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Achtes Kapitel

So gefeiert Marie Grubbe war, merkte sie freilich bald, daß, wenn sie auch die Kinderstube verlassen hatte, sie doch noch nicht ganz in den Kreis der richtig Erwachsenen aufgenommen war. Solche junge Jungfrauen blieben doch immer trotz aller Komplimente und Schmeicheleien auf einen eigenen, untergeordneten Platz in der Gesellschaft herabgedrückt; das bekam sie an hundert Kleinigkeiten zu spüren, die jede an sich unbedeutend genug war, die aber zusammen doch ein gut Teil bedeuteten. Erstens waren nun die Kinder immer so unangenehm familiär gegen sie und befanden sich so neckisch wohl in ihrer Gesellschaft, ganz als wären sie ihresgleichen. Und dann das Gesinde; es war ein deutlicher Unterschied in der Art und Weise, wie der alte Diener den Mantel einer verheirateten Frau oder einer Jungfrau entgegennahm, und eine ganz kleine Nuance in dem dienstwilligen Lächeln der Zofe, je nachdem sie einer verheirateten oder einer unverheirateten Dame behilflich war. Der kameradschaftliche Ton, den die blutjungen Junker sich erlaubten, war höchst unangenehm, und der geringe Eindruck, den beleidigte Blicke und eiskalte Abfertigungen auf sie machten, war zum Verzweifeln. Am besten ging es mit den jüngeren Kavalieren, denn selbst wenn sie nicht in einen verliebt waren, so nahmen sie doch die allerzartesten Rücksichten und sagten einem das Schönste, was sie ersinnen konnten, mit einer galanten Ehrerbietung in Mienen und Gebärden, die einen in den eigenen Augen hob; aber es waren freilich viele unter ihnen langweilig, denen man es anmerken konnte, daß sie es hauptsächlich der Übung wegen taten.

Unter den älteren Herren waren einige, die ganz unleidlich sein konnten mit ihren übertriebenen Komplimenten und ihrer scherzenden Cour; aber die Frauen waren doch die schlimmsten, zumal die jungen neuvermählten; der halb ermunternde, halb geistesabwesende Blick, die leichte, herablassende seitliche Neigung des Kopfes und das Lächeln, ein wenig spottend, ein wenig mitleidig, mit dem sie einem zuhörten – nein! es war empörend! Dann war es auch das Verhältnis zwischen den jungen Jungfern selbst; das konnte sie doch auch nicht heben; da war kein Zusammenhalt zwischen ihnen, konnte die eine der andern eine Demütigung zufügen, so tat sie es; sie betrachteten einander eigentlich als reine Kinder und konnten gar nicht wie die jungen Frauen dahin gelangen, würdig miteinander zu verkehren und mit allen möglichen Zeichen äußerer Achtung sich selbst mit einem Schein von Würde zu umgeben. Es war im ganzen gar keine beneidenswerte Stellung, und es war daher ganz natürlich, daß, als Frau Rigitze Marie gegenüber ein paar Worte fallen ließ, sie und ihre anderen Verwandten hätten an eine Verbindung zwischen ihr und Ulrik Frederik gedacht, diese Mitteilung, obschon es Marie gar nicht in den Sinn gekommen war, in Ulrik Frederik verliebt zu sein, als eine willkommene Botschaft aufgenommen wurde, die große Weiten vergnüglicher Aussichten eröffnete; und als ihr nun weiter ausgemalt wurde, wie ehrenvoll und vorteilhaft eine solche Verbindung sein würde, wie sie in den engeren Hofkreis aufgenommen werden, in welcher Pracht sie gehalten werden würde und welch gebahnter Weg zu Ehre und Hoheit vor Ulrik Frederik als dem natürlichen Sohn des Königs und, was mehr war, als seinem erklärten Günstling offen liege, während sie selbst in ihrem stillen Sinn hinzufügte, wie schön er war, wie höfisch und gewandt und verliebt, da erschien es ihr fast, als wenn ihr Glück zu groß sei, und sie wurde ganz ängstlich bei dem Gedanken, daß es doch bisher nur noch Pläne und loses Gerede und eitle Hoffnungen seien.

Aber Frau Rigitze hatte Grund, worauf sie baute; nicht allein hatte Ulrik Frederik ihr seine Gedanken anvertraut und sie gebeten, ihm eine gute Fürsprecherin bei Marie zu sein, sondern er hatte sie auch vermocht zu untersuchen, inwiefern solches dem gnädigen Willen des Königs und der Königin genehm sein würde, und sie hatten es beide äußerst wohl aufgenommen und ihren Beifall gegeben, der König jedoch erst nach einigem Bedenken.

Zwischen der Königin und Frau Rigitze, ihrer vollgetreuen Freundin und sehr vertrauten Dame, war diese Verbindung gewiß schon längere Zeit beredet und bestimmt gewesen; aber der König ließ sich, abgesehen von der Überredung der Königin, sicher auch von dem Umstand bewegen, daß Marie Grubbe eine so reiche Heirat war; denn der König war ungemein knapp bei Gelde, und wohl hatte Ulrik Frederik Vordingborg zum Lehn, aber seine Prunklust und Verschwendung brachten ihn stets in Schulden, und der König war dann ja immer der, so zunächst abhelfen mußte. Da Mariens Mutter, Frau Marie Juul, ja tot war, würde sie, sobald sie vermählt war, ihr mütterliches Erbteil erhalten, und ihr Vater, Erik Grubbe, war zu der Zeit Besitzer der Edelhöfe Tjele, Vinge, Gammelgaard, Bigum, Trinderup und Nörbek, außer dem Streugut ringsumher, so daß von ihm ein schönes Erbteil zu erwarten war, zumal er in dem Ruf stand, ein strenger Haushalter zu sein, der nichts vergeudete.

Alles stand ja somit gut, Ulrik Frederik konnte getrost werben, und acht Tage nach Johanni wurden sie denn auch feierlich verlobt.

Ulrik Frederik war sehr verliebt, aber nicht auf eine so stürmische, unruhige Weise, wie da Sofie Urne seines Herzens Gedanke war. Eine träumerische, sanft bewegte, fast schwermütige Liebe war es, keine lebensfrohe, rotwangige, frische.

Marie hatte ihm ihre wenig ergötzliche Kindheitsgeschichte erzählt, und er liebte es, sich träumerisch ihre jungen Leiden mit dem gleichen, mitleidsvollen, lüsternen Wohlbehagen auszumalen, das den jungen Mönch durchströmt, der in seiner Phantasie die schöne, weiße Märtyrerin zwischen den scharfen Stacheln der Dornenräder bluten sieht. Dann gab es Zeiten, wo er von früheren Ahnungen gequält wurde, daß es ihm nicht vergönnt sein werde, sie zu behalten, sondern daß ein früher Tod sie aus seinen umschlingenden Armen reißen werde, und da konnte er sich selber verzweifelt mit teuren Eiden geloben, daß er sie auf Händen tragen und jeden giftigen Hauch von ihr fernhalten wolle, daß er den Schimmer jeder goldfarbigen Stimmung in ihre junge Brust hineinleiten und ihr niemals, niemals Kummer bereiten wolle.

Aber es kam auch die Stunde, wo er triumphierend bei dem Gedanken jubelte, daß all diese reiche Schönheit, diese ganze wunderbare Seele in seine Gewalt gegeben war, wie eines toten Mannes Seele in die Gewalt des Herrn, sie in Staub zu treten, wenn er wollte, sie zu erheben, wenn er wollte, zu demütigen, zu beugen.

Daß solche Gedanken wie diese in ihm erweckt werden konnten, daran hatte zum Teil Marie selbst schuld; denn ihre Liebe, wenn sie überhaupt liebte, war von einer seltsam stolzen und übermütigen Natur. Es würde nur ein dunkles und halbwahres Bild sein, wenn man sagen wollte, daß ihre Liebe zu dem verstorbenen Ulrik Christian gewesen sei wie ein von Sturm gepeitschter, gejagter, aufgerührter Binnensee, während ihre Liebe zu Ulrik Frederik demselben See zur Abendzeit zu vergleichen sei, wenn sich das Unwetter verzogen hat, spiegelblank, kalt und klar und ohne andere Bewegung als das Zerplatzen der Schaumblasen drinnen zwischen dem dunklen Röhricht des Ufers. Und doch würde das Bild gewissermaßen richtig gewählt sein, nicht nur darin, daß sie kalt und ruhig gegen ihn war, sondern noch mehr darin, daß alle die bunten und wimmelnden Träume und Lebensgedanken, die jene erste Leidenschaft zur Folge gehabt hatte, verblaßten und verwehten in dem kraftlosen stillen Wetter dieses letzten Gefühls.

Sie liebte ja allerdings Ulrik Frederik; doch hatte das nicht mehr seinen Grund darin, daß er gleichsam die Zauberrute war, die ihr die Pforten zu des Lebens Herrlichkeit und Pracht erschloß; und war es nicht zumeist die Pracht, die sie eigentlich liebte?

Es konnte zuweilen so aussehen, als wenn es nicht so sei. Wenn sie in der Dämmerstunde auf seinem Schoß saß und, sich selbst begleitend, ihm kleine französische Arien von Daphnis und Amaryllis vorsang und dazwischen plötzlich innehielt und, während sie lässig die Finger mit den Saiten der Zither spielen ließ, ihr Haupt an seine Schulter lehnte, da hatte sie so süße, liebeswarme Worte für sein lauschendes Ohr, daß keine wahre Liebe süßere hat, und es schwammen zärtliche Tränen in ihren Augen, wie sie nur die sanfte Unruhe der Liebe hervorlockt – und doch – konnte es nicht sein, daß sie in Sehnsucht auf den Erinnerungen eines entschwundenen Gefühls eine Stimmung aufbaute, die, durch das sanfte Dunkel beschirmt, von dem flammenden Blut und den weichen Tönen genährt, sie selbst betörte und ihn glücklich machte? Denn war es nur jungfräuliche Schüchternheit, die sie beim Licht des Tages karg an Liebesworten machte und ungeduldig bei Liebkosungen; oder war es nur Mädchenfurcht, so mädchenhaft schwach zu erscheinen, die ihr so manches Mal Spott in das Auge und Hohn auf die Lippe legte, wenn er um einen Kuß bat oder mit Liebesschwüren ihrem Munde das Wort entlocken wollte, das alle Liebenden so gern hören; woher kam es dann, daß sie wieder und wieder, wenn sie allein war und ihre Phantasie es müde geworden, sich zum tausendstenmal die Herrlichkeit der Zukunft auszumalen, so hoffnungslos und verloren vor sich hinstarren und sich so unendlich einsam und verlassen fühlen konnte?


Ein wenig nach Mittag, gegen Ende August, ritten Ulrik Frederik und Marie, wie so häufig zuvor, den sandigen Weg am Sunde entlang vor dem Ostertor dahin.

Die Luft war frisch von einem Vormittagsregenschauer, die Sonne spiegelte sich im Wasser, gewitterblaue Wolken rollten in der Ferne von dannen.

So schnell es der Weg gestattete, ritten sie vorwärts, sie wie auch der Lakai in seinem langen, karmoisinroten Schoßrock. Vorbei an den Gärten ritten sie, wo die grünen Äpfel zwischen den dunklen Blättern hervorleuchteten, vorbei an den ausgespannten Fischernetzen, in deren Fäden noch die blinkenden Regentropfen hingen, an dem königlichen Fischerhaus mit dem roten Ziegeldach vorbei und über den Hof des Leimsieders, wo der Rauch gerade wie eine Säule aus dem Schornstein aufstieg. Sie scherzten und lachten, lächelten und lachten und jagten dahin.

Beim Gyldenlundkrug bogen sie ab und ritten durch den Wald gerade auf Overdrup zu, von wo es dann in bedächtigem Ritt durch den Bruch hinab nach der blanken Wasserfläche des Overdruper Sees hinunterging.

Große, überhängende Buchen spiegelten ihr grünes Laubdach in dem klaren See, und saftiges Sumpfgras und blaßrote Schafgarbe bildeten eine breite und bunte Verbrämung der Grenzscheide da, wo die Böschung, die braun von welkem Laub war, nach dem Wasser zu abfiel. Oben in der Luft, unter dem Schirm des Blattgehänges, wo ein Lichtstreif durch das kühle Halbdunkel hinabschoß, wirbelten die Mücken in lautlosem Tanz; ein roter Schmetterling glänzte dort einen Augenblick, dann flog er in den Sonnenschein hinaus, über den See, wo stahlblaue Libellen blank durch die Luft blitzten und jagende Hechte hurtig gleitende Wellenlinien über die Fläche hinzogen. Von einem Gehöft hinter dem Bruch klang das Gackern der Hühner herab, und auf der andern Seite des Sees gurrten die Waldtauben unter den kuppelförmigen Buchen des Tiergartens.

Sie hielten die Pferde an und ließen sie langsam ins Wasser hinausplatschen, um die staubigen Fesseln abzuspülen und ihren Durst zu löschen. Marie hielt ein wenig länger draußen im Wasser als Ulrik Frederik, mit schlaffen Zügeln, damit die Stute frei den Kopf bewegen könne; in der Hand hielt sie einen langen Buchenzweig, dessen Blätter sie, eins nach dem andern, abriß und in das jetzt leise plätschernde Wasser fallen ließ.

»Ich glaube, wir bekommen ein Gewitter,« sagte sie und verfolgte aufmerksam einen schwachen Windstoß, der durch seine wirbelnde Bewegung runde, dunkelgekräuselte Flecke draußen auf dem See hervorbrachte.

»So laß uns umkehren«, riet Ulrik Frederik.

»Nicht um alles Gold der Welt«, erwiderte sie und trieb plötzlich ihr Pferd ans Land.

Im Schritt ritten sie nun um den See herum bis an den Weg und in den Hochwald hinein.

»Ich möchte wohl wissen,« sagte Marie, als sie wieder die Waldfrische auf ihrer Wange fühlte und lange in tiefen Zügen die Waldeskühle eingeatmet hatte, »ich möchte wohl wissen,« – weiter kam sie nicht, sondern sah mit strahlendem Blick in das grüne Laub empor.

»Was möchtest du wissen, mein Herz?«

»Ja, ob die Waldluft nicht kluge Menschen verrückt machen kann. Ach, wie viele Male bin ich nicht in dem Liedumer Wald herumgelaufen und immerfort gelaufen, weiter und weiter bis in das Allerdickste und Dichteste hinein. Ich war so ausgelassen vor Lustigkeit und sang aus vollem Halse und ging und ging, riß Blumen aus und warf sie wieder hin und juchheite den Vögeln nach, wenn sie aufflogen, bis mir dann auf einmal so wunderlich angst und bange ward – ach, ich wurde so beklommen und unglücklich, und bei jedem Zweig, der knackte, fuhr ich zusammen, und meine eigene Stimme, davor war mir fast mehr bange als vor allem andern. Ist dir das nie begegnet?«

Doch ehe Ulrik Frederik antworten konnte, fing sie an, aus vollem Halse zu singen:

»Ich geh im grünen Walde froh,
Wo Ulm und Apfel stehn,
Und schmücke mir mit Rosen zwo
Die Seidenschuhe schön,
Welch ein Tanz,
Welch ein Tanz,
Welch ein Tralala,
Welch rote, rote Beeren am Hagbuttenstrauch!«

und dazwischen sauste die Peitsche auf das Pferd nieder, und sie lachte und jubelte und sprengte von dannen, so schnell das Pferd sie tragen konnte, den schmalen Waldpfad entlang, wo die Zweige über sie hinfegten; und ihre Augen funkelten, und die Wangen brannten, sie hörte nicht auf Ulrik Frederiks Rufen, die Peitsche pfiff herab, und dahin gings mit verhängten Zügeln, der Schaum saß in Flocken auf ihrem flatternden Rock, die weiche Walderde hagelte an den Flanken des Pferdes hinauf, und sie lachte und hieb mit der Peitsche in die hohen Farnkräuter.

Auf einmal erhob sich das Licht gleichsam von Blatt und Zweig und flüchtete vor einem regenschweren Dunkel. Die Büsche raschelten nicht, den Hufschlag hörte man nicht; sie ritt dahin über eine lange Waldebene. Zu beiden Seiten die Bäume des Waldes wie eine schwere, dunkle Ringmauer; über ihr drohender, schwarzer Himmel mit jagenden, graufaserigen Wolken; gerade vor ihr die drohend blauschwarze, nebelbegrenzte Fläche des Sundes. Sie zog die Zügel straff an, und das ermattete Tier blieb willig stehen. In einem großen Bogen jagte Ulrik Frederik vorüber, schwenkte zu ihr um und hielt bald au ihrer Seite.

Im selben Augenblick schleifte wie ein schwerer, grauer, regendurchnäßter Vorhang eine Bö schräge über den Sund hin; ein eiskalter, feuchter Windstoß sauste über das flatternde Gras, pfiff an ihren Ohren vorbei und lärmte gleich schäumenden Wellen in den fernen Baumwipfeln. Große, flache Hagelkörner prasselten in weißen Streifen auf sie nieder, legten sich in Perlenreihen in die Falten des Kleides, spritzten von den Mähnen der Pferde ab und sprangen und rollten im Gras herum, als wimmelten sie aus der Erde hervor.

Um in Schutz zu kommen, ritten sie zwischen die Bäume hinein, flohen zum Strande hinab und hielten bald vor den niedrigen Türen des Stataf-Kruges.

Ein Knecht nahm die Pferde in Empfang, und der lange, barhäuptige Krugwirt wies sie in seine Staatsstube, allwo, wie er sagte, sich schon ein Fremder befinde.

Es war ›die leibhaftige Kürze‹, und er erhob sich sogleich vor den Eintretenden und erbot sich mit einer demütigen Verbeugung vor den hohen Herrschaften, das Zimmer zu räumen; allein Ulrik Frederik hieß ihn huldreich bleiben.

»Ihr sollt bleiben, Mann,« sagte er, »und uns bei diesem verdrießlichen Herrgottswetter aufheitern. Du mußt wissen, mein Herz,« und er wandte sich zu Marie, »daß dieser unansehnliche Zwerg der weitberühmte Komödiantenspieler und Bierstubenhanswurst Daniel Knopf ist, wohlbewandert in allen freien Künsten, als da ist Würfelspiel, Fechten, Trinken, Fastnachtstollheit und dergleichen, im übrigen achtbarer und ehrlicher Kaufmann in der guten Stadt Kopenhagen.«

Daniel hörte diese Lobrede nur halb, so in Anspruch genommen war er davon, Marie Grubbe zu betrachten und ein paar recht artige Beglückwünschungsworte zu formulieren; aber als ihn jetzt Ulrik Frederik mit einem derben Schlag auf seinen breiten Rücken weckte, erglühte sein Gesicht vor Zorn und Scham, und er wandte sich wütend nach ihm um, bezwang sich aber im selben Augenblick und sagte mit seinem kältesten Lächeln: »Wir sind wohl nicht bezecht genug, Herr Obrist.«

Ulrik Frederik lachte und puffte ihn in die Seite und rief: »O, du Sakraments-Gaudieb, willst du Höllenkerl mich jetzt in Schmach und Schanden stehen lassen als einen elenden Prahler, so keine Dokumente hat, seine großsprecherischen Worte zu belegen? Pfui, pfui, sag ich! Ist das recht? Hab ich nicht dutzendemal deine Kunstfertigkeit vor dieser adeligen Jungfrau berühmet, so daß sie des öfteren das größte Verlangen bewiesen hat, deine weitberühmten Wunderkünste zu sehen und zu hören! Ihr könntet doch gern den blinden Cornelius Vogelfänger und seine flötenden Vögel agieren oder uns den Spaß mit dem kranken Hahn und der glucksenden Henne vormachen.«

Marie ergriff nun auch das Wort und sagte lächelnd, es sei so, wie Obrist Gyldenleu sage, daß sie sich oft gesehnt habe zu erfahren, was für Zeitvertreib, was für feiner und besonderer Scherz es sei, der die jungen Kavaliere halbe Tage und ganze Nächte hintereinander in schmutzigen Bierspelunken festhalten könne; und sie bat Meister Daniel, er möge jetzt ihre Sehnsucht stillen und sich nicht zu lange bitten lassen.

Daniel verbeugte sich zierlich und sagte, daß, wiewohl seine geringen Possen mehr geeignet seien, umnebelten Kavalieren eine bequeme Gelegenheit zu geben, noch lauter zu brüllen und zu lärmen, als eine so feine und schöne Jungfrau zu amüsieren, so wolle er doch flugs beginnen, damit niemals gesagt werden könne, daß ihm je von ihrer schönen Wohlgeborenheit etwas befohlen oder erbeten worden sei, ohne daß er es auf der Stelle exequieret und ausgeführet habe.

»Seht her!« sagte er mit einer ganz veränderten Stimmlage und rekelte sich über den Tisch, die Ellenbogen nach den Seiten ausgespreizt, »jetzt bin ich eine ganze Versammlung der wohlgeborenen Bekannten und sonderlich guten Freunde Eures Verlobten.«

Er nahm einen Haufen Silbertaler aus einer Tasche, legte sie auf den Tisch, strich das Haar in die Augen nieder und ließ seine Unterlippe träge herabhängen.

»Der Teufel frikassiere mich!« lallte er und schlug rasselnd das Geld hin, als seien es Würfel, »bin ich für nichts und wieder nichts des wohlgeborenen Erik Kaases ältester Sohn? Was? Willst du Dreckfresser mich Lügen strafen? Zehn hab ich geworfen, die Hölle verzehr mich, zehn, so daß es klirrte. Kannst du Schafskopf sehen? frag ich. Ich frag, kannst du sehen, du dummer Neunaugenkerl, kannst du das? Oder soll ich dir den Balg mit meinem Degen aufschlitzen, so daß deine Leber und Lunge mitsehen können? was, soll ich? was? du Kamel, das du bist!«

Er sprang auf und zog sein Gesicht in die Länge.

»Drohst du?« fauchte er mit nordschonenschem Akzent; »weißt du, Drecksjung, wem du drohst? Hol mich der Höllenfürst, wenn ich dir nich' ...«

»Nein, nein,« sagte er mit seiner natürlichen Stimme, »das ist wohl gar zu große Lustigkeit, um damit anzufangen; nein, aber jetzt!« und er setzte sich nieder, stützte die Hände ganz außen auf die Kniescheiben, wie um seinem Bauch auszuweichen, machte sich dick und pausbackig und flötete mit ruhiger Bedächtigkeit allzu langsam die Melodie von Klein-Röschen und Herrn Peter. Dann hielt er inne, rollte verliebt mit den Augen und rief zärtlich:

»Papagei – Papchen!« flötete wieder, aber hatte nun Mühe, den Mund gleichzeitig zu einem einschmeichelnden Lächeln zu verziehen. »Zuckerpüppchen!« rief er dann, »Honigmäulchen! her zu mir, Schnuckelchen, her zu mir! Wein schlecken, Miezekätzchen? süßen, süßen Wein aus dem Krügelein?«

Abermals wechselte er die Stimme, er beugte sich auf dem Stuhl vor, blinzelte mit dem einen Auge und kämmte mit gekrümmten Fingern einen langen, eingebildeten Kinnbart.

»Bleib doch hier,« sagte er lockend, »bleib doch hier, »schön Karen, nie werd ich dich verlassen, und du darfst mich auch niemals verlassen,« und seine Stimme wurde tränenheiser, »wir wollen einander niemals verlassen, mein liebes, liebes Herz, niemals auf Erden! – Gut und Geld, Ehre und Ruhm des Adels und kostbaren Blutes! weg, verdammt, sag ich, weg damit! Das ist mir wie Hefe und Bodensatz. – Feine Jungfrauen und Damen! weg, sag ich; du bist mir hundertmal himmelhoch besser als sie, du schönes Ding, das du bist! Weil sie Wappenschild und Abzeichen haben, die! – sollten sie darum besser sein? Du hast auch dein Wappenzeichen, du! Das rote Mal auf deiner weißen Schulter, das Meister Anders mit seinem roten Eisen eingebrannt hat, das ist ein Adelszeichen – ich speie auf meinen Schild, um dies Mal zu küssen, das tu ich, für soviel rechne ich meinen Schild – ja. Denn gibt es wohl im ganzen seeländischen Land ein adelig Weib so schön wie du, frag ich – gibt es so eine? – Nein, nicht eine, nicht ein Tüttelchen von einer!«

»Das – das – das sind Lügen, – nämlich,« rief er mit einer neuen Stimme, sprang auf und gestikulierte über den Tisch hin, »meine Frau Ide, nämlich – du Prahlhans – die hat einen Wuchs, du – nämlich – Glieder – die hat Glieder, sag ich, du Affenschwanz ...«

Hier wollte sich Daniel auf den Stuhl zurückfallen lassen, aber da Ulrik Frederik diesen im selben Augenblick wegzog, fiel er und purzelte auf den Fußboden. Ulrik Frederik lachte wie ein Besessener; Marie sprang hastig auf, streckte beide Hände aus, wie um Daniel aufzuhelfen. Der Kleine ergriff, halb liegend, halb kniend, die Hand und starrte sie mit einem so dankerfüllten und hingebenden Blick an, daß sie ihn lange nicht zu vergessen vermochte.

Dann ritten sie heim, und niemand von ihnen dachte, daß diese zufällige Begegnung im Stataf-Kruge weiter reichen sollte, als sie jetzt reichte.


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