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Zwölftes Kapitel

Im Januar sechzehnhundertvierundsechzig wurde Ulrik Frederik zum Statthalter von Norwegen ernannt, und in den ersten Tagen des April im selben Jahre reiste er dahinauf.

Marie Grubbe begleitete ihn.

Das Verhältnis zwischen ihnen hatte sich seither nicht sonderlich gebessert, nur daß ihr Mangel an gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Liebe gleichsam von beiden Seiten als eine unabänderliche Tatsache anerkannt war und ihren Ausdruck in der äußerst zeremoniellen Weise gefunden hatte, in der sie miteinander verkehrten.

Das erste oder die ersten anderthalb Jahre, nachdem sie ihren Wohnsitz auf Aggershus genommen hatten, lebten sie solchermaßen, und Marie wünschte hierin für ihr Teil keine Veränderung. Allein mit Ulrik Frederik verhielt es sich anders: er hatte sich nämlich wieder in seine Gemahlin verliebt.

Und nun, an einem Winternachmittag um die Dämmerstunde, saß Marie Grubbe allein in dem kleinen Zimmer, das seit alter Zeit den Namen »die Dose« führte.

Es war rauhes und stürmisches Wetter, grau und finster. Die schweren Tauschneeflocken klebten sich in der Ecke der kleinen Fensterscheiben aneinander und deckten fast die Hälfte des grünlichen Glases. Regenkalte Windstöße, die zwischen den hohen Mauern herabwirbelten, verloren gleichsam die Besinnung und stürzten blindlings vorwärts und donnerten an Tore und Türen und fuhren dann plötzlich mit einem heiseren und hündischen Geheul geradeaus in die Luft. Mächtige Windstöße kamen juchheiend da drüben über das Dach hinab und warfen sich gegen Fensterscheiben und Mauern, mit einem Schlag wie mit dem einer Woge, und verschwanden auf einmal wieder. Und dann waren andere Windstöße, die in den Kamin hinabbrüllten, so daß sich die Flamme vor Angst duckte und der weißliche Holzrauch sich erschreckt wie ein Wellenkamm nach der Kaminöffnung krümmte, bereit, sich in die Stube hinauszuwerfen; doch im nächsten Augenblick wirbelte er dünn und leicht und blau durch den Schornstein hinauf, und die Flammen riefen ihm nach, hüpften und sprangen und schickten ihm ganze Hände voll von sprühenden Funken auf den Fersen nach. Und dann fing das Feuer erst recht zu brennen an, legte sich mit brummendem Wohlbehagen breit über Kohlen und Asche und Gluten, kochte und siedete vor Wonne in dem innersten Mark des weißen Birkenholzes, schnurrte und spann wie eine brandrote Katze, und strich dann verschmitzt und vergnüglich mit Gluten und Flammen schwärzlichen Knorren und heißköpfigen Klafterscheiten um die Nase.

Rot und warm und leuchtend strömte der Atem des lustigen Feuers in die kleine Stube hinaus. In einem flimmernden Lichtfächer spielte er über den getäfelten Estrich hin und jagte das friedliche Dämmerungsdunkel vor sich her, so daß es sich bange als zitternde Schatten rechts und links hinter den geschnörkelten Stuhlbeinen verbarg oder sich in die Winkel drückte, sich lang und dünn machte in dem Versteck hinter vorspringenden Leisten oder sich glatt unter die große Kommode legte.

Dann auf einmal sog der Kamin das Licht und die Wärme gleichsam bullernd wieder ein, und das Dunkel breitete sich unverzagt über den ganzen Estrich, über jede Tafel und jedes Brett, ganz bis an das Feuer heran; aber dann kam der Flammenschein von neuem über die Dielen gejagt, so daß das Dämmerungsdunkel nach allen Seiten flog und der helle Schein hinterdrein, Wände hinan und Türen hinan, ganz hinauf über die blanke Messingklinke, nirgends war es sicher; ja, da saß das Dunkel und klemmte sich fest zwischen Mauer und Decke wie eine Katze in einen Baum, und der Feuerschein sprang da unten herum, hin und her, hüpfend und jagend, wie der Hund an der Wurzel des Baumes. Nicht einmal zwischen Gläsern und Pokalen hoch oben auf dem Dach der Kommode konnte das Dunkel in Frieden verweilen, denn die roten Rubingläser, die blauen Pokale und grünen Römer, sie alle zündeten bunte Feuer an und halfen dem hellen Schein, es aufzustöbern.

Und der Sturm draußen hielt an, und das Dunkel nahm zu; allein drinnen, da loderte Feuer, und da tanzten Lichter, und Marie Grubbe sang. Bald sang sie die Worte so, wie sie sich ihrer entsinnen konnte, bald summte sie nur die Melodie; sie hatte ihre Laute in der Hand, aber sie spielte nicht, sie griff nur hin und wieder in die Saiten und lockte ein paar klare, lang nachklingende Töne hervor.

Es war eins dieser traulichen, kleinen, wehmütigen Lieder, die einem das Polster weicher und die Stube wärmer machen, eine von diesen leis wogenden Melodien, die sich in ihrer gemächlichen Schwermut gleichsam selbst singen und dabei doch unsere Stimmen so vergnüglich voll, so schwellend und so rund klingen lassen. Marie saß gerade im Flammenschein des Kamins, umspielt von dem rötlichen Licht, und sie sang so gedankenlos wohlbehaglich, gleichsam sich selbst mit der eigenen Stimme liebkosend. Da tat sich die niedrige Tür auf, und Ulrik Frederiks hohe Gestalt duckte sich herein.

Marie hielt sofort inne mit dem Singen.

»Ah, Madame!« rief Ulrik Frederik in einem sanft vorwurfsvollen Ton aus, indem er mit stehender Gebilde auf sie zutrat, »hätte ich gewußt, Ihr würdet Euch von meiner Anwesenheit inkommodieren lassen ...!«

»Ach nein; ich sang nur, um meine Träume wachzuhalten.«

»Aimable Träume?« frug er und beugte sich über den Wärmebock vor dem Kamin herab und wärmte seine Hände an den blanken, roten Kupferkugeln.

»Jugendträume«, antwortete Marie und lief mit der Hand über die Saiten der Laute.

»Ja, immer ist das Alter sich selbst gleich!« und er sah sie lächelnd an.

Marie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie plötzlich:

»Man kann recht jung sein und dennoch alte Träume haben.«

»Welch ein schöner Moschusgeruch hier drinnen ist! – aber ist denn meine Wenigkeit mit in diesen alten Träumen, Madame? – wenn man fragen darf.«

»Ach nein!«

»Es gab doch eine Zeit...«

»Unter allen anderen Zeiten.«

»Ja, Madame, unter allen anderen Zeiten gab es einmal eine wunderschöne Zeit, da ich Euch sehr, sehr teuer war. Könnet Ihr Euch nur einer Dämmerstunde erinnern, acht Tage nach unserem Beilager oder so ungefähr? Es war ein Sturm und Schnee...«

»Ganz wie jetzt.«

»Ihr saßet vor dem Kamin ...«

»Ganz wie jetzt.«

»Ja, und ich lag zu Euren Füßen, und Eure lieben Hände spielten in meinem Haar.«

»Ja, damals liebtet Ihr mich!«

»O, ganz wie jetzt! – Und Ihr – Ihr beugtet Euch über mich hinab, Ihr weintet, so daß Euch die Tränen an den Wangen niederliefen, und Ihr küßtet mich und sahet mich so zärtlich und bewegt an, als sprächet Ihr in Eurem Herzen ein Gebet für mich, und dann auf einmal – wisset Ihr wohl noch? – da bisset Ihr mich in den Hals.«

»Ja, du allgütiger Gott, wie ich Euch doch liebte, mein Herr Gemahl! Wenn ich Eure Sporen auf der Treppe klirren hörte, so klingelte mir das Blut vor den Ohren, ich zitterte von Kopf bis zu Fuß, und meine Hände wurden so kalt wie Eis. Und wenn Ihr dann hereinkamt und mich in Eure Arme drücktet ...«

» De grâce, Madame!«

»Ach, das sind ja nur tote Erinnerungen an eine Amour, die längst erloschen ist.«

»Ach, erloschen, Madame! sie schwelt ja noch heißer denn zuvor.«

»Nein, sie ist mit der kalten Asche zu vieler Tage zugedecket.«

»Aber sie erhebt sich aus der Asche wie der Vogel Phönix, schöner und feuriger denn zuvor – saget, tut sie das nicht?«

»Nein, die Liebe ist wie eine feine Blume; wenn die Kälte einer frostigen Nacht ihr Herz welken macht, so geht sie ein, von der Spitze bis zur Wurzel.«

»Nein, die Liebe ist wie das Kraut, so man die Rose von Jericho nennet; wann die Dürre kommet, so verdorret sie und schrumpfet zusammen; kommt dann aber eine milde und liebliche Nacht mit weichem Tau, so entfaltet sie alle ihre Blätter wieder und ist so grün und frisch wie nur je zuvor.«

»Mag sein! es gibt wohl vielerlei Arten von Liebe.«

»Die gibt es – ja, und die unsere war just so eine Liebe.«

»Daß die Eure so war, das saget Ihr mir eben, aber die meine, niemals war sie so, niemals.«

»Dann habt Ihr niemals geliebt.«

»Nicht geliebt! – Jetzt will ich Euch erzählen, wie ich geliebt habe. – Es war auf Frederiksborg ...«

»O, Madame, Ihr seid ohne Schonung!«

»Nein, nein; es ist gar nicht das. – Es war auf Frederiksborg. Ach, Ihr wisset nur wenig, was ich dort litt. Ich sah, daß Eure Liebe zu mir nicht annähernd mehr so war wie früher. Ach, wie eine Mutter über ihr krankes Kind wacht und achtgibt auf jedes kleine Zeichen, so verfolgte ich mit Angst und Beben Eure Liebe. Und als ich in Euren kalten Blicken sah, wie blaß sie wurde, und au Euren Küssen fühlte, wie schwach ihr Puls schlug, da war es, als sollte ich vergehen in Qual und Pein. Ich weinte um diese Liebe in langen Nächten, ich betete für sie wie für ein teures Herzenskind, das stirbt und stirbt, Stunde um Stunde. Und ich spähte nach Hilfe und nach Rat in meiner Not, nach einer Heilung für Eure kranke Liebe; und was für geheime Mittel mir nur zu Ohren kamen, so da sind Liebestränke, die mischte ich mit zweifelnder Hoffnung in Euren Morgentrank und Abendwein. Ich legte Euren Brustlatz während dreier wachsender Monde aus und betete das Hochzeitslied darüber; und auf Eure Bettstatt, da malte ich innen mit meinem eigenen Blut dreizehn Herzen in Kreuzesform, doch ohne Nutzen, mein Herr Gemahl; denn Eure Liebe war krank zum Tode. – Sehet, solchermaßen wäret Ihr geliebt!«

»O nein, Marie, meine Liebe ist nicht tot, sie ist auferstanden. Höret mich, Herze! höret mich, denn ich bin mit Blindheit geschlagen gewesen, mit argem Wahnsinnsfieber; aber jetzt, Marie, knie ich vor Euren Füßen nieder, und sehet, ich werbe von neuem, mit Bitten und mit Flehen. Ach, meine Liebe ist gewesen wie ein wankelmütig Kind, aber jetzt ist sie zum Manne herangewachsen; o, gebet Euch getrost ihren Armen hin, und ich schwöre Euch beim Stamme des Kreuzes und bei Mannes Honneur, daß sie Euch nie wieder lassen wird.«

»Schweiget, schweiget; was kann das helfen!«

»O, glaubet mir doch, Marie!«

»Bei Gott dem Lebendigen! ich glaube Euch; es ist keine Faser oder Faden von Zweifel in meiner Seele, ich glaube Euch völlig, ich glaube, daß Eure Liebe groß und stark ist; aber meine! die habt Ihr mit eigenen Händen erwürget, sie ist eine Leiche; und wie laut auch Euer Herze rufet, so wird es sie nie wieder aufwecken.«

»O ja, Marie! Ihr von Eurem Geschlecht... ich weiß, es gibt solche unter Euch, die, wann sie einen Mann lieben, und stoßet er sie auch mit seinem Fuß weg, – sie kommen dennoch wieder, ewiglich wieder; denn ihre Liebe ist gefeit gegen alle Wunden.«

»Ja, das ist richtig, mein Herr Gemahl; und ich – ich bin ein solches Weib, möget Ihr wissen, aber Ihr seid nicht der rechte Mann.«

 

»Gott halte Seine beschirmende Hand über Dich, meine hertzensallerliebste Schwester, und sey Dir ein guter und rundtlicher Geber von Allem, so da wünschenswerth ist für Leib wie für Seele, das wünsche ich Dir von Hertzen.

Meiner hertzallerliebsten Schwester, so mein eintziger wohlmeynender Freund ist von Kinderzeit her, will ich nun beschreiben, welch schöne Früchte ich hab von meinem Erhöhungsstand, so soll seyn verfluchet von dem Tag an, da er begonnen, denn er hat, wie Gott weiß, mir nur Verdrüßlichkeit und Tribulationen in vollen Schaalen gebracht.

Ja, war mir das nicht eine rechte Erhöhung in umgekehrter Weise, wie meine allerliebste Schwester anitzo hören soll und wie ihr wohl schon in vielen Stücken bewußt ist; denn es kann nicht fehlen, daß meine Schwester ja von ihrem lieben Mann vernommen hat, daß es, schon als wir in Seeland wohnten, gantz kaltsinnig zwischen mir und meinem feinen Herrn Gemahl stund; und hier auf Aggershus war es einige Zeit nicht anders, denn er hat sich solchermaßen wider mich auffgeführet, daß es mehrstentheils unglaublich zu ererzählen ist, aber wie von einem solchen schmucken Junker wohl zu erwarten stund. Aber ich kümmere mich nur wenig um seine schmutzigen Galanterien, denn die gehen mich in Nichts an, sintemalen ich für ihn schon lange her so geringe Liebe hege, daß es nicht einmal genug seyn würde, ein krankes junges Entlein am Leben zu erhalten; und kann er für meinetwegen dem Schinder seinen Weib nachrennen, so das sein Wunsch seyn sollte, insofern er mir nicht zu nahe thut kommen mit seinen Faxen, wie er es just thut, und auf solche Manier, daß man sich wundern muß, ob er von Tollheit entbrannt ist oder vom Teufel besessen; und das hat darauß seinen Anfang, daß er eines Tages mit feinen Worten und eitlen Versprechungen zu mir kam und wollte, Alles solle wieder gut seyn zwischen uns, wo er mir doch so verabscheuet und veracht ist, was ich ihm auch mit den Worten sagte, daß ich mich viel zu gut für ihn ansähe; aber da war es, als ginge es erst recht an, denn wenns den Düwel friert, pflegt man zu sagen, macht er sein Hölle glühn; und heitzet er mir gleich ein höllisch Badstub ein, solchermaßen, daß er lose Weibsbilder und schmutzige Dirnen in gantzen Schaaren hier auf das Schloß hereinfuhr und sie bewirthete mit Essen und Trincken in großer Menge, ja mit theurem Schneemus und kostbaren Schauessen, wie bei irgend einem fürstlichen Banquet, und da sollten meine künstlich gewebten Damasttücher, so ich von unserer Mutter selig geerbt hab, auffgeleget werden, und meine seidenen Polsterkissen mit Fransen desgleichen, wurde aber nichts darauß, alldieweil ich es Alles hinter Schloß und Riegel sperrete, so daß er in der Stadt leihen mußte zum Ausbreiten über Tische als auch über Bänke.

Meine hertzallerliebste Schwester, ich will Sie nun nicht länger ermüden mit solch garstiger Kompagnie; aber ist es nicht schmählich, daß solch Dirnenpack, so, wann ihnen ihr Recht geschähe, ihre Haut am Pranger der Stadt brav gestäupet kriegen müßt, auf Staatsbänken in Königliche Majestäts Statthalters Stube sitzen soll; ich meyne, es ist so unerhört und lästerlich, daß, wenn es Königlicher Majestät zu Gehör kommt, wie ich von gantzem Hertzen, mit Leib und Seel wünsche, er meinem guten Ulrik Frederik so zureden thät, daß es ihn nur wenig gelüsten möchte, es anzuhören. Den artigsten von seinen Streichen wider mich hab ich noch nicht erzählet; der ist auch gantz neu, sintemal er erst den vergangenen Tag passierte, wann ich nach einem Krämer senden ließ, daß er mit einigen brabantischen Seiden-Agramants herauffkommen sollt, die ich unten um eine Jacke herum haben wollt; aber er ließ antworten, wann ich das Geld hinunterschicken thät, würden die Waaren wohl kommen, aber der Statthalter hätt ihm verboten, mir was auf Borg zu verkauffen, und dergleichen Bescheidt kam von dem Hutstaffierer, zu dem geschicket worden war, so daß ich vermeyne, er hat mich in der gantzen Stadt ehrlos gemacht, wo ich ihm doch für viele Tausend und Tausende von Reichsthalern in das Haus gebracht habe. Nun nichts mehr für dies Mal. Gott sey Alles befohlen, und Er sende mir alleweyl gute Zeytung von Dir.

Aus Aggershus Schloß, 12. December 1665.

Deine vollgetreue Schwester allzeyt
Marie Grubbe.

Wohlgeborener Frau Ane Marie Grubbe, Styge Hoeghs, des Landrichters auf Laaland Gemahlin, meiner hertzlieben Schwester huldreich zu Händen.«

 

» Gott nehme Dich in Seine Verwahrung, meine allerliebste Schwester, jetzund und immerdar, das will ich Ihr aus einem aufrichtigen Hertzen wünschen und will vor Sie das Gebet beten, daß Sie einen auffgerichteten Sinn fassen möge und sich nicht platt niederdrücken lasse, denn ein Jeder hat sein Jammerlos zugetheilet, und wir schwimmen und baden in eitel Elendigkeit.

Ihr Schreiben M. A. L. S. ist mir zu Händen gekommen, ungeschädigt und unerbrochen auf alle Weise, und vernehme ich darauß mit sinkendem Hertzen den Spott und die Beschämung, so Ihr Gemahl Ihr zuführet, was ein groß Unrecht ist von Königlicher Majestät Statthalter zu thun, wie er thut. Aber sey Sie doch nicht zu hastig, mein Hühnchen, denn Sie hat Ursache zur Geduld, sintemalen Ihr ein so hoher Platz angewiesen ist, dessen nicht gut wäre verlustig zu gehen und so wohl werth ist, mit Unruhe bewahret zu werden; denn wenn Ihr Gemahl viel Gut verschwärmet und vergeudet, so ist das von seinem eigenen, so er verschwendet, dieweil mein Schlemmer von Mann seines wie auch meines durchgebracht hat, was ein Jammer ist; daß ein Mann so zusammenhalten sollte, was uns von Gott ist anvertrauet, anstatt dessen zerstreuet oder gäntzlich verschleudert. Wolle nur Gott mich gnädiglich von ihm scheiden, wenn es doch nur lieber so würde, da wäre das ein rechtes Almosen vor mich armes Weib, und vor welches nicht genugsam zu danken wäre, und könnte das ebensowohl geschehen, als wir das letzte Jahr gar nicht beisammen gewesen sind, wovor Gott Preis und Dank sey, wenn das so beibleiben möchte, so kann M. A. L. S. wohl begreiffen, daß auch mein Bett nicht gantz mit Seiden überbreitet ist, aber M. A. L. S. muß bedenken, daß Ihr Gemahl sich wohl noch beruhiget und wieder zu Vernunft kommet, so daß er nicht Alles für schamlose Dirnen und Racker-Pack zusetzet; und dieweil sein Ambt ihm große Einnahme gibt, so soll Sie Ihr liebes Hertz nicht lassen beunruhigen von seiner lästerlichen Verschwendung oder von seiner Unholdheit. GOTT will es bessern, das glaube ich gewißlich. Handle Sie nun recht, mein Hühnchen, und nehme Sie viele tausend gute Nächte von mir,

Ihrer treuen Schwester, dieweil ich lebe,
Ane Marie Grubbe.

Aus Bang, 6. Februari 1666. A Madame Madame Gyldenleu, meiner guten Freundin und Schwester freundlich zugeschrieben.«

 

»Gotthalte Seine beschirmende Hand über Dich, meine hertzensallerliebste Schwester, und sey Dir ein guter und rundtlicher Geber von Allem, so da wünschenswerth ist für Leib wie Seele, das wünsche ich Dir von gantzem Hertzen.

Hertzensallerliebste Schwester, man saget wohl von altersher, daß niemand sey so rasend toll, daß er nicht zwischen Johannis und Paulinus einen lichten Augenblick hätte, aber das will hier nicht Stich halten, sintemalen mein toller Herr Gemahl bishero nicht zu seinem Verstand gelanget ist; ja er ist zehn, ja tausendmal toller denn zuvor, denn das, so ich Dir früher schrieb, das ist nur als Kinderspiel zu rechnen gegen das, so jetzo angehet, was über alle Maßen ist; nämlich, allerliebste Schwester, er ist nach Kopenhagen gewesen und, o undenkbarer Spott und Schande, hat eine seiner alten Weibskarnallien mit hierher gebracht, nämlich Karen, selbe er flugs vor beständig Losament hier auf dem Schlosse nehmen ließ, und die über alle Dinge gesetzet ist und auf alle Weise regieret, während ich sozusagen vor die Thür gesetzet bin; aber hertzliebe Schwester, Sie, muß mir jetzo den Dienst erweisen, daß Sie sich verhöret, ob unser lieber Vater sich meiner Sach annehmen wollte, wann ich von hie entflöhe, was er ja sicherlich will, denn niemand kann ohn groß Mitleyden meine unglückliche Stellung mit ansehen, und das, so mir aufgeladen wird, ist so unleidelich, daß ich denke, ich kann nur recht thun, wann ich es abwerfe. Es ist nicht länger her als jetzt am Tage unserer lieben Frauen, da war ich in unsern Apfelgarten hinabgegangen, und als ich wieder hineinkam, da war der Riegel vor meine Bettkammer von inwendig vorgeschoben, und als ich fragte, wie der Streich zu deuten sey, da antwortete man mir, die Kammer und die nebenan, die wolle sie, Karen, haben, und war mein Bett in die westliche Stube hinaufgetragen, allwo es so kalt ist wie in einer Kirchen, wann der Wind darauf steht, und voll von Zugwind, und die Diele völlig morsch und hie und da mit gantz großen Löchern. Aber wollt ich Dir all den Hohn beschreiben, so mir hier widerfahren thut, da würd es so lang wie eine Fastenpredigt, und wann es auf die Weise weitergeht, da glaub ich kaum, daß mein Kopf es aushalten wird. Gott sey Alles befohlen, und Er sende mir immer gute Zeytung von Dir,

Deine vollgetreue Schwester allzeyt
Marie Grubbe.

Aus Aggershus Schloß, 2. Septembris 1666.

Wohlgeborene Fraue, Frau Ane Marie Grubbe, Sti Hoeghs, des Landesrichters auf Laaland Gemahlin, meiner hertzlieben Schwester, huldvoll zu Händen.«

 

Ulrik Frederik war des Zustands auf dem Schlosse eigentlich ebenso müde, wie es Marie Grubbe war.

Er war in bezug auf Ausschweifungen Besseres gewöhnt. Es waren nur erbärmliche Zechgenossen, diese armen, simplen Offiziere hier in Norwegen, und mit ihren Soldatendirnen war es auf die Dauer auch nicht zum Aushalten. Fiedel-Karen war noch die einzige, die nicht eitel Roheit und Plumpheit war, aber selbst ihr würde er lieber heute als morgen Valet sagen.

Aus Ärger über Marie Grubbes Zurückweisung hatte er diese Leute zu seiner Gesellschaft gemacht; dann hatte es ihn eine Weile belustigt, aber nicht lange; und da das Ganze nun anfing, ihm schal und fast widerwärtig zu werden, und ihn gleichsam ein schwaches Gefühl von Reue überkommen hatte, so empfand er das Bedürfnis, sich selbst einzubilden, daß es notwendig gewesen sei, und kam auch wirklich zu dem Glauben, daß es das war und daß er mit dem allen einen Plan gehabt habe, nämlich den, Marie Grubbe dahin zu bringen, daß sie ihr Betragen bereute, und sie bußfertig zurückzuführen. Da es aber gar nicht so schien, als wenn die Reue kommen wolle, so packte er härter zu, in der Hoffnung, daß er, wenn er ihr das Leben so unangenehm wie möglich mache, ihre Widerspenstigkeit schon bezwingen würde; denn daß sie ihn nicht mehr liebe, daran glaubte er nicht; er fühlte sich überzeugt, daß sie sich in ihrem Herzen danach sehnte, sich ihm in die Arme zu werfen, daß sie aber, als sie merkte, daß seine Liebe zu ihr wieder lebendig geworden war, sah, sie könne nun Rache an ihm nehmen wegen seiner Abtrünnigkeit ... und er gönnte ihr diese Rache; es gefiel ihm sehr, daß sie sich rächen wollte, aber sie zog es zu sehr in die Länge; das wurde ihm zu langwierig hier in diesem barbarischen Norden.

Und doch, er fühlte sich trotzdem nicht so recht sicher, ob er nicht am besten daran getan hätte, Fiedel-Karen in Kopenhagen zu lassen; aber einerseits konnte er es mit den andern nicht mehr aushalten, und andererseits war die Eifersucht ein mächtiger Bundesgenosse, und Marie Grubbe war eifersüchtig auf Karen geworden, das wußte er.

Marie Grubbe kam jedoch immer noch nicht, und er fing an daran zu zweifeln, ob sie jemals kommen würde, und seine Liebe wuchs mit seinem Zweifel.

Das Verhältnis erhielt jetzt etwas von der Spannung eines Spiels oder einer Jagd.

Mit ängstlichem Sinn, mit berechnender Furcht tat er Marie Grubbe den einen Tort nach dem andern an, und er wartete gespannt auf ein Zeichen, nur auf ein kleines Zeichen, daß er sein Wild auf den rechten Weg trieb; aber es geschah nichts.

Doch – endlich.

Endlich geschah etwas, und er war sicher, daß dies das Zeichen war, just das Zeichen, das er erwartete. Marie Grubbe nahm nämlich eines Tages, als ihr Karen eine ungewöhnlich empfindliche Beleidigung zugefügt hatte, einen guten, starken Lederzügel in ihre Hand, ging durch das Haus bis an die Kammer, wo Karen eben ihren Mittagsschlaf hielt, verschloß die Türen von innen und gab der entsetzten Dirne eine derbe Tracht Prügel mit dem schweren Zügel und kehrte dann ganz ruhig in die westliche Kammer zurück, mitten durch die ganze sprachlose Dienerschaft hindurch, die Karens Geschrei herbeigerufen hatte.

Ulrik Frederik war unten in der Stadt, als dies geschah; Karen sandte ihm sofort Botschaft, aber er übereilte sich nicht mit dem Kommen; erst spät am Nachmittag hörte die harrende Karen sein Pferd im Hofe.

Sie lief hinab, ihm entgegen; er schob sie jedoch sanft, aber bestimmt beiseite und ging geradeswegs zu Marie Grubbe hinauf.

Die Tür stand angelehnt – dann war sie also wohl nicht da drinnen.

Er steckte den Kopf hinein, überzeugt, die Stube leer zu finden, aber sie war da, sie saß am Fenster und schlief. Da ging er denn vorsichtig hinein, so vorsichtig er nur konnte, denn er war nicht ganz nüchtern.

In einem gelben und güldenen Strom floß das Licht der sinkenden Septembersonne in die Kammer hinein und hob die dürftigen Farben drinnen zu Glanz und Herrlichkeit; die getünchten Wände erhielten Schwanenweiße, die gebräunte hölzerne Decke die Glut von Kupfererz, und der verschossene Bettumhang ward zu weinroten Falten und purpurnem Stoff. Es war blendend hell; selbst das, was im Schatten war, leuchtete nach; es war, als schimmere es hervor aus einem Nebel von laubgelbem Licht. Um Marie Grubbes Haupt spann es das Gold eines Glorienscheins und küßte ihre weiße Stirn; aber daß Augen und Mund tief im Schatten lagen, das machte ein vergilbender Apfelbaum, der seine fruchterrötenden Zweige verlockend vor die Fensterscheiben hielt.

Aber sie schlief, saß auf einem Stuhl und schlief, die Hände im Schoß gefaltet.

Auf den Zehenspitzen schlich Ulrik Frederik zu Marie hin, und der Glorienschein schwand, da er sich zwischen das Fenster und sie stellte.

Er betrachtete sie genau.

Sie war bleicher als früher. Sie sah so gut und so sanft aus, wie sie dasaß, den Kopf ein wenig zurückgebeugt, mit leicht geöffneten Lippen und die weiße Kehle bar und bloß; er konnte sehen, wie der Puls an der Seite des Halses pochte, gerade unter dem braunen, kleinen Muttermal. Er verfolgte die feste Rundung der Schulter unter der strammen Seide und den schlanken Arm bis zu der weißen, ruhenden Hand. – Und die war sein. – Er sah, wie sie die rundlichen Finger um den braunen Zügel ballte und wie der Arm in seinen weißen, geäderten Formen fest und blank wurde, schlaff wurde mit matterem Glanz im Schlag, der Karens armen Leib traf. Er sah, wie ihr eifersüchtiger Blick zufrieden funkelte und wie ihre zornigen Lippen grausam lächelten bei dem Gedanken daran, daß sie Kuß auf Kuß mit der Zügelpeitsche auslöschte. – Und sie war sein. – Er war schlecht und streng und grausam gewesen; er hatte diese lieben Hände sich in Jammer ringen und diese roten Lippen sich in Klage öffnen lassen.

Seine Augen bekamen einen feuchten Glanz, während er so dachte, und er fühlte sich durchdrungen von dem ganzen, leichterregten, weichen Mitleid eines betrunkenen Mannes; und er fuhr fort in stumpfsinniger und trunkener Empfindsamkeit dazustehen und zu starren, bis der reiche Lichtstrom der Sonne zu einem dünnen, kleinen, blinkenden Faden hoch oben zwischen den dunklen Balken der Decke aufgezehrt war.

Da erwachte Marie Grubbe.

»Ihr!« schrie sie fast, indem sie emporfuhr und sich zurückwarf, so daß der Stuhl zu Boden flog.

»Marie«, sagte Ulrik Frederik so zärtlich, wie er vermochte, und streckte stehend die Hände nach ihr aus.

»Was wollt Ihr? – Ihr wollt Euch wohl beschweren über die Hiebe, die Eure Buhle bekommen hat?«

»Nein, nein, Marie; laßt uns Freunde sein, gute Freunde!«

»Ihr seid trunken!« sagte sie kalt und wandte sich von ihm ab.

»Ja, Marie, von Liebe zu dir bin ich trunken, ich bin taumeltrunken von deiner Schönheit, mein Herzenspüppchen!«

»Ja, so trunken, daß Euer Gesicht Euch getäuscht hat und Ihr andere für mich genommen habet.«

»Marie, Marie, sei jetzt nicht eifersüchtig!«

Sie machte eine höhnische, abweisende Bewegung.

»Ja, Marie! Du warst eifersüchtig; du hast dich selbst verraten, jetzt, wo du den Reitzügel nahmst, du weißt ... aber laß nun die ganze schmutzige Gesellschaft vergessen sein und tot und in des Teufels Hut; komm, komm! spiel jetzt nicht mehr die Unholde mit mir, wie ich den treulosen Gast gegen dich gespielt habe, mit all diesem Schlemmen und Buhlen zum Schein. Wir machen uns ja nur einen Höllenpfuhl dadurch, dieweil es uns ein Saal des Himmelreichs sein könnte. – Du sollst deinen Willen haben, in was du willst; willst du in Seide schweben, so dick wie Kamelott; willst du Perlen in Strähnen haben, so lang wie dein Haar, du sollst es bekommen, und Ringe und Goldbrokatstoffe in ganzen Stücken, und Federn und Steine, was du nur willst; es ist nichts zu kostbar, um von dir getragen zu werden.«

Er wollte seinen Arm um ihren Leib legen, aber sie packte ihn beim Handgelenk und hielt ihn von sich ab.

»Ulrik Frederik,« sagte sie, »soll ich dir etwas sagen? – Könntest du deine Liebe in Zindel und Marderfell hüllen, könntest du sie in Zobel kleiden und sie mit Gold krönen, ja, ihr Schuhe von reinstem Demantstein geben, ich wollt sie von mir schleudern wie Kot und Dreck, denn ich achte sie geringer als die Erde, so ich mit Füßen trete. Da ist auch kein Tropfen meines Blutes, der dir gut wäre, nicht eine Faser meines Fleisches, die dich nicht wegstieße, – hörest du! Da ist kein Winkel in meiner Seele, so dich mit Namen riefe. – Verstehe mich nur recht! Könnt ich deinen Leib aus der Pein einer tödlichen Krankheit lösen oder deine Seele aus der Hölle Tod, dadurch, daß ich dein würde, – ich täte es nicht.«

»Ja, du tätest es, Weib, darum rede nicht so!«

»Nein und nein und abermals nein!«

»Dann hinaus, hinaus! Fort aus meinen Augen in dem vermaledeiten Namen der Hölle!«

Er war weiß wie eine Wand und zitterte an allen Gliedern. Die Stimme war heiser und unkenntlich, und er fuchtelte mit den Armen in der Luft herum wie ein Wahnsinniger.

»Hebe deinen Fuß hinweg aus meinem Wege! Hebe deinen – hebe deinen – hebe deinen Fuß hinweg aus meinem Wege, oder ich spalte dir die Stirn; Mordblut schwillt vor mir auf und flammt rot vor meinen Augen. – Hinaus, hinaus aus Norwegens Land und Reich, und der Brand der Hölle sei dein Gefährt! Hinaus ...«

Marie sah ihn einen Augenblick entsetzt an; dann lief sie, was sie konnte, aus der Stube hinaus, fort aus dem Schloß.

Als sie die Tür zuschlug, ergriff Ulrik Frederik den Stuhl, in dem sie gesessen hatte, als er kam, und schleuderte ihn zum Fenster hinaus, zerrte den mürben Umhang von der Bettstatt und riß ihn zu Fetzen und Fasern, während er im Zimmer hin und her taumelte; dann sank er auf den Boden nieder und kroch auf den Knien herum, keuchend wie ein wildes Tier und seine Knöchel blutig hämmernd. Endlich war er müde, rutschte nach dem Bett hin und warf sich darin nieder, das Gesicht in den Kissen vergrabend, und rief Marie mit zärtlichen Namen und weinte und schluchzte und verfluchte sie und sprach dann wieder, als liebkose er sie, mit sanfter und leiser Stimme.

In der nämlichen Nacht bewog Marie Grubbe einen Schiffer, sie für gute Worte und reiche Bezahlung nach Dänemark zu segeln.

Am nächsten Tag jagte Ulrik Frederik Fiedel-Karen zum Schlosse hinaus, und wenige Tage darauf reiste er nach Kopenhagen.


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