Skandalum begangen und bald dem ganzen Weibsgeschlecht ein Ärgernis bereitet worden sei, folgendermaßen:

»Solches ihres Verhaltens, ihrer Unschicklichkeit und Ungehorsamkeit willen, bin ich veranlasset, sie zu enterben, was ich Ew. Kgl. Majt. allerunterthänigst bitte, mir allergnädigst beyzufallen und zu konfirmiren, und daß Ew. Kgl. Majt. mir ferner die Gnade erweisen möge, mir durch Ew. Kgl. Majts. allergnädigsten Befehl an den Stifts Ambtmann Herrn Mogens Scheel zu gestatten, daß er nach Erforschung solches ihres Verhaltens gegen mich und ihren Ehegemahl und um ihrer eigenen Unschicklichkeit willen, sie auf meine eigenen Kosten auf Borringholm gefangen setzen möge, um Gottes Zorn und Unwillen über sie, so eine derartig ungehorsamb Kreatur ist, vorzubeugen, andern zum Abscheu, und dadurch ihre Seligkeit erlangen könne. Wenn nicht das Alleräußerste mich dazu getrieben hätte, würde ich mich nicht unterstanden haben, um dies anzuhalten; aber lebe in der allerunterthänigsten gewissen Hoffnung auf Ew. Kgl. Majt. allergnädigste Erhörung, Antwort und Hülf, so Gott gewißlich wird belohnen. Ich leb und sterbe

Tjele, 14. August 1690.

Euer Kgl. Majestät
Allerunterthänigster und pflichtschuldigster
treuer Erb-Unterthan
Erik Grubbe.«

Der König wollte hierüber des wohlgebornen Palle Dyre Erklärung haben, und diese ging denn darauf hinaus, daß Marie Grubbe sich nicht wider ihn wie eine ehrbare Gattin schicke, und er suchte nun darum an, daß der König ihm die Gnade erweisen und die Ehe ohne Prozeß aufheben wolle.

Dies wurde nicht bewilligt; die Eheleute wurden kraft Urteil vom dreiundzwanzigsten März sechzehnhundertundeinundneunzig geschieden.

Auch nicht Erik Grubbes Gesuch, sie erblos machen und einsperren zu dürfen, wurde erhört; er mußte sich damit begnügen, Marie auf Tjele gefangen zu halten, unter Bewachung von Bauern, solange der Prozeß währte; und er war ja auch einer von den letzten, denen man gestatten konnte, den strafenden Stein der Verdammnis zu werfen.

Gleich nach der Verkündigung des Urteils verließ Marie Grubbe Tjele mit einem armseligen Bündel Kleider in der Hand. Sie traf Sören südwärts auf der Heide und bekam in ihm ihren dritten Mann.


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